Hübsche kleine knubbelige Frau mit großer Kamera fotografiert Bäume und Brunnen am Barbarossaplatz. Mir geht noch die Szene mit Joseph nach, deshalb registriere ich das nur aus dem Augenwinkel. Erst als ich von der Eisenacher abbiege und die Barbarossastraße überquere fällt mir ein: Die hättest du fotografieren können. All the Pretty Photographers (*). Serie von Scott Schuman auf The Sartorialist in den letzten Wochen. Weltweiter Trend jetzt in Berlin angekommen. Zweimal verlangsame ich meinen Schritt, bin kurz vor dem Umdrehen. Beim ersten Mal steht sie noch da, immer noch ihre Kamera auf die Platzmitte gerichtet. Beim zweiten Mal geht sie weiter, ich müsste nur wenige Schritte zurück und dann warten, bis sie die Straße überquert und auf mich zukommt. Ich lasse es. Wenn Schuman das schon gemacht hat mit All den hübschen Fotografinnen, dann muss ich das nicht auch machen. Und hübsche kleine knubbelige Frauen interessieren mich nicht. Das würde sie aber denken, die Frau mit der großen Kamera, wenn ich sie fragen würde, ob ich ein Foto von ihr machen darf. Dann würde ich wahlweise arrogant oder patzig reagieren, und wenn sie mir dumm kommt, aggressiv und feindselig. So oder so käme es zu Missverständnissen und davon habe ich schon genug erlebt mit Joseph und seiner Begleiterin.
In der Index-Unterscheidung zwischen Freunden und Fremden ist Joseph ganz klar ein Freund, obwohl er sehr anstrengend werden kann, wenn er zu viel Bier getrunken hat. Was leicht mal passiert; Joseph stammt aus dem Bayerischen Wald. Jetzt kommt er mir entgegen mit einer Begleiterin. Beide tragen Plastiktüten und ich strahle ihn schon von weitem an.
Dich habe ich ja schon lange nicht mehr gesehen, sage ich. Dann blicke ich seine Begleiterin an und frage in dem artigen, jovialen Tonfall, mit dem ich seit meiner Kindheit den Eltern von Freunden begegne: Ist das deine Mutter?
Das ist meine Freundin, antwortet Joseph.
Oh, sage ich und weiß gerade nicht, wie ich das jetzt auffangen soll. Sie sieht ihm ähnlich. Joseph Mitte 40, aber jünger aussehend. Die Frau eine gut erhaltene Mittsechzigerin. So böse, wie sie mich jetzt anschaut, wahrscheinlich aber deutlich jünger – an Jahren, nicht in ihrem Gesicht.
Immer ein freundliches Wort, sagt Joseph sarkastisch in meine Richtung, während sie weitergehen.
Ich habe das nicht böse gemeint. Ich habe wirklich gedacht, sie ist deine Mutter, sage ich und merke, dass die Szene nicht mehr zu retten ist und ich mit jedem weiteren Wort alles nur noch schlimmer mache.
Er: Wir müssen weiter, wir sind in Eile.
Ich: Ja, ja. Geht!
