Montag, 31. Oktober 2011

Gruselkram

Girasol. Spanisch für Sonnenblume. Laden in der Eisenacherstraße. Tragetücher für Mütter und Väter. Gefertigt in Guatemala; gerne auch nach vom Kunden entworfenen Mustern. Dazu Hängematten sowie südamerikanische Volkskunst. Aus aktuellem Anlass Gruselkram aus Mexiko.


Dia de los Muertos. Das Fest für die Toten ein Brauchtum der Azteken: Die Toten sind bei den Lebenden. Und ein Mal im Jahr zeigen die Lebenden den Toten, dass sie das wissen und an sie denken. Sie feiern mit den Toten auf den Friedhöfen. Essen und trinken mit ihnen. Die Toten laben sich am Aroma der Speisen und Getränke, die Lebenden vertilgen, was übrig bleibt. Fröhliches Fest. – Christianisierung. Die christlichen Priester haben das heidnische Fest verboten. Keine ausschweifenden Feiern mehr an den Gräbern. Der Tod ist jetzt eine ernste Sache. Die Toten sind nicht mehr bei den Lebenden. Sie sind im Himmel oder in der Hölle. Doch das Volk weiß es besser, wo die Toten sind, feiert weiter mit ihnen, nur nicht mehr zum Termin der Azteken, das Volk ist untergekrochen mit seinem Totenfest beim christlichen Fest Allerheiligen am 1. November, Todos los Santos. Schlaues Volk.


Hat das mexikanische Totenfest irgendeinen Bezug zu Halloween? frage ich die Frau bei Girasol, eine der drei Besitzerinnen; sie hat ein geschientes Bein und humpelt durch den Laden. – Nein, das ist ein irischer Brauch. – Ich weiß, sage ich (Und warum frage ich dann? – Um ins Gespräch zu kommen). – Die Mexikaner brauchen nicht eigens einen Tag, an dem sie die Kinder beschenken, sie sind immer gut zu ihnen. Deshalb müssen die Kinder ihnen auch nicht drohen, wenn sie etwas wollen, sagt die Frau mit dem verletzten Bein, wahrscheinlich gebrochen. Nicht drohen – damit spielt sie an auf den Spruch trick or treat. Wahrscheinlich hat die Frau nicht nur deshalb so eine hohe Meinung von den Mexikanern, weil sie diesen Latino-Folklore-Laden hat. Jedes Jahr im Januar ist sie für mehrere Wochen in Mexiko. Aber das nicht nur wegen ihrer Begeisterung für das Land, sondern weil sie dann auch Geschäftskontakte knüpft für ihren Laden. So herum also auch wieder. Begeisterung und Geschäft. Geschäft und Begeisterung. Sie zeigt mir in einem Buch Bilder vom Dia de los Muertos. Die Blume des Festes (Cempasúchil) ist gelb. Denn Gelb ist die einzige Farbe, welche die Toten erkennen können. – Verstehe. – Ich fotografiere zwei Vitrinen mit Totenfiguren. 


Am abgefahrensten finde ich die Meerjungfrauen. 


Die Figuren sind nicht furchterregend gemeint, oder? – Natürlich nicht. – Es ist also auch ein Spaß mit dem Tod, den die Mexikaner sich machen am Dia des los Muertos. – Warum auch nicht? Der Tod hat ja auch etwas Gutes. Viva la muerte! sagt die Frau mit dem geschienten Bein in akzentfreiem Spanisch. Und dann erzählt sie noch, dass es in Mexiko in interessierten Kreisen einmal eine Initiative für die kirchliche Anerkennung von Santa Muerte gegeben hat. Sankt Tod: Schutzpatron der Diebe, der Prostituierten, Mörder und Drogenhändler. Doch die päpstliche Kommission in Rom verweigerte die offizielle Heiligsprechung. Was die Diebe, Prostituierten, Mörder und Drogenhändler allerdings nicht davon abbringen konnte, weiter zu Santa Muerte zu beten. In einem der weniger guten Viertel von Mexico City haben sie ihm sogar eine Statue errichtet. – Und das soll ich glauben? – Denk an die Meerjungfrauen mit den Totenschädeln! – Ich glaube es. Und wenn nachher Kinder bei mir läuten, dann mache ich nicht auf, weil ich heute keine Lust habe, Haribo-Tüten zu verteilen - und weil ich das ganze Jahr gut zu Kindern bin und sie mir nicht drohen müssen, damit ich mich großzügig zeige ihnen gegenüber. Das habe ich fürs Leben gelernt bei meinem Besuch bei Girasol
Eisenacher Straße 71
10823 Berlin 
030/7811584 

Sonntag, 30. Oktober 2011

Fünf

Da ich so oft Nein höre, war ich noch eingeschüchtert zu Anfang der Vernissage am Freitag. Ich habe es spielerisch genommen und gar nicht erst gefragt, ob ich ihn, sondern nur, ob ich seine Schuhe fotografieren darf. Da wusste er gar nicht, was er dagegen einwenden sollte, und hat nur gesagt, die seien doch so alt und schäbig. Aber warum trägt er sie dann zu einer grauen Hose, grauem Sakko mit Weste, weißem Hemd und: blauer Fliege? – Warum? – Ich weiß es und aus dem Grund habe ich sie fotografiert: die Reeboks von Guillermo Aguilar-Huerta, einem der ausstellenden Künstler.


Nicht alle Künstler waren anwesend. Neben dem eleganten Mann aus Mexico nur noch Hartmut Hahn (kein Foto) und Annette Brosch. – Ich: Wer ist Annette Brosch? – Brigitte Stamm: Dort, mit den roten Stiefeln, das ist sie, die Künstlerin.


So war ich drauf gekommen auf die Nummer mit den Schuhen und nachdem ich noch mehr Schuhe fotografiert hatte, ...



… habe ich die Kamera mal in den Raum reingehalten. Den schönen Raum von Brigitte Stamms Galerie, wenn Gäste sich in ihm drängen, noch schöner. An der Wand hinten, das sind Arbeiten von Annette Brosch und am rechten Bildrand ist sie selbst zu sehen.
   

Am linken Bildrand, gerade noch zu erkennen: FM Klöweke. Seine Vernissage war am Tag darauf bei Kuhn & Partner. Hier noch mal FM Klöweke inmitten des schönen Raumes: 


Wenn, dann darf ich sie nur von weitem fotografieren, hat Brigitte Stamm einmal zu mir gesagt. Hier bei der Vorstellung der Künstler. - Weit genug weg? 



Fünf
5 jahre galerie 2006 – 2011
art fashion – annette brosch
hartmut hahn – jasmin höher-kosel
guillermo aguilar huerta

galerie für junge künstler + designerInnen berlin
Gunewaldstraße 15
10823 Berlin
030 21 01 40 04
www.jkd-berlin.de
Donnerstag und Freitag 15 -19 h
Samstag 12 – 16 h

Fotos: © w.g.

Samstag, 29. Oktober 2011

Klaus


Martin Jagodzinski: Berglandschaft (Licht)
 Öl auf Leinwand   62 x 83 cm   2005

Eine Ausstellung hat die andere ergeben. Die Künstler kamen auf ihn zu. Zum Schöneberger Galerierundgang plant Klaus Karwat eine Retrospektive mit Bildern von Künstlern, die er ausgestellt hat in den vergangenen vier Jahren. Er schätzt sie alle,  manche ein bisschen mehr: Martin Jagodzinski, auf den weist er mehrfach hin. Daégki mit seinen Gipsbildern (Gipskartons, die man einmauern kann). Ulrike Hansen mit ihrer ganz eigenen Farbigkeit - und dem geschäftlichen Erfolg, den sie ihm gebracht hat:  zweimal hat er sie schon ausgestellt, eine dritte Ausstellung ist geplant. – Lebt sie in Berlin? – Im Wedding.  – Ach! – Da habe ich auch gewohnt in meiner ersten Berliner Zeit. – Viel Sonne, Strand, Meer bei Frau Hansen. – Sie hat ein Haus an der Ostsee.

