Dienstag, 15. Juni 2010

Kunde

10.15 beim Urologen Dr. S., osteuropäischer Name,  deshalb im Telefonbuch bei ihm hängen geblieben. Hätte ich mich mal lieber nach Empfehlungen von Bekannten umgehört. Die Praxis im Stil einer versunkenen Epoche, ich bin der einzige Patient unter 79 und die Frau am Empfang sitzt hier auch schon seit Jahrzehnten; vermutlich die Frau des Arztes. Der Arzt selbst, Mitte 60, quirlig, mir sympathisch. Nur ist das Gespräch von Anfang an belastet, weil ich den mir am Empfang wortlos gereichten Plastikbecher für die Urinprobe nicht entgegengenommen habe, da ich zu einer Prostata-Vorsorgeuntersuchung erschienen bin, für die keine Urinprobe nötig ist, wie ich weiß von der letzten Vorsorgeuntersuchung. - Wann war das? - Vor sechs Jahren, glaube ich. - Das hat der Dr. S. noch nicht erlebt, dass jemand in seiner Praxis sich der Urinprobe entzieht. Einer urologischen Praxis: Nieren, Blase, Harnröhre; rote Blutkörperchen, weiße Blutkörperchen und was man sonst noch alles finden kann im Urin, Urin, Urin. - Ich deute an: Kostenbewusstsein des Privatversicherten. Und nur noch mal, um sicher zu gehen: Vorsorgeuntersuchung, Prostata, da bin doch richtig bei Ihnen? - Ja.Ja.Ja.Ja. Aber das gesamte Bild. Niere, Blase, Urin. - Prostata, insistiere ich, nur Prostata. - Dr. S. gibt auf: Der Kunde ist König. Osteuropäischer Akzent, Vorliebe des Nicht-Muttersprachlers für Redensarten. Der Kunde ist König, sagt er noch mehrere Male, bis er das mit dem Finger im Rektum gemacht hat und mir mein Blut abgenommen für den PSA -Test (Prostataspezifisches Antigen). Das Tasten ergibt, dass meine Prostata geringfügig vergrößert ist; nicht anders zu erwarten in meinem Alter. Trotz dieser schon mal guten Nachricht, wenn auch noch nicht viel aussagend, Unbehagen beim Verlassen der Praxis. Kann es nicht mal ohne Aufruhr ablaufen, wenn ich irgendwo auftrete? Kann ich mal einfach irgendwo hingehen und wieder weggehen, ohne aufzutreten? - Dauerexaltation.