Mittwoch, 16. November 2011

Bio&Reisen

Kalt ist es geworden, sagt Helga Wagner, und deshalb hat sie sich einen Daunenmantel gekauft. Der ist dunkelblau und ihre Handschuhe sind rot. Der Winter wird farbenfroh, sagte vorgestern die andere Brigitte, die Freundin von Gisa. Sie trug auch einen dunkelblauen Mantel (kurz) und dazu eine rote Kappe. Oder war es ein Hut? Hochrot der Farbton jedenfalls, wie sie sagte auf meine Frage, was für ein Rot das ist. Rot mit Gelb drin.   

170 Besucher hatte Helga in ihrem Atelier an den zwei Tagen des Schöneberger Kunstrundgangs. Anerkennende Miene von mir. Sie: Na ja, ob dann auch mal jemand was kauft … . – Mit dem Verkaufen, das ist schwer, murmele ich und denke dabei an Liljana: Ein Bild von Gerit hat sie verkauft. Die Collage. Über einen weiteren Verkauf ist sie im Gespräch oder auch nicht. Ein Mann war ganz begeistert von Jungekommwieder, wollte es sich dann aber noch mal überlegen. Beim zweiten Mal hat er seine Freundin mitgebracht. Die hätte lieber Falsches Pferd gekauft, hat sich dann aber selbst das Mitspracherecht entzogen mit der Begründung, dass sie nicht bei ihrem Freund wohnt. Vorwurf? Würde sie gerne bei ihm wohnen? Benutzte sie die Entscheidung über den Bilderkauf nur als Bühne für einen Partnerzwist? – Die Galeristin muss sich das alles anhören. Sieht sich einem Bildverkauf ganz nah und dann ist er wieder weit weg, als das Paar geht, ohne sich entschieden zu haben. Es sich noch mal überlegen zu wollen, das bedeutet in 50 Prozent der Fälle, dass nichts daraus wird, ist die Erfahrung Liljanas. Im Fall des getrennt wohnenden Paares bedeutete es, dass kurz darauf eine ältere Dame in die Galerie kam, die sich nur zwei Bilder der Ausstellung angeschaut hat und die ganz genau: Jungekommwieder und Falsches Pferd. Seither hat Liljana nichts mehr gehört von dem Interessenten. Es ist allerdings noch nicht so lange her, dass die Dame da war. Es kann noch mit einer Erfolgsmeldung enden.

Wie machst du das denn mit dem Geld? fragt mich Helga Wagner. – Noch nicht gut, antworte ich und will mehr dazu nicht sagen, weil ich letzte Woche es gleich zweimal mit dem Geld hatte und beim zweiten Mal habe ich es übertrieben, meinte Uliane. Ich habe mich hinterher auch nicht gut gefühlt, musste ich zugeben, wüsste allerdings nicht, was ich hätte weglassen können oder anders schreiben. Nur, ob das tatsächlich nicht anders zu machen ist: eine Liste der Sponsoren kann es erst geben, wenn es drei sind? Wie ich denn darauf komme, hat mich Stephanie gestern gefragt. Meine Antwort darauf habe ich dann selbst als so wenig überzeugend empfunden, dass es sein kann, dass es schon bald eine Sponsoren-Rubrik am rechten Rand gibt, obwohl es weiterhin nur zwei Sponsoren sind.


Klaus Karwat wollte nicht der dritte Sponsor werden. Er denkt sich, ich schreibe ohnedies über seine Galerie, und so ist es. Heute Ausstellungseröffnung bei ihm. Da ich noch nicht weiß, ob ich zur Vernissage gehen werde, will ich die Tafel mit der Ankündigung fotografieren. Helga kommt die paar Schritte mit zu Gondwana. Im rechten Schaufenster auf einer Staffelei ein Bild von Ulrike Hansen. Warum habe ich nur die Tafel und nicht auch das Schaufenster fotografiert? – Weil mich Helga abgelenkt hat. War aber gute Ablenkung. Sie hatte mir erzählt, dass sie als Hilfslehrerin 22 Stunden in der Woche unterrichtet an einer Schule für behinderte, darunter auch autistische Kinder. Fach: Lebenskunde. Helga weiß also, wovon sie redet, wenn sie nun über Lehrer redet, weil sie Lehrer als Kollegen kennt.
Lehrer geben kein Geld für Kunst aus, sagt sie und: Lehrer sind sowieso geizig.
Lehrer sind geizig?
Und wie!
Wie kommt´s?
Weil sie ihr Geld für ihre Reisen sparen.
Verstehe. Die häufigen Schulferien. Da muss dann verreist werden. 
Reisen, dafür leben sie. Und dann noch Biokost, dafür geben sie auch Geld aus. Bio und Reisen. Und das ist ja nicht wenig, was Lehrer verdienen.
Nein ist es nicht, aber auch kein Grund zum Neid. Leben für Ferien. Also bitte! – Dann schon eher Neid auf die Malerin Ulrike Hansen. Die hat ein Haus an der Ostsee, lebt und arbeitet da, wo andere für sparen müssen, um dort ihre Zeit totschlagen zu können. Und:
Sie verkauft gut, sagt Helga.
Ihre Bilder haben auch was.
Ja, ganz nett.
Ihre Farbgebung ist es.
Ja, die ist ganz nett.
Ich könnte jetzt über die raffinierte Farbmischerin reden und dass das Gegenständliche bei Ulrike Hansen nur ein Vorwand ist für die Farbgebung. Statt dessen grinse ich und sage nichts mehr. Denn zu mehr als ganz nett wird Helga sich nicht bereit erklären. Aber hat sie nicht auch recht?  - Das Gefällige gut gemacht. Am Ende nicht mal gemacht, wahrscheinlich ist Ulrike Hansen einfach so wie ihre Bilder sind. Wie? Heute Abend wäre die Gelegenheit, sie kennenzulernen. Die noch bessere Gelegenheit am 10. Dezember, wenn Ulrike Hansen am Nachmittag drei Stunden nur für die Besucher der Ausstellung da sein wird. Beste Gelegenheit: Wenn ich sie nächste Woche anrufe, um mit ihr ein Treffen zu verabreden in ihrem Berliner Atelier, im Wedding. Eben habe ich sie kennengelernt bei der Vernissage. Da war es vielleicht voll. Einziges mir bekanntes Gesicht: Klaus. Alle anderen: Freunde, Fans, Sammler von Ulrike Hansen - und von ihrem Mann. Doppelausstellung:

Herbstfeuer
Malerei
Ulrike Hansen


Jürgen Reichert


Ausstellung: 16.11. - 23.12.2011, jeweils Mi - Fr von 14 bis 18 Uhr und nach Vereinbarung, sowie am Samstag 17.12. von 10 bis 18 Uhr (von 15 bis 18 Uhr mit den Künstlern).

Galerie Gondwana
Merseburger Str. 14
10823 Berlin
Telefon:
0151/56 50 49 67
030/754 555 02
info@galerie-gondwana.de

Bilder: © Ulrike Hansen, Jürgen Reichert
Richtigstellung: Helga Wagner ist Lehrerin, nicht Hilfslehrerin. Und die Schule, an der sie unterrichtet, ist eine Integrationsschule, an der es neben anderen auch behinderte Kinder gibt.