Ulrike Hansen: Zwei Schirme   Eitempera auf Leinwand
30 x 40 cm  2010

Wo er herkommt, hatte ich ihn schon gefragt. München. Jetzt will ich wissen, wann er nach Berlin gekommen ist. 2000 war das, nachdem er mit seinem Münchner Leben abgeschlossen hatte. Was war passiert? Ich muss nicht lange nachfragen. Er erzählt es von sich aus: Nach dem Studium der Verwaltungswissenschaften in Speyer hat er politisch gearbeitet bei den bayerischen Grünen. War Kreistagabgeordneter und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Grünen-Fraktion im Bayerischen Landtag. Bis es nicht mehr ging. Weil er menschlich nicht mehr zurecht kam: sich nicht damit abfinden wollte, wie es den alten Mitstreitern nur noch in zweiter Linie um Politik und zuerst um ihre Posten, die Existenzsicherung und die Rente ging. Mehr sagt er dazu nicht. Die Einzelheiten kann ich mir denken. Ist doch normal, hätten da die meisten gesagt. Er nicht. Für ihn stimmte es einfach nicht mehr. Ich wäre krank geworden, wenn ich weiter gemacht hätte. Er legte seine Mandate nieder, kündigte die Stelle bei der Fraktion und setzte  sich ab nach Südfrankreich. Dort begann er mit seiner Tätigkeit als Übersetzer und nach zweieinhalb Jahren merkte er, dass er doch lieber in Deutschland leben wollte. Aber mit München war er durch. Also ging er nach Berlin und wurde der, der er jetzt ist. Zufrieden mit dem, was er macht, weil es zu ihm passt, weil er jederzeit aus eigener Kraft gegensteuern kann, wenn es einmal nicht mehr passen sollte. Und weil er, was er jetzt macht, auch noch machen kann, wenn er 75 ist, und wahrscheinlich sogar erfolgreicher als jetzt, weil er dann mehr Erfahrung hat. 

Daégki: Badende
Farbe/Firniss auf Gipskarton 2009

Da haben wir das gleiche Modell der Altersvorsorge, sage ich. Doch diese Entdeckung ist nicht der Grund, weshalb ich ihn unterbreche und nun lange von mir erzähle. - Ich wäre krank geworden, wenn ich weiter gemacht hätte, hat er gesagt. In dem Augenblick wusste ich ganz genau, was er erlebt hatte. Das Gleiche wie ich. Nur, dass das Leben, aus dem ich raus musste, klassisch bürgerlich war: ich war  damals als hochbezahlter Texter in den Vorstandsetagen von Industrieunternehmen unterwegs. Während Klaus Karwat das bürgerliche Leben in der Partei der Grünen nicht mehr aushielt. Das mussten wir jedoch erst mal kapieren, dass wir aus dieser Art von Leben raus mussten, weil wir es nicht mehr aushielten. Denn bürgerlich betrachtet – Einkommen, Status – war alles so wie es sein sollte. Wenn es nur nicht auf einmal so unendlich deprimierend gewesen wäre: morgens so traurig aufgewacht wie abends ins Bett und dann - bei mir - die immer häufiger auftretenden Panikattacken. Beim Überqueren von Brücken, in Bahnhöfen, auf Flughäfen plötzlich Herzrasen und die Gewissheit, jetzt ist es vorbei. Panische Angst, gleich zu kollabieren und dann werden die Leute um mich herum stehen und mich angaffen, bis die Sanitäter kommen, und wenn ich dann in der Notaufnahme liege, wer ruft dann an bei meinem Termin, wo sie auf mich warten? – Herzangst, sagt Klaus Karwat. Kennt er, hat er auch erlebt: Ich war schon in der Notaufnahme gelegen, erzählt er. Die wollten mir einen Herzkatheter reinschieben. Aber das habe ich dann doch nicht zugelassen. - Weil ihm da klar wurde, wie mir schließlich auch: es ist nicht das Herz und es ist auch keine Angstneurose, es ist das falsche Leben, gegen das sich etwas in ihm wehrt. Ungefähr an der Stelle habe ich Klaus vorgeschlagen, Du zu sagen. Danach haben wir noch eine Weil darüber geredet, was das für eine Macht war, die wir da in uns zu spüren gekriegt haben. Zu was für einer Verunsicherung der gesamten Existenz das geführt hat (Hast du dich auch im Kino nur noch außen hingesetzt, damit die Sanitäter schneller bei dir sind?). Und was für ein Glücksgefühl es war, als wir endlich verstanden haben, was los ist mit uns, und bereit waren zu den radikalen Konsequenzen und dann nicht nur alles wieder gut, sondern viel besser war als vor der Krise. – Es ist das erste Mal, dass ich jemanden treffe, der das auch erlebt hat. Ich war damals um die 40. Klaus etwas jünger, als es ihm passierte. – Weißt du, dass Petra Kelly die Königin der Panikattacken war? Habe ich mal in einem Artikel über sie gelesen. Jahre später war das. Als ich die Panikattacken hatte, da hatte ich von dem Phänomen noch nie gehört und dachte jedes Mal, ich sterbe.

Ulrike Hansen: Baden bei Sturm
Eitempera auf Leinwand   70 x 400 cm   2009 


Schöneberger Galerierundgang
und Offene Ateliers
5. Nov. 2011, 12 - 20 Uhr
6. Nov. 2011, 12 - 18 Uhr 
Hier alle Adressen der teilnehmenden Galerien und Künstler.

Bilder: © Martin Jagodzinski, Ulrike Hansen, Daégki.

Freitag, 28. Oktober 2011

Sanftmütig

Diese Art, okay zu sagen: o-kayyy – mit der Dehnung der Endsilbe und der aufsteigenden Wortmelodie. Klaus Karwat sagt öfter okay. Zustimmend oder akzeptierend. – Ich: Nein, danke. Ich habe heute schon so viel Tee getrunken.  Er: Okayyy. Aber Sie sagen es, wenn Sie doch was wollen. – Da sind wir noch beim Sie. Das bleiben wir bis kurz vor Ende unseres Gespräch. Bis es nicht mehr geht und ich ihm als der Ältere das Du anbiete. Er ist 50. Die Galerie hat er seit vier Jahren. Mit Maria Genau ist er seit sechs Jahren zusammen. Zwei Kinder: 1 ½ und 4. Und er arbeitet als Übersetzer, vom Deutschen ins Spanische hat mir jemand erzählt. Die gleiche Person hat auch gesagt: Den Mann fände sie sehr sympathisch und den Platz auch, aber sie fürchte, er habe auch etwas Piefiges. Ich wusste, was sie meinte (klein, allzu klein und mehr soll auch nicht sein), und habe gesagt, das werde ich ja dann sehen, wenn ich ihn treffe, den Klaus Karwat. Im Hauptberuf Übersetzer und die Galerie macht er nebenher aus Liebhaberei? – Übersetzer stimmt. Aber  i n s  Deutsche, aus dem Englischen, Französischen, Italienischen. Kinderbücher, technische Texte und ein Buch über Geldschöpfung hat er auch übersetzt. Titel: Geldschöpfung in öffentliche Hand. Das ist zugleich das Programm einer Initiative: Monetative. Initiative gegen die Übermacht der Banken. Thema für sich. In der Initiative ist er immer noch aktiv. Zum Übersetzen kommt er inzwischen immer seltener. Wegen der Galerie und wegen der Kinder, deren Betreuung er sich teilt mit seiner Frau. Sie arbeitet als Ärztin und hat das geregelte Einkommen. Die Galerie läuft zwar immer besser, aber noch nicht so gut, dass eine Familie davon leben könnte.




