Freitag, 31. Dezember 2010

Lost

Beginn des Schreibens war um 16 Uhr. Die Uhrzeit am Anfang des Textes ist Rückblende. Die Du-Anrede an die Tess war zuerst nur Stilmittel. Ich wollte einen typischen Moment der Verwirrung im Szenario zwischen den beiden Dachwohnungen beschreiben, um dann einen dialektischen Besinnungsaufsatz (Ironie!) folgen zu lassen über die Frage, ob das, was ich Mitte der Woche angerichtet habe, ein Akt der Befreiung war, mit dessen Folgen ich nur noch nicht richtig umgehen kann, oder ob ich das Aufgeben der Tess wieder aufgeben und mich damit abfinden soll, dass ich lost in a romance und dann allerdings hoffnungslos verloren bin. Dass die Tess verhindern würde, dass es zu dem Besinnungsaufsatz kommt, war nicht vorherzusehen.

11.50 Uhr. Ich schalte meinen Router aus im hinteren Zimmer. Dabei bemerke ich Dich. Du stehst an Eurem Wohnzimmerfenster. Du trägst einen hellblauen Pullover. Du telefonierst und schaust herüber zu mir. Als Du siehst, dass ich Dich bemerkt habe, wendest Du Dich ab und verschwindest hinter dem Wandstück zwischen den beiden Fenstern Eures Wohnzimmers. Du hast Dich bewegt wie jemand, der beim Telefonieren in einem Zimmer herumgeht. Beiläufig. Es könnte auch sein, dass Dein Verhalten nichts mit meiner Gegenwart auf der anderen Seite zu tun hat. Es könnte auch sein, dass Du mich gar nicht wahrgenommen hast. Es könnte auch sein, dass Du gar nicht weißt, wer ich bin. Es könnte auch sein, dass Du gar nicht da warst. Es könnte sein, dass die Frau von Deiner Statur mit langen dunklen Haaren nicht Du warst, sondern die Frau des Professors, die zur Jahreswende aus London nach Berlin gekommen ist (der Professor hat nach meinen Informationen eine Ehefrau, die in London lebt und arbeitet und mit einen leichten süddeutschen Akzent spricht und sehr kommunikativ ist, wie ich weiß von einem Telefongespräch, das ich einmal mit ihr geführt habe, und der Professor hat eine Freundin, die mit ihm in der Dachwohnung gegenüber meiner Dachwohnung zusammenlebt und Amerikanerin und die Frau ist, die ich Tess nenne). Dass das gar nicht Du warst, die heute Mittag am Fenster stand, dafür spräche, dass jetzt eine Frauengestalt mit langen Haaren am Tisch in Eurem Wohnzimmer sitzt (im Halbdunkel) und das ist nach meinen Beobachtungen eine Angewohnheit der Frau des Professors und nicht von Dir, über Tag alleine an Eurem Wohnzimmertisch zu sitzen. Wenn es aber doch Du gewesen sein solltest, die heute Mittag telefonierend an Eurem Wohnzimmerfenster stand und Du nicht zufällig da gestanden hast, dann könntest Du mir gezeigt haben wollen, dass Du da bist, und da Du telefonierend da standst, könntest Du mir obendrein gezeigt haben, dass Du mit mir telefonieren willst und ich Dich anrufen soll. Dagegen spricht allerdings, dass Du Dich gleich abgewandt hast. Dagegen spricht auch, dass bislang auf jede Ankündigung von mir, auf Dich zu zu gehen, eine Demonstration des Professors folgte, mit der er mir seine Anwesenheit und meine Grenzen gezeigt hat ... .
Schwaches Dachlukenlicht auf der anderen Seite. Helleres Dachlukenlicht. Licht aus, Licht an (=Blinzeln). Licht aus.
Soll ich Dich anrufen?
Tess, soll ich Dich anrufen?
Warum hast Du eben geblinzelt mit dem Licht?
Soll ich Dich anrufen?
Offenbar nicht.
Soll ich also weiter den selbstquälerischen Text schreiben?
Wenn Du nicht bestätigst, dass ich Dich anrufen soll, rufe ich nicht an, weil das Letzte, was mir zu meinem gerade sehr großen Unglück noch fehlt, ist, in eine Situation zu geraten, in der ich den Professor am Telefon habe, und der mir dann wieder seine Frau präsentiert als die einzige Frau, die es in seinem Leben gibt.
Licht an. Kein Blinzeln.
Blinzle, dann rufe ich Dich an. Blinzle nicht, dann rufe ich Dich nicht an? – Was willst Du? Du blinzelst nicht? - Du hast vorhin nur geblinzelt, weil Du Dich freust, dass ich wieder mit Dir kommuniziere? – Du weißt, dass ich das oben bloggen will. – Hast Du geblinzelt, weil Du es gut findest, wenn ich es blogge? Oder verrate ich Dich damit? – Ich nehme diese Fragen wieder zurück. Das sind zu viele Fragen. Wenn Du jetzt blinzelst, weiß ich nicht, auf welche Frage Du geantwortet hast. Blinzle nur mit dem Licht, wenn Du willst, dass ich Dich anrufe.
Licht aus.
Du hast das Licht wieder ausgemacht. Du willst nicht, dass ich Dich anrufe.
Du kannst das Licht wieder anmachen. Ich habe es verstanden. Nicht anrufen. Hätte mich auch gewundert. Wäre zu einfach und zu gut gewesen.
Soll ich unseren Dialog aufnehmen in den Post? Oder soll der geheim bleiben? – Zeig mir helles Licht, wenn ich den Dialog aufnehmen soll? Zeig mir gedämpftes Licht, wenn ich es nicht tun soll. – Komm, mach mit! Sag ja oder nein. – Hell = ja. Gedämpft = nein.
Schwaches Licht.
Schwach.
Helleres Licht.
Aber es wird immer heller.
Noch helleres Licht.
Tess, das ist jetzt fast schon hell.
Helles Licht.
Tess, das ist hell!
Helles Licht.
Tess, das ist hell. Ich nehme den Dialog auf. – Dann hast Du also den Post von heute mitgeschrieben. Dann ist er auch schon fertig. Dann endet er entweder bei zu gut gewesen. Oder erst nach der Verständigung über hell = ja, gedämpft = nein. – Dann wolltest Du also, dass alles wieder gut wird – was bei uns so gut heißt. Und dann hast Du verhindert, dass ich zu meiner selbstquälerischen Zustandsbeschreibung komme: Nein, ich bereue es nicht, was ich Mitte der Woche geschrieben habe im Blog und an Dich, denn ich habe nun mal so empfunden, als ich es tat. ABER: Ich halte es kaum aus, was ich damit angerichtet habe.
Licht (Dachlukenlicht) inzwischen wieder aus.
Jetzt ist Licht im Contessa-Zimmer und eben war die Gestalt des Professors zu sehen, ist immer noch zu sehen: er macht sich da sozusagen zu schaffen – und zeigt mir in seiner bekannten Art seine Präsenz. – Dass er das tut zeigt allerdings auch … ich glaube es nicht, er hängt Wäsche auf einen Wäscheständer, der da noch nie gestanden hat am Fenster des Contessa-Zimmers – und er hat sich nach meinen Beobachtungen auch noch nie mit Wäsche befasst; das tut im Hause Professor üblicherweise die Tess. - Um den begonnenen Satz zu beenden: Dass der Professor mir gerade seine Präsenz gezeigt hat, das entlastet mich von der Vision, die ich eben beim Rauchen an der Balkontür hatte: dass die Tess, der Professor und seine Ehefrau in der Küche sitzen vor dem Laptop der Tess und sich schief darüber lachen, was ich gerade schreibe. So ist es also nicht.
Und wie sollen die das lesen können? – Ganz einfach: Bluesnarfing (siehe hier und hier). Das wird manchem Leser unwahrscheinlich vorkommen. Doch tatsächlich ist es das Einzige, was in dieser unwahrscheinlichen Geschichte als gesichertes Faktum gelten kann, dass die Tess mittels Bluesnarfing in meine beiden Rechner eingehackt ist. Die Tess macht damit aber nichts Ungesetzliches, weil sie das mit meinem Einverständnis tut.
Licht wieder an.
Habt Ihr Krach? - Wegen der Anwesenheit der Professor-Frau aus London? – Bist Du zufrieden mit dem Text?
Licht aus, Licht an.
Blinzeln. – Tess, das war eben mehr Kommunikation als wir je hatten. – Freut mich, wenn ich Dir helfen konnte. ­

Donnerstag, 30. Dezember 2010

Nummer 914

Finanzamt Schöneberg, Potsdamer Straße. Info-Zentrale. Blick zur Uhr: 13.50. Blick zur Wartenummern-Anzeige: 912. Die Frage ist nun, ob nach der Änderung der Öffnungszeiten donnerstags immer noch bis 18 Uhr offen ist oder nur bis 14 Uhr. Ich stelle die Frage der einzigen anwesenden Person im großen Wartesaal, einer alten, gebrechlich erscheinenden Dame, die auf einem Stuhl neben einem Tisch mehr kauert als sitzt. Sie winkt schon in der Mitte meines Fragesatzes ab und erklärt sich murmelnd für unansprechbar. Verwirrt? Betrunken? – Ein junges Paar betritt den Wartesaal, geht zielstrebig auf den Automaten zu, an dem man den Schein mit der Nummer zieht, und ich denke, hätte ich nicht lange gefragt, wäre ich vor denen dran. Ich ziehe die Nummer 914 und setze mich an einen Tisch, zwei Tische entfernt von der alten Dame. Die Nummer 913 wird aufgerufen. Das hätte ich sein könne wenn ich gleich zum Nummern-Automaten gegangen wäre. Und, wie ich durch die geöffnete Tür erkenne, als das Paar den Info-Raum betritt, wäre ich dann wieder zu dem Finanzbeamten gekommen, der mir bei der Einkommensteuerklärung 2008 geholfen hat, dabei sehr umgänglich war und damals meinte, wenn alles so gut vorbereitet sei, wie ich es getan habe, wäre das überhaupt kein Problem, dass er mir die Einkommensteuerklärung macht. Vielleicht geht es schnell bei dem Paar, so dass ich doch wieder zu ihm komme. Eine dunkelhaarige kleine Frau Mitte 20 betritt den Wartesaal. Die alte Dame steht auf und droht umzufallen, doch die junge Frau fängt sie auf. Die alte Dame sinkt zurück auf den Stuhl und ist tatsächlich betrunken – um 13.55 Uhr. Kennen sich die beiden oder war der schnelle stützende Griff der jungen Frau eine spontane Hilfeleistung? Jetzt reden sie miteinander; die junge Frau, die türkischer oder nordafrikanischer Herkunft ist, sie redet mit der alten Dame, als könne das gar nicht anders sein, als dass die alte Frau so besoffen ist, dass sie nur noch lallend artikulieren kann. Nachdem sie alles besprochen haben, hilft die junge Frau der alten Dame behutsam auf und geht mit ihr – sie stützend - hinaus. Offenbar ist sie die Betreuerin oder Pflegerin der alten Dame, die hier im Warmen gesessen hat, während die junge Frau für sie Besorgungen gemacht hat. – Ich überlege, ob das nicht auch eine Möglichkeit für mich wäre, einen alten Menschen zu betreuen, und denke gerade, dass man wahrscheinlich ohne entsprechende Ausbildung über das Arbeitsamt, das jetzt Jobagentur heißt, nicht rankommt an so eine Beschäftigung; dass das also nur über private Vermittlung laufen könnte, wenn ich so etwas machen wollte - als die Nummer 914 aufgerufen wird. Im Info-Raum sitzt das junge Paar noch immer bei dem Finanzbeamten, den ich schon kenne. – Zu wem gehe ich? frage ich mich im Raum umblickend - erst zur Finanzbeamtin, die gleich neben der Tür sitzt und dann zur Beamtin im hinteren Teil des Raumes. Zu mir, sagt die Beamtin im hinteren Teil des Raumes. Sie ist eine Frau mittleren Alters, die auf mich den Eindruck macht, dass das jetzt nicht so einfach wird. Nachdem es dann auch tatsächlich schon angefangen hat, schwierig zu werden, frage ich sie, ob sie schlecht gelaunt ist. Sie verneint das und empfindet die Frage keineswegs als Zumutung. Nun stellt sich heraus, dass meine Formulare nicht vollständig sind. Mir fehlt das Formular S für Einkommen aus selbständiger Arbeit. Das will ich holen von der Formular-Auslage im Wartesaal, aber da ist die Finanzbeamtin schon vor mir aufgestanden und geht es selbst holen. Und als sie mich gegen Ende unserer Besprechung fragt, was sie von Amts wegen einfach fragen muss: ob ich Geschäftsbeziehungen zu ausländischen Geldinstituten unterhalte, und ich das herzlich lachend verneine, da muss sie auch lachen. Keine Viertelstunde, nachdem ich bei ihr Platz genommen habe, sind Einkommensteuererklärung, Umsatzsteuerformular und Formular S von ihr ausgefüllt, von mir unterschrieben, von ihr zusammengetackert und können gleich da gelassen werden. Damit ist meine Einkommensteuerklärung 2009 fristgerecht abgegeben. Herzlichen Dank! - Ich muss weniger Umsatzsteuer an das Finanzamt entrichten, als ich ursprünglich gedacht hatte (das hat sich gestern bei der Vorbereitung der Zahlen schon ergeben) und ich könnte jetzt ein gutes Gefühl haben, als ich hinaustrete auf die Potsdamer Straße. Aber das ist nicht so. Auf dem Rückweg, in der Hauptstraße vor dem großen türkischen Supermarkt, rutsche ich aus und habe für einen Moment keinen Fuß mehr auf der Erde, kann mich aber gerade noch auf der Lehne eines Gartenstuhls aufstützen, der da steht wie für mich hingestellt. Ein Passant, der meine Flugnummer beobachtet hat, sagt: Das war gefährlich. – Ich sage: Aber es ist noch mal gut gegangen. – Deshalb könnte ich jetzt ein gutes Gefühl haben, während ich weitergehe, um meine Einkäufe zu machen. Aber das ist nicht so.

