Die Pferde sind dreizehn und sechzehn Jahre alt. Sie waren im Einsatz bei einer Goldenen Hochzeit. Sie haben die Kutsche gezogen, in der das Ehepaar zum Maritim Hotel in der Stauffenbergstraße gefahren wurde, wo die Feier stattfindet.
Die Frau und die beiden Männer haben nichts dagegen, dass ich sie und die Pferde fotografiere und beantworten gerne meine Fragen.
Pferde und Menschen haben die Begegnung mit mir und meiner Kamera unbeschadet überstanden. Und ich bin verblüfft, wie schnell das Verladen der Tiere geht.
Gustav Schöne Fuhrunternehmen. Weiße offene und geschlossene Kutschen, Landauer, historische Kutschen, zwei Pferde, vier Pferde, ein volles Programm.
Weiter zum Schöneberger Ufer. Galerie Esther Schipper. Die Ausstellung, die ich mir noch mal anschauen wollte, wird gerade abgebaut. Der Mann, auf den ich treffe, hat einen französischen Akzent und wir verstehen uns gut, bis ich ihn frage, ob ich ihn fotografieren darf. – Nein. – Dann eben nicht. Kann ich die Abbausituation zeigen? – Nein, denn ich weiß nicht, ob der Künstlerin das recht ist. – Der Mann ist einer der ältesten Mitarbeiter der Galerie, seit fünfzehn Jahren dabei. Ich erzähle ihm von nordamerikanischen Indianern, die überzeugt waren, dass ihnen ihre Seele geraubt wird, wenn sie fotografiert werden, und das dann auch mit Waffengewalt verhindert haben. – Der mir sympathische Franzose meint, dass er das gut verstehen kann, und fängt an, mir zu erklären, warum. Ich unterbreche ihn: Ich habe das sarkastisch gemeint, als ich das von den Indianern erzählt habe, sage ich. Das sei ihm schon klar, erwidert er. Und dennoch … . Ich höre nicht hin. Als er fertig ist, erzähle ich ihm, wie zornig ich werden kann, wenn jemand sich nicht von mir fotografieren lassen will. Er lacht und fürchtet sich nicht. Ich will auch keine Drohung aussprechen, sage ich. Ich will nur mir und ihm erklären, warum ich in solchen Fällen so ausrasten kann, dass es mich jedes Mal wieder selbst wundert. Ich nehme an, was mich so aufbringt, ist die Unaufgeklärtheit, das Nicht-Verstehen der digitalen Techniken: Der mittlerweile universell verbreiteten digitalen Fotografie, die nichts anderes ist als eine Erweiterung (Extension) unserer Augen und unseres visuellen Gedächtnisses. Und des Internets, das nichts anderes ist als ein öffentlicher Speicherort dieses Gedächtnisses und insgesamt nichts anderes als eine Erweiterung (Extension) des öffentlichen Raumes. Sie verbieten mir ja auch nicht, Sie so, wie Sie jetzt vor mir stehen, auf meiner Netzhaut abzubilden und mich später an Sie zu erinnern, sage ich zur Verdeutlichung. Was nicht nötig gewesen wäre, denn er hat verstanden, was ich meine und reagiert jetzt nur deshalb so gereizt, weil er sich nicht von mir belehren lassen möchte. Wollte ich doch gar nicht. Mein Selbstverständnis wollte ich ihm darlegen. Streit kriegen wir deswegen nicht. Er spricht nun darüber, wie oft wir fotografiert werden, ohne es mitzukriegen, wenn wir uns an den touristischen Plätzen Berlins aufhalten. Ich beteuere, dass ich immer frage, bevor ich Leute fotografiere. Er sagt, vielleicht sollte ich das besser lassen. – Zu fragen? Hätte ich denn vorhin einfach loslegen sollen? – Achselzucken. Kann sein, meint er damit. – Dann hätten wir nicht dieses Gespräch gehabt und er hätte mir nicht diesen Ratschlag geben können, allerdings auch nicht geben müssen, weil ich dann ein anderer wäre. Aber ich bin nun mal der Typ, der fragt und und manchmal nicht kriegt, was er will, aber immer ein Gespräch hat. Wie dieses. Gutes Gespräch.