Ausstellung vom 26. Mai bis 21. Juli 2007 |
Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr weiß. Im Sommer habe ich sie mal an einem Samstagnachmittag besucht in ihrer Galerie und da wusste sie, zu welcher Uhrzeit später das Eröffnungsspiel der Frauenfußball WM übertragen wird. Dass Brigitte Stamm über das Fernsehprogramm orientiert ist, war schon überraschend genug, aber dann auch noch Fußball? – Frauenfußball, hat sie mich korrigiert und erzählt, dass sie als Mädchen Fußball gespielt hat. Auf der Straße. In Hannover. Geboren in Masuren (Ostpreußen), aufgewachsen in Hannover. Seit 1966 lebt sie in Berlin. Seit 2006 Inhaberin der galerie für junge künstler + designerInnen. 33 Ausstellungen seither. 33! Mit 30 Künstlern und DesignerInnen. Mit den Designern hat sie angefangen. Diplomanten der HAW in Hamburg, wo sie von 1981 bis 2008 gelehrt hat. Das im Ausstellungswesen vernachlässigte Modedesign sollte ihr einer Schwerpunkt sein. Ihr anderer Kunst. Dafür reichte der Name, den sie ihrer Galerie gegeben hatte. Die jungen Künstler kamen dann ganz von alleine, stellten sich vor mit ihren Arbeiten und Brigitte Stamm brauchte nur auszuwählen.
Dann weiß ich noch, wie sie die Professur an der HAW in Hamburg bekommen hat. Durch eine Anzeige in der Wochenzeitung Die Zeit. Gesucht wurde eine Professorin für Kunstgeschichte, Schwerpunkt Modegeschichte (für das Studium von Mode-, Textil- und Kostümdesign) und da warst du dann die einzige Bewerberin. – Nein, nein. Da gab es eine ganze Menge anderer Bewerberinnen. Aber ich war die einzige, die alle Anforderungen erfüllte. Vor allem brachte ich die nötige Kombination von Praxis und Theorie mit. – Praxis: Sie hatte eine Schneiderlehre gemacht, mit Gesellenbrief, wie sie stolz hinzufügt, und sie war diplomierte Modedesignerin. Theorie: Nach der Modeschule hatte sie das Abitur nachgemacht, an der TU Kunstgeschichte studiert und promoviert. Über Mode als Teil des Jugendstils. Künstlerische Reformbewegung, Befreiung der Frauenmode vom Korsett etc. Bei ihrer ersten Anstellung als Kunsthistorikerin beschäftigte sie sich dann jedoch mit klassischer Kunstgeschichte. Im Schloss Charlottenburg betreute sie die große Schinkel-Ausstellung von 1981 und hatte einen bescheidenen Bestseller-Erfolg mit dem von ihr verfassten Kunstführer Schinkel in Berlin und Potsdam.
Hartmut Hahn - new stories - Ausstellung vom 10. Oktober bis 7. November 2009 |
Wenn ich wieder auf die Welt komme, will ich Ursula von der Leyen sein, hat sie mal gesagt. Sieben Kinder und dann diese Karriere und immer gut aussehend, immer gut drauf. – Ich wäre gerne Hanseatin geworden, aber das ist mir nicht gelungen, hat sie auch mal gesagt. Da haben es die Studentinnen, die mit 18, 19 nach Hamburg kommen, leichter. – Kinder hat sie keine. In Hamburg hat sie Karriere gemacht, aber Berlin war ihre Stadt und ist es geblieben. Süßigkeiten isst sie gerne, kann sie essen, ohne dick zu werden. Als Zehnjährige hat sie sich zu Weihnachten einmal eine ganze Schachtel Negerküsse gewünscht und auch bekommen. Die hat sie am gleichen Abend noch alle aufgegessen und das Gebäck von ihrem Weihnachtsteller noch dazu. Die Eltern haben sie gewarnt: es wird dir elend gehen. Nichts da. Sie hat so gut geschlafen wie immer. Da ist sie heute noch stolz darauf, wenn sie davon erzählt. So etwas erzählt sie, aber sonst ist es schwer, ihr Persönliches zu entlocken. Oder stelle ich die falschen Fragen? Du warst stellvertretende Frauenbeauftragte des Departments Design an der HAW. Warst du, bist du feministisch engagiert? – Nein. – Nein? – Nein. – Noch weiter daneben greife ich, als ich es mit dem Begriff Leidenschaft versuche. Was hat sie dazu gebracht, die Galerie zu machen, die sie mit ihrer Professorinnen-Pension finanziert? – Leidenschaft für die Kunst ist es jedenfalls nicht. Leidenschaft gehört doch mehr in die Amore-Richtung, sagt sie. Aber dann tut es ihr offenbar leid, mich so ratlos vor mich hin starren zu sehen. Berufung zur Kunst, kann ich schreiben, wenn ich will. Mit ihrer Galerie setzt sie einfach nur fort, was sie 25 Jahre lang an der Hochschule gemacht hat: sie fördert begabte junge Menschen. Und außerdem ist es doch so: Von ihrem 17. Lebensjahr an war sie berufstätig. Erst in der Schneiderlehre und auch während ihres Studiums an der Modeschule und später an der TU, denn da hat sie immer nebenher noch gearbeitet. – Als Schneiderin? – Im Büro. – 50 Jahre lang hat sie gearbeitet. Da kann sie jetzt nicht einfach aufhören. Und deshalb hat sie sich den langgehegten Wunsch erfüllt, die Galerie zu machen. - Die Galerie war also ein Lebenstraum von dir. - Kein Traum. Ein Wunsch.