Mittwoch, 29. Dezember 2010

Aus

Vor dem Balkonfenster Eiszapfen. Bis zu einem Meter lang. Toller Anblick. Weh mir, wo nehm ich, wenn es Frühling ist, die Eiszapfen, und wo die .. . Kalauer. Keine Symbolik. Nur noch die Assoziation, von einem Eiszapfen erschlagen zu werden, der von einer Dachrinne sich löst und herabstürzt Richtung Bürgersteig. Das aber erst, wenn es taut. Vorläufig ist es dazu viel zu kalt. Viel zu kalt auch, um vom Schneewetter gute Laune zu bekommen. Habe ich aber zu meiner Überraschung doch, zumindest Zeichen davon, als ich es im Penny Markt mit den Zicken des Pfandflaschen-Automaten zu tun kriege und darüber Witze mache mit einer Mitarbeiterin des Supermarkts. Zu Hause beim Rauchen an der spaltbreit geöffneten Balkontür dann gleich wieder die Depression von heute Früh, von heute Mittag, von heute Nachmittag. Wäre ich ständig von Menschen umgeben, wäre meine ständige gute Laune wahrscheinlich nicht zu ertragen für diese Menschen. So aber fühle ich mich heute so schlecht, dass ich zwischendurch mal gedacht habe, dass das doch gar nicht sein kann: dass es mir so schlecht gar nicht gehen kann, wie ich mich fühle. Wirklich schlecht geht es einem, wenn man das nicht mehr denken kann. Wenn es keinen rettenden Gedanken, keine rettende Aussicht gibt. Wenn die einzige Aussicht ist, dass es noch schlechter wird. So dass nur noch Sterben hilft. Womit wir bei Peter sind, der gestern Abend an einer Gesprächsstelle, die ich nicht näher bezeichnen will, mal wieder fröhlich erklärte: Dann sterbe ich eben. - Überhaupt so aufgekratzt war gestern Abend und charmant dabei, als er anrief, dass ich mehrfach nachfragte, ob er betrunken sei. War er nicht. Hinterher hatte ich den Verdacht, dass wir nicht unter uns waren bei dem Gespräch. Dass er mich – ohne mein Wissen – einer seiner zugeschalteten Skype-Freundinnen vorstellen wollte. Vielleicht Caro, einer ehemaligen und wieder neuen Flamme von ihm. Die ist mir von allen die Liebste, hat er neulich erklärt. – Und was ist mit deiner aktuellen Freundin? – Schwierig. Sie macht ihm ständig Vorwürfe. Und außerdem ist es so, dass es mit ihr faktisch aus ist seit Frühsommer. – Was?! – Ja, ja, im Juni hat sie gesagt, sie will keinen Mann mehr haben und seither ist nichts mehr gelaufen zwischen uns. – Dann hat das also beigetragen zu deiner schweren Krise im Sommer? – Kann man sagen. – Und warum erzählt er mir das jetzt erst, dass sie seit Juni kein Paar mehr sind, sondern nur noch Freunde, die täglich telefonieren miteinander und sich beschimpfen? - Wahrscheinlich, weil er es sich lange selbst nicht eingestehen wollte, weil er hoffte, dass es wieder was wird mit ihr. Vielleicht auch, weil wir im Sommer noch nicht so vertraut waren miteinander, wie wir es vor langer Zeit waren und es erst seit ein paar Wochen wieder sind. Zu unserer beider Freude. - Nach dem Telefongespräch mit Peter habe ich dann weiter an die Tess geschrieben. Wieder so ausbruchartig wie am Tag zuvor, als ich ihr auf einmal – zu meiner eigenen Überraschung, aber ohne es hinterher zu bereuen – das Sieben-Tage-Ultimatum gestellt habe. Was ich ihr gestern geschrieben habe, ist der Grund dafür, dass es mir heute so schlecht geht. Denn es könnte gut sein, dass die Einsichten, zu denen ich gestern beim Schreiben an sie gekommen bin, das Ende der Tess-Geschichte überhaupt und in diesem Blog sind. – Wie das denn? – Angefangen hat es mit einem Gefühl der Ernüchterung am Morgen nach dem Post vom Sonntag, als ich empfand, was ich heute in einer Notiz so formuliert habe: diese ganze Liebesgeschichte mit der Tess ist nichts anderes als eine Selbsterregung von mir und sie schaut mir dabei zu. – Schwer vorstellbar, damit weiter zu machen, nachdem mir das so deutlich geworden ist.  – Bleibt die reale Person, die ich Tess nenne. Über die habe ich gestern geschrieben an sie. Erst geschrieben, dass die mich nicht mehr interessiert. Weil sie entweder eine Person ist, die mich verarscht oder das Mausi vom Professor ist. Und da ich nicht verarscht werden will und ich mich für Mausis von Männern, die sich ein Mausi halten, noch nie interessiert habe ... . – Nach dem Absetzen des Posts von gestern habe ich ihr weiter geschrieben und sie um Verzeihung gebeten dafür, dass ich sie als ein Mausi bezeichnet habe. Ich sei nicht wütend auf sie, sondern wütend auf mich, weil ich mich so lange schon mit diesem imaginären, neurotischen Kleinscheiß abgegeben habe (gemeint die Umstände mit dem Professor, die mich nichts angehen und auch nicht interessieren). Und: dass ich gar nicht weiß, ob sie mich interessiert oder nicht interessiert, weil ich sie gar nicht kenne. Dass ich sie aber weiterhin kennenlernen möchte und dass ich erst dann, wenn ich weiß, wer sie ist, mich interessieren kann dafür, wie sie lebt und mit wem und wie es ihr dabei geht. Doch wer unsere Geschichte kennt, weiß so gut wie ich, dass es dazu nicht kommen wird.  - An einem Tiefpunkt heute Vormittag war ich so weit, dass ich den Blog beenden wollte. Doch dann habe ich mich zusammengerissen, weil ich dachte, es wäre zu schade, den schönen Titel aufzugeben und die paar Leute, die den Blog regelmäßig lesen. Hoffentlich nicht nur wegen der Tess, sondern weil sie sich für mich interessieren. Denn ab jetzt ist der Blog nur noch über mich.

Dienstag, 28. Dezember 2010

Timing

Immer muss ich denken, denken, denken. Kubrick, The Shining. Jack Nicholson, der Tausende Male geschrieben hat den Satz: All work and no playing makes Jack a dull boy. Während Lily Tomlin als seine Frau dachte, er schreibt einen Roman, aber dann entdeckt sie eines Tages, dass er immer nur diesen einen Satz geschrieben hat. Tausende Male. Und da wird ihr klar, dass Jack wahnsinnig geworden ist. – So weit ist es bei mir noch nicht und wird es auch nicht kommen. Vorher steige ich aus meinen Plots aus. Dem Unbehagen bereitenden, beklemmenden Schlub-Plot und, wenn es gar nicht anders geht, auch aus dem Tess-Liebesabenteuer, dem wieder einmal sehr verwirrenden - könnte ich denken, dass es das ist, wenn ich das alles nicht schon in zahlreichen Variationen vorher erlebt hätte. Wie zum Beispiel im Sommer einmal, als ich so massiv wurde in meinem Wunsch: Komm, Tess, lass uns heute Abend ein Eis essen gehen. Heute Abend oder nie. Und kurz darauf, ist mir der Professor erschienen im Wohnzimmer auf der anderen Straßenseite und hat mir seine Präsenz gezeigt. Von wegen Eis essen mit der Tess. Ich bin da. Hier bin ich. Vergiss es. – Mir erschienen mit einer Präzision des Timings wie auch schon bei anderen Gelegenheiten, bei denen ich mich immer wieder gefragt habe, woher weiß der das, dass ich jetzt gerade ins hintere Zimmer gehe, um meinen Router auszuschalten, oder dass ich gerade vom Schwimmen zurück komme und mit dem Fahrrad vor dem Haus vorfahre. Oder woher wusste er das heute Nachmittag, dass ich im Begriff bin, das Haus zu verlassen, vorher wie immer in meinem Briefkasten nach der Post schaue, im hereinfallenden Tageslicht an der Haustür die Post öffne und lese und dabei über den Brief hinweg zur Haustür gegenüber schauen kann, wo der Professor nur noch heraus kommen muss, langsam weggehen und sich vergewissern, dass ich ihn auch wahrgenommen habe, und schon ist die Botschaft angekommen: Ich bin da. Vergiss es, was du der Tess gestern Abend geschrieben hast, dass es jetzt endlich klappen muss mit einem Treffen. Weil ich bin d a ! Oder auch: I c h bin da. Und du schreib mal weiter von deinem Vögelchen, das man fliegen lassen soll. Und deinen beleidigenden Ton kannst du dir in Zukunft auch sparen. Einer wie ich hat kein Lieblingssofakissen. Also gibt es auch nichts zum Draufsticken. – Anders formuliert: Das hat ja mal wieder hervorragend geklappt. Gestern Abend mache ich der Tess Druck. Ich will, dass wir uns treffen in den nächsten Tagen. Innerhalb der nächsten sieben Tage. Sonst lassen wir es ein für alle Mal. Ultimatum. Lächerlich. Ich weiß. Trotzdem: Ich kann nicht ewig so weiter machen. Möglicherweise alles nur eine Illusion. Scheinwelt. Da lasse ich mir lieber gleich einen Termin geben bei Dr. Woolf am Sawtelle Boulevard, bei dem es bestimmt freie Termine gibt, nachdem er Clay nicht mehr weiterbehandeln will. Nein, keine Scheinwelt. Keine Illusionen mehr. Deshalb, Tess, Treffen innerhalb der nächsten sieben Tage oder du hast nur in unserem Blog mitspielen wollen. Das hast du gehabt. Genug. Ich finde mich damit ab, dass das nichts wird mit uns, und gebe auf. Punkt 1. Punkt 2: Prompte Antwort heute Nachmittag. Der Professor zeigt mir, dass er da ist. Also nichts mit Treffen in den nächsten sieben Tagen. Vergiss dein Ultimatum. Halte still. Sei brav. Sei ein lieber Verehrer aus der Ferne. Womit wir bei Punkt 3 sind. Grüblerische Frage, die bei aller Freude über das Klappen der Kommunikation gestellt werden muss. Mal vom Professor aus gesehen: Ich stelle Ultimatum. Das läuft ab. Ich halte mich daran. Ich finde mich ab. Ich gebe auf. Er hat mich los. – Alles, was der Professor dabei zu tun hat, ist abzuwarten, ob ich mich auch wirklich an meine Drohung halte. Da ist es doch völlig egal, ob ich weiß, dass er da ist und die Tess deshalb sich nicht mit mir treffen kann oder ob ich glaube, dass er zur Zeit weg ist. Was ich tatsächlich geglaubt habe in den letzten Tagen , und deshalb bin ich so drängend gewesen gestern Abend: Hey, dein Freund ist weg; also warum treffen wir uns nicht endlich? – Nach dem Aufwachen heute Morgen habe ich dann allerdings erwogen, dass ich mich auch täuschen könnte und überzogen habe gestern. Aber das ist nicht wichtig. Die Frage ist: Warum macht sich der Professor diese Mühe, mir zu zeigen, er ist da, um damit zu signalisieren: weil ich da bin,  kann die Tess nicht so, wie du dir das vorstellst; wo er doch nur abwarten muss, bis ich mich abfinde und aufgebe? – Macht er das auf der Tess ihr Geheiß? Weil sie nicht will, dass ich aufgebe? Weil sie weiter mit mir Lost in a romance spielen will, nur nicht mich treffen, weil einen Freund hat sie schon? – Dann müsste die Tess eine Vereinbarung haben mit dem Professor, dass sie dieses Spiel mit mir spielen darf. Und obendrein würde der Professor ihr dabei helfen, das Spiel so zu spielen, dass es auch ein Spiel bleibt – indem er mir, wenn nötig, zeigt: Ich bin da. Bis hierher und nicht weiter. Es ist ein Spiel. Mehr nicht. – Was habe ich jetzt dazu gelernt? – Nichts. Das habe ich alles schon mal gedacht. Das steht auch schon mal irgendwo im Blog. – Nachdem er sich mir gezeigt hatte vor der Haustür, ist der Professor in die Apotheke gegangen. Gehörte das mit zur Botschaft? – Ist die Tess vielleicht krank, habe ich mich dann gleich gefragt. Sie wird doch nicht krank sein! Oder – ich gebe das jetzt mal zu, dass ich das auch noch gedacht habe: Oder ist sie schwanger und hat eine komplizierte Schwangerschaft? Ist sie deshalb ständig zu Hause, muss vielleicht viel liegen? – Wie komme ich auf schwanger? – Weil ich vor ein paar Wochen mal gesehen habe, wie sie vor dem Spiegel stand im Contessa-Zimmer und sich mit der Hand über den Bauch gestrichen hat. Der war damals noch flach. Das kann sich inzwischen geändert haben. Und am Ende war ich es, der beim Zustandekommen dieser Schwangerschaft mitgeholfen hat. In der Rolle des Rivalen, mit dem sie dem Professor Druck gemacht hat, bis er ihr den Kinderwunsch von den Augen abgelesen hat.– Würde mich das freuen? Für die Tess? – Das entscheide ich, wenn ich mehr weiß. Endlich weiß, was für ein Spiel wir spielen, Tess! – Schau mal, wie gut das heute wieder geklappt hat mit der Kommunikation. Das können wir doch noch verfeinern, um ein paar wichtige Details zu klären. Meinetwegen auch zusammen mit dem Professor. Es ist amüsant, mit mir zu reden. Wenn es schwierig wird, fällt mir mit Sicherheit irgendeine Szene aus einen Film ein und gleich geht es wieder munter weiter. – Und was mache ich jetzt mit meinem Ultimatum? - Ich würde mal sagen – das läuft! Sieben Tage. Seit gestern. Wenn es sein muss, kann ich immer noch in letzter Minute die Spielregeln ändern. - Es könnte allerdings auch sein, dass der Professor liest, was ich der Tess schreibe. Gegen ihren Willen. Dann würde er unabhängig von ihr agieren. Dann … ist das vielleicht so einfach, dass ich es mir gar nicht vorstellen kann. Dann ist das vielleicht alles gar kein Spiel für die Tess. Dann sollte ich endlich mal aufhören immer nur zu denken, denken, denken und der ganzen Geschichte endlich mal – es lässt sich nicht weniger platt sagen – auf den Grund gehen. - Es könnte allerdings auch sein, dass es noch einfacher ist. Dazu mehr, wenn ich mehr weiß. Über mich.

