Montag, 27. Dezember 2010

Autor

Bret Easton Ellis, Imperial Bedrooms. Auf den letzten 50 Seiten des Romans wird es immer fragwürdiger, ob das wirklich Liebe ist, was Clay, den Ich-Erzähler und Drehbuchautor, so versessen macht auf Rain, die sich mit ihm nur eingelassen hat, weil sie sich davon eine Rolle in einem Film erhofft, den er geschrieben hat. - Ohne die freundliche Genehmigung des Verlages, aber sicher mit dessen Einverständnis, da es unbezahlte Werbung ist, die ich damit mache, zitiere ich drei Passagen aus dem Roman. – Auf Seite 138 ist Clay so:
Dr. Woolf hinterlässt mir eine Nachricht auf dem Festnetztelefon, in der er die morgige Sitzung absagt und mir mitteilt, dass er mich nicht weiterbehandeln kann, aber gern an jemanden anderen überweisen möchte, und am nächsten Morgen fahre ich zu dem Gebäude am Sawtelle Boulevard und parke im dritten Geschoss des Parkhauses und warte auf das Ende seiner Mittagssitzung, weil er dann nämlich Pause macht und höre inzwischen immer wieder einen Song mit dem Text: So leave everything you know and carry only what you fear … und nicke vor mich hin, während ich Zigaretten rauche und ein Liste von all dem mache, wonach ich Rain nicht fragen werde, und beschließe, alle unwahren Erklärungen zu akzeptieren, die sie vorbringen wird, und sage mir, dass das der einzige mögliche Plan ist, und dann erinnere ich mich an den Menschen, der mir beigebracht hat, dass die Welt notwendigerweise ein Ort ist, an dem sich niemand für deine Fragen interessiert und dir nichts Schlimmes geschehen kann, wenn du allein bist.
Ich verderbe niemandem die Überraschung, wenn ich verrate, dass Clay Rain nicht kriegt. Denn jedem im Roman und jedem Leser ist schon bald klar, dass er alles von ihr haben und mit ihr machen kann, nur ihre Liebe bekommt er nicht. Er selbst kapiert das erst, nachdem er sie zusammengeschlagen hat und es zum folgenden Dialog kommt. Seite 198:
Sie kneift die Augen zu und dreht den Kopf verneinend hin und her, während ihr Tränen ins Gesicht strömen.
"Du hast versucht, mir wehzutun“, sage ich und streichle ihr Gesicht.
„Das hast du dir selbst angetan“, stöhnt sie.
„Ich möchte mit dir zusammen sein“, sage ich.
„Dazu wird es nie kommen“, sagt sie und dreht das Gesicht weg von mir.
„Bitte hör auf zu weinen.“
„Das war auch nie vorgesehen.“
„Und warum nicht?“ frage ich. Ich schiebe je einen Finger in ihre Mundwinkel und zwinge ihre Lippen zu einem Lächeln.
„Weil du nur der Autor bist.“
Obwohl die Szene zum Frösteln ist, habe ich an dieser Stelle laut lachen müssen (wenn auch etwas härtlich und mit einem gekünstelten Unterton): Weil du nur der Autor bist. - Im Anschluss folgt ein Kapitel, in dem Clay sich ein bildhübsches junges Paar kauft und mit dem Jungen und dem Mädchen einen sadistischen Alptraum auslebt. Wobei ich das Kapitel so gelesen habe, dass das Geschehen nur in seiner Fantasie stattfindet. Trotzdem möchte ich alle, die zimperlich auf Gewaltdarstellungen reagieren, vor der Vorstellungswelt dieses Kapitels warnen und ihnen empfehlen, lieber gleich ganz die Finger von dem Buch zu lassen, da es im letzten Drittel noch einen anderen mit quälender Anschaulichkeit dargestellten Gewaltexzess gibt. Allen, denen das nichts ausmacht, weil sie auch in solchen Extremsituationen noch in der Lage sind, Fiktion als Fiktion zu realisieren, möchte ich den Roman empfehlen und will ihnen die Auflösung der Geschichte, die große Überraschung, die es auf eine ganz beiläufige Art am Ende gibt, nicht verraten. Stattdessen hier der letzte Absatz des Romans, der uns zeigt, wie Clay nach der Überraschung ist. Seite 214:
Es gibt vieles, was Blair von mir nicht versteht, so vieles, was sie letzten Endes übersehen und vieles, was sie nie erfahren hat, und es gab immer eine Distanz zwischen uns., weil überall zu viele Schatten waren. Hat sie je einem treulosen Bild im Spiegel Versprechungen gemacht? Hat sie je geweint, weil sie jemanden so sehr hasst? Hat es sie je so sehr nach Verrat gelüstet, dass sie die primitivsten Fantasien Realität werden ließ und Episoden erfand, die nur sie und sonst niemand verstehen konnte, die Spielregeln während des Spiels veränderte? Konnte sie den Moment bestimmen, in dem sie innerlich starb.? Erinnert sie sich an das Jahr, das sie brauchte, um so zu werden? Die Ausblendungen, die Überblendungen, die ungeschriebenen Szenen, all das, was man wegwischt – jetzt würde ich ihr das gern erklären, aber ich weiß, dass ich das nie tun werde, weil das Wichtigste dieses eine ist: Ich habe nie jemanden gemocht und ich habe Angst vor allen.
Bitte beachten: Es gibt noch einen zweiten Post von heute.