Freitag, 2. Juli 2010

Verwandlung

Ganz besonders beeindruckend ist von hier aus gesehen, wenn er im Wohnzimmer, ich sag mal, figuriert, um zu zeigen, dass er da ist und dass ich endlich Ruhe geben soll, weil er da ist und deshalb nichts zu holen ist für mich. Alles seins. Weg da, du da drüben!  -  Er scheint mich in solchen Momenten schon zu erwarten. Das heißt, er steht nicht zufällig da, wo er steht, er hat da Aufstellung genommen, weil er weiß, dass ich gleich auftauchen werde. Sieht er mich und kann sich sicher sein, dass ich ihn sehe, dreht er sich um, und geht dann ganz langsam weg. Breitbeinig, nehme ich an; ich kann das aufgrund der Sichtverhältnisse nicht so genau erkennen. Was ich deutlich sehen kann und worauf es ankommt, das ist, wie langsam er geht, und was für ein breites Kreuz er dabei macht. Das ist das Eindrucksvolle, wie er das hinkriegt, sich so  zu morphen, dass er plötzlich dieses enorm breite Kreuz hat. Wie ein Football-Spieler in seiner Kluft oder wie die Gorilla-Männchen in dem sehr schönen Film mit Sigourney Weaver,  Gorillas in the Mist (mist = Nebel), der dem Lebenswerk von Dian Fossey  gewidmet ist und von den Umständen ihres frühen Todes erzählt, den nicht etwa Gorillas verschuldet haben, sondern Wilderer, die Dian Fossey davon abhalten wollte, die Gorillas auszurotten. -  Was jetzt eine Abschweifung war, die ohne Belang ist für die Verhältnisse hier. Für die Verhältnisse hier nun die Vorstellung, dass der auch sonst so ist wie mit dem breiten Kreuz. Dass das so eine Art Subtext seines Verhaltens ist, immer gegenwärtig wie eine aura seminalis, oder wenigstens ein Bestandteil seines Verhaltensrepertoires, auf den er jederzeit zugreifen kann. Daran anknüpfende Vorstellung, dass sie ihn sich irgendwann mal ausgesucht hat, oder wenigstens sein Werben sich hat gefallen lassen. Denn mit dem Lasso wird er sie nicht eingefangen haben und sie seither gegen ihren Willen festhalten. Obwohl ich mir das manchmal einzureden versuche, dass er sie irgendwie in der Hand hat und sie nicht freiwillig bei ihm ist. Doch das ist eine Art Idealisierung. Realistisch ist die Annahme, dass er ihr irgendwann mal gefallen hat und wenn nötig noch immer gefällt  so wie er nun mal ist. also auch mit seiner Eigenschaft, sich wie beschrieben so morphen zu können, dass er diese Imponier-Rückenansicht hat.  Was wiederum bedeuten könnte, dass unsere Geschichte ein einziges Missverständnis ist und von Anfang an ein Missverständnis war, weil ich zwar der Typ bin, der von einem solchen Morphing, zu dem er fähig ist, sich nicht einschüchtern und abhalten lässt, weil ich aber selbst zu einem solchen Morphing nicht in der Lage bin und auch nicht bestrebt bin es zu sein. Womit mal wieder viel gesagt und gar nichts  gewonnen ist. Denn es macht unsere Geschichte nicht weniger schmerzhaft. Nur noch aussichtsloser, als sie es ohnehin schon ist.