Montag, 27. Dezember 2010

Autor

Bret Easton Ellis, Imperial Bedrooms. Auf den letzten 50 Seiten des Romans wird es immer fragwürdiger, ob das wirklich Liebe ist, was Clay, den Ich-Erzähler und Drehbuchautor, so versessen macht auf Rain, die sich mit ihm nur eingelassen hat, weil sie sich davon eine Rolle in einem Film erhofft, den er geschrieben hat. - Ohne die freundliche Genehmigung des Verlages, aber sicher mit dessen Einverständnis, da es unbezahlte Werbung ist, die ich damit mache, zitiere ich drei Passagen aus dem Roman. – Auf Seite 138 ist Clay so:
Dr. Woolf hinterlässt mir eine Nachricht auf dem Festnetztelefon, in der er die morgige Sitzung absagt und mir mitteilt, dass er mich nicht weiterbehandeln kann, aber gern an jemanden anderen überweisen möchte, und am nächsten Morgen fahre ich zu dem Gebäude am Sawtelle Boulevard und parke im dritten Geschoss des Parkhauses und warte auf das Ende seiner Mittagssitzung, weil er dann nämlich Pause macht und höre inzwischen immer wieder einen Song mit dem Text: So leave everything you know and carry only what you fear … und nicke vor mich hin, während ich Zigaretten rauche und ein Liste von all dem mache, wonach ich Rain nicht fragen werde, und beschließe, alle unwahren Erklärungen zu akzeptieren, die sie vorbringen wird, und sage mir, dass das der einzige mögliche Plan ist, und dann erinnere ich mich an den Menschen, der mir beigebracht hat, dass die Welt notwendigerweise ein Ort ist, an dem sich niemand für deine Fragen interessiert und dir nichts Schlimmes geschehen kann, wenn du allein bist.
Ich verderbe niemandem die Überraschung, wenn ich verrate, dass Clay Rain nicht kriegt. Denn jedem im Roman und jedem Leser ist schon bald klar, dass er alles von ihr haben und mit ihr machen kann, nur ihre Liebe bekommt er nicht. Er selbst kapiert das erst, nachdem er sie zusammengeschlagen hat und es zum folgenden Dialog kommt. Seite 198:
Sie kneift die Augen zu und dreht den Kopf verneinend hin und her, während ihr Tränen ins Gesicht strömen.
"Du hast versucht, mir wehzutun“, sage ich und streichle ihr Gesicht.
„Das hast du dir selbst angetan“, stöhnt sie.
„Ich möchte mit dir zusammen sein“, sage ich.
„Dazu wird es nie kommen“, sagt sie und dreht das Gesicht weg von mir.
„Bitte hör auf zu weinen.“
„Das war auch nie vorgesehen.“
„Und warum nicht?“ frage ich. Ich schiebe je einen Finger in ihre Mundwinkel und zwinge ihre Lippen zu einem Lächeln.
„Weil du nur der Autor bist.“
Obwohl die Szene zum Frösteln ist, habe ich an dieser Stelle laut lachen müssen (wenn auch etwas härtlich und mit einem gekünstelten Unterton): Weil du nur der Autor bist. - Im Anschluss folgt ein Kapitel, in dem Clay sich ein bildhübsches junges Paar kauft und mit dem Jungen und dem Mädchen einen sadistischen Alptraum auslebt. Wobei ich das Kapitel so gelesen habe, dass das Geschehen nur in seiner Fantasie stattfindet. Trotzdem möchte ich alle, die zimperlich auf Gewaltdarstellungen reagieren, vor der Vorstellungswelt dieses Kapitels warnen und ihnen empfehlen, lieber gleich ganz die Finger von dem Buch zu lassen, da es im letzten Drittel noch einen anderen mit quälender Anschaulichkeit dargestellten Gewaltexzess gibt. Allen, denen das nichts ausmacht, weil sie auch in solchen Extremsituationen noch in der Lage sind, Fiktion als Fiktion zu realisieren, möchte ich den Roman empfehlen und will ihnen die Auflösung der Geschichte, die große Überraschung, die es auf eine ganz beiläufige Art am Ende gibt, nicht verraten. Stattdessen hier der letzte Absatz des Romans, der uns zeigt, wie Clay nach der Überraschung ist. Seite 214:
Es gibt vieles, was Blair von mir nicht versteht, so vieles, was sie letzten Endes übersehen und vieles, was sie nie erfahren hat, und es gab immer eine Distanz zwischen uns., weil überall zu viele Schatten waren. Hat sie je einem treulosen Bild im Spiegel Versprechungen gemacht? Hat sie je geweint, weil sie jemanden so sehr hasst? Hat es sie je so sehr nach Verrat gelüstet, dass sie die primitivsten Fantasien Realität werden ließ und Episoden erfand, die nur sie und sonst niemand verstehen konnte, die Spielregeln während des Spiels veränderte? Konnte sie den Moment bestimmen, in dem sie innerlich starb.? Erinnert sie sich an das Jahr, das sie brauchte, um so zu werden? Die Ausblendungen, die Überblendungen, die ungeschriebenen Szenen, all das, was man wegwischt – jetzt würde ich ihr das gern erklären, aber ich weiß, dass ich das nie tun werde, weil das Wichtigste dieses eine ist: Ich habe nie jemanden gemocht und ich habe Angst vor allen.
Bitte beachten: Es gibt noch einen zweiten Post von heute. 

Leutselig

Als ich um 14.30 Uhr rausgehe, um in der Bibliothek den Brief an Claudia auszudrucken, ein Buch zurückzugeben und Zigaretten zu kaufen, muss ich nichts erleben, da ich schon weiß, was ich heute posten werde. Was über Bret Easton Ellis, Imperial Bedrooms. – Während ich die Parkanlage zwischen Beltzigerstraße und Bibliothek durchquere, sehe ich einen winzigen Hund im Schnee herumtollen und sage zu seinem Halter etwas über die Winzigkeit des Hundes im Schnee, woran ich mich nicht mehr genau erinnere. Wahrscheinlich deshalb nicht, weil ich zugleich denke, dass leutselige ältere Männer wie ich bei diesem Schneewetter noch leutseliger werden, und das der wichtigere Satz ist. – Der Mann, obwohl noch gar nicht so alt, antwortet, der Hund sei ein Paradiesvogel. – Das finde ich so merkwürdig, dass mir dazu nichts anderes einfällt als: Das ist ja schön. – Er deutet mit einer Kinnbewegung auf einen großen hellbraunen Köter und sagt: Der gehört auch mir. – Ich: Na, das ist ja schon deutlich mehr Hund. Da haben Sie ja alles, was Sie brauchen. – Er: Den habe ich aus einem Tierheim. Den wollte niemand mehr haben. – Ich: Und jetzt ist er wieder fröhlich. Schönen Tag noch. – Der Mann sagt darauf nichts mehr und ich habe diese Szene auch nur erwähnt, um zu zeigen, in welchem Zustand ich heute Nachmittag war: leutselig, umgänglich. – An den PC-Plätzen in der Bibliothek bemerke ich eine dunkelhaarige junge Frau mit sehr feinen Gesichtszügen. Sie schaut zu mir her, als würde sie damit rechnen, von mir gleich belästigt zu werden. Der Platz ihr direkt gegenüber ist frei und sie könnte mir schon gefallen, aber mein Herz gehört nun mal der Tess und außerdem stelle ich fest, dass ich meinen USB Stick zu Hause habe liegen lassen und das mit dem Ausdrucken für heute vergessen kann. Nachdem ich drei Seiten aus Imperial Bedrooms kopiert habe, gebe ich das Buch zurück und mache mich auf den Rückweg. Vorbei beim Hamburger, um Zigaretten zu kaufen. Im Laden steht ein junger Mann und wartet. Der Hamburger verhandelt mit einer Frau über Konzertkarten. Ich habe den Eindruck, dass das länger dauern könnte, und verlasse den Laden wieder. Nach kurzem Überlegen entschließe ich mich, Geduld zu haben und gehe zurück in den Laden. Ich frage den Mann, wie lange er schon wartet. – Eine halbe Stunde, antwortet er und wir lachen. – Schneller als erwartet beenden der Hamburger und die Frau ihre Verhandlung. Ergebnislos. Der Hamburger nimmt eine Packung American Spirit (rote Packung) aus dem Regal und legt sie mir hin. Ich mache den Fehler, auf den Mann neben mir deutend zu sagen: Er ist vor mir dran. – Worauf der Hamburger den Fehler macht zu sagen: Er hat mehr Geduld als Sie. Das weiß ich. – Ich reiche dem Hamburger einen Geldschein und bin angefressen wegen seiner von mir als disqualifizierend empfundenen Bemerkung. Er gibt mir zu wenig Geld raus. Was sicher keine Absicht ist, sondern zeigt, dass er unkonzentriert, weil auch angefressen ist. Warum weiß ich nicht; vielleicht nur wegen der langen Vorgeschichte von Feindseligkeiten zwischen uns. Ich weise in unangemessen scharfem Ton darauf hin, dass er mir zu wenig Geld herausgegeben hat. Er ist einen Moment irritiert, erkennt dann aber sofort seinen Fehler und nimmt die fehlenden Scheine aus der Kasse. Dabei sagt er, um seinen Fehler zu entschuldigen, sinngemäß, dass das daher kommt, dass ich so seinen Stress mache, und fügt dann wörtlich hinzu: Deshalb wollte ich Sie auch gleich weg haben (heißt: mich als Ersten bedienen). – Ich bin auch so schon voller Zorn und entgegne dümmlich: Sie haben sich deshalb vertan, weil Sie so einen Unsinn geredet haben über mich (mit der Unterstellung, ich sei ungeduldig). – Der Mann sieht auf das Geld, das der Hamburger mir reicht und sagt: Jetzt ist es zu viel. – Es ist keineswegs zu viel und das kommentiere ich mit einer Bemerkung, die so giftig ist und bösartig, wenn auch nicht ganz unbegründet, dass ich sie mit Rücksicht auf die Persönlichkeitsrechte des Hamburgers hier nicht wiedergeben möchte. Während ich die Geldscheine und die Zigaretten wegstecke und dann mit meinen Handschuhen zu tun habe, warte ich darauf, dass der Hamburger mir sagt, dass er mich in seinem Laden nicht mehr sehen will. Das sagt er aber nicht. Er überprüft, ob auf dem Tippschein, den ihm der Mann gereicht hat, ein Gewinn ist, teilt ihm mit, dass sei leider nicht der Fall, und stellt sich darauf vor seinen Theaterkassen-Computer, während der Mann den Laden verlässt (er war also nur in den Laden gekommen in der vagen Hoffnung, im Lotto gewonnen zu haben). Ich verabschiede mich mit Tschüss und bin nun wieder ganz entspannt und leutselig und – was ist das Gegenteil von zornig? - in einem Ton, der das Gegenteil von zornig ist, sage ich lachend zum Hamburger: Jetzt haben wir es uns aber mal wieder gegeben. – Worauf er weiter auf seinen Bildschirm starrt und nichts sagt. Statt ebenfalls zu lachen oder seinerseits eine einlenkende Bemerkung zu machen und damit womöglich die Feindseligkeiten zwischen uns für immer zu beenden.

