Freitag, 4. Juni 2010

Habenichtse

Mail an Muecke, seit gestern Facebook-Freundin. "Habe heute die Sprache eines Ministerialbeamten. Das kann ja noch was werden. Demnächst mehr, wenn die Wörter nicht aus Karton sind." - Ich versuche es trotzdem mal. Katharina Hacker. Artikel  über sie auf WeltOnline. Homestory. Home ist Schöneberg, "jener Teil des alten, gemütlichen Westens, in dem die 43-Jährige seit mehr als einem halben Dutzend Jahren wohnt". Geht es auch einfacher? Umrechnung ins Dezimalsystem. Sehe ich die hier nicht schon viel länger als über 6 Jahre? - Große Frau. "Gertenschlank". Offener langer Mantel. Rauchen auf der Straße. Begleiter. Das intensive Gespräch. Sie redet auf ihn ein. Anderer Eindruck: Schlichte dunkle Sportklamotten, Joggen im Volkspark, allein oder mit Begleiter - Die schreibt bestimmt, habe ich gedacht, als sie mir auffiel. Schriftstellerin oder Übersetzerin. 

2006 Deutscher Buchpreis für Katharina Hacker, Die Habenichtse. Habe ich gelesen. Leute in ihren Dreißigern, die in Mitte rum machenDer  Weg von Kreuzberg nach Schöneberg, den ich oft gehe. Wohnung in der Wartburgstraße! - Da habe ich die große gertenschlanke Frau paarmal gesehen. Ist sie Katharina Hacker? - Und in London hat sie auch gelebt? In Banker-Kreisen kennt sie sich aus? Erzählt in globalem Kontext? 9/11, Irak-Krieg. Die Gefühlsverwirrung ihrer Protagonistin, als sie dem Dealer-Proll Jim begegnet. So was denkt sie sich aus? - Bestätigung, dass ich richtig geraten habe, als Katharina Hacker mit Krach den Suhrkamp Verlag verlässt und in der FAZ darüber ein Artikel mit Foto erscheint. Neues Buch: Alix, Anton und die anderen. - Alix? 

Inzwischen sehe ich Frau Hacker mit zwei Kindern. Töchter. Beide in dick wattierten kurzen Anoraks. Leuchtend blau der eine, leuchtend gelb (oder war es rot?) der andere. Putzig aufgemachte kleine Mädchen. Aber wäre es nicht besser gewesen, sie in Mäntel zu packen bei der Eiseskälte des vergangenen Winters? - Jetzt fällt mir ein, die tragen noch Windeln, die Kinder, die sind schon warm eingepackt. Ästhetisch und praktisch denkende Mutter. 

Aus dem "Welt"-Artikel erfahre ich, dass die Mädchen Philippa und Anabel heißen und 4 und 2 sind, dass sie bei mir in der Straße in den Kinderladen Nusskasper gehen und dass es in Frau Hackers soeben erschienener Novelle (*) wieder so einen Bad Boy gibt wie in den Habenichtsen. Rüdiger. Das Vorbild zu ihm ist Frau Hacker in dem kleinen Park Wartburgstraße Ecke Gothaer Straße begegnet. "Ein Mann wie ein Messer", zitiert der Journalist die Autorin. "Halb noch im Kampfdress. Man könnte vor ihm Angst bekommen." - Die Frau Hacker, da hat sie es also mit gefährlichen Männern.

Habe mich immer gefragt, ob ich mit ihr mal ins Gespräch komme. Und worüber dann reden? - Vielleicht über das Wittgenstein-Zitat auf ihrer Website: "Halte Dich ungefähr hier auf!" Wittgenstein verstehe ich, aber das Zitat verstehe ich nicht. Oder nach neuestem Kenntnisstand lieber über Bad Boys reden? War nämlich auch mal einer. Gefühlsgangster. Der Höhepunkt war mit  28, 29, 30. Dann hat sich das dankbarste meiner Opfer um mich gekümmert und einen Menschen aus mir gemacht. Inzwischen kassiert das Leben bei mir Reparationen für die Missetaten. Aber keine Klagen, süße Tess. Wo wäre ich ohne Dich?

Ob sie das interessieren könnte, die Frau Hacker?  Das Bad-Boy-Thema in der Vorher/nachher-Variante. - Vorstellung: Statt einen Roman zu schreiben, zum Vorbild für einen Roman zu werden. Und dann Einfluss nehmen auf das Werk, es mitgestalten. Die sich souverän wähnende Autorin manipulieren. Wer zieht die Erzählfäden? Kampf darum. Selbst eine Geschichte schreiben, wie jemand einen Roman schreibt über mich. Die Autorin adaptiert mich, ich adaptiere sie. Und wer gewinnt, kriegt den Deutschen Buchpreis.  

Katharina Hacker, Die Erdbeeren von Antons Mutter