Ich hatte ein Bild von Klaus Karwat – einen Eindruck von einem Telefonat, bei dem ich ihn um einen Gefallen bat und er sehr entgegenkommend und unkompliziert war; einen Eindruck von ihm bei einer Vernissage. Jetzt sitze ich mit ihm in seinem kleinen Büro und alles, was er mir erzählt, ist so, wie ich es mir vorgestellt habe, weil es meinem Bild von ihm entspricht. Bild eines vollkommen entspannten Mannes. Und eines sanftmütigen Mannes. Niemand der aneckt. Die Leute haben gerne mit ihm zu tun. So einer muss sich nicht anstrengen und quälen. Menschen kommen auf ihn zu. Gelegenheiten ergeben sich. Er muss sie nur erkennen. Gelegenheit: Völlig vergammelte Wohnung in der Merseburger Straße. Zum Verkauf stehend. Klaus Karwat hat geerbt, weiß noch nicht, was mit dem Geld anfangen. Einen Salon würde er gerne machen: Lesungen, Musikabende. Und seine Frau kocht so gerne, Kochen für eine größere Zahl von Gästen, vielleicht lässt sich das kombinieren mit seinen Salon-Plänen. Die heruntergekommene Wohnung war vor dem Krieg ein Tabakwarenladen, hat also Schaufenster, die müssen nur wieder freigelegt werden. Ein Nachbar ist Architekt, er vermittelt ihm die polnischen Handwerker, die günstig die aufwändigen Holzarbeiten machen, die bei der Instandsetzung der Räume anfallen. Trotzdem reichte sein Geld gerade mal für die Grundfinanzierung, sagt er. Doch der Aufwand lohnt sich. Als alles fertig ist, hat er ein Schmuckstück und was er damit macht und wie, das muss er sich nicht lange überlegen. Aus der Nachbarschaft kommen Leute auf ihn zu, wie die Chorleiterin Reka, die donnerstags ihren jour fixe bei Klaus Karwat hat. So hat er sich das vorgestellt: um seinen Salon zu finanzieren, wird er seine Räume für kleine Veranstaltungen vermieten. Den Plan, eine Galerie zu machen, hat er da noch nicht. Der entsteht erst, als zwei Kunsthändlerinnen die Räume mieten wollen, um sie als Showroom zu nutzen, und er mit den beiden überhaupt nicht zurecht kommt (stelle ich mir schwierig vor, mit Klaus Karwat nicht zurecht zu kommen). Danach überlegt er sich, dass er selbst Ausstellungen machen könnte. Als erstes zeigt er die Vulkanbilder-Serie eines befreundeten Fotografen, der für National Geographic arbeitet, und von da an ergibt eine Ausstellung die andere. Er hat keine Kontakte, er macht keine Kontakte, er kriegt sie. Er hat den schönen Platz, die Künstler kommen auf ihn zu. Von ganz alleine entsteht so über die Jahre ein Profil: gegenwärtige figurative Kunst. Und er wächst in die Rolle des Galeristen hinein, ohne seine Salon-Idee aufzugeben: einen Mittelpunkt kultivierten Gesellschaftslebens zu schaffen. Wie sieht das aus? – Beispiel: Aus Anlass einer jeden Ausstellung laden er und seine Frau Maria Genau zu einem Essen zu Ehren des/ der ausstellenden KünstlerIn ein. Die Zahl der Gäste ist begrenzt auf 18 Personen, Maria Genau kocht und das anscheinend sehr gut. Was für Leute kommen zu einem Galerie-Essen bei Gondwana und wie es da zugeht, darüber werde ich berichten, wenn ich einmal dabei gewesen bin. Das weiß ich allerdings jetzt schon: so wie ich Klaus Karwat kennengelernt habe, piefig wird es da nicht sein.

Zweiter Teil des Gesprächs folgt.   ´

Merseburger Str. 14
10823 Berlin - Schöneberg
0151/56 50 49 67
030/754 555 02
info@galerie-gondwana.de

Donnerstag, 27. Oktober 2011

Oxana



Waldemar Flaig: Tatjana Barbakoff, 1927


Sie hat getanzt im vorderen Raum von Gondwana. Dem großen Ausstellungsraum der Galerie, wo ein Flügel steht. Oxana Chi nennt ihn Klavier. Getanzt? Geprobt. Sie arbeitet in der Nähe. Gibt Tanzunterricht. Und manchmal hütet sie für Klaus Karwat dessen Galerie, aus Gefälligkeit dafür, dass sie die Galerie als Proberaum nutzen kann. Heute zum vorerst letzten Mal. In ein paar Tagen fährt sie nach Paris, wo sie mit ihrem Programm Salon Qi gastiert. Untertitel: Tanzende Erinnerungen / Mémoire dansée. Erinnerungen an Tatjana Barbakoff. Lettisch-jüdische Tänzerin, Karriere in Berlin und Paris, ermordet in Auschwitz. An der Wand im Büro von Klaus hängen drei Fotos von Oxanas Tanzauftritten. Die wird sie nachher abhängen, um sie mitzunehmen. Auf den Fotos ist nur sie zu sehen. – Sie treten alleine auf? – Ja. Die Barbakoff ist auch alleine aufgetreten. – Ist das Ausdruckstanz, was sie gemacht hat? – So ist es. Und das ist es auch, was sie, Oxana, macht. – Ich blättere in dem Booklet zu Salon Qi, das mir Klaus gegeben hat. Auf einem Foto trägt Oxana ein rotes Kleid, das so lang ist, dass das Ende der Schleppe nicht mehr auf das Bild gepasst hat. – In einem Stück von Robert Wilson könnte eine Frau so ein Kleid tragen, sage ich. – Ich verehre Robert Wilson, antwortet Oxana. Sie spricht über die Japanerin, die für Robert Wilson Production Design gemacht hat, inzwischen verstorben. – Dass seine Ausstatterin Japanerin war, wusste ich nicht. Überrascht mich jedoch nicht. Das pure, minimale Visual Design seiner Produktionen. Unter anderem dafür verehre ich ihn auch. Oxana und ich verstehen uns immer besser - und dann auf einmal überhaupt nicht mehr: Darf ich Sie fotografieren, frage ich sie. Ohne zu überlegen, sagt sie Nein. Dann eben nicht. Ich wende mich Klaus Karwat zu, dessentwegen ich hier bin. Vermittelnd erklärt er Oxana, dass ich einen Blog schreibe. Sie fragt, was für einen Blog. Ich antworte knapp, sehr knapp. Sie meint, dass ich jetzt beleidigt bin, spricht von Eitelkeiten. Ich spreche von Pragmatismus. Wenn sich jemand nicht von mir fotografieren lassen will, dann interessiert er mich nicht mehr. Das ist überzogen. Aber in diesem Augenblick stimmt es: Hey! Sie tritt öffentlich auf, sie hat eine Website, es gibt unzählige Bilder von ihr im Internet und jetzt zickt sie rum wegen eines Fotos für meinen Blog. – Sie konnte nicht wissen, dass ich sie für meinen Blog fotografieren will? – Das hätte ich ihr schon noch gesagt und dann hätte sie immer noch zicken können, fragen, was ist das für ein Blog, sagen, den will ich mir erst mal ansehen, und das Foto auch, das Sie von mir gemacht haben. Aber von vornherein Nein sagen – damit gebe ich mich nicht mehr ab. Das ist ab jetzt der Blog der Leute, die nicht Nein sagen. Ich beginne mit dem Interview mit Klaus Karwat. Oxana nimmt ihre Fotos von der Wand und verpackt sie in Schutzfolie. An den Stellen, an denen sie sich einmischt in unseren Dialog, schweige ich und mache ein verschlossenes Gesicht. Das ist lächerlich. Aber ich habe nicht damit angefangen.

Welches Label gebe ich diesem Post? Fremde? – Das wäre übertrieben. Fremd ist Oxana mir keine Sekunde gewesen. Unsympathisch ist sie mir auch nicht und auch böse kann ich ihr nicht sein wegen ihres Neins. Es war einfach nur blöd, voreilig und nichts damit anzufangen. Label Porträt? – Das gibt es, wenn ich Oxana einmal besser kennenlernen sollte. Also? – Label Passanten. - Satz auf der Startseite ihrer Website: In meinen Augen angefüllt mit Leere sammeln sich immer neue Bilder, sie kommen und gehen.

Der Bericht über das Interview mit Klaus Karwat, aus dem dann ein richtig gutes Gespräch wurde, folgt in den nächsten Tagen. 