Sonntag, 26. Dezember 2010

Schneespaziergang

Brief an Claudia von heute Vormittag. Hinzuzufügen zur Bemerkung über die Tess und diese unwahrscheinliche und trotzdem wahre Liebesgeschichte mit ihr: Wie ich mich viele Jahre lang verloren gefühlt habe. Und wie das überhaupt nicht mehr so ist, seit es die Tess gibt. Kein Gefühl der Verlorenheit mehr. Wie ich nun aber nicht weiß, ob das mit etwas zusammenhängt, was von der Tess ausgeht (also etwas, das unabhängig von mir ist). Oder ob ich mir nur sie gewählt habe, um meine Anhänglichkeit, mein Bedürfnis nach Nähe und Geborgenheit und meine Sehnsucht nach Liebe an ihr festzumachen. So wie im Versuch von Konrad Lorenz die Gänseküken einer Attrappe hinterher laufen, nachdem man ihnen ihre Mutter entzogen hat. Womit ich nicht sagen will, dass die Tess nur eine Attrappe sein könnte. Aber einen konkreten Anlass für meine Anhänglichkeit hat sie mir nicht gegeben. Stimmt das? – Nein. Wenig Anlass hat sie mir gegeben. Das Wenige allerdings mit einer Beständigkeit, die auch eine Attrappe bieten könnte, die aber, da sie nun mal keine Attrappe ist, gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. – Später Heimlichkeiten. John Lennon: Whatever gets you through the night ´salrigt. – Setze loneliness für night und du hast es. Aber nicht denken, Heimlichkeiten hat etwas mit Drogen zu tun. Völlig falsche Spur. - An die Tess vorhin: (gute Laune nach den Heimlichkeiten) … aber noch viel bessere Laune hätte ich nach einem Schneespaziergang mit Dir, bei dem wir ganz lange schweigend nebeneinander hergehen und uns dabei immer wieder erstaunt von der Seite anschauen, weil wir es nicht fassen können, dass wir nebeneinander hergehen, als hätten wir nie etwas anderes gemacht. – Du kennst diesen Traum von mir schon. Du weißt, was ich damit meine. Ich muss mich jetzt gleich um den Post von heute kümmern und dann will ich den Roman von Bret Easton Ellis zu Ende lesen. Spannend. Ich will wissen, wie er ausgeht. Schade, dass ich ihn morgen zurückgeben muss (Bibliothek, Vorbestellungen). Ich würde gerne mit ihm arbeiten. Von ihm erzählen im Blog. Dazu wäre es gut, wenn ich ihn zur Hand hätte, um nachzulesen, um zitieren zu können. – Worum geht es? - Alienation (*) in sexuellen Beziehungen. Es ist alles nur ein Geschäft miteinander. Auch ohne Escort-Service. Den gibt es außerdem noch. Und dann passiert es dem Master of Alienation (einem erfolgreichem Drehbuchautor), dass er sich bei einer solchen Geschäftsbeziehung (Rain heißt sie, und sie will in seinem Film mitspielen) verliebt – in eine Queen of Alienation. Los Angeles. Und wie immer bei Bret Easton Ellis ist das Leben sehr gefährlich. Immer wieder verschwinden Menschen und werden dann grausam verstümmelt tot aufgefunden. – Bewundere den Minimalismus der Erzählung. Das Veraltete, das Angeranzte des literarischen Erzählens gibt es hier überhaupt nicht. Wünschte, ich könnte den Text auf Englisch lesen. Aber besser Deutsch als gar nicht. (…) Meine gute Laune schmilzt wie Schnee in der Küche. Vielleicht rettet mich der Blog. Ach, und dann habe ich mir vorhin noch beim Zwiebelschneiden so tief in den Daumen geschnitten, dass ich geblutet habe wie ein abgestochenes Schwein. Warum erwähne ich das? (...) Tess, ich glaube, ich disponiere um. Keine Lust auf den Schlub heute. Dann muss ich jetzt aber Text klauen von Dir. Und dann nehme ich auch gleich noch das: (...) Attrappe. Schönes Wort. Du bist natürlich keine Attrappe. Aber dass ich mir die Frage gestellt habe – ist es Deine Wirkung oder generiere ich es selbst? –, das wirst Du verstehen. Ich beantworte die Frage jetzt mal. Es ist Deine Wirkung. Dass Du nie weggegangen bist. Die ans Wunderbare grenzende Beständigkeit. Man könnte es auch Treue nennen. Wenn es nicht die Begleitumstände gäbe.
Bret Easton Ellis, Imperial Bedrooms  
(*) Alienation = Entfremdung

Samstag, 25. Dezember 2010

Verkannt

Vorstellung, dass der Schlub jetzt in Exotien in dem exotischen Badeort am exotischen Meer jeden Tag in ein Internetcafé geht, um nachzuschauen, ob ich was über ihn geschrieben habe. Impuls, ihn zu beruhigen. Schlub, entspann Dich! Genieße die Sonne, den Strand und das Leben. Das dauert, bis wieder was kommt. Muss mich bremsen. Das geht nicht im Blog-Modus, wie ich gestern noch es mir gedacht und gemacht habe. Mir auch zu leicht gemacht. Spöttisch sein ist zu einfach. - Das Biest losgelassen auf den Schlamassel. Um reinzukommen in die Erzählung. Living Story. Living Portrait. Porträt mit einer Frage. Was ist das für einer? – Dabei ausprobiert das Spiel mit der Anonymisierung. Gemerkt, das geht. Und zugleich gemerkt, das ist es nicht. Ich veröffentliche mein Leben. Mein Leben gehört mir. Und wenn da einer reintappt, dann ist er drin. Dann kann ich von dem erzählen. Das kann doch nicht sein, dass ich den um-erfinden muss, damit er in der Erzählung von meinem Leben vorkommen kann. Verunglimpfen darf ich ihn nicht. Keine Schmähkritik üben. Aber ich muss doch über die Eindrücke schreiben können, die er bei mir hinterlassen hat. Zum Beispiel muss ich doch sagen können, dass ich ihn für unfähig und unbedarft gehalten habe. Womit ich nicht sage, dass er es war. Ich habe ihn dafür gehalten. Und das hat er gespürt, dass ich ihn so sehe. Darauf wollte er mir zeigen, wer er ist. Dass er nicht nur fähig und bedarft ist, sondern ein man of wealth and taste, wie Mick Jagger das einmal formuliert hat. Wenn er es doch gewesen wäre. Ich hätte ihn bewundert und mich gefreut für ihn. Mein Eindruck jedoch war, dass sich da einer einfach nur keine Mühe mehr gibt, sich gehen lässt, weil er meint, es sich erlauben zu können. Es sich leisten zu können mit seinem Geld. Einer, der sich nur noch über sein Geld definiert. Ein Aspekt. Der andere Aspekt, auch ein Eindruck: Als hätte er irgendwann beschlossen, wenn alle mich für ein Arschloch halten, dann will ich das jetzt auch sein. Eindruck. Ich sage nicht, dass er ein Arschloch ist. Ich sage, dass i c h diesen Eindruck hatte. Denn anders kann ich es nicht bezeichnen denn als einen Arschlochauftritt, wie nicht mal ich ihn hinkriegen würde, was er mir gezeigt hat beim Guggenheim-Ereignis. Schlüsselszene zum Schlamassel, in den wir geraten sind. Das war der Bruch. Da hat er was gemacht, das macht kein Freund. Von da an war er keiner mehr. Neun Jahre später konnte er sich nicht mehr an diesen Auftritt erinnern. Hat er behauptet bei unserer Aussprache im Frühjahr. Nach dem Guggenheim-Ereignis hätte es aufhören sollen. Der Bruch war da, ich hätte ihn nur noch vollziehen müssen. Vollziehen müssen, was für ein Schwulst. Arschloch hätte ich sagen sollen und noch ein paar Sätze dazu, die ihm weh getan hätten, und die er auch nach neun Jahren noch nicht vergessen gehabt hätte. Stattdessen habe ich es ihm damals - verziehen? - durchgehen lassen habe ich es ihm, und es hat angefangen die Geschichte, die ich nun erzählen muss, so unerfreulich sie ist. Geschichte, die beginnt mit dem Guggenheim-Ereignis im Frühjahr 2001 und endet, wenn sie fertig geschrieben ist. Doch das wird nicht so schnell gehen, bis ich verstanden haben werde, was mir da passiert ist, weil ich es zugelassen habe. Also entspann Dich, Schlub! Schöne Ferien. Und anonymisiert oder nicht anonymisiert spielt keine Rolle. Wenn, dann ist es sowieso meine Schande. Du warst einfach nur, der Du sein wolltest. Und ich habe es nicht kapiert. Ich habe Dich verkannt. Das ist die Geschichte.

Freitag, 24. Dezember 2010

Weihnachtsgeschenk

Nachmittag und ein flaues Gefühl. Weihnachtsdepression des Alleinlebenden kenne ich nicht von mir. Hat es noch nie gegeben. Was ist es dann? – Ablenkung mit Anfrage vom Mittwoch: Stephanie, wie geht noch mal genau der Satz mit dem Vögelchen, das man liebt und deshalb nicht einsperren darf, sonst fliegt es einem davon? Und woher kennen wir den? – Prompte Antwort; solche Fragen gefallen ihr: Ein Vögelchen, das man liebt, darf man nicht in einen Käfig sperren, man muss es fliegen lassen - so ungefähr. Der Satz stammt aus Out of Africa - Karen Blixen sagte das über ihren Liebhaber Denys Finch Hatton. – Na klar! Karen Blixen aka Isak Dinesen. Out of Africaverfilmt von Sydney Pollack mit der damals noch so angenehmen Meryl Streep und Robert Redford, der in diesem Film zum ersten Mal in seiner Karriere (1985) nicht wie ein Friseur aussah. Dennys Finch Hatton. Löwenjäger. Nomade. Nicht zu halten, von nichts und auch nicht einer Frau, die so toll ist wie die Baronin Blixen auf ihrer Kaffeefarm in Kenia. Plötzlich ist alles wieder da, auch das Buch; erster Satz: Ich hatte einmal eine Farm in Afrika. - Dass ich mich daran nicht mehr erinnern konnte. Mein Gedächtnis, auf das ich mir so viel einbilde. In Wahrheit voller Löcher? Und die stopfe ich mit Fehlinformationen  und Phantasien und merke es nicht? Die weitere Kommunikation mit Stephanie bestätigt es leider. Tania Blixen schreibe ich in meiner Dank-Antwort und setze ein (sic!) hinter Tania, wie der Oberlehrer seinen Zeigefinger hebt. – Oh nein! mailt sie zurück. Karen Blixen. Tania Blixen ist nur ihr Pseudonym auf dem deutschen Buchmarkt. Gut, dass ich nicht auch noch die Schreibweise von Dennys Finch Hatton bemängelt habe (ich hätte Hutton geschrieben). – Kluge Frau, maile ich demütig zurück und denke, schleichender Gedächtnisverlust ist ein Grund mehr dafür, warum ältere Männer sich junge Frauen suchen sollten. Stephanie ist es am Ende nicht gewesen. Weil sich ihr Leben auf München und auf den Vater ihrer Kinder und mein Leben auf die Tess zu bewegte. Doch die will immer noch nicht mit mir reden. Glaube ich nicht. Kann nicht mit mir reden. Darf nicht mit mir reden. Deshalb auch die Nachfrage wegen des Zitats mit dem Vögelchen. Nicht, weil ich denke, dass die Tess ein Vögelchen ist. Wenn, dann ist sie eine Großwildjägerin. Vögelchen ist nur das Bild. Es geht um die Lebensweisheit - die Liebesweisheit. Die kennt ihr Freund, der Professor, vielleicht noch nicht, und damit er sie sich merkt, ein Geschenktipp an die Tess. Geschenk für den Professor. Sie soll ihm den Satz auf sein Lieblingssofakissen sticken: Ein Vögelchen, das man liebt, darf man nicht in einen Käfig sperren, man muss es fliegen lassen. Stephanies Fassung. Ich empfehle der Tess, meine Version zu sticken: … sonst fliegt es einem davon. – Damit er nicht sagen kann, er hätte es nicht gewusst, wenn es so weit ist. Wobei ich gar nicht weiß, wo der Satz jetzt wieder herkommt. Denn eigentlich will ich nur dafür werben, dass er der Tess erlaubt mit mir zu reden. Reden. Was ist denn schon dabei? – Deshalb soll die Tess doch lieber die Version Stephanies sticken: Ein Vögelchen, das man liebt, darf man nicht in einen Käfig sperren, man muss es fliegen lassen. – Mein Weihnachtsgeschenk habe ich übrigens schon bekommen. Hat vor meiner Tür gelegen, als ich vom Einkaufen zurückkam. Eine schöne bunte Zeichnung mit einem leuchtenden Weihnachtsbaum und ganz vielen Geschenken darunter. Merry Cristmas von M. und E. . Das sind die beiden Vampirmädchen aus dem Haus, die so hinreißend aussahen an Halloween, woran sich regelmäßige Leser bestimmt noch erinnern werden. Danke, M. und E.! – Und das flaue Gefühl? – Dagegen haben geholfen Kuchen und das Bloggen. Wenn jetzt noch ein bestimmtes Licht leuchtet … . – Es hat geleuchtet. Ganz schwach. Ich glaube, die Tess ist traurig.

