Freitag, 6. April 2012

Versetzt

Der Fehler war, dass ich dringend weg musste, nachdem ich ihn letzte Woche gefragt hatte, ob er mit dem Laden seiner Familie Sponsor meines Blogs werden will, und er darauf nur sagte: Ja, gerne. Sehr gerne. – Als ich am Tag darauf zurückkomme, um über die Konditionen des Sponsorings zu reden, sagt er wieder: Sehr gerne. Für dich immer, sagt er. Aber weil er arbeitet und in dem Moment gerade so viele Kunden im Laden sind, will ich ihn nicht stören und verabrede mich mit ihm für Montag. – 15.15 Uhr haben wir gesagt. Er ist nicht da und ich habe nicht die Geduld, auf ihn zu warten. – Am Dienstag kommt er mir entgegen, als ich gerade zum Laden gehe. Er hat Zahnschmerzen, seit er am Montagnachmittag in einen M&M-Schokoriegel gebissen hat. Gleich hat er einen Termin beim Zahnarzt. Wir verabreden uns für Mittwoch. – 15.30 Uhr hatten wir ausgemacht. Er ist nicht da und seine Mitarbeiter erwarten ihn auch nicht. Ich unterdrücke das Gefühl, verarscht zu werden, und gehe am Donnerstag um 15.30 Uhr wieder hin. Er ist nicht da und seine Mitarbeiter erwarten ihn auch nicht. Der eine der beiden Mitarbeiter telefoniert und ich höre, wie er Serhat sagt. Ist er das? frage ich. - Der Mitarbeiter gibt mir das Telefon und ich verabrede mich mit Serhat für heute. Wieder 15.30 Uhr? – Nein, lieber erst um 16 Uhr, falls ich mich verspäte, sagt er. – Als ich kurz nach 16 Uhr am Kochhaus vorbeigehe, lehnt an einem Schaufenster eine junge Frau. Sie ist auf eine sehr persönliche Art schwarz gekleidet ist und telefoniert. Von der würde ich gerne ein Bild im Blog haben, und wenn ich Glück habe, kriege ich dazu auch noch einen Dialog mit ihr. Ich drehe mich nach ihr um, bleibe stehen. Nein, das geht jetzt nicht. Ich bin sowieso schon zu spät dran. Vielleicht steht sie auch noch da, wenn ich zurückkomme. Das kann schon in wenigen Minuten sein. Ich rechne nicht damit, Serhat anzutreffen. Aber als ich in den Laden komme und der eine der beiden Mitarbeiter sagt, dass Serhat nicht da ist, muss ich dann doch zweimal schlucken, um nicht laut und obszön zu fluchen. Der andere Mitarbeiter, der mir gestern das Telefon weitergereicht hat, sagt etwas. Hat er gesagt, Serhat ist da? Ist er doch da? – Nein, er war da. – Ich blicke zur Wanduhr hoch: 16:08. Wann war er da? – Etwa vor einer Stunde, antwortet der Mitarbeiter. – Ich unterdrücke das starke Gefühl, verarscht zu werden. Damit habe ich so zu tun, dass ich nicht mitkriege, ob die junge Frau immer noch vor dem Schaufenster steht, als ich wieder am Kochhaus vorbeigehe. Warum tue ich mir das nur an? frage ich mich und gebe mir die Antwort: So darf ich nicht fragen, so darf ich nicht denken.