Samstag, 10. Juli 2010
Uruguay
Der rührende Russe, neben dem ich drei , vier Mal die Woche im Hallenbad unter der Dusche stehe, ist sehr schwer zu verstehen. Am einfachsten ist noch,wenn die Dusche an seinem Stammplatz mal wieder zu wenig Wasserdruck hat. Kein Druck, sagt er dann mit der bekümmerten Miene eines kleinen Jungen und hantiert mit fachmännischen Griffen an der Installation herum, als wolle er sie gleich auseinander nehmen. Lässt er dann aber lieber. Und mein Angebot, ihm meinen Stammplatz zu überlassen, hat er auch noch nie akzeptiert. Wahrscheinlich, weil er es für übertrieben hält. Am Anfang unserer Bekanntschaft, als er zum ersten Mal sah, dass ich zum Schluss unter die kalte Dusche gehe, hat er erzählt, dass es in Russland Leute gibt., die am Neujahrstag – oder ist es in der Silvesternacht? – ins eiskalte Wasser springen, als Ritual, um das neue Jahr zu beginnen. So wie andere Leute Blei gießen, Feuerwerksraketen abschießen oder sich betrinken, so schlagen diese Russen Löcher ins Eis eines Sees oder Flusses und springen dann nackt ins kalte Wasser, um das neue Jahr zu begrüßen. Und zwar die ganze Familie tut das. Kinder, Greise, alle. - Bis ich das alles verstanden hatte! Und bis dann noch geklärt war, dass er und seine Familie das nicht machen. Nein, ich soll nicht übertreiben; dieser Part war noch der einfachste. - Um die Kommunikation zu vereinfachen, versuche ich inzwischen ihm zuvor zu kommen und selbst etwas zu erzählen. Doch meine Themen interessieren ihn nicht. Er hört geduldig zu, bis ich zu Ende gesprochen habe, kann aber die Mühe nicht verbergen, die ihn diese Höflichkeit kostet. Gestern kam er mir zuvor: Morgen,, hat er gesagt. – Ja? -Morgen. Fußball. Alle südamerikanischen Mannschaften draußen. – Naja. sage ich. Bis auf Uruguay. - Aber wenn Deutschland gewinnt, sagt er. Und da wird es mir schon wieder anstrengend. Deshalb versuche ich, das Gespräch an mich zu ziehen: Naja, sage ich, Spiel um den dritten Platz. Was hat das schon zu bedeuten? Man kann nicht dritter Weltmeister sein. – Er schaut mich verständnislos an und kommt dann zurück auf seinen Punkt: Wenn Deutschland gewinnt, Europa ist vorne. Südamerika draußen. – Aha. Europäischer Chauvinismus! - Versteht er nicht. Macht nichts. War auch nicht so grimmig gemeint wie gesagt. ich lächle ihn an, packe meine Sachen zusammen und verabschiede mich mit Tschüss bis nächste Woche. Er sagt auch Tschüss und erwidert mein Lächeln. Wir haben es mal wieder geschafft: Uns zu mögen, ohne uns zu verstehen. (Wird noch überarbeitet)