Mittwoch, 26. Oktober 2011

Obst&Gemüse



Der Gruß des Kaufmanns ist die Klage. Arabisches Sprichwort. Hat er von mir gelernt. Imad, Besitzer des Obst- und Gemüseladens gegenüber der Apostel-Paulus-Kirche. Wenn ich ihn früher gefragt habe, wie es ihm geht, hat er immer wahrheitsgemäß geantwortet, dass es ihm gut geht. Das hat er auch noch getan, nachdem ich ihm das Sprichwort beigebracht hatte. Aber von da an hat er sich sofort korrigiert und mit dramatischer Miene gesagt: Schlecht. Ganz schlecht. Und dann haben wir gelacht. Heute lobe ich seine Auslage: Das hast du schön arrangiert. Wie auf einer festlichen Tafel. Er nickt. Und ich füge hinzu, was er schon kennt von mir: Schade, dass ich nichts davon kaufen kann. Zu teuer für mich. Da zuckt er sonst mit den Achseln und grinst. Heute macht er eine bedrückte Miene. Was ist los? Nicht gut das Geschäft? Er schüttelt den Kopf. Den ganzen Monat schon nicht gut. Überall sei es nicht gut, nicht nur bei ihm. Krise. Die Leute haben kein Geld wie ich oder halten ihr Geld fest, weil sie nicht wissen, wie die Krise ausgeht. Und dann noch Obst und Gemüse. Da hilft kein Kühlhaus. Nach vier, fünf Tagen ist die Ware hinüber. Dann kann er sie wegwerfen. Machst du Verluste? – Er sagt nicht ja, er sagt nicht nein. Er spricht von den Kosten. Alles wird teurer: Miete, Heizung, Strom (Kühlhaus) und die Zwischenhändler geben ihre Verluste weiter an die Einzelhändler, indem sie die Preise erhöhen, bis den Einzelhändlern die Luft ausgeht und in der Folge die Zwischenhändler selbst ersticken an ihrer Gier. Doch so schlimm wird es schon nicht kommen, Imad. Die Krise hat auch viel mit Stimmung zu tun und die kann sich rasch ändern. Ich muss nur Imads Gesicht angucken und weiß, wie hohl ich daher rede. So habe ich ihn noch nie erlebt. Es ist, als ob jemand gestorben wäre. Am besten gar nichts sagen, einfach nur da sein und zuhören und dann schnell weiter und sich seines Lebens freuen. Geht es Ihnen auch so schlecht geschäftlich? frage ich Armin, der vor seinem Zeitungsladen sitzt und gar nicht gleich weiß, was er antworten soll: Öööööhhhh – nöh. Schlecht geht es ihm nicht. Genau genommen geht es ihm sogar gut geschäftlich und sonst offenbar auch, so entspannt und vergnügt wie er da sitzt. Das von Imad zu hören tut ihm leid, ist aber auch klar: Qualitätsanbieter, gut und teuer, da sparen die Leute zuerst in der Krise; dann eben nicht ganz so süß und saftig, dafür zum halben Preis bei PennyLidlAldi. Und dann auch noch verderbliche Ware. Armer Libanese! – Er dagegen hat Kommissionsware. Zeitungen und Zeitschriften, die er nicht loskriegt, die remittiert er (gibt er zurück). Und die Krise, die spürt er auch. Nur, sein Geschäft belebt sie. Die Leute suchen Erklärungen für das, was vorgeht. Im Fernsehen kriegen sie die nicht, also suchen sie sie in den Zeitungen. Würde mich wundern, wenn sie sie da kriegen. Aber ist doch egal, immer gut, jemanden zu treffen, der zufrieden sein kann, während es anderen schlecht geht. Beschwingt davon überlege ich: Was kann ich den Leuten anbieten, was sie brauchen in der Krise. Ich komme nicht darauf. Auf dem Rückweg gehe ich noch mal bei Imad vorbei, um seine schöne Auslage zu fotografieren. Er schaut mir dabei zu, und als ich fertig bin, sagt er: Das kannst du jetzt jeden Tag machen.  

Schmecken wie Kiwis, sagt Imad. Und sehen sie nicht
aus wie Früchte von einem anderen Planeten? 

Dienstag, 25. Oktober 2011

Tutu

Aus dem U-Bahnhof Spichernstraße kommt eine junge Japanerin die Treppen hoch. Sie hat einen Geigenkasten bei sich und geht zu dem Gebäude, in dem sich die UDK-Musikfakultät befindet. Es ist eine Musikstudentin, wie ich im Juni einmal gerne eine gewesen wäre und, wenn ich es mir überlege, immer noch gerne wäre. Instrument Violine und als Nebenfächer Kompositionslehre und Neuere Musikgeschichte, wenn es das gibt, aber auf keinen Fall Musikpädagogik. Wenn ich die japanische Musikstudentin wäre, die jetzt den kurzen Weg von der U-Bahn über die Bundesallee zur UDK geht, dann hätte ich über der Stirn ein Klämmerchen im Haar, würde eine schwarze Jacke tragen, schwarze Strumpfhosen, flache schwarze Schuhe und: ein weißes Tutu, ein kurzes Röckchen aus mehreren Schichten Tüll. Und was würde ich sagen, wenn der ältere Mann mit dem schwarzen Rucksack und dem Fotoapparat auf mich zukäme und mich fragen würde, ob er mich fotografieren darf? – Ich weiß es nicht. Weil der ältere Mann nicht zu mir her gekommen ist. Der ältere Mann hat nur dagestanden, hat fasziniert auf das Tutu gestarrt und sich gefragt, ob das süß aussieht oder daneben, und dann erst ist er auf die Idee gekommen, dass er die junge Frau fotografieren könnte, wenn er schon nicht sie sein kann. Da war sie aber schon so weit entfernt, dass er ihr hätte hinterher hasten müssen. Ach was! Den Mumm hat er nicht verspürt in sich, um hinzugehen, sie zu fragen und zu riskieren, ein Nein zu hören oder zu erleben, wie sich die junge Frau befremdet abwendet. Da er den Mumm nicht hatte und damit auch keine Überzeugungskraft, war es besser, es sein zu lassen, hat er sich überlegt, während er weiter ging, und dann hat er noch gedacht: Was soll´s? Ich bin doch nicht Scott Schuman. Nur, weil mir so gut gefällt, was der macht, muss ich es nicht auch machen. – Auf die Idee, dass da gar kein Mumm dazu gehört hätte, die junge Frau zu fragen, ob er sie fotografieren darf, und dass er am überzeugendsten ist, wenn er tut, was er tun will, darauf ist er erst später gekommen.

Und Scott Schuman? – Ist ein weltberühmter Street Style Photographer. Sein Blog heißt The Sartorialist. Er ist unterwegs in New York, London, Paris, Milano. Liiert mit der wunderbaren Fashion Bloggerin Garance Doré. Und er käme bestimmt nie auf die Idee, eine japanische Musikstudentin sein zu wollen, und da das nicht geht, sie wenigstens zu fotografieren. Grace, hat er einmal in einem Interview gesagt, das sei es, was er suche, was er zeigen wolle in seinen Fotos, das sei sein Thema. Grace  = Anmut, Grazie.  Hatte die junge Japanerin mit dem schwarzen Geigenkasten und dem weißen Tutu Grace? – Nein, rührend misslungen war er, ihr Grace-Versuch, wenn es einer war. Rührend wäre ich also, wenn ich eine japanische Musikstudentin wäre an der UDK. Hauptfach Violine, Nebenfächer Kompositionslehre und Neuere Musikgeschichte. 

