Und Scott Schuman? – Ist ein weltberühmter Street Style Photographer. Sein Blog heißt The Sartorialist. Er ist unterwegs in New York, London, Paris, Milano. Liiert mit der wunderbaren Fashion Bloggerin Garance Doré. Und er käme bestimmt nie auf die Idee, eine japanische Musikstudentin sein zu wollen, und da das nicht geht, sie wenigstens zu fotografieren. Grace, hat er einmal in einem Interview gesagt, das sei es, was er suche, was er zeigen wolle in seinen Fotos, das sei sein Thema. Grace = Anmut, Grazie. Hatte die junge Japanerin mit dem schwarzen Geigenkasten und dem weißen Tutu Grace? – Nein, rührend misslungen war er, ihr Grace-Versuch, wenn es einer war. Rührend wäre ich also, wenn ich eine japanische Musikstudentin wäre an der UDK. Hauptfach Violine, Nebenfächer Kompositionslehre und Neuere Musikgeschichte.
Dienstag, 25. Oktober 2011
Tutu
Aus dem U-Bahnhof Spichernstraße kommt eine junge Japanerin die Treppen hoch. Sie hat einen Geigenkasten bei sich und geht zu dem Gebäude, in dem sich die UDK-Musikfakultät befindet. Es ist eine Musikstudentin, wie ich im Juni einmal gerne eine gewesen wäre und, wenn ich es mir überlege, immer noch gerne wäre. Instrument Violine und als Nebenfächer Kompositionslehre und Neuere Musikgeschichte, wenn es das gibt, aber auf keinen Fall Musikpädagogik. Wenn ich die japanische Musikstudentin wäre, die jetzt den kurzen Weg von der U-Bahn über die Bundesallee zur UDK geht, dann hätte ich über der Stirn ein Klämmerchen im Haar, würde eine schwarze Jacke tragen, schwarze Strumpfhosen, flache schwarze Schuhe und: ein weißes Tutu, ein kurzes Röckchen aus mehreren Schichten Tüll. Und was würde ich sagen, wenn der ältere Mann mit dem schwarzen Rucksack und dem Fotoapparat auf mich zukäme und mich fragen würde, ob er mich fotografieren darf? – Ich weiß es nicht. Weil der ältere Mann nicht zu mir her gekommen ist. Der ältere Mann hat nur dagestanden, hat fasziniert auf das Tutu gestarrt und sich gefragt, ob das süß aussieht oder daneben, und dann erst ist er auf die Idee gekommen, dass er die junge Frau fotografieren könnte, wenn er schon nicht sie sein kann. Da war sie aber schon so weit entfernt, dass er ihr hätte hinterher hasten müssen. Ach was! Den Mumm hat er nicht verspürt in sich, um hinzugehen, sie zu fragen und zu riskieren, ein Nein zu hören oder zu erleben, wie sich die junge Frau befremdet abwendet. Da er den Mumm nicht hatte und damit auch keine Überzeugungskraft, war es besser, es sein zu lassen, hat er sich überlegt, während er weiter ging, und dann hat er noch gedacht: Was soll´s? Ich bin doch nicht Scott Schuman. Nur, weil mir so gut gefällt, was der macht, muss ich es nicht auch machen. – Auf die Idee, dass da gar kein Mumm dazu gehört hätte, die junge Frau zu fragen, ob er sie fotografieren darf, und dass er am überzeugendsten ist, wenn er tut, was er tun will, darauf ist er erst später gekommen.