Freitag, 23. Juli 2010
Demonstration
Bild des Tages. Am Bayrischen Platz. Die Grünanlage gegenüber der U-Bahnstation. Der Rasen ist an mehreren Stellen großflächig aufgerissen. Wie gepflügt. Und überall die fetten Krähen, die in der Erde picken und fette Regenwürmer herausziehen. Kann das sein, dass die Krähen mit ihren Schnäbeln die Grasfläche aufgerissen haben? Die rauchende Taxifahrerin am Taxistand weiß es auch nicht und ist genau so fasziniert von der Abgefahrenheit der Szenerie wie ich. Fehlt nur noch ein Galgen in der Mitte der Grünanlage. Und wen hängen wir da dran? Vielleicht den Mann in meinem Alter, der gerade vorbei kommt? Abschießen, alle abschießen will er sie, die Krähen. - Beim Weitergehen: Halt mir deine Schusswaffe an den Kopf und du hast ein Gespräch. Um es zu beenden, musst du schon abdrücken, wenn deine Waffe überhaupt geladen ist; wenn Du mich nicht nur einschüchtern willst, was bei mir nicht funktioniert, weil wenn sterben, was sowieso passieren wird, dann am liebsten durch Erschießen. Das nur, um mal zu umreißen, worin es in dem Gespräch gehen würde, das du hättest, wenn du mir eine Schusswaffe gegen die Schläfe drückst oder gegen die Nasenwurzel. – Beispiel, um zu illustrieren, was passiert, wenn man mir etwas vor Augen führen will. Was dann sofort passiert mit der Eindeutigkeit. Dass die davon flattert in einem Schwarm von Aspekten, Fragen und Zweifeln. Wie geschehen gestern Früh. Nein, nicht bei dem Spiel mit dem Omen der unisono Gesundheit wünschenden jungen Russen. Sondern danach, als ich keine halbe Stunde später schon die Antwort bekam auf die Frage nach der Bedeutung des Vorzeichens: dass das nichts werden wird mit dem Glück und der Erfüllung meiner Wünsche an diesem Tag. Gestern schon geschrieben über die Szene, die sich ereignete, als ich zu Hause ankam mit dem Fahrrad. Im gelöschten Text von gestern bezeichnet als Demonstration. Demonstration gegen mein angekündigtes Vorhaben, am Abend die Tess anzurufen. Gelöscht den Text, weil ich mich in Andeutungen verstiegen habe. Andeutungen nur, aus Taktgefühl. Gegenüber den beiden Demonstrationsteilnehmern. Tess und ihrem Mann. Taktgefühl vor allem gegenüber Tess. Wenn sie es überhaupt war. Damit geht es schon mal los. Schon wieder los mit der Verwirrung. Auch ein Grund, warum sich alles in mir sträubt, darüber zu schreiben. Denn wenn sie es war, was lässt sie da mit sich machen? – Wenn ihr Mann mir zeigen wollte, dass er da ist und nicht weit weg gerade, wie ich vermutet hatte, am liebsten für lange Zeit weg und am allerliebsten für immer. Wenn er mir zeigen will, dass ich mich getäuscht habe, warum muss er dann die Tess mitschleifen bei seiner Demonstration? Hätte doch völlig gereicht, wenn er sich zeigt. Verstanden und gut. Und warum lässt die Tess das mit sich machen, sich da vorführen wie ein Kalb am Kälberstrick? – Erst war ich amüsiert von der Demonstration und beeindruckt, weil es auch so gut gemacht war. Vor allem das präzise Timing. Ich komme angefahren und just in dem Moment kommen die Tess und ihr Mann aus dem Haus gegenüber und gehen gefolgt von meinem Blick zusammen die Straße hoch, wahrscheinlich zur U-Bahn. Amüsiert. Beeindruckt. Doch dann das kalte Grausen, das an mir hochgekrochen ist bei dem Gedanken, dass der die dazu genötigt hat, da mitzukommen, um mir die eheliche oder sonst wie lebenspartnerliche Einheitsfront der beiden zu demonstrieren. Wo sie doch am Vorabend alles getan hat mit ihren Zeichen, damit ich ihr wieder schreibe, weiter schreibe an sie. Die Vorstellung, dass er sie zwingt zu so was. Die noch beklemmendere Vorstellung, dass sie das mit sich machen lässt. Abhängigkeit (mehrere Möglichkeiten von Abhängigkeit). Wenn–dann-Sätze. Oder Wenn-dann-nicht-Sätze. Drohungen. Seine Art, um sie zu kämpfen. Trotzdem ein Liebender. Habe ihn schließlich gesehen, wie er da stand im Winter am Fenster und nach ihr Ausschau hielt; den Kindertränen nah wahrscheinlich. Und trotzdem, was für ein Riesen-Verhaltensmüllhaufen, den er angerichtet hat mit seiner Liebe zu dieser süßen Frau; nicht mehr zu unterscheiden von einem Besitzverhältnis.. Dieser süßen Frau. Von der ich aber, wie es nun mal ist, auch nicht alles weiß. Sie will weg von ihm. Er weiß es. Er kämpft um sie. Sie bleibt. Will aber weiter weg. – Die Art von Vertrautheit der beiden. Beneidenswerte Intimität. Die machen sich nichts mehr vor. Alles kann gesagt werden. Ales wird ausgesprochen. – Worüber reden die, wie reden die miteinander, wenn sie zum Beispiel in diesem Hauseingang stehen und warten, bis ich ankomme mit meinem Fahrrad, und er dann die Tür öffnet und sie rausgeht und er hinter ihr heraustritt? Alleine der Umstand: das abzusprechen, so und so machen wir das und du machst mit, sonst… . Und dann warten, bis ich ankomme und das dann durchziehen. – Warum dieser Umstand? Was kann denn schon passieren, wenn ich da anrufe oder läute und vor der Tür stehe? Was hat er zu verbergen? Was hat er zu fürchten? - Wenn es so ist, wie er vorgibt, dann kann er doch ganz entspannt zugucken, wie ich mir die größte Abfuhr meines Lebens abhole bei der Tess. Die Peinlichkeit ist doch dann ganz auf meiner Seite, und da ich nichts gegen Peinlichkeit habe, was er schon zur Genüge mitgekriegt hat, muss er doch auch keinen Aufruhr von mir fürchten. Zurückhaltend und bescheiden hole ich mir meine Abfuhr ab, wenn es denn so sein wird, und nebenbei lernen wir uns mal näher kennen und grüßen uns künftig freundlich, wenn wir uns begegnen, er süffisant lächelnd, ich hilflos. Wieder mal was erlebt. – Aber wenn es nicht so ist, wenn mich keine Abfuhr erwarten sollte bei der Tess, dann kann er doch nicht glauben, mich mit der Demonstration von gestern vertrieben zu haben. Jetzt will ich es doch erst recht wissen, was da los ist mit denen. Da geht es jetzt gar nicht mehr nur um mich und meine Sehnsucht und mein Begehren. Da geht es jetzt - vielleicht - um einen humanitären Einsatz, dieser Frau heraus zu helfen aus der Not, in die sie geraten ist. Und das alles wegen dieser Demonstration gegen mein Vorhaben, das nun kein Plan mehr ist, sondern schon eine fixe Idee. (Wird noch überarbeitet)