Vom Verlust der Unschuld Mode und Modephotographie von Christine Krüger und Gesine Born Ausstellung vom 17. April bis 29. Mai 2010 |
Brigitte sagt mehr im Spaß als herausfordernd: Und nun erzähle mal was von dir. – In meinem Text über Klaus Karwat, da steht etwas über mich, das ist sehr persönlich und das beschreibt mich, antworte ich. So etwas hätte ich gerne auch von ihr gehört, denke ich resigniert. Aber so etwas scheint es in ihrem Leben nicht zu geben oder sie will nicht darüber reden. Ich falte die Zettel mit meinen Notizen zusammen und frage, aber das ist jetzt nur noch Konversation: Bist du verheiratet oder warst du es mal? – Nein, es gab mehrere Partnerschaften, aber keine Ehe. Verlobt war ich einmal. – Und dann? – Habe ich mich wieder entlobt und bin ausgebüchst nach London. – Wie alt warst du da? – 23. - Verlobt mit einem Fluglotsen. Sie arbeitete damals als Sekretärin. Hätte wahrscheinlich geheiratet in Weiß, Kinder gekriegt, aber bestimmt keine sieben und Karriere hätte sie auch nicht gemacht. Daran hatte sie überhaupt nicht gedacht. Nur, dass sie den Fluglotsen lieber doch nicht heiraten wollte, das wusste sie dann und in London hat sie als Au-pair-Mädchen gearbeitet. 1965 war das. – Da warst du in London, als Antonioni dort Blow-Up gedreht hat, sage ich und sie sagt: Swinging London. Mary Quant. – Mary Quant, die Erfinderin des Minirocks. Hast du denn auch Miniröcke getragen? – Klar. – Und lange Haare hast du gehabt und dick aufgetragene Wimperntusche und du bist in den entscheidenden Clubs gewesen, sage ich voller Ehrfurcht. Und da in London wurde deine Leidenschaft für Mode geweckt – ich korrigiere mich: dein Interesse für Mode. Und dann bist du nach Berlin gegangen und hast hier Modedesign studiert, statt in ein Reihenhaus zu ziehen in Hannover mit deinem Mann, wo du immer noch sitzen würdest, mit Mann oder ohne Mann, und jeden Tag würdest du zweimal deine Tochter oder Schwiegertochter anrufen und wärst überhaupt nicht einverstanden mit der Erziehung deiner Enkel. – Kann schon sein, sagt sie. 1966 war das, als sie nach Berlin gekommen ist. Ende 1966 kam Blow-Up heraus. Im Sommer 1967 habe ich den gesehen: den wichtigsten Film meines Lebens. Da habe ich zum ersten Mal Film als Kunst wahrgenommen und ich wusste fortan, wie ich mich anziehen sollte und wie ich leben wollte. Das nur, weil Brigitte meinte, ich solle mal etwas von mir erzählen. – Verlobt. Entlobt. Ausgebüchst nach London. Dort die Mode für sich entdeckt. Als Selbstausdruck, Kunstform, Berufung, und in Berlin dann als Beruf. Das ist es! Über jede Person gibt es eine Geschichte, die sie beschreibt, in der sich ihr Charakter zeigt. Und die Geschichte von der Entlobung in Hannover und dem neuen Leben, das du angefangen hast in London, das ist die Geschichte, die dich beschreibt. – Ich bin begeistert und Brigitte widerspricht mir nicht. Das will etwas heißen. Denn sie widerspricht mir oft und gerne. Im Grunde genommen hakt es ständig zwischen uns. Ich warte schon immer darauf, dass es wieder hakt. Denn es kommt immer etwas dabei heraus. London 1965. Wie jeder habe ich ein paar Ziele für Zeitreisen. London 1965 steht weit oben auf meiner Liste. Brigitte war dort!
Guillermo Aguilar-Huerta / Malerei & Objekte Aussstellung vom 9. April bis 21. Mai |
Abbildungen: © Galerie für junge Künstler und DesignerInnen Berlin
Gespräch war am 3. November. Text geschrieben am 5. und 6. November.