Donnerstag, 23. Dezember 2010

Metastasen

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung verzichten sie grundsätzlich auf die Nennung der Todesursache in den Nachrufen. Das ist mitunter ärgerlich. Aber es ist eine zu respektierende Haltung: Krankheit und Sterben ist Privatsache. Außerdem werden sie sich denken, bevor wir etwas Zweifelhaftes oder Falsches melden, was bei Todesursachen allzu leicht vorkommen kann, lassen wir sie lieber ganz weg. Diese vornehme Zurückhaltung kennt die Bildzeitung nicht. Unter anderem deswegen lesen wir sie, kriegen jetzt aber gerade mal wieder mit, welche Tücken das haben kann. - Célia von Bismarck ist an Hautkrebs gestorben, der metastasiert ist in ihre Bauchspeicheldrüse. 16 Jahre nach dem Auftreten eines Malignen Melanoms. Das stand im Leute-Teil der BILD, Unterabteilung Royals. Da basiert die Berichterstattung auf Hörensagen. Das kennen die Journalisten da gar nicht anders. Deshalb haben sie das mit der über 16 Jahre verschleppten Metastasierung nicht hinterfragt. Bloß keine Einzelheiten! Wer will das wissen? Lieber am nächsten Tag was Ermutigendes über Hautkrebs machen: drei Frauen, die ihn überlebt haben, weil Früherkennung. Inzwischen scheinen sie aber doch nachdenklich geworden zu sein in der Leute-Abteilung und haben mit der Mutter von Célia von Bismarck gesprochen: Romy Demaurex. Nach ihrer Aussage sind es nur 14 Jahre, die zwischen dem Auftreten des Malignen Melanoms ihrer Tochter und der Streuung in ihre Bauchspeicheldrüse lagen – und jetzt wird es richtig bunt: Der Arzt, der das Melanom entfernte, hat ihrer Tochter nicht gesagt, wie gefährlich es ist. Das ist nicht zu glauben. Das gibt es nicht. Er hat das Melanom vielleicht falsch diagnostiziert, die Hauterscheinung für harmlos gehalten, sie entfernt, ohne das weggeschnittene Gewebe histologisch untersuchen zu lassen. Das ist zwar immer noch unwahrscheinlich genug. Aber wenn, dann kann es nur so gewesen sein. Die Mutter weiter, mit einer Aussage, die auch in der ersten Berichterstattung über den Tod von Célia von Bismarck zu lesen war: Weil sie so diszipliniert gelebt hat – kein Nikotin, kein Alkohol, keine Drogen – habe es so lange gedauert, bis der Hautkrebs bei ihr Metastasen bildete. - Heute Nachmittag vor der Kasse bei Reichelt: Sag mal, Michaela, wie lange hat das bei Alexander gedauert von der Hautkrebs-Diagnose bis zum Auftreten der Metastasen in seiner Leber? - Michaela: Zwei Jahre. - Ich: Und bis wir ihn dann beerdigt haben? - Michaela: Knappes halbes Jahr. - Danke, Michaela (demnächst mehr von ihr). – Alexander hat, nachdem ihm die Diagnose Malignes Melanom mitgeteilt worden war, bei Gertrud im Café Forum einen Schnaps getrunken und von da an strikt abstinent gelebt. Keine Zigaretten, kein Alkohol; Drogen hat er sowieso nie genommen. Es hat ihm nichts genutzt. Ich würde eher sagen: Hätte er doch mal weiter geraucht und weiter ab und zu einen Schnaps getrunken und es sich auch sonst gut gehen lassen, um die Zeit noch zu genießen, die ihm geblieben ist, bis die Metastasen auftraten, die ihn trotz Chemotherapie innerhalb kürzester Zeit getötet haben. Mit 33 Jahren. – Ausschnitt aus einem Interview, das ich einmal aus persönlichen Gründen mit einem Dermatologen gemacht habe. – Ich: Wie lange kann es maximal dauern, bis gestreute Hautkrebszellen Metastasen bilden? – Professor G.: Zwei bis zweieinhalb Jahre. – Ich: Und danach ist man auf der sicheren Seite? – Professor G.: Was die Streuung durch das entfernte Maligne Melanom angeht, ja. – Ich: Es gibt also nicht so etwas wie Schläfer-Krebszellen, die sich verstecken und erst später aktiv werden? - Professor G. (lacht): Das ist eine drollige Vorstellung. Nein, so etwas gibt es nicht. – Worauf will ich hinaus? Können die BILD-Mitarbeiter, die das Leben und Sterben von Célia von Bismarck redaktionell betreuen, nicht mal ihren Fall abklären, indem sie Fachleute - Dermatologen - konsultieren. Ich könnte mir nämlich vorstellen, dass es einige Menschen gibt, die einmal an Hautkrebs erkrankt waren, sich inzwischen auf der sicheren Seite wähnten und die jetzt - nach der Berichterstattung über diesen Fall einer über 14 Jahre verschleppten Metastasierung - sehr beunruhigt sind.

Mittwoch, 22. Dezember 2010

Versteckspiel

Anruf bei Pegasus, meiner Agentur, um bei Fabian eine Rechtsauskunft einzuholen. Fabian ist Anwalt für Medienrecht. Nur heute schon in den Weihnachtsferien. Wäre er dagewesen, hätte meine erste Frage gelautet: Was hat der arme Maxim Biller falsch gemacht in Esra, dass sein Roman verboten wurde? Also wie weitgehend hätte er seine im Roman beschriebene Ex-Freundin und deren Mutter anonymisieren/fiktionalisieren müssen, damit die beiden ihn nicht hätten belangen können wegen Verunglimpfung ihrer Personen im wirklichen Leben? – Zusammenhang ist klar: Schlub. Am liebsten wäre es mir, ich könnte auf das Versteckspiel verzichten und die Geschichte ganz offen und authentisch weiter schreiben. Dem Schlub deshalb schon letzte Woche geschrieben, dass er sich melden soll, um uns den Dialog fortsetzen zu lassen. Er darauf zurück: Er meldet sich, wenn ich die Möglichkeit habe, das in Ruhe zu tun. Bevor er nach Xxxxxxxxx fliegt, hat er nämlich noch Etliches abzuarbeiten. - Was heißt? Wenn er die Möglichkeit nicht hat, meldet er sich nicht? Und das mit dem Abarbeiten des Etlichen und dem Fliegen nach Xxxxxxxxx, will er mir damit zeigen, dass es nun mal Wichtigeres gibt für ihn als den Dialog mit mir? – Meine Pingeligkeit. Kein Mensch ist so kompliziert, wie ich denke? – Kann sein. Kann nicht sein. Finde es heraus! Frage ihn. Meine Mail von gestern Abend: Wann hast Du sie denn nun endlich mal, die Ruhe, die Du haben willst, um Dich zu melden bei mir. Warte auf Deinen Anruf. Ende der Woche fliegst Du doch bestimmt nach Exotien, wie ich Xxxxxxxxx nennen werde in meiner Erzählung von meiner Beschäftigung mit Dir und meinem Erlebnis mit Dir. So nennen werde wegen Anonymisierung Deiner Person, die ich Dir selbstverständlich garantiere. Aber besser, viel besser wäre es, ich würde mich dazu nicht genötigt sehen, sondern Du würdest vorkommen können in meinen Texten als der, der Du bist, und mitmachen in den Texten und es würde Dir gefallen mitzumachen. Das jetzt ist die interessanteste und intensivste Erfahrung, die wir je miteinander gemacht haben. Sei nicht faul! Mach mit! Und hab Vertrauen! Du musst nur Du selbst sein, dann kann Dir nichts passieren. Ende Mail. – Wenn mir mal jemand so was schreiben würde! – Gedanke von heute Morgen: Gleich, was ich von ihm halte, gleich, was er von mir hält, es hat etwas zu bedeuten, dass er in meinem Leben ist und ich in seinem. – Was hat es zu bedeuten? – Das, was wir daraus machen. Aus diesem Schlamassel, den wir zusammen angerichtet haben. - Vorstellung von heute Morgen: Eine Erzählung, die monologisch beginnt, mit dem Ziel, einen Dialog herzustellen, und die mit diesem Dialog endet. Wenn das gelingt, wird aus dem anonymisierten der tatsächliche Schlub, der sich der Konfrontation stellt mit meinem Text. Der sich wehrt. Doch nicht, indem er sich empört gegen meine Sicht und dass ich überhaupt eine Sicht von ihm habe. Sondern der sich bekennt zu sich selbst, sich erklärt, richtigstellt. Mit mir streitet. So lange, bis der Text stimmt für ihn genauso wie für mich. Das meine ich mit mitmachen. Er wird es nicht tun.

Dienstag, 21. Dezember 2010

Hautkrebs

Peter. Am Samstag ist sein Sohn endgültig ausgezogen, mit allen seinen Sachen. 26 Jahre war er hier. Jetzt ist er weg, hat Peter gesagt. Mehr nicht. Gestern wollte der Sohn kommen, sollte ihm Geld aus dem Automaten holen, weil Peter nicht raus kann bei dem vielen Schnee. Doch er hat abgesagt und sich für heute angekündigt. Peters Fuß heilt allmählich, aber er kommt immer noch nicht in feste Schuhe rein. Zu den Arztterminen fährt ihn seine Freundin. Gestern Ultraschalluntersuchung der beiden Knubbel an seinem Hals. Hat nicht geklappt. Weil er keinen Termin hatte in der Klinik. Privatpatienten-Privileg hat nicht gezogen. Er hätte endlos lange warten müssen. Wollte er nicht. Zwei Gründe: Er sah unmöglich aus. Nur zur Hälfte rasiert. Sein elektrischer Rasierer ist kaputt gegangen. Alter Rasierapparat. Den neuen hat der Sohn mitgenommen. Zweiter Grund: Ich bin völlig überrascht, dass er es zugibt. Er hat auch Angst vor dem Untersuchungsergebnis. Denn es war auf den Tag genau vor zwei Jahren, als er die Zungenbodenkarzinom-Diagnose bekommen hat. Verständlicher Aberglaube an die Duplizität von Ereignissen. Und überhaupt: die Angst vor einer schrecklichen Gewissheit. Solange man nichts weiß, kann man immer noch hoffen, dass es gutartig ist, oder dass man eines Morgens vor den Spiegel tritt und die Knubbel befühlt und feststellt, sie bilden sich zurück. Aber wenn erst mal ein Arzt gesagt hat: Es sieht nicht gut aus, dann ist man von jetzt auf nachher in einer anderen Welt: Leben vor dem Tod. – Telefonieren gestern. Peter: Beim Zeitunglesen habe ich an dich denken müssen. – Ich: Bildzeitung? Nachruf für Célia von Bismarck? – Ja. – Habe ich auch gelesen. Guter Artikel von Alexander von Schönburg  (kleiner Bruder von Gloria von Thurn von Taxis und Autor des lesenswerten Buches Die Kunst des stilvollen Verarmens). Ich mochte den Schluss des Artikels, obwohl ich ihn eigentlich kitschig hätte finden müssen: Ich war heute Morgen in der Kirche. Ich habe mich dort bei Gott bedankt, Célia gekannt haben zu dürfen. Sie war ein engelhaftes Wesen. Jetzt ist sie ein Engel. - Hat Peter auch gefallen. Peter hat kein Problem mit BILD; hat als Student mal als Fahrer für die BILD-Redaktion gearbeitet. Er liest jeden Tag die BILD in der Papierausgabe und auch die Bild am Sonntag. Den Nachruf in der BamS hat er auch gelesen. Wir haben ein Bildzeitungsleser-Gespräch. Schöne Frau; sah aus wie die junge Françoise Hardy. Aber irgendwas stimmt nicht in der Berichterstattung, zumindest ist sie lückenhaft: Das kann nicht sein, dass sie mit Anfang 20 Hautkrebs hat und der entfernt wird und nach 16 Jahren erst hat der gestreut in die Bauchspeicheldrüse. Da muss sie doch zwischendurch noch mal Hautkrebs gehabt haben oder der Krebs in der Bauchspeicheldrüse war eine Sache für sich. Hautkrebs ist auch nicht bekannt dafür, dass er in die Bauchspeicheldrüse streut. Wenn er streut, dann eher in Leber, Lunge, Gehirn. Auf jeden Fall sind das die Organe, die in der Nachsorge beobachtet werden. – Wir wissen nichts Genaues und reden deshalb über Krebspersönlichkeiten. Ob es so etwas gibt, wissen wir auch nicht, die medizinische Forschung schließt es jedenfalls aus. Doch wir haben unsere Beobachtungen gemacht im Leben. Peter hat einmal als Sozialarbeiter in der ambulanten psychiatrischen Betreuung gearbeitet, da gab es einen Flur vor seinem Zimmer, da warteten seine psychiatrischen Klienten zusammen mit Krebspatienten, die im Zimmer neben seinem Zimmer psychologisch betreut wurden. Peter sagt, wenn er die Tür aufgemacht und die Wartenden gesehen hat, dann hat er mit einem Blick erkannt, welches die psychiatrischen Fälle waren und welches die Krebspatienten. Und zwar nicht aufgrund des körperlichen Zustands. - Woran dann erkannt? Das vergesse ich ihn jedes Mal zu fragen, wenn er diese Geschichte erzählt. Gestern wieder. – Aus der BILD-Berichterstattung wissen wir, dass Célia von Bismarck sehr beliebt war. Das ist schon mal ganz schlecht für die Gesundheit. Denn was muss man sich alles antun, um überall beliebt sein zu können. Sie hat sehr diszipliniert gelebt wegen ihrer frühen Hautkrebs-Erkrankung. Wahrscheinlich auch schlecht, zu diszipliniert zu leben. Ihre Ehe mit Calle von Bismarck ist wegen der Alkoholsucht ihres Mannes gescheitert. Alexander von Schönburg hat das mal geschrieben in der BILD und sie war froh, dass das am Ende noch einmal richtiggestellt wurde, hat sie ihm darauf vor drei Wochen gesagt und gedankt dafür. Heute steht in der WELT ein Nachruf von Ulf Poschardt. Der formuliert das mit der gescheiterten Ehe so: dass Célia von Bismarck dem angeheirateten Familiennamen mehr gab, als ihm durch Scheidung genommen worden war. - Was gab? - Noblesse, die weniger Noble zur Nachahmung inspirierte. Wer wissen will, was sie sonst noch gemacht hat im Gesellschaftsleben Berlins, wo sie zuletzt lebte, Poschardt lesen. - Célia von Bismarck 1971 - 2010. Gestorben in Genf, in den Armen ihrer Mutter, wie wir aus der Bildzeitung wissen. - Und Peter: Der hat also gestern zum ersten Mal zugegeben, dass er Angst davor hat zum Arzt zu gehen, weil er dort schlechte Nachrichten bekommen könnte. Darauf habe ich ihm gestanden, dass das bei mir nicht anders ist. Jetzt muss ich ihn nur noch dazu bringen, sich einzugestehen, dass er – entgegen seinen anders lautenden Aussagen - am Leben hängt wie wir alle. Und ihm dann klar machen, dass man sich seine schlechten Nachrichten so früh wie möglich abholen sollte. Solange möglicherweise noch was zu machen ist.

