Samstag, 26. Juni 2010

Roman

Peter S. Ich nenne nicht seinen vollen schönen Nachnamen, weil er ist Psychoanalytiker und ich weiß nicht, ob das gut für ihn ist, wenn seine Patienten, von denen sicher die meisten meinen Blog lesen, wenn die jetzt mitkriegen, dass er in seiner Freizeit auch noch Kommunist ist; bekennender und daher missionarischer Kommunist. - Szene, die ihn für immer zum Sympathen gemacht hat für mich: Wir treffen uns zufällig beim Billig-Italiener. Mich beschäftigt gerade ein Fußballthema. Ich frage ihn mit dem Unterton von ja-wohl-eher-nicht, ob man mit ihm über Fußball sprechen kann. Er greift wortlos zu der neben ihm liegenden Aktentasche, öffnet sie und entnimmt ihr die aktuelle Ausgabe des Kicker. Abonniert, erklärt er mit dem Ernst des schwer Abhängigen. - Inzwischen hat er starken Haarausfall und vorhin sitzt er mit seiner Hamburger Freundin, die zweieinhalb Köpfe größer ist als er und einen Kopf größer als ich, vor dem Café Sur. Mal wieder, wie dünn ich geworden bin. - Ja, ja. Und was ich da so sage. Wie es ihm geht? – Wie könnte es anders als gut gehen an so einem Tag wie heute, antwortet er.  – Ich: Bei strahlendem Sonnenschein sind Depressionen noch schmerzhafter (Schmerz ist heute mein Thema). – Ob ich denn depressiv sei?– Nein, heute nicht. – Die Freundin aus Hamburg ins Gespräch einbeziehen: Ich erinnere mich an den Abend, als er sie mir in der Kneipe von Nomi vorgestellt hat und daran, wie ich kurz danach, weiß nicht mehr wie es kam, auf einmal  ihre Hand in meiner Hand hatte und sie nicht mehr los ließ; wie ich zehn Minuten, fünfzehn  Minuten die große raue Hand der fremden großen Frau gehalten habe; wie gut sich das anfühlte, und dass ich da keineswegs betrunken war.  Sie kann sich nicht mehr daran erinnern.  Macht nichts. Dafür kann ich mich nicht an ihren Namen erinnern.– Ich erzähle – das ist das erste Mal, dass ich das tue – von dem Blog, den ich schreibe, und wenn ich die Übungsphase beendet habe, sage ich, werde ich ihm die Webadresse geben. Er erinnert sich daran, dass ich mal einen Roman schreiben wollte.  Ich erwidere, dass ich nie daran gedacht habe, einen Roman zu schreiben; alleine schon wegen Karl Kraus (ich zitiere aus dem Gedächtnis: Schon ein mancher Roman ist geschrieben worden, weil der Autor nicht genug Charakter hatte, keinen Roman zu schreiben).  - Als wir uns verabschieden, meint Peter, heute könnte ich in meinem Blog darüber schreiben, dass ich die Frau wieder getroffen habe, mit der ich mal Hand gehalten habe, obwohl ich sie gar nicht richtig kannte, und sie konnte sich nicht mehr daran erinnern. – Ich sage: Das ist kein Thema. So etwas kennen meine Leser schon von mir. –  Er freut sich über die Antwort. Ich habe es jetzt trotzdem geschrieben, weil ich mich an die Szene mit dem abonnierten Kicker erinnert habe, die mich damals so gefreut hat.  - Wollte ich mal einen Roman schreiben? - Vielleicht schreibe ich jetzt einen. Zusammen mit der Tess. - Und was ist mit Karl Kraus? - Wer kennt den noch außer mir?