Montag, 24. Oktober 2011

Subventioniert

Soll man sagen, dass es einem leid tut, wenn man bei jemandem anruft und die Person isst gerade? – Warum denn? Wenn sie beim Essen nicht gestört werden will, dann darf sie eben nicht ans Telefon gehen. Noch mal anders der Fall, wenn man anruft, die Person rangeht, sie sich mit nicht-vollem Mund meldet, man höflich fragt, ob sie kurz Zeit hat, und sie darauf sagt: Ich esse gerade. Auch dann muss es einem nicht leid tun. Dann ruft man eben später noch mal an. Doch musste sie das mit einem Unterton von Beschwerde sagen? Für den Beschwerdefall gilt das Gleiche wie oben: Wenn sie nicht gestört werden will, darf sie den Anruf nicht annehmen. Aber war das wirklich ein Unterton von Beschwerde oder habe ich mir den nur eingebildet, wie ich mir ihren blasierten Ton vielleicht nur eingebildet habe, als ich eine halbe Stunde später angerufen habe? – Nein, der Hochmut, das Reden von oben herab, das ist ihre Art, die habe ich noch in Erinnerung von unserer ersten Begegnung und von daher weiß ich auch, dass sich das verliert, wenn es nur um sie geht, ihr Leben, ihre Projekte, ihre Arbeit. Doch mehr als eine förmliche Erkundigung nach dem Stand ihres völkerverständigenden Projektes (mit EU-Mitteln gefördert) habe ich ihr heute nicht zu bieten. Denn ich rufe an wegen eines Künstlers, der ein Atelier sucht. Frage: Ist in der Einrichtung, in der sie ihr Atelier hat, etwas frei und wenn ja, wie kommt der Künstler da ran, ohne vorher irgendwo Mitglied werden zu müssen, was er auf keinen Fall will? - Das will kein Künstler, stellt sie kühl fest. Aber manchmal geht es nicht anders. Jetzt erst erinnere ich mich daran, dass sie Mitglied in einer namhaften Künstlerinnenvereinigung ist und äußerst geschickt in der Beschaffung von Fördermitteln für ihre Projekte. Über die Vereinigung knüpft sie ihre Kontakte, bis nach Brüssel, wenn es sein muss. Und anders geht das doch auch gar nicht als mit Netzwerken, Netzwerken, Netzwerken und dabei immer nur an sich denken. An wen denn sonst? Es interessiert sie nicht, wer der Atelier suchende Künstler ist. Alles, was sie sagen kann, ist, dass in der Einrichtung, in der sie ihr Atelier hat, immer mal wieder Räume frei werden, die sind dann jedoch auch schnell wieder weg. Es interessiert mich nicht, wer der Künstler ist: dass sie das gesagt hat in ihrem kalten hochmütigen Ton, das macht mich so wütend, dass es mich hinterher wundert, dass sie nicht aufgelegt hat - wenn der Künstlerkollege sie nicht interessiert, warum soll sie dann das Telefonat mit mir interessieren? Wegen des Biests? Weil sie vor dem Biest nicht dastehen will als diejenige, die aufgelegt hat? Das glaube ich nicht. Nein, es ist das Gute an ihrem Hochmut, das sich jetzt zeigt: dass sie das nicht berührt, wie ich sie angifte. Souverän geht sie darüber hinweg und erklärt mir ruhig und sachlich, was der Künstler, dessen Person sie nicht interessiert, tun muss, damit er ein Atelier kriegt, auch ohne die Mitgliedschaft in einer Vereinigung oder in einem Bund. Was muss er tun? Sich entweder wenden ans Bezirksamt Schöneberg oder an den BBK. Das notiere ich mir und vorher mache ich mich schnell noch lächerlich, als ich nach meinem Wutanfall einlenkend sage: Der Künstler ist ein sehr attraktiver Elendsfall. Sehr begabt. Und er hat zwei kleine Kinder mit einer Frau, die auch Künstlerin ist. - Ich habe tatsächlich gesagt, Elendsfall und attraktiv. Damit meinte ich: Wenn es einer verdient, dann er. Bestimmt ist das noch nie unbeholfener ausgedrückt worden als von mir. Doch darum geht es gar nicht. Es gibt keinen Wettbewerb der Bedürftigkeiten oder der Ansprüche. Jeder Künstler in Berlin bekommt ein Atelier, wenn er eines braucht. Dafür hat der Senat gesorgt, sagt sie und wahrscheinlich ist das der Grund, warum sie sagte, die Person des Künstlers interessiert sie nicht. Weil es nicht um die Person geht. Der Bedarf muss nicht veranschaulicht, die Not braucht nicht angepriesen werden. Und geschenkt bekommt sowieso niemand etwas. Ihr Atelier ist zwar vom Senat subventioniert, Miete zahlt sie trotzdem: 6, 50 Euro pro Quadratmeter.   

Der Künstler ist ein sehr attraktiver Elendsfall. – Ist das schon wieder gut oder unverzeihlich? – Schon wieder gut ist es jedenfalls nicht.  

Sonntag, 23. Oktober 2011

Macbeth

Frau aus Mannheim schreibt mir, dass sie bei ihrem Anwalt war, Freund von Peter L, und vom Anwalt erfahren hat, dass Peter gestorben ist. Am Abend hat sie ins Internet geguckt, Biest zu Biest gefunden und ist dann viel zu spät ins Bett gekommen, weil sie alles gelesen hat unter Index PeterL (36). Die Frau heißt Olga, sie war bewegt und gerührt von der Lektüre und dafür hat sie mir gedankt. Ich heiße Wolfgang und bin leider nicht Alkoholiker. Leider, denn im Augenblick (16.15 Uhr) würde ich mich lieber besaufen, als hier zu stehen (ich schreibe im Stehen). Ist das mein Ernst oder ist es ein verzweifelter Trick, um in den Text von heute rein zu kommen? Text, in dem es nicht wie sonst mindestens eine Person außer mir gibt. Nur den Rückblick gibt es auf die schwere Melancholie im strahlenden Sonnenschein, der ich vorhin gerade noch mal entkommen bin. Mit der Erkenntnis, dass es nur meine Gedanken waren, die mich so tief runtergezogen haben, und dass alles, was ich mir da unten ausgemalt habe, zu bewältigen ist, selbst aus dem Sterben ließe sich noch was machen. Nur in der Melancholie lässt sich überhaupt nichts mehr machen, nur immer tiefer versinken in der Mutlosigkeit.

Damit gibt es aber immer noch keinen Gegenüber in diesem Text. Nur noch eine Meldung und eine zweite Leserreaktion. Anfrage: Was ist eigentlich mit dem Roman? – Die Anfrage kommt von der weiblichen Hauptperson der Postings, die ich unter Index Roman (71) zusammengefasst habe. Und wenn ich wüsste, weshalb sie fragt, dann gäbe es darauf viel zu antworten. So aber kann ich mir nur alles Mögliche vorstellen über den Grund ihrer Anfrage und je länger ich das getan habe, desto mehr verfiel ich in ein dumpfes Brüten. Da war ich gerade am Kleistpark. Und als ich dann die Steinmetzstraße lang in Richtung Kurfürstenstraße ging, begann das Denken, das mich runtergezogen hat in die Melancholie. Die Gedanken hatten mit der Frage nach dem Roman nur insofern zu tun, als sie von dem Brüten über dieser Frage ausgelöst worden waren. An der Ecke Potsdamer- / Kurfürstenstraße war ich so tief unten, dass ich mir überlegt  habe, ob ich weitergehen soll, um zu schauen, ob die Joseph-Roth-Kneipe schon offen hat, und da am hellen Tag um 14. 30 Uhr ein Bier zu trinken. Nachdem ich das nicht getan hatte, ging ich zurück und habe in der Akazienstraße die Augenzeugin aus der Meldung getroffen.

Meldung:  Der Mann mit dem Helm hat jetzt schon zum zweiten Mal seinen Helm nicht getragen, sondern einen grünen Hut aus Cord, eine Art salopper Jägerhut, auch wieder sehr originell und elegant. Wie eine Augenzeugin berichtet, war er gestern Abend bei einer Vernissage. Er hatte vorhergesehen, dass es voll werden würde, und sich einen Klappstuhl mitgebracht. Den hat er dann zur Erheiterung der Umstehenden aufgeklappt und sich darauf gesetzt. Warum musste er unbedingt sitzen? Ich kann mich nicht erinnern, jemals bei einer Vernissage gesessen zu haben.

Antwort auf die Frage der Leserin: Was ist eigentlich mit dem Roman? – Das  s a g e  ich Dir, wenn Du es schaffst, dass ich es Dir sagen  k a n n. Wenn ich es Dir schreiben würde, wäre die Antwort so schrecklich, dass es Dir leid täte, gefragt zu haben. Und wenn ich Dir die Antwort sage, ist sie nicht schrecklich? – Nein, weil Du dann auch was sagen kannst.   

Als Wiedergutmachung für alle, die diesen Text gelesen haben, ein Fundstück, das ich perlentaucher.de verdanke. - Shakespeare & Company: Buchhandlung von Sylvia Beach in Paris. James Joyce, Ernest Hemingway und F. Scott Fitzgerald haben sich dort in den 20er Jahren getroffen. Ich wünschte, ich wäre damals Kunde der Buchhandlung gewesen, dann hätte ich heute nicht über die Potsdamerstraße gehen müssen. 

