Mittwoch, 14. Juli 2010

M.I.A.

Mathangi „Maya“ Arulpragasam. Künstlername M.I.A. (für Missing in Action). Welthit Paper Planes. Neuer Song Born Free  (lyrics). Das Video zu Born Free.  Wollte ich letzte Woche schon darüber schreiben. Auf Sonntag verschoben. Dann stand am Samstagabend auf SPIEGELONLINE ein Artikel über sie: Agitprop-Sängerin M.I.A  - Lady Anti-Gaga.  Sie haben sogar mit ihr geredet. Was will ich da noch? – Als ob ich in einer Welt leben würde, in der es darauf ankommt, ob ich über etwas früher oder später als SPIEGELONLINE schreiben. – Was wollte ich über sie schreiben? – Dass ich nicht besser bin als das Publikum bei den Grammys, über das sie sich hinterher beschwert hat, weil es sich von ihr nicht aufrütteln ließ, etwas zu tun für die  “50.000 Menschen, die nächsten Monat sterben werden” im Bürgerkrieg in Sri Lanka, Mayas Heimatland. Und wenn es nur das wäre, dass sie sich für die Menschen in ihrem Heimatland engagiert, so wie Bono und Bob Geldoff für die Menschen in Afrika, dann würde ich vielleicht gerade mal die  Überschriften der Artikel über sie lesen.  – So aber lese ich jede Zeile über sie, den ganzen langen Artikel M.I.A.´s Agitprop Pop von Lynn Hirschberg habe ich gelesen und auf You Tube habe ich mir ihre Songs zusammengesucht und  und das Born Free Video habe ich schon mehrfach angeguckt, obwohl es weh tut – beim dritten und vierten Sehen noch genauso wie beim ersten.  Weil es tückisch ist und böse. Weil es tricky ist, brutal tricky, aber nicht ironisch, nicht cool, nicht von dieser konfektionierten Ironie und konfektionierten Coolness, die die neue Dumpfheit ist. Der Trick des Videos ist, eine reale Situation aus der Dritten Welt, aus dem Bürgerkrieg in Sri Lanka, zu übertragen in eine fiktive Situation in unserer Welt. Reale Situation: Widerstandskämpfer, Tamilen, werden exekutiert, indem sie in ein Minenfeld getrieben werden. Fiktive Situation: Rothaarige weiße amerikanische Jungs werden von amerikanischen Soldaten verhaftet, weil sie rothaarige weiße Jungs sind und damit verdächtig , einer Widerstandsorganisation rothaariger weißer Jungs anzugehören, die wir später auf den Straßen agieren sehen. Ein Bus bringt die verhafteten Jungs in die Wüste. Dort werden sie mit Schlägen angetrieben loszulaufen. Die Jungs ahnen, was ihnen bevorsteht. Doch das nützt ihnen nichts. Wie in der realen Situation gibt es kein Entkommen. Es nützt nichts, der hübscheste Junge zu sein. Das führt nur dazu, dass man als erster dran glauben muss. weil man ausgewählt wird, um den anderen Angst zu machen.  Es nützt auch nichts, sehr mutig und stark zu sein. Das verlängert nur den aussichtslosen Wettlauf mit dem Tod. - Das Video hat Romain Gavras, Sohn von Costa Gavras (“Z”), gemacht. Anzunehmen, dass Maya, einen kreativen Anteil daran hat. Ob das so ist und welchen Anteil, sie daran hat, konnte ich dem Artikel von Lynn Hirschberg nicht entnehmen. Das hat sie nicht interessiert. Hirschberg ging es in der ganzen langen Zeit, die sie mit Maya für ihren Artikel verbracht hat, nur darum, Beobachtungen zu sammeln, mit denen sie die Authentizität von Mayas Engagement und ihre Integrität als Künstlerin in Frage stellen wollte – etwa  indem sie ihr Bekenntnis zum popkulturellen Außenseitertum damit konfrontiert, dass Maya im Restaurant Pommes frites mit Trüffelgeschmack bestellt und trendgerechte Timberland Schuhe trägt. Über das Video schreibt Lynn Hirschberg: “As a meditation on prejudice and senseless persecution, the video is, at best, politically naïve. “– Meditiert das Video? – Es  z e i g t Verfolgung, Ohmacht und elendes Verrecken. Und das tut weh. Das Video ist eine Aktion, die darauf zielt, weh zu tun –Verfolgung und Ohnmacht spürbar, Gewalt und elendes Verrecken erlebbar zu machen. Das tut es mit der Überzeugungskraft eines gezielten Schlags in die Fresse. Ganz platt, unironisch, uncool. Treffsicher. Politisch naiv? Treffsicher.