Donnerstag, 8. Juli 2010
Casting 2
Westerwelle. Die Frau bei Aldi ist so heiser, dass sie keine Stimme mehr hat. Vermutlich geschwitzt und dann die Klimaanlage. Sie steht trotzdem hinter der Kasse und quält sich mit dem Gefrage der Leute, zum Beispiel von mir. Die Sinti-Frau steht vor dem Penny Markt nebenan. Sie bietet lächelnd eine Elendszeitung an und hat das nächste Elend schon im Bauch. Westerwelle. Die FDP-Europapolitikerin Silvana Koch-Mehrin hat sich mal mit ihrem Schwangerenbauch vom STERN fotografieren lassen, so wie Demi Moore auf dem weltberühmten Foto von Annie Leibovitz. Silvana Koch-Mehrin ist auch neoliberal, wahrscheinlich auch ideologisch verrannt neoliberal, weil man anders doch gar nicht mehr neoliberal sein kann. Und sie ist ein Schützling von Westerwelle, hat mal in einer Zeitung gestanden. Trotzdem gefällt sie mir. Als öffentlich-menschliche Person. – Hey, die würde ich gerne haben hier im Blog. In einer Nebenrolle. Weil ich kann ja nicht mit ihr reden, wann es mir einfällt, ich kann ihr nur schreiben. Thema: Westerwelle. Der wird nur deshalb so gehasst, weil er schwul ist, hat sie vor ein paar Wochen mal einer Zeitung gesagt und Homophobie hat sie gesagt. Aber Frau Koch-Mehrin, oder darf ich Sie Silvana nennen? – Silvana, Sie glauben doch nicht im Ernst, dass es so viele homophobe Männer gibt, dass es für eine solche Unbeliebtheit reicht wie der Unbeliebtheit des Westerwelle. Und was ist eigentlich mit all den Frauen, die es schon schüttelt, wenn er nur den Mund aufmacht? Und was ist mit meiner Mutter, die sich schief lacht, wenn sie ihn mit seiner hochgetragenen Nase durch die Tagesschau stolzieren sieht, die aber den Ole von Beust für einen feinen Mann hält und nicht versteht,, was ich (politisch) gegen den Klaus Wowereit habe? – Und warum, Silvana? – Weil der Herr von Beust nett ist und der Herr Wowereit auch, während der Herr Westerwelle ein Riesen-Beispiel einer unbehandelten narzisstischen Persönlichkeitsstörung ist. Und damit kenne ich mich nun wirklich aus, weil ich auch eine habe. Vielleicht nicht so schwer, wie ich es mir einrede, da ich zu übertriebener Selbstkritik neige, aber ausgeprägt genug, um bei anderen die Symptomatik zu erkennen. So, Silvana, und jetzt wird es interessant und politisch. Ein Narzisst erkennt den anderen sofort und durchschaut ihn sofort – und er erträgt es nicht, an einem anderen seine eigenen Symptome zu sehen. Die monotone Selbstbezogenheit, das aufdringliche Posieren, die kränkende Herablassung, die kleine dreckige Affäre mit sich selbst, das Selbstmitleid, das Freund-Feind-Denken, die innere Leere. All das widert uns Narzissten an, wenn wir es bei anderen sehen. Und wir sind viele, Silvana, man kann vielleicht sogar sagen, dass die narzisstisch gestörte Persönlichkeit inzwischen der vorherrschende Persönlichkeitstyp ist. Nur sind zum Glück nicht alle von uns so schwer davon betroffen wie Ihr Chef. Und wer außer ihm wäre in der Lage, auf seinem Weg in die Vereinsamung und soziale Ächtung eine ganze politische Partei hinter sich her zu schleifen? - Jetzt gucken sie wahrscheinlich distanziert und dann werden sie vielleicht ironisch fragen, was man denn da bloß machen kann. - Meine Antwort ganz unironisch: Schwierig. Am schwersten ist wie immer der erste Schritt. Es einsehen und damit aufhören, die anderen dafür verantwortlich zu machen, dass sie einen nicht leiden können. Und dann? - Keine Ahnung, Silvana. Ich selbst bin immer noch beim ersten Schritt. – So, und jetzt bin ich mal gespannt, ob ich das wirklich an Frau Koch-Mehrin schicke und wenn, ob sie zurückschreibt. Geholfen hat sie mir jetzt schon. Wie unglücklich war ich vorhin beim Einkaufen, dass ich mich so verpeilt habe gestern, dass ich heute über den Westerwelle und seinen Narzissmus bloggen muss. Weil was will ich denn eigentlich von dem außer ihn verachten? Nicht mal einen Blumentopf würde ich den hier von a nach b tragen lassen. Und dann habe ich die liebenswürdige Sinti-Frau mit ihrem Schwangerenbauch gesehen und da habe ich an Frau Koch-Mehrin gedacht und mit ihr hat es jetzt richtig Spaß gemacht. Hoffentlich schreibt sie zurück. Wäre mir eine Freude, sie wieder mal hier zu haben.