Mittwoch, 18. April 2012

Mundgeruch

Im nächsten längeren Text möchte ich einmal ein Glück berühren. Ein Glück heißt, es muss nicht mein Glück sein. Und es soll auch gar nicht um das Glück selbst gehen. Nur berühren möchte ich das Glück beim Schreiben. Nach der langen Qual von Bezaubert 1, 2, 3, 4. Sage ich zu Uliane und die gleich wieder in ihrer aufbauenden Art antwortet: Aber das Glück ist doch immer da in deinen Texten. – Stimmt.

Die Wände vollgehängt mit Malerei, Grafik, Fotografien. Ein Tisch vollgestellt mit Gläsern. Nicht, weil sie wieder einmal poliert werden sollen oder benutzt heute Abend, wenn die anderen Gäste kommen. Ausgestellt die Gläser. Geschliffenes Glas, edle Farben, bestimmt sehr wertvoll, wenn es noch jemanden gibt, der sich so etwas ins Haus holt. Auch ein Sammler müsste der sein. – Sammeln Sie das alles oder Ihr Freund? – Ich. – Der Freund ist der Lebenspartner. Nicht Mann. Wir sind nicht verheiratet, hat er gesagt, als ich einmal von seinem Freund als seinem Mann gesprochen habe. Rührende zwei Leute und das Sitzen in einer Polstergarnitur am runden Kaffeetisch ist zwar nicht so meine Sache, doch die Unterhaltung ist lebendig und schnell, wie ich es mag. Nur über die Gläser und die anderen Sammlungen darf ich nicht nachdenken, sonst werde ich aggressiv, und der Mundgeruch des Pudels durchkreuzt meinen Plan, den beiden Männern so lange zuzuhören, bis ich ihr Glück gefunden habe und es berühren kann in einer Geschichte über die beiden, in der es um alles Mögliche gehen kann, um was, das weiß ich noch nicht, das finde ich heraus beim Zuhören, hatte ich mir gedacht. Und dann kam ich in die Wohnung, düstere Wohnung, aber mit einem Blick zu erkennen, wie penibel aufgeräumt alles und gerade erst gestern war die Putzfrau da und trotzdem war da der süßliche, faulige fade Geruch, zu fad, um ihn Gestank zu nennen.  Überall war der Geruch, in der Diele, in dem Zimmer mit der Gläsersammlung, in dem Zimmer mit dem Kaffeetisch. 

Der mir als Platz angebotene Sessel neben der Couch. Auf die ist der Pudel gesprungen, um mir die Gelegenheit zu geben, mit ihm spielen zu wollen, so dass er sich zieren, zurückweichen konnte vor meiner Hand, bevor ich ihn berührte, und als wir das durchgespielt haben, hörte er auf mit dem Gekläffe, mit dem er mich durch die Wohnung begleitet hatte bis zu dem Sessel. Und jetzt, da er mir gegenüber saß auf der Couch, bemerkte ich, dass der fade Geruch aus dem Maul des Pudels kam und nicht die ganze Wohnung davon erfüllt war, dass ich nur diesen Eindruck haben musste, weil der Hund auf meinem Weg durch die Wohnung kläffend um mich herum gesprungen war und mit dem Gekläffe seinen Mundgeruch um sich verbreitet hatte. Das Gute an dem Gespräch mit den zwei Männern ist auch, dass es nichts gibt, worüber man nicht mit ihnen sprechen kann. Sie versuchten auch gar nicht erst, den Mundgeruch ihres Haustieres herunterzuspielen. Sie erklärten nur, dass der Geruch daher komme, dass der Hund zu Mittag Huhn gegessen habe und die Trockenfutterkekse (vom Tierarzt empfohlen), die auf dem Kaffeetisch in einer Glasschale für ihn bereitstanden und dem Pudel gereicht wurden, als wir mit dem Kuchenessen begannen, diese Kekse würden seinen Mundgeruch noch verstärken. Dass der Geruch dann stärker wurde, nachdem der Hund von den Keksen gefressen hatte, konnte ich nicht feststellen. Es war dann auch so, dass ich den Pudel als Geruchsquelle gar nicht mehr brauchte. Den ganzen restlichen Tag, noch Stunden, nachdem ich mich von den zwei Männern und ihrem Hund verabschiedet hatte, hatte ich den süßlichen, fauligen faden Geruch in der Nase und es war nicht so, dass ich mich vor ihm ekelte, es war mir auch nicht schwer gefallen, in Anwesenheit des Hundes und seines Mundgeruchs Kuchen zu essen, aber zuwider war er mir dennoch, der Geruch, so dass ich, noch während ich an dem runden Tisch saß, betrübt dachte, dass aus meinem Plan, von den beiden Männern zu erzählen und dabei ihr gemeinsames Glück zu berühren nichts werden wird, weil ich nicht so viel Zeit mit ihnen verbringen kann in ihrer Wohnung, um ihnen so lange zuzuhören, wie es nötig ist, um mir ihr Glück vorstellen zu können. Dadurch, dass der widerwärtige Geruch mir stundenlang nicht aus der Nase ging, dachte ich auch keine Sekunde daran, das für eine Überempfindlichkeit zu halten und den Entschluss zu fassen, mich darüber hinwegzusetzen, da mir der Hund sonst sehr sympathisch war. Wenn ich einen Hund hätte, würde ich einen Pudel haben – wegen der Katzenähnlichkeit der Pudel. Weil sie schlau sind, einfühlsam und zugleich sehr eigenwillig. Und könnte es deshalb nicht sein, frage ich mich jetzt, dass es nur so kam, wie es gekommen ist, weil der Hund es so wollte. Nicht Plan gegen Plan. Natürlich ahnte er nichts von meiner Absicht, über seine zwei Menschen zu schreiben und zuvor deswegen lange Gespräche mit ihnen zu führen. Er wollte nur – wie stets und unter Aufbietung aller seine Kräfte – alles von seiner Gemeinschaft mit den zwei Menschen fernhalten, was ihr Glück stören könnte. Unvermutet, ganz ohne langes Suchen hatte ich also ein Glück berührt. Das Glück des Hundes, als er es gegen mich verteidigte.