Mittwoch, 11. April 2012

Pssst

Weiter mit Dorfleben. Noch eine, die mich nicht grüßt. Die jetzt macht ein verschlossenes Gesicht, als ich sie bemerke und ihr zulächle. Guckt mich an ausdruckslos und lässt mich dumm dastehen mit meinem Lächeln. Im Weitergehen denke ich, dass ich mir das künftig ersparen werde, was sie eben mit mir gemacht hat. Das nächste Mal, wenn ich sie bemerke, gucke ich ganz schnell weg, auch wenn ich nicht weiß, warum das alles. Wir kennen uns kaum. Ich weiß nicht einmal, wie sie heißt. Wir haben uns nur immer freundlich gegrüßt, seit wir vor vielen Jahren einmal am gleichen Tisch gesessen haben mit einem gemeinsamen Bekannten.

Weiter mit dem Gruß-Thema, als ich die Beleidigte sehe. Zwischendurch schien sie mal nicht mehr beleidigt zu sein, so dass ich dachte: Es kommt sicher bald zu einer Aussprache zwischen uns. Na, das kann was werden! – Aber dann hat sie mich auf einmal wieder angeschaut mit diesem angewiderten Zug um den Mund, den sie immer hatte in der ersten Zeit ihres Beleidigtseins. Und das letzte Mal, als wir uns sahen, da hat sie mich angeguckt, als wollte sie mich gleich fressen. So wusste ich schon, was ich zu tun hatte, als wir uns heute vor der Kaiser-Wilhelm-Passage über den Weg gelaufen sind. Nicht grüßen. Blick erwidern, ohne zu lächeln. Dann habe ich es aber übertrieben mit dem Nicht-Lächeln und habe aus Versehen die gleiche finstere Miene aufgesetzt wie sie. Ich habe sie auch angeschaut, als wolle ich sie gleich fressen, und dabei habe ich gemerkt: Hey, das ist kein Beleidigtsein mehr. Wenn die so ein Gesicht macht, wenn sie mich sieht, dann ist das schon Feindschaft. – Da bin ich erschrocken. Wie kommt die jetzt darauf, feindselig zu sein gegen mich? Außer Grüßen und Nicht-Grüßen ist doch schon lange nichts mehr gewesen? Keine Antwort. Keine Anhaltspunkte. Ich mache es mir leicht und denke: Die Wirkung zeigt die Absicht. Die wollte mich einfach nur erschrecken.  

Weiter mit Dorfleben, wie es auch sein kann. Neulich schon, als ich einmal hinter ihnen herging, habe ich wie ein alter Kuppler gedacht: Die wäre es für ihn. Und gesagt habe ich zu ihnen wie ein alter Kuppler, der nicht aufgibt: Ihr wärt ein ideales Paar. – Da haben sie beide abgewinkt und sie hat dabei gelacht und er ein genervtes Gesicht gemacht. – Heute sehe ich sie zusammen in dem Laden, in dem sie beide arbeiten. Er hat sie gerade abgelöst. Sie telefoniert und ich kann nicht anders, ich sage zu ihm mit gesenkter Stimme: Wunderbare Frau. Sie wäre die Richtige für dich. – Er darauf leise: Ich weiß. Und dann hält er einen Finger vor den Mund und sagt: Pssst! – Ich bin ruhig und als sie mich fragt, was ich eben zu ihm gesagt habe, lüge ich sie an. – Ich weiß. Weiß er es wirklich und es geht nur noch um die Verhandlungen? Oder meinte er: Ja, ja, ich weiß schon; interessiert mich trotzdem nicht? – Und woher weiß ich es so genau? Weil sie sich so gut machen, wie sie da stehen im Laden? Oder so hübsch aussahen von hinten, als sie vor mir hergingen? Oder weil ich es mir so sehr wünsche? – Weil ich es ihm so sehr wünsche. Weil ich ihn sehr gerne mag und sein Bestes will. Umgekehrt bin ich mir nicht so sicher. Ob er das Beste ist, was ihr passieren kann, muss er erst noch beweisen.