Während ich Richtung Barbarossaplatz gehe, ist mir klar, wie kränkend das eben gerade für die Begleiterin von Joseph war. Ich denke, wie leicht mir das Gleiche hätte passieren können wie Josephs Begleiterin, wenn ich mit der Frau, von der hier schon so viel die Rede war, auch nur Freundschaft geschlossen hätte und wir wären irgendwo gegangen oder gesessen und ein Bekannter von ihr hätte sie begrüßt und dann mit Blick zu mir gefragt: Ist das dein Vater? – Wäre ich da nicht auch gekränkt gewesen? – Antwort: Ich hätte geschluckt und dann hätte ich von mir verlangt, nicht gekränkt zu sein. Das hätte ich geschafft, denn ich weiß, dass ich noch älter aussehe, als ich bin, und so wird es auch sein bei der Begleiterin von Joseph, nur dass die sich darüber nicht im klaren ist. Aber das weiß ich nicht. Es sind jetzt nur noch wenige Schritte bis zu dem Augenblick, in dem ich die hübsche kleine knubbelige Frau bemerken werde, und ich denke, dass es gerade mal wieder ist wie in dem dämlichen Film von Andrej Tarkowski: Solaris (nach einer Erzählung von Stanislaw Lem). Der spielt auf einem Planeten, der ist bedeckt von einer Art Gespenstersuppe. Die macht, dass sich die Erinnerungen und Gedanken der Menschen materialisieren, die auf dem Planeten in einer Art Raumstation wohnen. Darum wird dann ein Riesengetue gemacht in den Film. Für mich ist das Alltag. So wie andere Déjà-vus haben, so habe ich andauernd diesen Solaris-Effekt: mir geht etwas durch den Kopf und schon habe ich dazu passende Erlebnisse oder Begegnungen. Wie jetzt das Missverständnis mit Joseph und seiner Begleiterin, weil ich mich gerade mit Alter beschäftige. Aber nicht so wie: Oh je, wie schrecklich, was bin ich alt! Sondern so wie gestern, als Eva mehrfach ihr Alter angesprochen hat und sich dabei monoman vorkam und ich gesagt habe: Das ist jetzt gerade eine Phase, in der sich unsere Jahrgänge mit dem Alter beschäftigen, das wir nun mal erreicht haben. Indem wir darüber reden, gewöhnen wir uns daran und üben, unbefangen damit umzugehen. Das machen wir jetzt und danach ist auch wieder gut. Schlimm sind doch nur die Leute, die sagen: Was? 59? Das ist doch noch nicht alt. Wer so etwas sagt, ist entweder so verlogen, dass er besser die Klappe halten sollte, oder er wird es sehr, sehr schwer haben, wenn er selbst 59 ist.
Nach dem Barbarossaplatz Höflichkeitsbesuch bei Armin, dem schönen Mann, auf der Zuckmayerbrücke. Wir sahen ne Menge Menschen und wurden selbst gesehen. Aber niemand dabei zum Fotografieren. Bis es dann auf einmal von der linken Seite des Brückengeländers würzig zu duften beginnt. – Wonach riecht´n das? – Na, nach grass. – Wo? – Da, die beiden jungen Männer. Siehste nicht die Tüte qualmen? – Könnten höhere Postbeamte sein die beiden und verwunderlich ist, dass die an dem sonnigen Sonntagnachmittag nicht mit ihren Frauen spazieren gehen; aber schwul sind die nicht. Interview mit Armin über seine Drogenerfahrungen. Viel ist da nicht zu besprechen. Und dann plötzlich von rechts der Auftritt einer großen und einer kleinen afrikanischen Frau. Beide fließend Deutsch, sicher Berlinerinnen. Die kleine Frau mit einer großen Kamera. Die große Frau in einem langen feierlichen Kleid, dazu Pumps, eine Schulter nackt. Die kleine Frau massiert ihr die Schulter, um sie aufzuwärmen. Doch die große Frau scheint nicht zu frieren. Und dann geht das Fotografieren los. Auf der Treppe zum Park. Erst die kleine Frau von der Treppe hoch fotografierend, die große Frau oben. Dann die große Frau auf der Treppe, die kleine Frau von oben nach unten fotografierend. Und ich von der Seite, erst die kleine Frau auf der Treppe, dann die große Frau fotografierend. Die bemerkt mich. Der Verschluss meiner kleinen Kamera ist aber auch wirklich sinnlos laut.
Große Frau will nicht, dass ich sie fotografiere.
Ja, ist gut. Ich höre auf.
Ich will, dass Sie die Bilder löschen.
Ja, mache ich.
Ich will das sehen.
