Samstag, 29. Oktober 2011

Klaus


Martin Jagodzinski: Berglandschaft (Licht)
 Öl auf Leinwand   62 x 83 cm   2005

Eine Ausstellung hat die andere ergeben. Die Künstler kamen auf ihn zu. Zum Schöneberger Galerierundgang plant Klaus Karwat eine Retrospektive mit Bildern von Künstlern, die er ausgestellt hat in den vergangenen vier Jahren. Er schätzt sie alle,  manche ein bisschen mehr: Martin Jagodzinski, auf den weist er mehrfach hin. Daégki mit seinen Gipsbildern (Gipskartons, die man einmauern kann). Ulrike Hansen mit ihrer ganz eigenen Farbigkeit - und dem geschäftlichen Erfolg, den sie ihm gebracht hat:  zweimal hat er sie schon ausgestellt, eine dritte Ausstellung ist geplant. – Lebt sie in Berlin? – Im Wedding.  – Ach! – Da habe ich auch gewohnt in meiner ersten Berliner Zeit. – Viel Sonne, Strand, Meer bei Frau Hansen. – Sie hat ein Haus an der Ostsee.

Ulrike Hansen: Zwei Schirme   Eitempera auf Leinwand
30 x 40 cm  2010

Wo er herkommt, hatte ich ihn schon gefragt. München. Jetzt will ich wissen, wann er nach Berlin gekommen ist. 2000 war das, nachdem er mit seinem Münchner Leben abgeschlossen hatte. Was war passiert? Ich muss nicht lange nachfragen. Er erzählt es von sich aus: Nach dem Studium der Verwaltungswissenschaften in Speyer hat er politisch gearbeitet bei den bayerischen Grünen. War Kreistagabgeordneter und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Grünen-Fraktion im Bayerischen Landtag. Bis es nicht mehr ging. Weil er menschlich nicht mehr zurecht kam: sich nicht damit abfinden wollte, wie es den alten Mitstreitern nur noch in zweiter Linie um Politik und zuerst um ihre Posten, die Existenzsicherung und die Rente ging. Mehr sagt er dazu nicht. Die Einzelheiten kann ich mir denken. Ist doch normal, hätten da die meisten gesagt. Er nicht. Für ihn stimmte es einfach nicht mehr. Ich wäre krank geworden, wenn ich weiter gemacht hätte. Er legte seine Mandate nieder, kündigte die Stelle bei der Fraktion und setzte  sich ab nach Südfrankreich. Dort begann er mit seiner Tätigkeit als Übersetzer und nach zweieinhalb Jahren merkte er, dass er doch lieber in Deutschland leben wollte. Aber mit München war er durch. Also ging er nach Berlin und wurde der, der er jetzt ist. Zufrieden mit dem, was er macht, weil es zu ihm passt, weil er jederzeit aus eigener Kraft gegensteuern kann, wenn es einmal nicht mehr passen sollte. Und weil er, was er jetzt macht, auch noch machen kann, wenn er 75 ist, und wahrscheinlich sogar erfolgreicher als jetzt, weil er dann mehr Erfahrung hat. 

Daégki: Badende
Farbe/Firniss auf Gipskarton 2009

Da haben wir das gleiche Modell der Altersvorsorge, sage ich. Doch diese Entdeckung ist nicht der Grund, weshalb ich ihn unterbreche und nun lange von mir erzähle. - Ich wäre krank geworden, wenn ich weiter gemacht hätte, hat er gesagt. In dem Augenblick wusste ich ganz genau, was er erlebt hatte. Das Gleiche wie ich. Nur, dass das Leben, aus dem ich raus musste, klassisch bürgerlich war: ich war  damals als hochbezahlter Texter in den Vorstandsetagen von Industrieunternehmen unterwegs. Während Klaus Karwat das bürgerliche Leben in der Partei der Grünen nicht mehr aushielt. Das mussten wir jedoch erst mal kapieren, dass wir aus dieser Art von Leben raus mussten, weil wir es nicht mehr aushielten. Denn bürgerlich betrachtet – Einkommen, Status – war alles so wie es sein sollte. Wenn es nur nicht auf einmal so unendlich deprimierend gewesen wäre: morgens so traurig aufgewacht wie abends ins Bett und dann - bei mir - die immer häufiger auftretenden Panikattacken. Beim Überqueren von Brücken, in Bahnhöfen, auf Flughäfen plötzlich Herzrasen und die Gewissheit, jetzt ist es vorbei. Panische Angst, gleich zu kollabieren und dann werden die Leute um mich herum stehen und mich angaffen, bis die Sanitäter kommen, und wenn ich dann in der Notaufnahme liege, wer ruft dann an bei meinem Termin, wo sie auf mich warten? – Herzangst, sagt Klaus Karwat. Kennt er, hat er auch erlebt: Ich war schon in der Notaufnahme gelegen, erzählt er. Die wollten mir einen Herzkatheter reinschieben. Aber das habe ich dann doch nicht zugelassen. - Weil ihm da klar wurde, wie mir schließlich auch: es ist nicht das Herz und es ist auch keine Angstneurose, es ist das falsche Leben, gegen das sich etwas in ihm wehrt. Ungefähr an der Stelle habe ich Klaus vorgeschlagen, Du zu sagen. Danach haben wir noch eine Weil darüber geredet, was das für eine Macht war, die wir da in uns zu spüren gekriegt haben. Zu was für einer Verunsicherung der gesamten Existenz das geführt hat (Hast du dich auch im Kino nur noch außen hingesetzt, damit die Sanitäter schneller bei dir sind?). Und was für ein Glücksgefühl es war, als wir endlich verstanden haben, was los ist mit uns, und bereit waren zu den radikalen Konsequenzen und dann nicht nur alles wieder gut, sondern viel besser war als vor der Krise. – Es ist das erste Mal, dass ich jemanden treffe, der das auch erlebt hat. Ich war damals um die 40. Klaus etwas jünger, als es ihm passierte. – Weißt du, dass Petra Kelly die Königin der Panikattacken war? Habe ich mal in einem Artikel über sie gelesen. Jahre später war das. Als ich die Panikattacken hatte, da hatte ich von dem Phänomen noch nie gehört und dachte jedes Mal, ich sterbe.

Ulrike Hansen: Baden bei Sturm
Eitempera auf Leinwand   70 x 400 cm   2009 


Schöneberger Galerierundgang
und Offene Ateliers
5. Nov. 2011, 12 - 20 Uhr
6. Nov. 2011, 12 - 18 Uhr 
Hier alle Adressen der teilnehmenden Galerien und Künstler.

Bilder: © Martin Jagodzinski, Ulrike Hansen, Daégki.