Schönekreuz. Wer denkt sich so etwas aus? Leute, die in ihren Artikeln schreiben, dass hier Schöneberg mit Kreuzberg zusammenstößt? Wo und Wie bleibt unklar. Schönekreuz hingegen wird erklärt: Ist eine Analogie zu Kreuzkölln, aber
zum Namensvetter Kreuzkölln ist der Weg noch weit, und auch die nahe Potsdamer Straße hat als neue Galerienmeile deutlich mehr Strahlkraft, meint die Autorin des Tagesspiegel in ihrem Artikel
Punkrock mit Schaumwein. Darin lese ich zu meiner Freude, dass sich der mir sympathische Werner Müller von der Zwinger Galerie von dem Neuwort distanziert:
Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, ob ich mich da einordnen möchte, hat er der Frau vom Tagesspiegel gesagt, doch sogleich hinzugefügt:
aber es ist schon eine hübsche Erfindung. Wie jetzt das? Das Mäntelchen ist hübsch, aber anziehen möchte ich es mir nicht? – Kollegialität. Er will nichts Schlechtes gesagt haben über einen anderen Galeristen: Marc Scherer, der sich die Bezeichnung Schönekreuz ausgedacht hat, bei Punkrock mit Schaumwein wahrscheinlich. Die Frau vom Tagesspiegel hat damit also persönlich nichts zu tun. Sie hat das Wort nur dankbar aufgegriffen. Die Galerie Marc Scherers heißt ATM, hat keine Website, war vorher in Mitte (in der Brunnenstraße) und befindet sich jetzt am Rande des Bergmannkiez, unweit der Stelle, wo Kreuzberg mit Schöneberg zusammenstößt, in der Eylauer Straße. Werner Müller kommt mit seiner Zwinger Galerie ebenfalls aus Mitte (Gipsstraße). Dorthin ist er 1998 umgezogen von der Dresdner Straße (*), weil Kreuzberg auf einmal vorbei war, vorbei im Sinne von tot, mausetot. Also nicht so vorbei wie Mitte jetzt vorbei ist. Mitte ist nur vorbei für Galerien wie die seine, aber sonst gibt es dort ja immer noch
die ganz wichtigen Kunstwerke in der Auguststraße, wie Werner Müller sagt, und Touristen aus aller Welt und
große neue Autos mit Hamburger Kennzeichen und Männern darin mit öligen Löckchen im Nacken. Männer, die alles Mögliche machen, aber keine Kunst kaufen, die sich nicht einmal für Kunst interessieren wie die Scharen von Rucksack-Touristen in Mitte. Werner Müller dachte erst, dass die ihm fehlen würden als Zeitvertreib an seinem neuen Standort, dass er sich in der Mansteinstraße langweilen würde, während er auf die Kaufkundschaft wartet. Aber das ist nicht so. Anwohner kommen, die erst nicht wussten, was sie halten sollten von dem, was sich da abspielt in den Räumen, in denen zuvor ein Trödlerladen war, so runtergekommen, dass am hellen Tag die Ratten rum rannten, und jetzt ist auf einmal alles sauber und die Wände sind strahlend weiß. Aber was passiert da? Gibt es da wirklich nur Bilder? Und wie will der Mann davon leben? Der Galerist, den sie schon lange kennen als Nachbarn, denn seit dreißig Jahren wohnt er in dem Haus neben der Galerie. Doch nicht nur Anwohner kommen zum Gucken und Fragen, aus dem ganzen Kiez kommen Neugierige, Leute, von denen Werner Müller nie geglaubt hätte, dass die eine Galerie betreten.
Die Vierzignochwas-Frau, die Werner Müller gerade verabschiedet, die ist nun allerdings das Klischee der Galeriebesucherin. Eher Mitte als Schöneberg (aber was weiß ich schon von Mitte) und völlig aus dem Häuschen: Toll! Ganz, ganz toll! Riesenausstellung! höre ich sie sagen, als ich die Galerie betrete, und bevor ich auch nur ein Bild angucke, betrachte ich erst einmal die Frau: Blond, Bluse, Jeans, Schlüsselbund und Sonnenbrille in der Hand und an ihren Füßen Sandaletten. Aus ganz weichem, schwarzem Leder. Italienisch. Ganz schlicht, sehr edel. Ich versinke in den Anblick der Sandaletten und denke: Geld. Sie hat das Geld, das mir fehlt, das dem Galeristen fehlt. Sie ist das Geld. Vielleicht hat ihr Mann das Geld. Aber auch dann ist sie das Geld. Denn sie geht shoppen. Der Galerist begleitet sie vor die Tür. Und während ich mich umschaue und überlege, was sie so in Entzücken versetzt haben könnte, höre ich sie draußen immer noch aus dem Häuschen sein: Schön, wirklich schön. Wirklich sehr, sehr schön? – Als der Galerist zurückkommt, frage ich ihn, ob sie was kaufen will. – Bis jetzt noch nicht. Aber sie will wieder kommen. – Und was hat sie so entzückt? – Er deutet auf ein Gemälde (ältere Arbeit von
Gerhard Faulhaber für 3.800 Euro) und einen Siebdruck (ältere Arbeit von
Ueli Etter für 1.800 Euro). – Die Auswahl überrascht mich. Kennerin? Sammlerin? Mit Leuten aus Mitte kenne ich mich nicht aus.
(*) Von daher auch der Name Zwinger Galerie: Dresdner Straße, Dresdner Zwinger, Zwinger Galerie. Denn Galerie Müller, das wäre es einfach nicht gewesen; alleine schon wegen Pina Bausch, Café Müller nicht, sagt Werner Müller. Ende des Jahres feiert er das 25jährige Bestehen seiner Galerie, 1986 gegründet mit Partner Gerhard Faulhaber, der sich inzwischen zurückgezogen hat, um sich auf seine Malerei zu konzentrieren. Gerhard Faulhaber Jahrgang 45 und Werner Müller? Er will mir einfach nicht sagen, wie alt er ist. – Sie sind doch keine Frau. – Nein, nein, mein Alter verrate ich nicht. – Dann lassen Sie mich schätzen. Ich schätze Sie bestimmt jünger als Sie sind. – Nein, nicht schätzen! Bloß nicht! – Mit Sicherheit hätte ich ihn jünger geschätzt, als er ist. Gut aussehender Mann. Angenehmer Mann. Mann, der viel zu erzählen hat. Wird bald wieder besucht.
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Bis 15. Oktober 2011
Di-Sa 12 - 18 Uhr
Zwinger Galerie
Mansteinstraße 5
10783 Berlin
030 28 59 89 07
Foto: © Zwinger Galerie