Während ich Richtung Barbarossaplatz gehe, ist mir klar, wie kränkend das eben gerade für die Begleiterin von Joseph war. Ich denke, wie leicht mir das Gleiche hätte passieren können wie Josephs Begleiterin, wenn ich mit der Frau, von der hier schon so viel die Rede war, auch nur Freundschaft geschlossen hätte und wir wären irgendwo gegangen oder gesessen und ein Bekannter von ihr hätte sie begrüßt und dann mit Blick zu mir gefragt: Ist das dein Vater? – Wäre ich da nicht auch gekränkt gewesen? – Antwort: Ich hätte geschluckt und dann hätte ich von mir verlangt, nicht gekränkt zu sein. Das hätte ich geschafft, denn ich weiß, dass ich noch älter aussehe, als ich bin, und so wird es auch sein bei der Begleiterin von Joseph, nur dass die sich darüber nicht im klaren ist. Aber das weiß ich nicht. Es sind jetzt nur noch wenige Schritte bis zu dem Augenblick, in dem ich die hübsche kleine knubbelige Frau bemerken werde, und ich denke, dass es gerade mal wieder ist wie in dem dämlichen Film von Andrej Tarkowski: Solaris (nach einer Erzählung von Stanislaw Lem). Der spielt auf einem Planeten, der ist bedeckt von einer Art Gespenstersuppe. Die macht, dass sich die Erinnerungen und Gedanken der Menschen materialisieren, die auf dem Planeten in einer Art Raumstation wohnen. Darum wird dann ein Riesengetue gemacht in den Film. Für mich ist das Alltag. So wie andere Déjà-vus haben, so habe ich andauernd diesen Solaris-Effekt: mir geht etwas durch den Kopf und schon habe ich dazu passende Erlebnisse oder Begegnungen. Wie jetzt das Missverständnis mit Joseph und seiner Begleiterin, weil ich mich gerade mit Alter beschäftige. Aber nicht so wie: Oh je, wie schrecklich, was bin ich alt! Sondern so wie gestern, als Eva mehrfach ihr Alter angesprochen hat und sich dabei monoman vorkam und ich gesagt habe: Das ist jetzt gerade eine Phase, in der sich unsere Jahrgänge mit dem Alter beschäftigen, das wir nun mal erreicht haben. Indem wir darüber reden, gewöhnen wir uns daran und üben, unbefangen damit umzugehen. Das machen wir jetzt und danach ist auch wieder gut. Schlimm sind doch nur die Leute, die sagen: Was? 59? Das ist doch noch nicht alt. Wer so etwas sagt, ist entweder so verlogen, dass er besser die Klappe halten sollte, oder er wird es sehr, sehr schwer haben, wenn er selbst 59 ist.
Nach dem Barbarossaplatz Höflichkeitsbesuch bei Armin, dem schönen Mann, auf der Zuckmayerbrücke. Wir sahen ne Menge Menschen und wurden selbst gesehen. Aber niemand dabei zum Fotografieren. Bis es dann auf einmal von der linken Seite des Brückengeländers würzig zu duften beginnt. – Wonach riecht´n das? – Na, nach grass. – Wo? – Da, die beiden jungen Männer. Siehste nicht die Tüte qualmen? – Könnten höhere Postbeamte sein die beiden und verwunderlich ist, dass die an dem sonnigen Sonntagnachmittag nicht mit ihren Frauen spazieren gehen; aber schwul sind die nicht. Interview mit Armin über seine Drogenerfahrungen. Viel ist da nicht zu besprechen. Und dann plötzlich von rechts der Auftritt einer großen und einer kleinen afrikanischen Frau. Beide fließend Deutsch, sicher Berlinerinnen. Die kleine Frau mit einer großen Kamera. Die große Frau in einem langen feierlichen Kleid, dazu Pumps, eine Schulter nackt. Die kleine Frau massiert ihr die Schulter, um sie aufzuwärmen. Doch die große Frau scheint nicht zu frieren. Und dann geht das Fotografieren los. Auf der Treppe zum Park. Erst die kleine Frau von der Treppe hoch fotografierend, die große Frau oben. Dann die große Frau auf der Treppe, die kleine Frau von oben nach unten fotografierend. Und ich von der Seite, erst die kleine Frau auf der Treppe, dann die große Frau fotografierend. Die bemerkt mich. Der Verschluss meiner kleinen Kamera ist aber auch wirklich sinnlos laut.
Große Frau will nicht, dass ich sie fotografiere.
Ja, ist gut. Ich höre auf.
Ich will, dass Sie die Bilder löschen.
Ja, mache ich.
Ich will das sehen.
Soll ich die Bilder löschen? Ich warte erst mal ab. Stecke die Kamera weg. Stehe da, den Kopf eingezogen wie ein kleiner Übeltäter, und warte, dass die strenge große Frau kommt. Aber sie kommt nicht. Ich höre die Stimme der beiden Frauen, die weiter Bilder machen. Dann sehen wir sie weggehen. Armin beklagt seine Ohnmacht als alter Mann. Ich sage, es sei doch schön gewesen, den beiden zuzuschauen. Damit will er sich nicht zufriedengeben. Armin hat sich bestimmt auch schon gerne beklagt, als er noch jung war.