Sie besteht darauf, nicht
enttäuscht zu sein, dass der Grunewalder Galerist nicht ihrer Einladung gefolgt
ist am Samstag, als sie ein kleines Fest gegeben hat, um ihren Freunden das Ensemble Vegetation 1, 2, 3, 4 zu zeigen, auf das du stolz
sein kannst, so wie es jetzt an der Wand hängt, und auf den Sprung, den du
damit gemacht hast in deiner künstlerischen Entwicklung, und deshalb ist es
auch so sehr zu wünschen, dass die vier Bilder von einem anderen und größeren Publikum
gesehen werden als in der Nachbarschaftsgalerie, wo die Galeristin jetzt
Lesungen veranstaltet, aber deshalb kommen nicht mehr Leute wegen der Bilder,
habe ich gestern schon zu Uliane gesagt, sage ich heute wieder, und dass sie behauptet, sie sei nicht enttäuscht, das habe ich am Samstag nicht
verstanden, das verstehe ich immer noch nicht, und am Samstag, als du gesagt hast,
du seist nicht enttäuscht, da stand jemand neben mir, der es auch nicht
verstanden hat, sage ich, ohne den Namen der Person zu nennen. Sie fragt, ob es
die Frau war, die sie zu meinem Erstaunen ihre Freundin nennt. Nein, mit der habe
ich nicht ein Mal geredet am Samstag. Ich wäre dazu bereit gewesen, aber wenn
die mit ihrem zähnefletschenden Lächeln auf mich zukommt, dann ist es aus bei mir und von ihrem gut durchbluteten Zahnfleisch, das sie gleich mitzeigt, habe ich da noch gar nicht geredet, mache ich auch lieber
nicht, die Stimmung ist ohnehin schon gereizt zwischen Uliane und mir, gestern
schon gewesen, heute wieder. Wo käme sie hin, wenn sie da schon enttäuscht
wäre? Was meinst du, was ich schon alles erlebt habe, als Leute mich im Stich
gelassen haben? Das gehört doch einfach dazu. Und am Samstag hat sie sich so wohl
gefühlt mit ihren Gästen und ihre Freude daran gehabt hat sie, dass ihnen das Essen
so gut geschmeckt hat – dir hat es doch auch geschmeckt, sagt sie. – Ja, ja. Das feine Vitello Tonnato, der Gorgonzola, wie ich
noch keinen gegessen habe. Aber man kann sich doch an seinem Fest freuen und
trotzdem enttäuscht sein über etwas, denke ich und spreche es nicht aus, denn es ist nun an der
Zeit zu respektieren, dass sie nicht enttäuscht war, wenn ich
keinen Krach mit ihr haben will. Tatsächlich sind wir, seit wir befreundet sind, noch nie so nahe daran gewesen uns zu krachen. Aber es würde nichts
bringen. Danach würde sie immer noch darauf beharren, nicht enttäuscht gewesen
zu sein, und ich würde sie immer noch nicht verstehen, würde ich sagen, auch im
Streit noch den Respekt bewahrend. In Wirklichkeit jedoch habe ich längst verstanden, dass es sein könnte, dass jemand Enttäuschung als das Eingeständnis
eines Fehlschlags betrachtet, und das darf nicht sein, wenn man eine
Strategie der Stärke verfolgt. Umgekehrt allerdings wird der Fehlschlag nicht ungeschehen,
wenn man nicht enttäuscht ist. Doch das macht nichts. Denn die Stärke bei der
Strategie der Stärke ist die gezeigte Stärke, das Dastehen vor den anderen. Und
das ist mir selbst so etwas von egal, dass ich mich nicht in die Freundin einzufühlen
vermag. Es kann jedoch auch alles viel einfacher sein: Enttäuschung könnte bei Uliane ein Trauerzustand von solch epischem Ausmaß sein, dass es sich für sie nicht lohnt, wegen eines nicht in Erfüllung gegangenen Wunsches einen solchen Gefühlsausbruch hinzulegen, den sie selbst Enttäuschung nennen würde. Und überhaupt, was soll´s? – Den Galeristen wird sie demnächst anrufen, um ihn noch einmal einzuladen, zu einem Atelierbesuch, um ihm ihre vier
neuen Bilder zu zeigen. Beim kuratierenden Malerkollegen, der am
Samstag auch nicht da war, werde ich für sie nachhaken, obwohl ich ihr
jetzt schon sagen kann, dass es mit dem nichts wird. Aber vielleicht täusche ich mich da auch.