Samstag, 22. Oktober 2011

Eröffnung



Daran geht keiner achtlos vorbei. Türk-Kültür in der Hauptstraße zur Geschäftseröffnung. Und was ist das für ein Geschäft? 


Hairstudio. Körperbehaarung wird entfernt, Kopfhaare werden geschnitten und frisiert. Und was hat es mit diesen Buketten auf sich?  


Die Bukette sind  von den Sponsoren, sagt eine Frau, die nicht zum Laden gehört, anscheinend eine Bekannte der Besitzerin, die jetzt dazu kommt und richtigstellt: Die sind für Familienangehörige und Freunde. – Wenn die nachher kommen, dann werden sie damit begrüßt, sagt der schwarz-weiß-angezogene Junge, der bestimmt der Sohn der Besitzerin ist und sehr engagiert wirkt. – Wenn die kommen zur feierlichen Eröffnung, die nachher stattfindet? – Der Junge nickt und ich will es nicht kompliziert machen. Da stehen nämlich nicht nur die Namen von Personen, da stehen auch die Namen von Institutionen oder Einrichtungen wie zum Beispiel des Deutsch-Türkischen Pflegedienstes. Ich erkläre es mir selbst: das ist bestimmt ein Geschäftspartner, von dem sie Friseur- und Enthaarungsaufträge bekommen bei Klienten des Pflegedienstes. Aber was das für eine Gruppierung aus  Dahlem ist und welcher geschäftliche Zusammenhang da besteht? Ich muss nicht alles wissen. 


Die Frauen und der Junge sind in den Laden zurück gegangen. Ich stehe am Straßenrand und passe auf, dass ich beim Fotografieren nicht von einem Auto angefahren werde. Ich kann es nicht gewesen sein. Der Wind war es. 






Nachdem der Junge die Bukette wieder aufgestellt und befestigt hat, frage ich ihn, ob ich auch so einen Flyer haben kann wie die Frau, die gerade den Laden verlassen hat. – Selbstverständlich. – Ich folge ihm und bekomme zwei Flyer, mit einer Preisliste für Friseurleistungen und einer für Haarentfernung. Die Haarentfernung ist eine  Dauerhafte Haarentfernung mit IPL 2 Technologie und wird für Frauen und Männer angeboten. Welche Haare würde ich mir gerne dauerhaft entfernen lassen? - Die Haare, die mir aus der Nase wachsen. Nachgucken auf der Liste: Nase ist nicht dabei. 



nywele
Hauptstraße 12
10827 Berlin
0177 684 54 71
030 780 970 51

Freitag, 21. Oktober 2011

8. Stock

Was macht eigentlich Oguzhan? – Arbeitet wieder regelmäßig im Tabakwarenladen in der Akazienstraße 2. Als ich vorgestern reingeschaut habe, um Hallo zu sagen, hat er sich gerade auf seinem iPhone die Hörbuchfassung von American Psycho angehört; das Buch hat er auch gelesen, die Verfilmung schon dreizehnmal gesehen. Der Film ist besser als das Buch, sagt er. Kann ich mir nicht vorstellen, aber ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass ich mich mit Oguzhan über Bret Easton Ellis unterhalten kann. Er sagt Lunar Park. Ich sage Glamorama (Models und internationaler Terrorismus) und dann sage ich noch Imperial Bedrooms. – Worum geht es da? fragt er. – Worum es bei Bret Easton Ellis immer geht. Coolness, Hip-Sein und Sex. Nur, dass das jetzt alles nicht mehr losgeht. Coolness ist fade, Hip-Sein langweilig und Sex tut nur noch weh. Als ich Sex tut nur noch weh sage, nickt er so verständnisvoll, als würde er täglich nichts anderes erleben. Aber das kann ich mir nicht vorstellen. – Vorhin kommt er aus dem Laden und wir gehen ein Stück zusammen. – Wo willst du hin? – Ein Freund von mir ist aus dem 8. Stock gefallen. Steht heute in der BZ. Ich glaube, der wollte sich umbringen. – Ach. – Aber dem war vorher nichts anzumerken. – Das ist meistens so, sage ich und vermassle den Mittelteil unseres Gesprächs mit einem Kurzreferat über Einsamkeit, die darin besteht, dass die anderen gar nicht wissen wollen, was mit einem wirklich los ist, und weil einem das klar ist, lässt man es lieber, sie es merken zu lassen. – Da hast du recht, sagt Oguzhan und ich will gerade mein Referat beenden mit dem Schlusssatz: Und das ist dann die Einsamkeit, aus der der Selbstmord kommt – da fällt Oguzhan ein, dass er auch von der Leber-Brücke aus nach Gesundbrunnen fahren kann (um den Freund in der Klinik zu besuchen, nehme ich an), statt am U-Bahnhof Eisenacherstraße einzusteigen und noch ein Stück mit mir zu gehen, mit dem Risiko, sich weitere Belehrungen anhören zu müssen. Doch vielleicht hatte er das auch von Anfang an vor, zur Leber-Brücke zu gehen, und hat einen Umweg gemacht, um mich ein Stück zu begleiten. Jedenfalls hat er es jetzt eilig. Im Weggehen dreht er sich noch einmal um und ruft mir ausgelassen zu: Am Samstag nächster Woche habe ich Geburtstag. Denk dir was aus! Ich lache. Hat er das jetzt etwa ernst gemeint, dass ich mir was ausdenken soll? 22 wird er. Sein Freund dürfte im gleichen Alter sein. Wie hat er den Sturz überlebt? Kann man sich auch bei einem Sprung aus dem 8. Stock dumm anstellen? Wie kommt Oguzhan überhaupt darauf, dass sein Freund gesprungen und nicht gefallen ist? Wenn es zweifelsfrei ein Selbstmordversuch gewesen wäre, dann hätte die BZ  nicht darüber berichtet, denn es gibt einen Schweigekodex der Presse bei Selbstmorden - wegen des Nachahmungseffekts, bei dem man sich zwar nicht vorstellen kann, dass Leute so dämlich sind, aber es ist statistisch belegt. Worauf will ich hinaus? – Alles andere, worüber ich mit Oguzhan hätte reden können, wäre interessanter gewesen als mein Referat über Einsamkeit. Und für seinen Geburtstag denke ich mir was aus.

Donnerstag, 20. Oktober 2011

Koglin 2


Junge! Kommwieder!     Öl auf Leinwand     139 x 159 cm     2009


Geboren 1974 in Rostock. DDR-Biografie und was für eine. Mit 14 DDR-Jugendmeister im Eisschnelllauf (Mehrkampf). Wäre die Geschichte anders gelaufen, hätte er die legendären kleinen blauen Pillen nicht nur gesehen, dann hätte er sie geschluckt und wäre vielleicht mehrfacher Weltmeister und Olympiasieger geworden. Aber dann haben sie seinen Vater eines frühen Morgens abgeholt und eingesperrt wegen Republikflucht. Der Vater hatte in angeheitertem Zustand vom Rübermachen in die BRD gefaselt und als Beweismittel galt eine bei der Hausdurchsuchung gefundene Kneifzange, mit der er den Stacheldraht an der Grenze hätte durchtrennen können, wenn ihn die Schäferhunde der Grenzpolizei nicht zuvor zerfleischt oder die Grenzer ihn nicht abgeknallt hätten. Gerit ist kein DDR-Nostalgiker. Nach der Verhaftung des Vaters war klar, dass er nie ins westliche Ausland würde reisen dürfen, die internationale Sportkarriere war damit geknickt und Abitur durfte er auch nicht mehr machen. Dann kam 1989, er hat das Abitur nachgemacht und angefangen sich an Kunstakademien zu bewerben. Das hat so lange nicht geklappt, dass er schon anfing Agrarwissenschaften zu studieren, aber trotzdem nicht aufgeben wollte. Weiter hat er seine Mappen eingereicht, weiter wurde er abgewiesen, bis er in einer Krisensitzung mit anderen Abgewiesenen den Namen Uliane Borchert aufgeschnappt hat. Schon nach dem zweiten Anlauf mit ihr wurde er angenommen in Weißensee, Abschluss mit Meisterschülerprüfung 2009. Da war er also schon 35. Aber dann ging es auch gleich richtig los. Mit der Ausstellung in Salzburg - bei HangART-7  - noch im gleichen Jahr und 2010 mit einer eigenen Koje, mit der ihn die Galerie Schuster bei der Art Basel Miami Beach  präsentierte. Eine Frau hat er, die er während des Studiums kennengelernt hat, Bildhauerin. Zwei Kinder: Oskar Linus und Johann Conrad. Conrad wegen Joseph Conrad; Lieblingsroman: Der Nigger von der Narcissus. Zurück zu Uliane: Sie hat ihm nicht nur beigebracht, wie man sich an der Kunsthochschule bewirbt. Sie hat etwas geweckt in ihm, den Sinn für die Feinheiten der Malerei. Schatten sind nicht schwarz. Ein Schatten hat immer eine Farbe. Sieh genau hin! Welche Farbe hat dieser Schatten? So, und das male. Feinheiten. Da oben auf dem Dachfirst, da ist nicht nur das Rotbraun der Ziegel im Kontrast zum Blau des Himmels, da ist ein feiner rosa Streifen dazwischen. Feinheiten. Die Dunkelheit in den Gemälden Rembrandts, wenn man genau hinschaut, dann sind da immer noch Farben wahrzunehmen im Dunkeln. Bei Rembrandt glüht die Dunkelheit, sagt Gerit.

