Er sitzt vor dem Coffeeshop, dem zweiten, dem im oberen Teil der Akazienstraße, wo die weniger affigen Leute sitzen, dachte ich immer und habe ich geschrieben an dem Tag, als er mir entwischt ist. Jetzt macht er sich Notizen und blickt nicht auf, als ich mich auf den Stuhl ihm gegenüber setze. Als er schließlich geruht, mich wahrzunehmen - so ist er, dass er geruht etwas zu tun, jetzt, mich wahrzunehmen -, da stelle ich mich vor, indem ich sage, ich schreibe einen Blog, und weil er in meinen Augen so eine nostalgische Figur ist, will ich ihm lieber mal erklären, was ein Blog ist. Er unterbricht mich und verwahrt sich dagegen, so ist er, dass er sich gegen etwas verwahrt, jetzt gegen die Annahme, dass er nicht wisse, was ein Blog ist. Nachdem das endlich geklärt ist, erzähle ich ihm, dass ich Anfang des Jahres geschrieben habe über Mode und ihn erwähnt dabei; dass ich mir damals aber noch unschlüssig war, ob der Helm, den er trägt, ein Style-Statement ist oder Arbeitskleidung. Bevor er diese Frage beantwortet, nimmt er aus seiner Tasche einen Stapel Fotos und reicht sie mir wortlos. Die Tasche ist schwarz und ein Stück vom Trödel. Ein kastenförmiger Lederkoffer, wie ihn Elektriker oder Fernmeldetechniker benutzen für ihr Werkzeug. Er hat in der Tasche u.a. die Fotos, seinen Stift, ein Notizheft und eine Packung American Spirits Gelb sowie Streichhölzer. Auf den Fotos sind Büsten, gestaltet in einem gefälligen bizarren Stil und alle haben sie eine Kopfbedeckung, exzentrische Kopfbedeckung. Das sehe ich, aber er weist mich darauf noch einmal ausdrücklich hin, dass sie alle eine Kopfbedeckung haben. – Haben Sie die gemacht, die Büsten? Sind Sie Bildender Künstler? – Er hat die Büsten gemacht. Künstler ist er nicht. Er verdient sein Geld auf andere Art, sagt er und es ist klar, dass er nicht sagen wird, auf welche. Ich frage ihn, wie alt er ist. Er belehrt mich, dass man mit der Direktheit, mit der ich Fragen stelle, bei ihm nichts erreicht. Weil der Fragesteller dadurch uninteressant für ihn wird. Obwohl es wirklich nicht gut läuft und er mir von Minute zu Minute mehr auf den Sack geht, habe ich bei der Kernfrage Erfolg. Aber auch nur deshalb, weil ihm daran gelegen zu sein scheint, sie mir zu beantworten. Er trägt den Helm, weil er ihm gefällt. Er trägt ihn auch, wenn er zum Beispiel in die Deutsche Oper geht, und wird dort anstandslos reingelassen mit Helm, wie er hervorhebt, weil daran zu erkennen ist der Bekanntheitsgrad, den er hat als Mann mit dem Helm und als Mann überhaupt; als Beleg dafür nennt er illustre Namen von Personen, die er zu seinen Bekannten zählt. Es scheint auch vorzukommen, dass er den Helm nicht trägt. Dann passiert es, dass Leute ihn nicht wiedererkennen und darüber lässt er sich jetzt aus, was er von diesen Leuten und ihrer Oberflächlichkeit hält. Es ermüdet mich, mir das anzuhören. Später sagt er noch, was er von den Leuten hält, jungen Familien, die aus Prenzlauerberg nach Schöneberg kommen, weil es ihnen dort zu teuer ist und es dort inzwischen zugeht wie in einem Vorort von Stuttgart, und dann kommen sie hierher, flanieren über die Akazienstraße und denken, sie sind die Zukunft. Nichts, gar nichts hält er von diesen Leuten und ein Kiez-Soziologe ist er anscheinend, während er vor dem Coffeeshop sitzt. Der ist dieses Jahr sein Stammcafé, aber nächstes Jahr bestimmt nicht mehr. Da wird er ein anderes Stammcafé haben. - Ach ja? - Der Helm. Endlich mal eine unumwundene Aussage: Der Helm ist ein Bauarbeiterhelm, den hat er aus den USA und er stammt aus den 30er Jahren. – Der Helm sieht aus der Nähe sehr edel und ganz leicht aus. Wenn ich einen solchen Helm besäße, würde ich ihn auch gelegentlich tragen. An Tagen wie gestern zum Beispiel, als Regenschutz. Jetzt würde ich den Helm und den Mann gerne fotografieren. Doch ich ahne schon: Sie werden nicht wollen, dass ich Sie fotografiere. – Nein, das muss nicht sein. – Das wiederholt er mehrfach, dass das nicht sein muss. – Vielleicht ein andermal? – Vielleicht ein andermal. – Dann könnte es allerdings sein, dass ich keine Lust mehr habe, sage ich nicht, so wird es kommen. – Bevor ich mich verabschiede, frage ich ihn: Sind Sie im Internet? – Er erklärt darauf in seiner gespreizten Art, dass er es bei dem, was er macht, nicht nötig hat, im Internet zu sein. – Ich wollte nur wissen, ob Sie einen Internetzugang haben. Dann hätte ich Ihnen meine Blogadresse gegeben. – Nein, Zugang hat er nicht, Adresse braucht er nicht. – Auch gut, dann muss ich keine Rücksicht auf seine Eitelkeit nehmen, weil er wird es nicht lesen: Jeder verhuschte Passant, jede noch so unscheinbare Person auf der Akazienstraße ist interessanter als der Mann mit dem Helm, der allerdings ein wunderschöner Helm ist und aus der Nähe betrachtet noch viel schöner, als wenn man ihn von weitem oder im Vorübergehen sieht.