Dienstag, 18. Oktober 2011

Gerit




Papa Künstler hängt Bilder auf. Tante Galeristin hat seinen Sohn auf dem Arm. Der ist heute so in sich gekehrt und wundert sich, was der Mann mit dem Ding macht, das blitzt. Künstler: Gerit Koglin. Galeristin: Liljana Vulin-Hinrichs. Sohn: Johann Conrad, sieben Monate alt. Der Mann mit dem Ding: ich mache Fotos und ich komme mir so nutzlos vor, weil besser, ich stelle nicht so viele Fragen, und Kommentare zur Hängung der Bilder sollte ich mir gleich ganz verkneifen. Gerit ist noch in der Ausprobierphase. Einmal lehnt er das Bild Junge! Kommwieder! probehalber an die Wand gegenüber der Eingangstür. Da kann ich es mir nicht verkneifen zu sagen, dass das doch ganz sinnig wäre, wenn man das Bild, das auf dem Flyer zur Ausstellung drauf ist, als erstes sieht, wenn man die Galerie betritt. Gerit nickt und keine 30 Sekunden später nimmt er das Bild weg und trägt es in den hinteren Teil des Ausstellungsraumes. Am Donnerstag ist Vernissage. Meine Fragen kann ich ihm morgen stellen. Die mir wichtigste wurde nebenbei schon beantwortet. Gerit versteht seine Bilder so wie ich sie sehe. Er zitiert den berühmten Satz LautréamontsSchön wie das zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch. Und dann sagt er: Surrealismus ist immer noch ein Projekt. Nicht als Programm (Exploration des Unbewussten, Schock), Surrealismus als Verfahren, als Praxis, als ein Reich künstlerischer Freiheit. Meine Umschreibungen, Gerit redet nicht so. Er sagt Sätze wie: Das letzte Wort hat bei mir immer das Bild. Und: Ich fange irgendwo an und von da an bin ich nur noch am Reagieren. – Wie das gemeint ist, erklärt er mir morgen. Jetzt wird Johann unruhig: Hunger. Er bekommt einen Gemüsebrei aus dem heiß gemachten Gläschen. Liljana und ich schauen hochinteressiert zu, wie Gerit den Jungen füttert. Nein, das ist nicht das Spiel: ein Löffelchen für den Papa … - das ist nicht nötig, denn Johann kann es gar nicht schnell genug gehen mit dem nächsten Löffelchen -, es ist Vorkosten. Mir gelingt nicht ein einziges Foto von Gerit beim Vorkosten. Er ist zu schnell, ich bin zu langsam und dann ist das Gläschen leer. Wir lassen Johann ein Verdauungsnickerchen machen und Gerit ungestört sein beim Bilderaufhängen.



Liljana hat Hunger gekriegt, während sie Johannes zugeschaut hat. Gehen wir was essen. Heute keine Suppe. Heute ein Reisgericht. Und dabei Klärung der Frage: Wie kommt es, das Gerit Koglin in deiner Galerie ausstellt? Er ist doch unter Vertrag bei der großen Galerie Schuster. Sagt man: unter Vertrag? – Ja, und es ist durchaus üblich, dass Künstler, wenn sie bei einer Galerie unter Vertrag sind, auch noch in anderen Galerien ausstellen. Wobei sein Galerist mitverdient, wenn Liljana ein Bild von Gerit verkauft. Mit 10 Prozent. Was sie in Ordnung findet. Denn: Die haben ja auch in ihn investiert. Haben ihn zum Beispiel 2010 während der Art Basel Miami Beach präsentiert mit einer eigenen Ausstellung und ihn international bekannt gemacht. – Als sie letztes Jahr bei der Vernissage von Ulianes Ausstellung zu ihm sagte, er könne auch mal bei ihr ausstellen, wollte sie einen Spaß machen. Darauf hat er gesagt, dass er das sehr gerne tun würde und jetzt ist sie einfach nur glücklich, seine Bilder zeigen zu können. Egal, ob sie ein Bild verkaufen wird oder nicht, alleine schon die Ausstellung bei subjectobject zu haben, macht sie glücklich. Ich nehme ihr das nicht ganz ab, dass ihr der geschäftliche Erfolg egal ist. Aber das hat sie auch nicht gemeint. Der Verkaufserfolg hängt von so vielen Faktoren ab, auf die sie als Galeristin keinen Einfluss hat, dass sie sich davon nicht abhängig machen darf. So hat sie es gemeint. Und so: Eine Galerie, die macht man nur, wenn man ein Narr ist. Man fängt damit an, weil man sich dafür interessiert, und dann kann man nicht mehr damit aufhören, obwohl man kein Geld damit verdient.