falsches Pferd    Öl auf  Leinwand    159 x 139 cm     2009

Noch mal: Was passiert in Gerits Bildern? Was macht er? – Reagieren auf geschaffene Tatsachen, sagt er. Arbeiten vorwiegend mit gefundenem Bildmaterial oder mit selbst Fotografiertem. Schon auch Malen aus der Imagination: (die schwebenden Bretter in Falsches Pferd). Aber er würde nie anfangen mit etwas Imaginiertem. Am Anfang muss ein Bildelement stehen, das er gefunden hat – das es schon gibt außerhalb des Bildes, gab vor dem Bild. Das setzt er, damit fängt er an, dann beginnt er mit dem Reagieren – in großer Freiheit, aber es ist immer ein Reagieren auf Tatsachen. – Was ist das für eine Haltung, was ist das für eine Strenge? Ich komme nicht dahinter mit meinen Fragen in dem zweieinhalbstündigen Interview, das ich mit ihm mache. Dann gehe ich weg und an der nächsten Ecke weiß ich es: Realismus. Es ist eine dem Realismus verpflichtete Grundhaltung. Ein pragmatischer Realismus. Ein Realismus im Handeln. – Und wie stimmt das zusammen mit dem Surrealismus, zu dem er sich bekennt? Der ist ein Reflex. Seine Art, mit den Tatsachen umzugehen. Kein vordergründiger Surrealismus des Phantastischen, Seltsamen, Bizarren. Sein Surrealismus kommt aus der vollkommenen Freiheit des Gestaltens im Bild – es ist ein Surrealismus des Schöpferischen. Keine gemalten Träume oder so tun, als wären es gemalte Träume. Keine Scharlatanerie des Tiefgründigen und den Betrachter für dumm verkaufen wollen damit. Keine Träume, keine Emanationen des Unbewussten. Pure, ehrliche Bildlichkeit. 

Seine Bilder erzählen Geschichten. Sie haben Witz. Sie sind pointiert, geistreich. Sie haben eine Frische und eine beiläufige Eleganz. Aber all das beeindruckt mich nicht. Weshalb ich mir meine saalartigen Räume, wenn ich sie hätte, vollhängen würde mit Koglins hat einen anderen Grund. Gerits Bilder leuchten. - Vorsicht Feuilleton! - Doch dieses Leuchten ist kein Lichtereignis. Es ist ein Leuchten so wie Augen leuchten. Augen leuchten vor Freude. Es ist die Freude an der Malerei, die Gerits Bilder zum Leuchten bringt. Leuchten Augen auch im Moment höchster Lust? Es ist die pure Lust an der Malerei, die in Gerits Bildern zum Ausdruck kommt. 


Basiscamp    Öl auf Leinwand    191 x 238 cm (3-tlg.)    2010 


Gerit Koglin
GESICHTET
Malerei
Galerie subjectobject
21.10. - 12.11.2011
Mi-Fr 11 - 14 und 15.30 - 19.00 Uhr
Sa 12 - 17 Uhr
oder nach Vereinbarung
Belziger Straße 25
10823 Berlin
030 78 00 60 01
Bilder:  © Gerit Koglin 

Koglin 1

Reduktion, hat er gesagt, nachdem er sich entschieden hatte, an den Längseiten des großen Ausstellungsraumes nur jeweils ein Bild aufzuhängen: Basiscamp und Jungekommwieder. Da habe ich gedacht: Ach du liebe Zeit! Was macht er jetzt mit den anderen Bildern? Will er die jetzt alle in den kleinen Ausstellungsraum zwängen? Hoffentlich überlegt er sich das noch mal anders. Und das dürfte in etwa auch das gewesen sein, was der Galeristin durch den Kopf gegangen ist. Er hat es sich nicht anders überlegt. Am nächsten Tag hängen im vorderen Raum an den Längseiten nur die zwei Bilder und im Nebenraum ist ein solches Gedränge, dass man als Betrachter meint, mit der Nase auf die Bilder gestoßen zu werden. Er weiß, dass der Galeristin das nicht gefällt. Aber sie wollte es nun mal ihm überlassen, seine Bilder zu hängen, und er hat alle Kombinationen ausprobiert, keine hat ihn überzeugt, und deshalb hängt jetzt nur jeweils ein Bild an den Längsseiten und rechts und links ist reichlich leere Wand. – Du wolltest die beiden Arbeiten damit sicher auch herausheben. – Nein, gar nicht. Aber alles andere hat nicht funktioniert und da musste ich reagieren. – Mit einer kompromisslosen Entscheidung: Reduktion. 

Eiscreme    Mischtechnik auf Baumwolle/Transportdecke
140 x 235 cm 2tlg.   2011


Was ich mache, sind gemalte Collagen. – Das Material der Collagen sind Fundstücke. Fotos, die Gerit entdeckt in Zeitungen, Magazinen, Bildbänden, im Internet, manchmal sind es auch Fotos, die er selbst macht. Die sammelt er und wenn er eine Arbeit beginnt, dann fängt er damit an, dass er solch ein Foto mit dem Episkop auf die Leinwand projiziert und es – nicht abmalt –, sondern vielleicht nur einen Umriss nachzeichnet oder ein Detail kopiert, um so einen Ausgangspunkt zu schaffen und einen Einstieg zu bekommen in einen Malprozess und in die Bildwelt, die nun entsteht. Das meint er, wenn er sagt: Ich fange an einer Stelle an und dann bin ich nur noch am Reagieren. Heißt, dass es von nun an nur noch richtige oder falsche Antworten gibt auf die Frage: Was braucht das Bild, um ein gutes Bild zu werden? - Was das Bild braucht, ist ein Raum. Den findet er nicht in seinem Material, den projiziert er nicht, den baut er im Bild, manchmal mit ganz einfachen Mitteln; siehe die gelben Streifen in Eiscreme. Der Raum schafft eine Bühne. Die kann er jetzt bespielen mit weiteren Figurationen. Wo guckt der Spießer in seinem Schrebergarten mit den Bierflaschen in Händen hin? Wo guckt der hin? Auf einen Clown, der sich im Gras rekelt. Warum ein Clown? Weil Gerit ihn sehen will da im Gras. Weil der Clown die einzige richtige Antwort darauf ist, was dem Bild noch fehlt, um ein gutes Bild zu werden. Ich vergröbere. So einfach ist es nicht. Auch wenn Gerit selbst es so einfach erklärt. Weil er damit klarmachen will: Es geht bei mir nicht um Themen, Ideen, Visionen. Das interessiert mich nicht. Und ich denke mir auch nichts aus, ich phantasiere nicht.  I c h   m a l e. Es geht mir immer nur um das Bild. Das Bild hat bei mir immer das letzte Wort. Und was sagt, was will das Bild? – Das hatten wir schon: Das Bild will ein gutes Bild sein. – Und was ist ein gutes Bild? Das hatten wir noch nicht. – Antwort Gerit: Ich male das, was ich selbst gerne sehen würde. 


