Sonntag, 29. April 2012

Redux




Auf der Treppe zur Galerie Klosterfelde kommt mir die mir unbekannte Inga Likšaité entgegen, sie gibt mir eine Karte und sagt, das sei in der Pohlstraße und da soll ich hinkommen, to see my art. Das sagt sie mit einer so unwiderstehlichen Freundlichkeit, dass es völlig klar ist, dass ich das tun werde, obwohl ich gerade in die vierte Galerie gehe an diesem Nachmittag und noch drei vor mir habe. Wenn ich nicht fotografieren würde, wäre es jetzt langsam an der Zeit, um mich davon zu schleichen aus dem Programm, das ich mir vorgenommen habe. Bei sieben Galerien in zwei Stunden ist Kunst betrachten nicht mehr möglich. Das ist es auch noch aus anderen Gründen nicht, doch darüber Stillschweigen. Denn es ist so, wie ich zu Tanja Wagner sage, als ich ihr erkläre, wie ich über Kunst schreiben will: erzählend, nicht kritisch urteilend. Wenn ich urteilen muss, manchmal kann ich nicht anders, dann geht es mir drei Tage lang schlecht danach, weil Urteilen so vulgär ist. Es geht mir schlecht, weil ich auf keinen Fall vulgär sein will. Wie sehr ich es dennoch bin, zeigt sich mir aber jedes Mal wieder, wenn ich urteile. So dass ich, mich lieber in Vorstellungen versteige wie der von der gekauften Ausstellung, nur um ein negatives Urteil und seine Vulgarität zu vermeiden. - Das würde die Gilla nie machen! hat Johannes gestern gesagt und ich habe dumm dagestanden mit meiner Unterstellung, sie habe mehr bekommen vom aktuell ausstellenden Künstler als nur seine Kunst. Trotzdem wollte ich keinen Rückzieher machen. Stattdessen sage ich mir nun, dass das eben meine Methode hysterisch-paranoischer Kunstkritik ist, was ich geschrieben habe über die vom Künstler gekaufte Ausstellung. Das geht. Das ist nicht vulgär. Es ist bizarr und geht nicht anders.


Redux steht auf der Karte, die mir die junge Künstlerin gegeben hat. Pohlstraße 70, das ist gleich neben dem Haus, in dem sich die Galerie Tanja Wagner befindet. Die Künstlerin kommt from Lithonia, draußen neben dem Eingang sitzt ihre Schwester, die heißt Dalia und sagt, ich brauche mein Fahrrad nicht abzuschließen, sie passt schon auf. Drinnen gibt es einen Tresen und dahinter ein Regal mit Spirituosen. Der Ort ist eine private bar, die Verwandten gehört, die sie Inga für ihre improvisierte Ausstellung überlassen haben. Ich verfluche die sieben Galerien, in denen ich zuvor gewesen bin, die von Tanja Wagner nicht mitgezählt. Ich kann nicht mehr und es ist kompliziert, was mir Inga erzählt: sie näht mit der Hand und mit der Maschine, Muster näht sie. Embroider, sagt sie. Das heißt Sticken. Ich kapiere nicht, was das mit der Videokunst zu tun hat, die auch noch im Spiel ist, und im Hintergrund läuft Musik, die habe ich einmal wunderbar gefunden, aber ich weiß nicht mehr, wann und wo. Ich schaue nach, woher die Musik kommt und bemerke jetzt erst die Videoprojektion hinter der Bar. Zu sehen sind kurze Takes aus Wong Kar Wai, In the Mood for Love. Inga hat die Takes kopiert, bearbeitet (abgemischt?) mit ihren Stickmustern und sie neu montiert. The movie of Wong Kar Wai is my material and my inspiration. Jetzt verstehe ich, was Inga macht, und ich beneide sie um die Einfachheit und Schönheit ihres Ansatzes und um die Reinheit ihrer künstlerischen Aktion. Es ist, was jeder DJ in einem Club macht, aber da sie es nicht mit Platten und Musik, da sie es mit Filmmaterial und Nadel und Faden macht, ist es noch einmal etwas ganz anderes und etwas ganz Eigenes.





Blog: Textiles by Inga Liksaite

Kunst: ã Inga Likšaité
Fotos: ã w.g.