Mittwoch, 9. November 2011

Rahmenmacherin

Schreibunfall von gestern. An Birgitt Held hat es nicht gelegen. Beste Gesprächspartnerin bei den beiden Vorgesprächen war sie, gestern das zweite. Unsere gemeinsame Entscheidung, sie soll mir nicht langwierig von ihrer Arbeit erzählen, ich schaue es mir einfach an, wie sie mit den Kunden umgeht, was für Leute mit welchen Wünschen in ihren Laden kommen und wie sie die berät. Natürlich ist sie voller Ehrfurcht, wenn sie eine Zeichnung von Paul Klee in die Hand kriegt, hat sie gesagt. Aber wenn eine alte Frau kommt, die einen Rahmen braucht für eine Stickerei, an der sie monatelang gesessen hat, dann ist ihr in dem Moment die alte Frau mit der Stickarbeit ebenso wichtig wie der Auftrag von der Galerie mit dem Klee. Das will ich sehen. In dieser Deutlichkeit wird es sich vermutlich nicht abspielen in den zwei mal zwei Stunden, die ich Mäuschen spielen werde in ihrem Laden, aber dann zeigt es sich eben auf eine andere Art, wie Birgitt Held ihre Arbeit macht. Jeder Kunde kommt mit etwas anderem und doch ist die Aufgabe, ob Paul Klee oder Stickerei, immer die gleiche: Ein Bild zur Wirkung zu bringen mit einem Rahmen. Drei Intentionen kommen dabei zusammen, erklärt Birgitt Held: die Absicht des Bildes, die Absicht des Kunden, die Absicht des Rahmens. Das muss sie in Einklang bringen. Und darin ist sie so gut wie sonst niemand. Das weiß ich von Uliane, die Birgitt Held dafür bewundert. Deshalb hat sie angeregt, dass ich schreibe über Birgitt und ihren Laden art rahmen, und daran bin ich gescheitert.

Wie gerne hätte ich über sie geschrieben und über ihre Arbeit. Alleine schon darüber, wie sie dazu gekommen ist: Mädchen aus Cuxhaven, dem als Kind eingeredet wurde, es habe zwei linke Hände und zehn Daumen. Hat sie also lieber Buchhalterin gelernt statt ein Handwerk. Dann musste sie mal aushelfen in der Werkstatt der Glaserei, in der sie Buchhaltung lernte, und da hat der Meister zu ihr gesagt: du hast geschickte Hände. Da hat sie zum ersten Mal mit dem Bilderrahmen zu tun gekriegt. Ende der 70er Jahre war das, rahmengeschichtlich die Epoche der Nurglasrahmen. Bilderrahmer war ein Lehrberuf, jetzt nicht mehr. Es gab einfach nicht genug zu tun, um Lehrlinge auszubilden. Wegen des Nurglasrahmen-Trends. Um Passepartouts schneiden zu können, musste man keine Lehre gemacht haben, und deshalb war es zwar schon geschummelt, aber keine Hochstapelei, als Birgitt 1982 nach Berlin kam, sich bei Wehner bewarb und den Eindruck erweckte, sie sei eine erfahrene Rahmenmacherin. Und aufgeflogen ist es auch nicht, obwohl sie es bei Wehner nun mit dem ganzen Spektrum des Rahmenmachens zu tun bekam. Warum nicht aufgeflogen? Aus dem gleichen Grund, aus dem das zu Hause für ungeschickt geltende Kind in der Glaserei unter den Augen des Meisters auf einmal handwerkliches Geschick bewies: Sie ist eine sehr gute Beobachterin. Sie hat genau hingeschaut, wie der Meister sich bewegt hat bei der Arbeit, und dann hat sie sich genauso bewegt und es gekonnt. Mit dieser Beobachtungsgabe hat sie sich später bei Wehner das ganze Rahmenmacher-Handwerk abgeschaut, könnte man sagen. Und man könnte auch sagen, wenn der Glasermeister in Cuxhaven nicht das Lehrmädchen aus der Buchhaltung zum Aushelfen in die Werkstatt hätte kommen lassen, dann hätte sie später nicht die Traute gehabt, sich bei Wehner zu bewerben, dann wäre ihre Begabung für die Rahmenmacherei unentdeckt geblieben. Dann hätte sie bestimmt auch beruflichen Erfolg als Buchhalterin gehabt, doch zu einer solchen Ausnahmeerscheinung wie als Rahmenmacherin wäre sie nicht geworden, weil das bei Buchhaltung, auf legale Art zumindest, nicht geht.

Das wollte ich gestern schon erzählen in dem Text über das Vorgespräch mit Birgitt. Ich kam nicht dazu. Wie ich es auch anstellte, ich blieb immer wieder daran hängen, dass ich mich für Bilderrahmen nicht interessiere. Oder um es mit einer Phrase zu sagen, die hier wörtlich zu nehmen ist: Ich kam nicht drum herum, dass ich mich für Bilderrahmen nicht interessiere. Und je länger ich mich um die Tatsache herumzudrücken versuchte, weil ich so gerne über Birgitt und ihr Talent geschrieben hätte, desto hartnäckiger tauchte immer wieder diese Feststellung im Text auf und die Formulierungen wurden immer schärfer:
In meiner Wohnung hängt kein einziges Bild an der Wand. Begründung: Ich kann mir keinen Pollock im Original leisten. Und wenn ich mir einen leisten könnte, würde ich ihn nicht rahmen lassen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass irgendwo ein gerahmter Pollock hängt. Einen Pollock zu rahmen, erscheint mir als ein Akt der Barbarei.

Während Birgitt Held mir die Werkstatt zeigt, erzählt sie von einem Kunden, der kam an mit einem Druck des Irisfeld von van Gogh. Für diesen Druck in einem Wert von vielleicht 100 Euro hat er sich einen Rahmen machen lassen in einem Wert von etwa 3000 Euro. Begründung: Ich kann mir keinen van Gogh leisten, aber einen Rahmen, den van Gogh sich nicht hätte leisten können. – Klingt schneidig. Aber nachdenken möchte ich über den Satz des Kunden lieber nicht.

Von da war es dann nicht mehr weit zu dem Posting  Ohne Titel. Denn so ging es natürlich nicht. Als ich schon angefangen habe, mir Formulierungen zurecht zu legen, in denen ich Bilderrahmen kulturell auf eine Stufe stellte mit Fenstervorhängen und Gardinen, musste ich mir eingestehen, dass ich mich verstiegen hatte und war so unglücklich und leer, dass mir nicht mal mehr ein Titel für die Schadensmeldung eingefallen ist. Hier nun der Schadensbericht. Geschrieben vor allem für Birgitt, um ihr zu erklären, warum ich erst mal nicht weiter weiß, und: wenn wir ihre Vorstellung im Blog fortsetzen, dann müssen wir berücksichtigen, dass ich mich für ihre Person sehr, doch für Bilderrahmen überhaupt nicht interessiere.