Clown  Mischtechnik auf Leinwand   109 x 108 cm  2011
Bilder: © Gerit Koglin 

Mittwoch, 19. Oktober 2011

Rote-Beete-Carpaccio

Als ich mich mit Klaus Krawat von der Galerie Gondwana verabredet habe, war mir nicht klar, dass ich diese Woche Gerit-Koglin-Woche habe und damit schon genug Kunst im Blog (morgen geht es weiter). Ich schreibe ihm, dass ich unser Treffen deshalb verschieben möchte auf den nächsten Donnerstag. Passt ihm, antwortet er und bei der Gelegenheit erinnert er mich an das Galerie-Essen am Freitagabend um 20 Uhr, zu dem er und seine Frau einladen. Teilnehmerzahl begrenzt auf 18. Jeder Gast zahlt einen (Mindest)Beitrag von 20 Euro (zwei Gläser Wein und Wasser inkl). Die Galerie-Essen finden statt zu Ehren des jeweils bei Gondwana ausstellenden Künstlers, aktuell die Künstlerin Helga Wagner. Es kocht die Frau mit dem schönen Namen Maria Genau, Partnerin und Ehefrau von Klaus Krawat. Und wie die kocht! 

Rote-Beete-Carpaccio mit Minzragout, Schafskäse und karamellisierten Walnüssen

Aufgeschlagene Weinsuppe mit Croutons

Rindermedaillons mit Schalotten-Himbeer-Confit und Polenta

Birnen-Gratin mit Amaretti und Sahne

So würde ich gerne mal wieder essen. Am meisten interessiert mich das Rote-Beete-Carpaccio. Und natürlich bin ich neugierig, wer da alles kommt und wie es zugeht bei so einem Galerie-Essen. Schöneberger Gesellschaftsleben. Allein schon schreiberisch ein Muss für mich, da hinzugehen. Doch kein Text von mir ohne Aber: ich kann keine 20 Euro ausgeben für ein solches Ereignis. Seit dieser Woche gibt es zwar einen zweiten Sponsor. Ermutigend. Es müssen jedoch noch einige Sponsoren dazu kommen, damit Geld bei mir nicht mehr so knapp ist wie zur Zeit. – Wie erkläre ich das Klaus Krawat? Gehe ich stillschweigend über die Einladung hinweg und mache nächste Woche, wenn wir uns treffen, nebenbei eine Bemerkung dazu? Dieses Mal konnte ich Ihrer Einladung nicht folgen, ein anderes Mal sehr gerne. Und nenne ich den Grund? Oder ist der Hinweis auf den Geldmangel aufdringlich? Kriegt das allmählich etwas Hausiererisches? Soll ich künftig von mir aus lieber nicht mehr darüber reden? Nur noch dann, wenn ich danach gefragt werde? Wie am Montag von Burchard: Und du hast wirklich keine Rente oder so? – Weder Rente noch oder so, habe ich geantwortet und dann hat er ungläubig auf meine dunkelbraunen City Loafer von MOMA  geguckt, worauf ich hätte sagen können, die sind aus besseren Zeiten. Statt dessen habe ich nur seinen Blick erwidert, indem ich auf seine abgewetzten Turnschuhe von adidas geguckt habe. Dass er als Sponsor nicht in Frage kommt für meinen Blog war mir nämlich auch so schon klar.

Dienstag, 18. Oktober 2011

Gerit




Papa Künstler hängt Bilder auf. Tante Galeristin hat seinen Sohn auf dem Arm. Der ist heute so in sich gekehrt und wundert sich, was der Mann mit dem Ding macht, das blitzt. Künstler: Gerit Koglin. Galeristin: Liljana Vulin-Hinrichs. Sohn: Johann Conrad, sieben Monate alt. Der Mann mit dem Ding: ich mache Fotos und ich komme mir so nutzlos vor, weil besser, ich stelle nicht so viele Fragen, und Kommentare zur Hängung der Bilder sollte ich mir gleich ganz verkneifen. Gerit ist noch in der Ausprobierphase. Einmal lehnt er das Bild Junge! Kommwieder! probehalber an die Wand gegenüber der Eingangstür. Da kann ich es mir nicht verkneifen zu sagen, dass das doch ganz sinnig wäre, wenn man das Bild, das auf dem Flyer zur Ausstellung drauf ist, als erstes sieht, wenn man die Galerie betritt. Gerit nickt und keine 30 Sekunden später nimmt er das Bild weg und trägt es in den hinteren Teil des Ausstellungsraumes. Am Donnerstag ist Vernissage. Meine Fragen kann ich ihm morgen stellen. Die mir wichtigste wurde nebenbei schon beantwortet. Gerit versteht seine Bilder so wie ich sie sehe. Er zitiert den berühmten Satz LautréamontsSchön wie das zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch. Und dann sagt er: Surrealismus ist immer noch ein Projekt. Nicht als Programm (Exploration des Unbewussten, Schock), Surrealismus als Verfahren, als Praxis, als ein Reich künstlerischer Freiheit. Meine Umschreibungen, Gerit redet nicht so. Er sagt Sätze wie: Das letzte Wort hat bei mir immer das Bild. Und: Ich fange irgendwo an und von da an bin ich nur noch am Reagieren. – Wie das gemeint ist, erklärt er mir morgen. Jetzt wird Johann unruhig: Hunger. Er bekommt einen Gemüsebrei aus dem heiß gemachten Gläschen. Liljana und ich schauen hochinteressiert zu, wie Gerit den Jungen füttert. Nein, das ist nicht das Spiel: ein Löffelchen für den Papa … - das ist nicht nötig, denn Johann kann es gar nicht schnell genug gehen mit dem nächsten Löffelchen -, es ist Vorkosten. Mir gelingt nicht ein einziges Foto von Gerit beim Vorkosten. Er ist zu schnell, ich bin zu langsam und dann ist das Gläschen leer. Wir lassen Johann ein Verdauungsnickerchen machen und Gerit ungestört sein beim Bilderaufhängen.



Liljana hat Hunger gekriegt, während sie Johannes zugeschaut hat. Gehen wir was essen. Heute keine Suppe. Heute ein Reisgericht. Und dabei Klärung der Frage: Wie kommt es, das Gerit Koglin in deiner Galerie ausstellt? Er ist doch unter Vertrag bei der großen Galerie Schuster. Sagt man: unter Vertrag? – Ja, und es ist durchaus üblich, dass Künstler, wenn sie bei einer Galerie unter Vertrag sind, auch noch in anderen Galerien ausstellen. Wobei sein Galerist mitverdient, wenn Liljana ein Bild von Gerit verkauft. Mit 10 Prozent. Was sie in Ordnung findet. Denn: Die haben ja auch in ihn investiert. Haben ihn zum Beispiel 2010 während der Art Basel Miami Beach präsentiert mit einer eigenen Ausstellung und ihn international bekannt gemacht. – Als sie letztes Jahr bei der Vernissage von Ulianes Ausstellung zu ihm sagte, er könne auch mal bei ihr ausstellen, wollte sie einen Spaß machen. Darauf hat er gesagt, dass er das sehr gerne tun würde und jetzt ist sie einfach nur glücklich, seine Bilder zeigen zu können. Egal, ob sie ein Bild verkaufen wird oder nicht, alleine schon die Ausstellung bei subjectobject zu haben, macht sie glücklich. Ich nehme ihr das nicht ganz ab, dass ihr der geschäftliche Erfolg egal ist. Aber das hat sie auch nicht gemeint. Der Verkaufserfolg hängt von so vielen Faktoren ab, auf die sie als Galeristin keinen Einfluss hat, dass sie sich davon nicht abhängig machen darf. So hat sie es gemeint. Und so: Eine Galerie, die macht man nur, wenn man ein Narr ist. Man fängt damit an, weil man sich dafür interessiert, und dann kann man nicht mehr damit aufhören, obwohl man kein Geld damit verdient.