Montag, 21. Mai 2012

5 Euro


Haben Sie es nicht kleiner, fragt sie angestrengt und wie stets ohne zu lächeln. Nicht, weil sie für Lächeln nicht bezahlt wird. Ich habe schon gesehen, wie sie gelächelt hat mit anderen Kunden. Nur für mich gibt es prinzipiell kein Lächeln. Vielleicht hasst sie ihren Vater und ich bin im gleichen Alter wie er. Keine Ahnung.
Nein, tut mir leid. Ich habe es nicht kleiner, antworte ich und es tut mir wirklich leid, weil ich jetzt den 50-Euro-Schein wechseln (anbrechen) muss, was ich gerne noch hinausgezögert hätte. Aber es macht nun mal 2 Euro und ich habe nur 1 Euro 80 klein. Ich vergewissere mich und dann halte ich ihr zum Beweis mein Kleingeld hin. Das mache ich, weil ich zu ihr gerne eine ebenso entspannte Geschäftsbeziehung hätte wie zu ihren Kollegen.
Sie legt den 50-Euro-Schein in die Kasse und entnimmt ihr einen 20-Euro-, zwei 10-Euro-Scheine und drei Euro in Münzen. 
Während sie mir das Geld gibt, bitte ich sie um eine Tüte. Nicht für das Geld, für die Ware.
Ich habe in der rechten Hand die Geldscheine und in der linken die Münzen, ein 1-Euro- und ein 2-Euro-Stück. Wegen der Schwierigkeit der Geschäftsbeziehung zu ihr sage ich nichts. Ich halte ihr nur das Geld hin, das sie mir gegeben hat, damit sie es selbst sieht.
Das dauert. Nach Abschluss des Zahlungsvorgangs hat sie sich nämlich gleich ihrem Terminal zugewandt und guckt nun ganz konzentriert, weil sie da vielleicht was Wichtiges zu tun hat und weil sie keine Sekunde länger sich mit mir abgeben will, schon gar nicht, indem sie Tschüss sagt, wenn ich mich verabschiede. 
Aber nun stehe ich da immer noch mit dem Geld in der Hand und sage nichts, und das kann ihr trotz ihrer Konzentration auf den Bildschirm nicht entgehen, dass ich etwas will, und das ist jetzt nicht die Tüte.
Sie weiß auch sofort, wo sie hingucken muss, als sie ihre Augen vom Bildschirm abwendet. Da schaut sie mir nicht ins Gesicht: Was gibt’s noch? Da blickt sie sofort auf meine Hände mit den Geldscheinen und den Münzen. Fragend der Blick: Was ist da? – Jetzt sieht sie es und gibt mir wortlos die fehlenden fünf Euro - einen Schein - und wendet sich sogleich wieder ihrem Terminal zu mit der wichtigen Sache, die sie da zu tun hat. 
Ich stecke das Geld ein und wiederhole meine Bitte um eine Tüte.
Ach so, die Tüte, sagt sie, gibt mir eine und zieht sich wieder zurück in ihre wichtige Sache, indem sie ihrem Kollegen nun eine Frage zu der Sache stellt.
Froh, es sofort gemerkt zu haben, dass sie mir fünf Euro zu wenig herausgegeben hat, und nicht der Trottel zu sein, für den sie mich vielleicht hält, verzichte ich darauf, Tschüss zu ihr zu sagen und ihr damit weiteren Stress zu machen, wo sie sowieso schon jedes Mal an ihren Alten erinnert wird, wenn sie mich nur sieht. Aber vielleicht hat sie auch ihren Vater nie kennengelernt und sie ist in einem Waisenhaus aufgewachsen, wo Kinder, die ein anderes Kind bestohlen hatten, von der Heimleitung der Gerichtsbarkeit der Kinder überlassen wurden und das glaubt niemand, der nicht selbst in einem Heim war, was die dann mit den Dieben angestellt haben. Vielleicht erinnere ich sie an jemand aus dem Heim. Vielleicht hat sie sich auch einfach nur vertan.