Dienstag, 29. Mai 2012

Grabsucher



Dorotheenstädtischer Friedhof in der Chausseestraße. Ein Sightseeing-Friedhof an einem Sonn- oder Feiertag wie gestern.


Er sucht das Grab von Johannes Rau und hat zu seiner Freude zufällig gefunden das Grab von Bernhard Minetti, den er auf der Bühne erlebt hat am Schauspielhaus in Bochum in der großen Zeit von Peymann dort. Und dann hat er noch mehrere Gräber von Leuten entdeckt, von denen er gar nicht wusste, dass sie tot sind. Bärbel Bohley zum Beispiel. 


Er spricht nur wenig Deutsch, sagt er, und da ich überhaupt kein Russisch spreche, schlage ich vor, dass wir es lassen. Doch er versteht mich nicht, als ich das sage, und so haben wir erst einen anstrengenden und später einen befremdlichen Dialog. Er sucht die Gräber von Opfern amerikanisch-britischer Bombenangriffe, wie er sich ausdrückt. Als ich kurz darauf mitkriege, wie er jemand anderem die gleiche Frage stellt, präzisiert er: Bombenangriffe von 1944. Die zwei Leute können ihm auch nicht helfen und empfehlen ihm wie ich schon zuvor einen anderen Friedhof. Worauf er zu ihnen sagt, was er später auch zu mir sagen wird: Ich danke Ihnen von ganzem Herzen. Und bei ganzem Herzen legt er die Hand auf seins. Das ist entweder ein Russizismus oder die Person, die ihm Deutsch beigebracht hat, hat ihn verarscht. Das würde ich am liebsten auch tun, als ich ihm noch mal begegne, auf dem mit einer Mauer vom Dorotheenstädtischen abgetrennten Hugenottenfriedhof. Doch das Thema ist zu ernst. Ja, es gab ganz besonders schwere Luftangriffe 1944, sage ich zu ihm, aber wie sonst hätten die Alliierten das faschistische Deutschland bezwingen sollen? Ohne die Luftangriffe hätte die Rote Armee nicht im Jahr darauf mit relativ geringen Verlusten Berlin einnehmen können. – Beeindruckt ihn nicht. Ob ich die Namen der Generalfeldmarschälle  Hitlers kenne, fragt er. Hitler interessiert mich nicht, sage ich, und von Militärgeschichte habe ich keine Ahnung. Er zählt die Namen der Generalfeldmarschälle stolz auf und ich würde ihn jetzt am liebsten stehen lassen, um endlich weiter nach dem Grab von Bernhard Minetti zu suchen. Aber dann stellt er eine Frage, die ich beantworten kann: Gibt es einen Militärfriedhof? – Antwort: Ja, so etwas Ähnliches, den Invalidenfriedhof. Nicht weit entfernt von hier. Ich erkläre ihm den Weg und er bedankt sich dafür von ganzem Herzen.


Hier geht es auf den Hugenottenfriedhof:


Und wo ist das Grab Hegels? – Neben dem von Fichte. 


Links Fichte mit Gemahlin, rechts Hegel.


Wegen Hegel bin ich hier und wegen Heiner Müller. Rainald Goetz hat in seiner Antrittsvorlesung an der FU (*) über Müllers Grab gesprochen und ich möchte sehen, was das Besondere daran ist, obwohl ich Heiner Müller für überhypet halte und er mir schon physiognomisch immer unsympathisch war.



Da ist sie also, die rostbraune Stele, die Rainald Goetz so oft schon fotografiert hat, wie er erzählte. Aber mehr als Gemeinheiten über den Tannenzapfen, das Känguru und über Rainald Goetz fallen mir dazu nicht ein. 


Minettis Grab habe ich nicht gefunden.



(*) Hier geht es auf die Seite der Freien Universität mit der Videoaufzeichnung der Antrittsvorlesung von Rainald Goetz. Allen, denen die Mosse Lecture mehr  gefallen hat, wird auch die Antrittsvorlesung gefallen, obwohl sie ohne Diedrich Diederichsen ist und Rainald Goetz (wie übrigens auch DD) nicht frei spricht, sondern einen ausformulierten Text abliest. Aber wie er das tut, ist sehenswert.