Waldemar Flaig: Tatjana Barbakoff, 1927 |
Sie hat getanzt im vorderen Raum von Gondwana. Dem großen Ausstellungsraum der Galerie, wo ein Flügel steht. Oxana Chi nennt ihn Klavier. Getanzt? Geprobt. Sie arbeitet in der Nähe. Gibt Tanzunterricht. Und manchmal hütet sie für Klaus Karwat dessen Galerie, aus Gefälligkeit dafür, dass sie die Galerie als Proberaum nutzen kann. Heute zum vorerst letzten Mal. In ein paar Tagen fährt sie nach Paris, wo sie mit ihrem Programm Salon Qi gastiert. Untertitel: Tanzende Erinnerungen / Mémoire dansée. Erinnerungen an Tatjana Barbakoff. Lettisch-jüdische Tänzerin, Karriere in Berlin und Paris, ermordet in Auschwitz. An der Wand im Büro von Klaus hängen drei Fotos von Oxanas Tanzauftritten. Die wird sie nachher abhängen, um sie mitzunehmen. Auf den Fotos ist nur sie zu sehen. – Sie treten alleine auf? – Ja. Die Barbakoff ist auch alleine aufgetreten. – Ist das Ausdruckstanz, was sie gemacht hat? – So ist es. Und das ist es auch, was sie, Oxana, macht. – Ich blättere in dem Booklet zu Salon Qi, das mir Klaus gegeben hat. Auf einem Foto trägt Oxana ein rotes Kleid, das so lang ist, dass das Ende der Schleppe nicht mehr auf das Bild gepasst hat. – In einem Stück von Robert Wilson könnte eine Frau so ein Kleid tragen, sage ich. – Ich verehre Robert Wilson, antwortet Oxana. Sie spricht über die Japanerin, die für Robert Wilson Production Design gemacht hat, inzwischen verstorben. – Dass seine Ausstatterin Japanerin war, wusste ich nicht. Überrascht mich jedoch nicht. Das pure, minimale Visual Design seiner Produktionen. Unter anderem dafür verehre ich ihn auch. Oxana und ich verstehen uns immer besser - und dann auf einmal überhaupt nicht mehr: Darf ich Sie fotografieren, frage ich sie. Ohne zu überlegen, sagt sie Nein. Dann eben nicht. Ich wende mich Klaus Karwat zu, dessentwegen ich hier bin. Vermittelnd erklärt er Oxana, dass ich einen Blog schreibe. Sie fragt, was für einen Blog. Ich antworte knapp, sehr knapp. Sie meint, dass ich jetzt beleidigt bin, spricht von Eitelkeiten. Ich spreche von Pragmatismus. Wenn sich jemand nicht von mir fotografieren lassen will, dann interessiert er mich nicht mehr. Das ist überzogen. Aber in diesem Augenblick stimmt es: Hey! Sie tritt öffentlich auf, sie hat eine Website, es gibt unzählige Bilder von ihr im Internet und jetzt zickt sie rum wegen eines Fotos für meinen Blog. – Sie konnte nicht wissen, dass ich sie für meinen Blog fotografieren will? – Das hätte ich ihr schon noch gesagt und dann hätte sie immer noch zicken können, fragen, was ist das für ein Blog, sagen, den will ich mir erst mal ansehen, und das Foto auch, das Sie von mir gemacht haben. Aber von vornherein Nein sagen – damit gebe ich mich nicht mehr ab. Das ist ab jetzt der Blog der Leute, die nicht Nein sagen. Ich beginne mit dem Interview mit Klaus Karwat. Oxana nimmt ihre Fotos von der Wand und verpackt sie in Schutzfolie. An den Stellen, an denen sie sich einmischt in unseren Dialog, schweige ich und mache ein verschlossenes Gesicht. Das ist lächerlich. Aber ich habe nicht damit angefangen.
Welches Label gebe ich diesem Post? Fremde? – Das wäre übertrieben. Fremd ist Oxana mir keine Sekunde gewesen. Unsympathisch ist sie mir auch nicht und auch böse kann ich ihr nicht sein wegen ihres Neins. Es war einfach nur blöd, voreilig und nichts damit anzufangen. Label Porträt? – Das gibt es, wenn ich Oxana einmal besser kennenlernen sollte. Also? – Label Passanten. - Satz auf der Startseite ihrer Website: In meinen Augen angefüllt mit Leere sammeln sich immer neue Bilder, sie kommen und gehen.
Der Bericht über das Interview mit Klaus Karwat, aus dem dann ein richtig gutes Gespräch wurde, folgt in den nächsten Tagen.