Montag, 20. Dezember 2010

Querelle

Wegen Konfusion und Unkonzentriertheit heute nur ein Hinweis. Auf den Text von Peter Kern, der gestern in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung stand und dann für alle auf FAZ.NET: Im Liebeswahn ertrunken. Peter Kern kenne ich aus Fassbinder-Filmen (u.a. Faustrecht der Freiheit, Mutter Küsters Fahrt ins Glück). So sieht er heute aus; dick war er schon immer. Jean Genet habe ich gelesen so um die 20. War fasziniert von der Sprache (*), konnte aber mit seiner Erlebniswelt nichts anfangen. Konnte auch nichts anfangen mit Fassbinders Verfilmung von Genets Roman Querelle. Von keinem Film Fassbinders so wenig berührt gewesen wie von diesem, seinem letzten (1982). Zu artifiziell; zu schwul für mich. Die Liebe Gustav von Aschenbachs zu Tadzio in Tod in Venedig, die habe ich verstanden im Text von Thomas Mann und im Film von Visconti sogar mitfühlen können. Die Schwulenwelt von Querelle blieb mir verschlossen – sie hat mich nicht reingelassen. Dafür bin ich zu hetero, zu spießig wahrscheinlich außerdem noch. - Text von Peter Kern. Über sein Fasziniertsein von Genet. Der Text eigentlich kitschig. Abgestanden poetisch = was man sich unter Poesie so vorstellt. Doch er hat eine Haltung, die selten ist in deutschen Texten, deshalb gibt es auch keinen gängigen deutschen Begriff dafür. Englisch: self deprecation - Selbstherabsetzung, -herabwürdigung, Sichselbstkleinmachen - am Ende noch: sich selbst erniedrigen. Nein, das beschreibt es alles, ist es aber nicht: Es ist eine Art von zugleich draufgängerischer und melancholischer Selbstironie. Und es ist alles andere als eine Schwäche. Es gehört Mut dazu - Mut dazu, sich selbst zu sein - und eine Nähe zu sich selbst, die einer erst mal kriegen muss in seinem Leben. Fassbinder hatte diesen Mut und diese Nähe zu sich selbst. Dafür habe ich ihn verehrt wie sonst keinen. Peter Kern verehrt Genet. Den verstehe ich nicht. Aber ich verstehe Peter Kern. Erster Teil des Textes: Der dicke schwule Mann und sein Hingerissensein von einem jungen Buchhändler. Dem fällt das Buch aus der Hand, das er gerade liest. Der dicke Mann fängt es auf mit der Behendigkeit des Dicken, dem man diese Behendigkeit nicht zutraut, und dann ist das aufgefangene Buch auch noch Tagebuch eines Diebes von Jean Genet. Doch da ist es auch gleich wieder vorbei mit der Herrlichkeit, Dann kommt der Kitsch (Ich bin auf der Suche nach der Seele dieses Autors) und draußen stehen die Kinder und halten den dicken Mann für den Nikolaus, der vollgepackt ist mit Geschenken. Aber es sind keine Geschenke, es ist nur sein Fett, Fett, Fett. – Zweiter Teil: Peter Kern lernt den von ihm verehrten Genet persönlich kennen. Kann aber kein Französisch. Kann nur zuschauen, wie sich der Produzent Schidor mit dem legendären Autor unterhält, mit ihm verhandelt über die Filmrechte für Querelle und sich mit ihm nebenbei über die ihnen gemeinsame Wertschätzung von Männerschweiß austauscht. -  Dritter Teil: Klatsch über eine Episode von den Dreharbeiten zu Fassbinders Querelle-Adaption. Nicht vom Set. Denn da ist Fassbinder an diesem Tag nicht erschienen. Deshalb holt ihn der Produzent in seiner Wohnung ab - und heraus aus dem Gestank seines Selbstversuchs, mit dem Fassbinder sich in die Hardcore-Welt von Genets Romanphantasie versetzen wollte. Fassbinder immer noch nicht bereit zum Set zu fahren. Er will erst noch mit seinem Produzenten einkaufen gehen: Kauft seinem Produzenten ein Paar Stöckelschuhe und ein dazu passendes Handtäschchen, um dann mit ihm (in den Stöckelschuhen und mit dem Handtäschchen) auf dem Kurfürstendamm zu flanieren. Was für ein Biest! Was für eine Szene! Leider nicht im Film. Nur Klatsch. Von Peter Kern. Neugierig geworden? - Im Liebeswahn ertrunken.

(*) Es gibt keine andere Quelle der Schönheit als die Verletzung, einzigartig verschieden bei jedem Einzelnen, versteckt, aber sichtbar, die jeder Mensch in sich trägt, die er sich bewahrt und in die er sich zurückzieht, wenn er die Welt in eine vorübergehende, doch tiefe Einsamkeit verlassen möchte. (Jean Genet; Zitat aus FAS)

Sonntag, 19. Dezember 2010

Schlub

Es muss sich etwas ändern. Um ganz einfach zu beginnen: Es kann nicht sein, dass ich in meiner Lage zugeballert werde von der GEZ mit ihren Forderungen, obwohl ich nach der Fußballweltmeisterschaft per Einschreiben mitgeteilt habe, dass ich keinen Fernseher mehr betriebsbereit halten werde und faktisch nicht fernsehe. Denen schreiben, dass ich das nicht zahlen kann, was sie von mir wollen und es auch keinen Grund dafür gibt, wenn das keine verdammte Fernseh-Diktatur ist, in der wir leben. Sie über meine finanziellen Verhältnisse informieren und das belegen mit dem Hinweis auf meine Einkommenssteuerklärung 2009, die ich abgeben muss noch vor Jahresende, abgeben muss trotz der Geringfügigkeit meiner Einkünfte im Jahre 2009. Und wenn ich dann meinen Bescheid kriege im Januar, dann kann ich ihnen gerne eine Kopie davon schicken. GEZ. Finanzamt. Defensiver Teil des Finanzthemas. Offensiver Teil: Etwas herstellen, das ich verkaufen kann. Text, den ich anbiete gegen Geld. Geschäftsmodell eines Blogs mit beschränktem, kontrolliertem Zugang (gibt es als Option bei Blogger; maximale Teilnehmerzahl 100). Freier Zugang nur für die Tess. Alle anderen, auch Freunde und gute Bekannte, bezahlen. Dann haben die auch eine Möglichkeit, mich zu unterstützen, in dem was ich tue, ohne dass es ihnen peinlich sein muss, wenn sie mich nach meiner Kontonummer fragen in der Absicht, mir eine Spende zukommen zu lassen. Es ist dann auch gar keine Spende, sondern sie kriegen was für ihr Geld. Was? – Text. Erzählung, die abzweigt vom Roman meines veröffentlichten Lebens hier. Ausgearbeitete Erzählung. Konventionelle Erzählung. Autofiktional. Nichts Ausgedachtes. Nichts Erfundenes. Erzählung, die beginnt da, wo ich stehe. Erzählung, die Nacherzählung ist und zugleich Aktion. Erster Bezahltext: Erzählung vom Schlub. Erzählung von einem, der nicht aus seiner Haut kann. Nicht einmal dazu fähig ist, jemandem, den er zum Freund haben will, zu helfen mit Geld. Nicht mal dazu fähig, überhaupt zu fragen, wie viel Geld das sein soll und wie groß die Not ist und herauszufinden, ob es eine wirkliche Not ist oder nur eine vorgegebene, um ihm sein Geld aus der Tasche zu ziehen. So in sich selbst verhockt und verstockt, so gefangen in seiner Haut, dass es ihm unmöglich ist, so einfache Fragen zu stellen und statt dessen lieber zu schreiben eine Ausreden-Mail, um den anderen, mich, fernzuhalten von seiner Haut, aus der er nicht kann. Das der Anfang der Erzählung. Von da aus zu anderen Momenten mit dem Schlub: Wie ich einmal vor langer Zeit darauf gekommen bin, dass es sein könnte, dass er geizig ist. - Wie ich ihn vor noch längerer Zeit zum ersten Mal als meinen kleinen Bruder gesehen habe und seither den Impuls hatte ihn beschützen zu wollen, ungeachtet dessen, was ich sonst bei ihm gesehen habe und ob mir das gefallen hat oder nicht. – Wie ich mir einmal einen Vorteil versprochen habe von der Freundschaft mit ihm; wie ich dann jedoch, als ich einen solchen Vorteil hätte genießen können, im letzten Moment darauf verzichtet habe (Was nicht so sehr für mich spricht, sondern gegen ihn. Weil ich, so wie ich ihn dabei erlebt hatte, mich nicht in eine Abhängigkeit bringen wollte von ihm durch den Vorteil). Noch mehr Momente dieser Art. Und schließlich der Moment der Erzählung: Wie ich, nachdem er meine Bitte darum, mich zu unterstützen, nicht einmal an sich heran gelassen hat, nun erzähle von dieser Verweigerung und sie zu verstehen versuche aus seiner Person und unserem Verhältnis zueinander und damit auch von mir erzähle und von meiner Erwartung, von ihm Hilfe bekommen zu können, die genau so kritisch zu betrachten ist wie das Verweigern der Hilfe. Denn hätte ich es nicht wissen können, dass er nicht aus seiner Haut heraus kann und gehört es nicht zu den Tugenden in einer Freundschaft, dass man die Grenzen eines Freundes achtet und ihn nicht in Verlegenheit bringt, indem man Erwartungen an ihn heranträgt, die zu erfüllen er nicht in der Lage ist? – So dass es sich am Ende erweisen könnte, dass nicht nur der Schlub ein Tölpel ist, sondern ich es nicht weniger bin. Was sicher das intellektuell befriedigendste Ergebnis wäre. Doch ob es so ist, lässt sich von hier aus nicht sagen. Das muss der Text klären. Der Text aber ist Aktion und damit das Ende offen. - Alleine schon deshalb ist es ziemlich leichtsinnig, was ich hier gerade mache: über ungelegte Eier reden. Und leichtsinnig ist es auch, von vornherein preiszugeben, dass der geplante Text ein Vorbild in der Realität haben wird, und ihn damit von vornherein angreifbar zu machen als Verrat, als Indiskretion über eine Person des wirklichen Lebens. Aus dem Beweggrund, dass ich nicht bekommen habe, was ich wollte. Bestimmt wird mir das unterstellt werden. Aber soll ich mir deshalb verbieten, von so einem bedeutenden Erlebnis in meinem Leben zu schreiben? – Die Frage enthält bereits die Antwort: Nicht verbieten. Denn ich kann mein Handeln nicht leiten lassen von der Absicht, Unterstellungen zu vermeiden. Und mein Schreiben wird auch keine Indiskretion und schon gar kein Verrat sein, weil ich über mich und  m e i n (Er)Leben schreiben werde. Ich schreibe also nicht über eine reale Person und behaupte, so ist die. Worauf die reale Person sagt, so bin ich nicht und deshalb verbiete ich dir das anwaltlich, und wenn es sein muss gerichtlich, das über mich zu behaupten. Ich schreibe über  m e i n Erlebnis mit der anderen Person. Ich sage daher nicht, die Person ist so, worin ich mich täuschen kann, weil jemandem anderen gegenüber, einem anderen Freund gegenüber, ist die Person möglicherweise ganz anders. Sondern ich sage, das habe ich so erlebt mit einer Person, der ich den Aliasnamen Schlub (*) gebe und der ich keine Orte zuschreibe und keine äußere Erscheinung, an der sie wiedererkennbar wäre. Was das Erzählen erschwert und mich vielleicht sogar zwingen wird, stellenweise zu tun, was ich nie wieder tun wollte: zu fiktionalisieren. So weit zu fiktionalisieren, dass es mich nicht mehr interessiert und ich es lieber sein lasse. Weshalb ich es besser erst einmal weiter durchspielen und ausprobieren sollte, statt hier über den Plan zu schreiben. Doch es ist nun mal das, womit ich mich heute beschäftigt habe. Viel mehr ist nicht zu berichten. Nur noch zu erwähnen, dass ich eben der Tess geschrieben habe. Denn auch da muss sich unbedingt etwas ändern.

(*) Das Wort habe ich gerade erst vor einer Woche gelernt. Es ist mir begegnet in einem Artikel auf  The Daily Beast: Is It Time to Redefine Narcissism? Darin der Satz: Today, grandiosity can get the average schlub anything from a reality-TV show to 100,000 Twitter followers. - Schlub? - Leo-Nachfrage ergibt: Das Wort bedeutet Tölpel und kommt aus dem Jiddischen. Es ist nicht so hart und schmähend wie etwa das Wort Schmock, das ich gegenüber dem Schlub schon mehrfach gebraucht habe, immer mit einem Lächeln, als wäre es nicht ernst gemeint, doch das war es. Schlub ist im Gegensatz zu Schmock ein Wort, das man auch zärtlich und liebevoll gebrauchen kann. Es ist ein wunderschönes Wort. Es verwenden zu können als fiktiven Namen für die Person, um die es in meinem Erlebnis geht, ist ein entscheidender Grund für meinen Entschluss gewesen, von diesem Erlebnis zu erzählen. Jemandem, der Schlub heißt, kann man eigentlich nicht böse sein. Und da will ich hin mit meiner Erzählung, wenn es sie geben wird: alles auszusprechen, was ich erlebt habe mit dem Schlub, ohne ihm deswegen böse zu sein. Denn wozu?

