Girasol. Spanisch für Sonnenblume. Laden in der Eisenacherstraße. Tragetücher für Mütter und Väter. Gefertigt in Guatemala; gerne auch nach vom Kunden entworfenen Mustern. Dazu Hängematten sowie südamerikanische Volkskunst. Aus aktuellem Anlass Gruselkram aus Mexiko.
Dia de los Muertos. Das Fest für die Toten ein Brauchtum der Azteken: Die Toten sind bei den Lebenden. Und ein Mal im Jahr zeigen die Lebenden den Toten, dass sie das wissen und an sie denken. Sie feiern mit den Toten auf den Friedhöfen. Essen und trinken mit ihnen. Die Toten laben sich am Aroma der Speisen und Getränke, die Lebenden vertilgen, was übrig bleibt. Fröhliches Fest. – Christianisierung. Die christlichen Priester haben das heidnische Fest verboten. Keine ausschweifenden Feiern mehr an den Gräbern. Der Tod ist jetzt eine ernste Sache. Die Toten sind nicht mehr bei den Lebenden. Sie sind im Himmel oder in der Hölle. Doch das Volk weiß es besser, wo die Toten sind, feiert weiter mit ihnen, nur nicht mehr zum Termin der Azteken, das Volk ist untergekrochen mit seinem Totenfest beim christlichen Fest Allerheiligen am 1. November, Todos los Santos. Schlaues Volk.
Hat das mexikanische Totenfest irgendeinen Bezug zu Halloween? frage ich die Frau bei Girasol, eine der drei Besitzerinnen; sie hat ein geschientes Bein und humpelt durch den Laden. – Nein, das ist ein irischer Brauch. – Ich weiß, sage ich (Und warum frage ich dann? – Um ins Gespräch zu kommen). – Die Mexikaner brauchen nicht eigens einen Tag, an dem sie die Kinder beschenken, sie sind immer gut zu ihnen. Deshalb müssen die Kinder ihnen auch nicht drohen, wenn sie etwas wollen, sagt die Frau mit dem verletzten Bein, wahrscheinlich gebrochen. Nicht drohen – damit spielt sie an auf den Spruch trick or treat. Wahrscheinlich hat die Frau nicht nur deshalb so eine hohe Meinung von den Mexikanern, weil sie diesen Latino-Folklore-Laden hat. Jedes Jahr im Januar ist sie für mehrere Wochen in Mexiko. Aber das nicht nur wegen ihrer Begeisterung für das Land, sondern weil sie dann auch Geschäftskontakte knüpft für ihren Laden. So herum also auch wieder. Begeisterung und Geschäft. Geschäft und Begeisterung. Sie zeigt mir in einem Buch Bilder vom Dia de los Muertos. Die Blume des Festes (Cempasúchil) ist gelb. Denn Gelb ist die einzige Farbe, welche die Toten erkennen können. – Verstehe. – Ich fotografiere zwei Vitrinen mit Totenfiguren.
Am abgefahrensten finde ich die Meerjungfrauen.
Die Figuren sind nicht furchterregend gemeint, oder? – Natürlich nicht. – Es ist also auch ein Spaß mit dem Tod, den die Mexikaner sich machen am Dia des los Muertos. – Warum auch nicht? Der Tod hat ja auch etwas Gutes. Viva la muerte! sagt die Frau mit dem geschienten Bein in akzentfreiem Spanisch. Und dann erzählt sie noch, dass es in Mexiko in interessierten Kreisen einmal eine Initiative für die kirchliche Anerkennung von Santa Muerte gegeben hat. Sankt Tod: Schutzpatron der Diebe, der Prostituierten, Mörder und Drogenhändler. Doch die päpstliche Kommission in Rom verweigerte die offizielle Heiligsprechung. Was die Diebe, Prostituierten, Mörder und Drogenhändler allerdings nicht davon abbringen konnte, weiter zu Santa Muerte zu beten. In einem der weniger guten Viertel von Mexico City haben sie ihm sogar eine Statue errichtet. – Und das soll ich glauben? – Denk an die Meerjungfrauen mit den Totenschädeln! – Ich glaube es. Und wenn nachher Kinder bei mir läuten, dann mache ich nicht auf, weil ich heute keine Lust habe, Haribo-Tüten zu verteilen - und weil ich das ganze Jahr gut zu Kindern bin und sie mir nicht drohen müssen, damit ich mich großzügig zeige ihnen gegenüber. Das habe ich fürs Leben gelernt bei meinem Besuch bei Girasol.
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