Die Texte Vertrauen und Liebe dokumentiere ich hier in meinem Archiv-Blog. Angst und Kraft kann ich nicht mehr finden.
Freitag, 14. Oktober 2011
AngstVertrauenKraftLiebe
Friedhof Dreifaltigkeit, Mehringdamm. Ich bin die Doris aus Wien. Ich bin eine von den Skype-Freundinnen. – Und du bist extra nach Berlin zur Beerdigung gekommen? – Natürlich. Sie sitzt vor mir in der Kapelle. Neben ihr Natalja und ihre Mutter Nora. In der vorderen Reihe Astrid, daneben Peters Sohn Rico und seine mütterlichen Freundinnen, die einmal beste Freundinnen seiner früh verstorbenen Mutter waren. Eine der mütterlichen Freundinnen führt durch die Zeremonie. Nachdem etwas von Händel gespielt worden ist, kündigt sie an, dass vier Texte von Peter gelesen werden zu den Themen Angst, Vertrauen, Kraft und Liebe. Astrid liest den Text Angst, Natalja liest den Text Vertrauen und ihre Mutter heult sich fast die Augen aus dem Kopf, nicht wegen des Vertrauen-Textes, sondern aus Schmerz über den Tod Peters, der nicht nur einmal Geliebter war, sondern Kümmerer und Freund, seit sie in Berlin ist, fast so lange wie es ihre Tochter gibt. Peter hat die Texte auf Anregung Caros geschrieben, eine der Skype-Freundinnen, die nicht da sein kann heute, und ich habe immer gesagt, er soll endlich aufhören, mir diese Texte zu schicken, er soll über das schreiben, was er erlebt jeden Tag, merkwürdig genug ist es, nicht über diese allgemeinen Begriffe mit alten Schoten und Sätzen, die ich alle schon unzählige Male von ihm gehört habe. Du schreibst wie ein Pfarrer redet, hör endlich auf damit! Und dann hatte ich wieder so einen Text in meiner Mail. Ich habe sie alle gelesen, diese Texte, und gedacht, immer noch besser, als dass er weint. Er hat oft geweint im vergangenen Herbst und Winter. Dann nicht mehr, dann hat er diese Texte geschrieben und die werden nun vorgelesen in der Friedhofskapelle und sind jetzt überhaupt nicht mehr peinlich oder kitschig. Hier in diesem Moment, 11.15 Uhr, die Sonne scheint herein, auf die Blumen und den dunkelbraunen Sarg, hier funktionieren die Texte. Als hätte er sie geschrieben, damit sie bei seiner Beerdigung vorgelesen werden können von vier der ihm liebsten Frauen. Als hätte? Bestimmt hat er daran gedacht, dass es so sein könnte - dass es so sein wird. Nach den ersten beiden Texten wieder Musik. The Beatles, Norwegian Wood. I once had a girl / or should I say / she once had me ... . Der Song funktioniert hier nicht. Aber das macht nichts. Dritter Text. Kraft. Adriana liest den. Es gibt sie also wirklich. Ich habe ihm seine letzte Liebesgeschichte erst nicht geglaubt. Am Ende dann doch. Und ich war gespannt, ob ich sie sehen würde auf der Beerdigung, die junge Frau aus Kolumbien. Da steht sie. Und nach ihr liest die mütterliche Freundin des Sohnes noch den Text mit dem Titel Liebe und dann kommen die sechs Männer vom Beerdigungsinstitut, sie verbeugen sich geschäftsmäßig vor dem Sarg, räumen die Blumen weg und tragen den Sarg hinaus. Astrid spielt auf dem Saxophon Blue Moon, während wir dem Sarg zum Grab folgen. Vor mir geht Doris, die die ganze Zeit nicht geweint hat; jetzt weint sie. Adriana legt einen Strauß Blumen bereit, aus dem jeder eine nehmen soll, um sie ins Grab zu werfen und dann erst die Hand voll Erde. Nora wählt eine weiße Blume, Doris eine dunkelrote. Ich nehme keine Blume. Ich werfe nur zwei Hände voll Erde auf den Sarg. Das mache ich sonst nie bei Beerdigungen, jetzt mache ich es. Vor dem Grab stehen die Verwandten und Freunde. An der Längsseite Peters KollegInnen. Ich mache zwei Fotos aus dem Hintergrund. Ich gebe Nora die Hand und Natalja, verabschiede mich von Rico (wenn du mit mir über deinen Vater sprechen willst, jederzeit, gerne, ich würde mich freuen). Ich frage Doris, ob ich ihren schönen Schal fotografieren darf, und unterdrücke den Impuls, ihr zu sagen, wie gut sie mir gefällt. Auf dem Weg nach draußen mache ich mich noch mit Ricos mütterlicher Freundin bekannt, die die Trauerfeier moderiert hat, die Professorin, wie Peter sie immer nannte. Sie steht mit einer jungen Amtskollegin Peters zusammen, die mich fragt, ob ich der bin, der über Peter in seinem Blog geschrieben hat. Sie hat meinen Blogeintrag zu Peters Tod gesehen und dann die Texte gelesen, die ich dort verlinkt habe. Sie sagt, dass es ihr dabei so vorgekommen ist, als würde sie Peter hören oder als habe er die Text selbst geschrieben. Ich antworte, dass nicht allen meine Texte über ihn gefallen haben, den ihm nahestehenden Frauen zum Beispiel nicht. Aber er wollte, dass ich über ihn schreibe und manchmal hat er mich richtig gefüttert, hat mir etwas erzählt, damit ich es blogge. Sie lächelt und nickt: so kennt sie ihn. Auf dem Weg nach draußen sehe ich Peters Mutter am Arm ihrer Schwiegertochter. Ich gehe zu ihr hin und stelle mich vor: Peter und ich, wir kannten uns seit mehr als 40 Jahren. Ich würde Ihnen gerne die Hand geben. – Mehr sage ich nicht. Mehr gibt es nicht zu sagen.