Samstag, 18. Dezember 2010

Deckchen

Heute in der taz; Die Schönheit der Viren. Artikel über die New Yorker Künstlerin Laura Splan und ihre DolliesHier die Website von Laura Splan, die aus den Strukturbildern von Viren Spitzendeckchen herstellt: SARS, HIV, Herpes, Influenza, Hepatitis. Am besten gefällt ihr selbst das Herpesvirus, weil es die schönsten Spitzen hat und am dekorativsten ist, sagt sie. Ich finde es überladen und kitschig. Da gefällt mir das HI-Virus besser und am besten - wegen meiner Vorliebe für Minimalismus - das SARS-Virus. Doch die Koinzidenz an diesem Morgen ist nun mal die mit dem Herpesvirus. Deshalb die Frage, ob das auf der Website abgebildete Herpesvirus vom Typ 1 ist, das den Herpes labialis (Lippen) verursacht, oder vom Typ 2,  Verursacher von Herpes genitalis? - Aktueller Anlass der Frage ist Typ 2. Beim Duschen entdeckt die Rötung von der Größe eines Cent-Stückes. - Wo kommt die denn auf einmal her? - Nichts bemerkt. Keine Stiche, kein Kribbeln, kein Jucken. Aufgetreten ohne Vorwarnung. Die hätte allerdings auch nichts genutzt. Denn außer Fluchen ist da nichts zu machen. Bleibt nur Abwarten, bis der Infekt wieder abgeklungen ist in etwa einer Woche; bis nichts mehr zu sehen sein wird in etwa drei Wochen. Herpes labialis der Psycho-Herpes. Herpes genitalis der Exzess-Herpes. So war das mal. Inzwischen kein Labialis mehr. Auch keine Exzesse mehr. Dafür Psycho-Herpes genitalis. – Was war denn los? War doch alles so gut. - Nur nicht gestern Abend. Der im Grunde trostlose Post von gestern. Textrest vom Vortag. Weggelassener Schlussteil von Respekt 1. Weggelassen aus Faulheit beim Überarbeiten. Denn so wie es da stand, stimmte es nicht. Pose. Und dann noch die Assoziation, die wahrscheinlich niemand kapiert hätte: Die sinnvolle, ehrenvolle Konkurrenz um eine tolle Frau im Gegensatz zum blödsinnigen Konkurrieren des Schlubs mit mir. – Den Textrest umgearbeitet zum kurzen Post Respekt 2. Kein falsches Wort. Aber letztlich trostlos. Wie das Lebensgefühl gestern Abend. Nicht ausgelöst vom Text. Der Text nur Symptom des Stimmungsverfalls, des Absturzes. Die Spielkameraden - der Schlub, der Professor, die Tess -, die alle nach Hause gegangen sind. Und ich alleine zurück geblieben auf dem Spielplatz. Sandkasten, Rutschbahn, Wippe, Schaukel. Alleine macht das alles keinen Spaß. Auf dem Klettergerüst hocken und vom Erwachsensein träumen, wenn ich endlich nicht mehr alleine sein werde (Neuschnee). Ende Bildersprache. Frage: Noch erwachsener werden? – Antwort heute Morgen: Noch unabhängiger werden! Gute Antwort. Kam nur zu spät. Gefühlszustand verbessert. Doch da waren die Viren schon durchgebrochen. Kein Selbstmitleid. Melancholie. Du kannst nicht immer ausgelassen sein und rumtoben. Grippevirus wäre schlimmer gewesen. Drei Viertel der Bevölkerung tragen das Herpesvirus in sich. Mein Lieblingssatz eines Kommunisten: Die Revolution ist kein Deckchensticken. Mao Tse Tung. Das nicht nur am Rande. Es muss sich etwas ändern.

Freitag, 17. Dezember 2010

Respekt 2

So wenige Vermutungen und Annahmen wie möglich. Nur das, was ich gesehen habe. Nachdem der Professor sich vom Fenster abgewandt und das Zimmer verlassen hatte, stand das Subtile Zeichen, das den ganzen Morgen auf  Nicht gut gestanden hatte, wieder auf Alles gut, wie in den Tagen zuvor. Nur er konnte es wieder auf Alles gut gestellt haben. Warum? – Das ist das Rätselhafte an seinem Auftritt. Damit könnte ich mich nun endlos beschäftigen. Muss ich aber zum Glück nicht. Durch die Tess habe ich gelernt, mit Rätseln zu leben. Und da gibt es noch ganz andere Rätsel als das von gestern. Irgendwann werden die Beteiligten sich miteinander verständigen und dann wird sich alles aufklären. Vielleicht dauert das gar nicht mehr so lange bis dahin. Denn der Auftritt des Professors gestern und was wir zusammen daraus gemacht haben, das war schon kurz vor Kommunikation. Deshalb hat es mir auch so gut gefallen. Auch wenn er mir wahrscheinlich nur signalisieren wollte: Die Katze ist wieder zurück. Schluss mit den Spielen der Mäuse. Ich bin hier, wo auch die Tess ist. Du bist da drüben. Bleib da und lass die Tess in Ruhe! – Worauf ich ihm signalisiert habe: Ich weiche nicht. Ich gebe nicht auf. - Mehr war auf die Entfernung nicht zum Ausdruck zu bringen. Alles andere weiß er aber auch selbst. Entscheidungen treffen darüber, was zu tun und zu lassen ist, kann nur die Tess. Er und ich, wir können nur weiter um sie konkurrieren. Jeder auf seine Art, jeder nach seinen Möglichkeiten. Wobei er die deutlich besseren hat. Deshalb wundert es mich auch, dass er das überhaupt für nötig hielt, sich da hinzustellen an das Fenster, um mir seine Präsenz und meine Grenzen zu zeigen. Denn er muss doch nur gut sein zur Tess und keine groben Fehler machen, schon vergisst sie mich und ich kann sehen, wo ich bleibe mit meiner Sehnsucht. Doch ganz so einfach scheint das nicht zu sein. Und das kann mich bei allem Respekt nur freuen.

Donnerstag, 16. Dezember 2010

Respekt 1

Allen Lesern einen herzlichen Glückwunsch zum 235. Geburtstag von Jane Austen. Dass der heute weltweit gefeiert wird, darauf macht uns die tagesaktuelle Google-Eröffnungsseite aufmerksam. Erst habe ich gedacht: 235. Geburtstag - zweihundertfünfunddreißig -, jetzt übertreiben sie es aber mit den Geburtstagen bei Google. Doch was soll´s? Jeder Anlass ist recht, um auf Jane Austen hinzuweisen. Wer also Stolz und Vorurteil (Pride and Prejudice) noch nicht gelesen hat (Verfilmungen zählen nicht, auch nicht die mit Keira Knightley): unbedingt nachholen! Und nicht abschrecken lassen von den 200 Jahren. Das spielt schon nach wenigen Seiten keine Rolle mehr. – Vorschau: Weiter unten gibt es was mit dem Professor, dem Freund von der Tess. - Jetzt erst mal 12.45 Uhr. Ich beim Durchspielen eines Einfalles, den ich beim Schwimmen hatte. Stichwort: Schlub. Was ich anfangen könnte mit dem er, der bis zum Äußersten anonymisierten Gestalt aus Konkurrenz aka die andere Seite. Was ich anfangen könnte mit der anonymisierten Gestalt, weil ich nicht aufhören kann, mich mit der realen Person zu beschäftigen. Nichts mehr mit ihm zu tun haben wollen und zugleich das Gefühl, ihm Unrecht zu tun, weil ich ihm nicht gerecht werde - weil ich mich nicht in ihn hineinversetzen kann, weil mein Einfühlungsvermögen versagt bei ihm. Vielleicht nur deshalb, weil ich zu wenige Daten von ihm habe. Was an ihm liegt; wofür er aber auch nichts kann. Er kann nicht aus seiner Haut. Geschichte von jemand, der nicht aus seiner Haut kann. Geschichte in mehreren Momenten. Erster Moment: Neonazis mit Reichskriegsflagge auf einer Kirmes; Tränen. Momente verteilt über drei Jahrzehnte. Verbindungen zwischen den Momenten. Notizen. Mal sehen, ob ich das morgen noch verstehe, was ich gerade notiere und ob ich sie dann noch schreiben will, die Geschichte - ob es überhaupt eine Geschichte ist. Eine Zigarette rauchen an der einen Spalt breit geöffneten Balkontür. Hastig rauchen wegen der hereinströmenden Eiseskälte. Tür zu. Zurück ans improvisierte Stehpult zum Laptop. Kurzer Blick auf die andere Straßenseite zum Fenster des Contessa-Zimmers. Seit Dienstag stand das Subtile Zeichen auf Alles gut (zum ersten Mal wieder nach Monaten); seit dem Morgen steht es wieder auf Nicht gut. Hat die Tess es auf Nicht gut gestellt? Oder war es der Professor? Seit dem Wochenende ist er wieder zurück von wo auch immer er gewesen ist und jetzt steht er etwa 20 Meter entfernt von mir im Contessa-Zimmer, hinter dem rechten Flügel des Fensters. Der Freund von der Tess, genannt der Professor. Er trägt etwas Schwarzes und darunter etwas kapuziges Weißes und sieht gut aus und sympathisch (aus dieser Entfernung hat er eine Ähnlichkeit mit Jim Morrison, der hier letzte Woche mal vorkam; nur dass der Professor nicht die etwas zu dicken Backen von Jim Morrison hat; dafür hat er etwas zu kleine Augen, was aber auf diese Entfernung nicht zu erkennen ist). Und was macht er, der Professor? Warum steht er da? – Er schaut zu mir her. Und ich schaue zurück. Darauf schaut er weiter her und ich schaue weiter zurück. Stehe regungslos, schaue zurück und denke, ich sollte mal auf die Uhr gucken, um später genau sagen zu können, wie lange wir so gestanden und geguckt haben. Doch dazu hätte ich den Blick abwenden müssen von ihm und das wollte ich nicht. Denn darum ging es gerade: Wer wird als Erster den Blick abwenden? - Ich nicht. - Er hat dann, nach geschätzt dreieinhalb Minuten, sich als Erster bewegt - nicht gezuckt -, sich bewegt. Hat sich den Fensterrahmen angeschaut. Hat das Fenster geöffnet. Sich kurz rausgelehnt aus dem Fenster, hat auf die Straße runtergeschaut, anschließend das Fenster wieder geschlossen. Ist hinter das Fensterkreuz getreten, hat da kurz gestanden und dann ist er weggegangen vom Fenster und hat das Zimmer verlassen. – Es ist aber keineswegs so gewesen, dass er meinem Blick nicht standgehalten hat, weil er diese Übersprungshandlungen mit dem Betrachten des Fensterrahmens und dem Rauslehnen gemacht hat. Er hat so lange zurückgeguckt, dass das für mich zählt wie nicht weggeguckt. Im Nachhinein bin ich sogar froh, dass er die Szene mit seinen Übersprungshandlungen aufgelöst hat. Denn bei meiner Sturheit würden wir vielleicht immer noch da stehen und die Tess müsste ihn mit Essen und Trinken versorgen und ihm den Nacken massieren, während ich hier völlig alleine und unversorgt dastünde,  mit leerem Magen, ausgetrocknetem Mund und Nackenstarre. Ach, und dass ich es nicht vergesse: während wir uns – unverwandt – anschauten, habe ich mal gelächelt, und wenn ich es richtig gesehen habe, hat er darauf auch gelächelt. – Und was hat das jetzt zu bedeuten? – Fortsetzung folgt.

Mittwoch, 15. Dezember 2010

Neuschnee

Warum bin ich nicht früher raus gegangen? Es ist gar nicht so kalt. - Der Krebspatientin sieht man es nicht an. Sie kommt daher wie immer. Operation; zehn Tage Klinikaufenthalt. Die Geschwulst war wieder bösartig. Die gleiche Stelle wie beim letzten Mal. Kann sein, dass sie damals was vergessen haben. Sie wird nur eine leichte Chemotherapie machen müssen. Dann kann sie endlich gesund werden. Sie wird nicht sterben. Das sage ich nicht. Aus Zurückhaltung. Aber ich weiß es. – Oleg erzählt einen Witz. Fragt die eine Rosine die andere Rosine: Warum trägst du einen Helm? – Sagt die andere: Ich muss gleich in den Stollen. – Roland lacht. Ich fasse es nicht. Roland will mir den Witz erklären. Nein, nein, ich weiß schon. Christstollen. Oleg erzählt noch einen Witz. Jetzt mit zwei Alzheimerpatienten. Roland lacht wieder. Ich sage: Erstklässlerwitz. Oleg will einen dritten Witz erzählen. Ohne mich. - Die Akazienstraße hoch zur Hauptstraße. So viel Schnee, dass er liegengeblieben ist. Geräumte Pfade auf den Bürgersteigen. Frau mit Kinderwagen und Begleiterin vor mir. – Entschuldigung. ... ENTSCHULDIGUNG! – Erkläre der Frau im Vorbeigehen, dass ich ihretwegen nicht durch den Tiefschnee stapfen will. Begleiterin lacht und sagt: Müssen Sie doch auch gar nicht. - Die Freundlichkeit überrascht mich. Hatte erwartet, angeschnauzt zu werden. Schnee macht gute Laune. - Sparkasse. Aldi. Reichelt. Teeladen. Dort wieder die Verkäuferin mit dem schauspielerischen Talent. Aber nur eine Rolle. Heute sagt sie: Die Leute sind so irritierend. Und das wird jetzt mit jedem Tag schlimmer. Wegen Weihnachten. Müssen Sie mal beobachten. - Mache ich, sage ich und denke, wenn sie einen besseren Text hätte, wäre sie richtig gut. - Beim Hamburger Tabakwarenhändler ist es zu voll. Um die Ecke in den türkischen Tabakwarenladen. Dann kann ich auch noch schnell bei Videoworld rein. Mitarbeiter, den ich noch aus der alten Filiale kenne. Frage nach René. Der ist jetzt bei einer anderen Firma. Andere Branche. Aber gleiches Fachgebiet. Flachbildschirme. Chinesisches Unternehmen. Großhandel. Vertrieb. – Hat er sich verbessert? – Aber unbedingt. Bei dem, was hier los ist. – Was ist bei Videoworld los? – Das kann er mir jetzt nicht sagen wegen Kollegin im Hintergrund. – Erzähle es mir beim nächsten Mal. – Mach ich, sagt er und dann Tschüss und Herr und meinen Nachnamen. Der jetzt also auch. Wen sehen die in mir? Wenn ich ihn duze, kann er mich doch auch duzen. Bei Videoworld würde ich gerne mal eine Zeit lang arbeiten und darüber schreiben. – Vorbergstraße: Das kleinere der beiden Kinder auf dem Schlitten weint. Die Mutter putzt ihm die Nase. Das Kind ist bestimmt nur müde. - Apostel-Paulus-Kirchplatz. Der kleine Junge mit den runden Brillengläsern trottet leise weinend der Mutter hinterher. Die Mutter weit voraus. Alles nicht so schlimm. Der Junge wahrscheinlich auch nur müde nach dem langen Nachmittag im Schnee. Behagliche Vorstellung, ein müdes Kind zu sein. – Durch den Matsch über die Straße. Bei Manuel oben kein Licht. Wenn der mich wieder zu seiner Silvesterparty einladen würde, ginge ich hin. Macht er aber bestimmt nicht. Alleine schon deshalb, weil ich darüber schreiben würde. Geschäftsidee: Laden Sie mich zu Ihrer Silvesterparty ein und ich schreibe darüber! Mehr Geschäftsideen. Der freie Inhalt im Internet muss irgendwie finanziert werden. Das Geld ist da. Es muss nur kanalisiert werden. Für die Inhaltsarbeit wurde noch nie bezahlt. Die Verlage werden dafür bezahlt, dass sie Anzeigen in die Welt bringen. Mit dem Geld, das sie damit verdienen, bezahlen sie die Journalisten.  - Professor da. Tess weg? Umgekehrt war besser. - Einkauf auspacken. Die weinenden Kinder vorhin. Meine Freude, wenn ich Kinder sehe. Meine Kindheit muss eine gute Zeit gewesen sein. Warum konnte ich es dann nicht erwarten, erwachsen zu werden? – Später: Tess doch da. Kleines Glück. Aber alleine. War ich als Kind auch. Deshalb wollte ich so schnell erwachsen werden. Es hat nichts genutzt.

Dienstag, 14. Dezember 2010

Konkurrenz

Vom Sonntag ist noch zu berichten, dass es am Nachmittag bei der Rückgabe des entliehenen Films zu einer Verständigung zwischen mir und dem Videoworld-Mitarbeiter über meinen Auftritt vom Vortag gekommen ist. - Ich: War das denn so schlimm, was ich zu dir gesagt habe? – Er: Nein. Es war einfach nur der falsche Moment. – Ich: Ich habe ja auch eingesehen, dass ich meine Frage hätte weglassen können. – Er: Es war einfach nur der falsche Moment. – Ich: Dann vertragen wir uns wieder. – Er: Na klar. - Wäre die Verständigung – der Versuch einer Aussprache -, die im Anschluss an die Szene bei Videoworld stattfand, doch nur annähernd so einfach gewesen. Die Aussprache dauerte drei Stunden. Verabredet war, das Gespräch bei einem Spaziergang zu führen. Doch dann hatte die andere Seite sich nicht warm genug angezogen, so dass wir nicht wie von mir geplant zum Friedhof in der Großgörschenstraße gehen konnten, den ich der anderen Seite bei dieser Gelegenheit zeigen wollte. So setzten wir uns ins Café Gottlob und zogen irritierte Blicke auf uns, weil das erste Drittel des Gesprächs von uns sehr erregt geführt wurde und ich dabei mehrfach so laut wurde, dass alle im Café etwas davon hatten. Im weiteren Verlauf des Gesprächs beruhigten wir uns beide und Lüder, der ab 17.30 Uhr hinter dem Tresen arbeitete, musste sich dann schon umständlich am Spülbecken zu schaffen machen und sich weit herunterbeugen, um mithören zu können, worüber wir redeten. Am Ende äußerte die andere Seite: Ich werde das jetzt mal alles auf mich wirken lassen. Und mein Schlusswort beim Abschied war: Das war dann doch ein gutes Gespräch. Wir sollten es fortsetzen. – Ein gutes Gespräch war es, weil ich am Schluss nicht mehr rumgebrüllt habe und die andere Seite damit aufgehört hatte, mir Vorwürfe zu machen. Ob wir das Gespräch fortsetzen sollen - und wollen - und wie das geschehen soll, das muss sich erst noch zeigen. - Meine erste Reaktion nach dem Abschied bestand in dem Gefühl, dass ich das alles am liebsten nicht erlebt hätte. Den Auslöser für das Gespräch nicht und damit auch das Gespräch selbst nicht. Diese Reaktion mag wie mein übertrieben freundliches Schlusswort auf Erschöpfung zurückzuführen sein. Unvermittelt war sie allerdings nicht. Denn das hatte ich mir in den letzten Wochen schon ein paar Mal gedacht: dass es vielleicht besser gewesen wären, es bei dem Bruch belassen zu haben, zu dem es in der Freundschaft mit der anderen Seite vor vier Jahren gekommen war. Doch dazu hätte ich das Versöhnungsangebot, das die andere Seite mir im Frühjahr gemacht hat, ausschlagen müssen – und so bin ich nun mal nicht, dass ich so ein Angebot ausschlage. – Meine zweite Reaktion auf das Gespräch bestand darin, dass ich gestern zweimal versucht habe, über die Aussprache zu schreiben und über Notizen nicht hinausgekommen bin. Deshalb habe ich mir gestern schon überlegt, über das Gespräch, das im Grunde genommen ein unangenehmes Gespräch war, hinweg zu gehen und hier so zu tun, als habe es gar nicht stattgefunden. Dann ist mir aber eingefallen, dass das von der anderen Seite als unfair empfunden werden könnte, wenn ich nicht über das Gespräch schreibe und damit auch verschweige, dass sich die andere Seite einer Aussprache gestellt und welchen Standpunkt sie vertreten hat. In dem Konflikt, über den ich geschrieben habe in Einleitung, Angebot, Nachfrage und Adorno. Geschrieben habe über den Konflikt aus meiner Perspektive. Erzählung meines Erlebnisses einer Enttäuschung und einer Kränkung. Mit einer Person, die ich in dem Text Freund genannt habe; die Person anonymisiert durch Weglassen und Verallgemeinern. Die Person gemacht zu einer Figur im Roman meines Lebens. Kapitel: Freundschaft. Thema: Bewältigung einer Enttäuschung über und Kränkung durch einen Freund. Im Mittelpunkt stehend mein Erlebnis, nicht die Person des Freundes, mein Wahrnehmen eines Freundes. – Das erkläre ich deshalb so ermüdend ausführlich, weil eben das zu einem Konflikt führte in dem Gespräch, der den auslösenden Konflikt – um die nicht gegebene Hilfe und die Umstände des Nichtgebens der Hilfe - in den Hintergrund drängte. So dass es in der Aussprache am Sonntag nur mehr am Rande um meine Enttäuschung und mein Gekränktsein und dessen Anlass ging. In der Hauptsache aber um die Empörung der anderen Seite darüber, dass ich über diese Enttäuschung, Kränkung und ihren Anlass geschrieben hatte und wie - WIE! - ich das getan hatte. Nämlich so, dass sich die andere Seite in der Erzählung vom Erlebnis mit dem Freund als der Freund wiedererkannt hat und entsetzt darüber war, was für ein Bild ich von diesem Freund gezeichnet habe. Von Beginn der Aussprache an fand ich mich daher in einer defensiven Position: desjenigen, der eine für die andere Seite unvorteilhafte Wahrnehmung gehabt hat und diese Wahrnehmung nur aus dem kleinlichen, kläglichen Motiv hatte, dass er nicht bekommen hat, was er wollte. Nachdem wir die darauf zielenden Vorwürfe durch hatten, wechselte das Gespräch in seinem zweiten Teil zu einer kritischen Betrachtung meiner Person, die darauf hinauslief, meine Haltung gegenüber der anderen Seite aus weiteren fragwürdigen Motiven zu erklären. Wie  zum Beispiel einem mir unterstellten Neid auf das glückliche Familienleben der anderen Seite. ... (Passage wegen Diskretion gestrichen) ... .  Mit den Vorwürfen hingegen hatte ich leichtes Spiel. Bis auf den einen Vorwurf: dass ich über mein Erlebnis mit dem Freund geschrieben hatte. Das ist mir erst im Gespräch am Sonntag klar geworden, wie sehr das die andere Seite getroffen hat und treffen musste – nicht nur, dass ich es getan habe, sondern wie ich damit einen Einblick in meine Wahrnehmung der anderen Seite gegeben habe, einen Einblick, der nicht anders als verletzend empfunden werde konnte. Doch was wäre die Alternative gewesen? Hätte ich darauf verzichten sollen, vom Erlebnis meines eigenen Verletztseins zu schreiben, um die andere Seite vor Verletzung zu bewahren, die ihr zugefügt werden konnte, wenn ich schreibend mein eigenes Verletztsein zu bewältigen versuche? Denn nur darum ist es bei meinem Schreiben gegangen, keineswegs darum, die andere Seite zu verletzen. Dass das geschah, war eine unvermeidbare Nebenwirkung, aber nicht die Intention. –  Über dieses Dilemma hätten wir reden können. Aber dazu sind wir nicht gekommen, weil es die ganze Zeit - sozusagen im Subtext des Gesprächs - um etwas ganz anderes ging: Um den zweiten großen Vorwurf: Du fühlst dich mir überlegen. Und um Konkurrenz. Konkurrenz um Überlegenheit. Diese Konkurrenz haben wir in der Aussprache aufgeführt und zwar so, wie wir es schon häufig getan haben: Die andere Seite, die ich so bezeichne, um die Anonymisierung zum Äußersten zu treiben, und die ich jetzt er nenne – die andere Seite, also er, hat mit mir konkurriert darum, wer von uns beiden dem anderen überlegen ist, und ich habe ihn ins Leere laufen lassen, indem ich mich der Konkurrenz verweigert habe. Weil mich Konkurrenz nicht interessiert, wenn es um nichts geht; wenn das Konkurrieren rein olympischen Charakter hat, wie das in einer Freundschaft der Fall ist. Allerdings ist es bei meiner Durchtriebenheit nicht auszuschließen, dass dieses Verweigern des Konkurrierens nur eine besonders raffinierte Taktik ist, Überlegenheit herzustellen, und damit in Wahrheit auch zu konkurrieren. Ich räume das als Möglichkeit ein. Ich bin mir nicht sicher, ob es so ist. Doch das spielt auch keine Rolle bei der Frage, um die es hier geht. Sollen, wollen wir die Freundschaft fortsetzen und wie? - Antwort: Fortsetzen, wenn es uns gelingt, mit der Konkurrenz aufzuhören. Dieses Konkurrieren ist - Ergebnis meiner Gesprächsanalyse - der Grundkonflikt unserer Freundschaft. Den hat es vielleicht unbemerkt von Anfang an gegeben, inzwischen hat er sich jedoch so zugespitzt, dass es besser ist, die Freundschaft zu beenden, wenn uns nichts anderes mehr einfällt, als wie zwei kleine Jungs bei jeder Gelegenheit zu vergleichen, wer den Längeren und wer den Dickeren hat. – Außerdem verspreche ich den Lesern, nie wieder aus Rücksichtnahme auf was für eine Seite auch immer so einen unanschaulichen Text zu schreiben wie diesen. Wenn er also ein Freund sein will, dann soll er bitte auch dazu bereit sein, hier mit seinem Vornamen und als authentische Person - als ganzer Kerl -  in Erscheinung zu treten. Und wenn er dabei ein besseres Bild abgeben will als bisher, dann soll er etwas dafür tun. Statt sich über Wahrnehmungen zu beklagen, kann er sie auch korrigieren. Wenn er nicht als geizig dastehen will, soll er zeigen, dass er es nicht ist. Und wenn er dazu zu geizig ist, soll er zu seinem Geiz stehen.

Montag, 13. Dezember 2010

Rossini

Ein Leser, der den Blog immer gleich nach dem Aufstehen liest, schreibt mir unter dem Betreff Tess: Willst du damit sagen, du bist ihr endlich wirklich begegnet? – Ich antworte: Was ist wirklich? – Heimlichkeit ist Heimlichkeit, selbst für Dich. – Außerdem, um daran wieder einmal zu erinnern: Die Tess und ich, wir sind uns bereits mehrere Male nicht nur wirklich, sondern tatsächlich begegnet. Und weil wir das jedes Mal vermasselt haben, müssen wir jetzt hundert Jahre lang uns nacheinander sehnen. Und wenn wir das schaffen, ohne in unserer Sehnsucht nachzulassen, dann werden wir uns eines Tages so begegnen, dass es kein Ende mehr haben wird. – Der frühe Leser ist Peter. Von ihm gab es dann noch eine zweite Mail, mit dem Betreff Sonntag. Die gebe ich wieder in Das alte Biest, weil sie eine Korrektur, Ergänzung und Weiterführung meines Posts von gestern ist – und weil es mich freut, dass der Peter so einen guten Sonntag hatte. – Mein Sonntag ist zusammengefasst in dem Moment, als ich am Abend rauchend und Bier trinkend in meiner Küche stand, dabei den dritten Akt von Rossini, Semiramide hörte, den Blick auf den Topf mit den im siedenden Wasser garenden Nudeln gerichtet hatte und vor mich hinbrütend dachte: Alles hängt nur von mir ab. Und wie gut ist es und wie überraschend, dass ich überhaupt nicht mehr in der Lage bin, Selbstmitleid zu haben. Selbst wenn ich es wollte, es würde mir nicht gelingen, mich selbst zu bemitleiden. Wie jemand, der zu lange geweint hat, keine Tränen mehr hat, so habe ich kein Selbstmitleid mehr. – Für die Nudeln ist das sehr gut ausgegangen. Al dente, wie es besser auf den Punkt nicht geht, waren sie. - Später, als die Rossini-Oper zu Ende war, ist mir der gute Kalauer von Claudias Bruder Bernhard eingefallen, weil es sich in Semiramide gerade mal wieder so angehört hatte wie der Kalauer behauptet: Mozart ist nicht gestorben, nachdem er sein Requiem komponiert hatte, sondern hat hinter einem Grabstein versteckt seinem vorgetäuschten Begräbnis zugeschaut, um sich danach aus Wien abzusetzen und später in Italien unter dem falschen Namen Gioachino Rossini Opern zu komponieren, nur noch Opern, und es bis zum Ende seines Lebens zu genießen, nicht mehr Wolfgang Amadeus Mozart sein zu müssen. Dieses Muster. Diese Vorstellung. Nicht mehr der sein zu müssen, der man ist – durch zufällige, zum Teil widrige Umstände geworden ist. Aus seinem Leben zu verschwinden und fortan nur noch der zu sein, der man sein möchte.
Bitte beachten: es gibt einen zweiten Post von heute.