Dienstag, 1. Mai 2012

Jenny



Aufgewachsen in Neuholland. – Wo ist das? – Tief im Osten. In der Nähe von Oranienburg. Dort Lehre als Köchin. Abgeschlossen. Aber hinterher sagte ihr Lehrherr, sie soll gucken, dass sie ihr Geld auf eine andere Art verdient, Kochen sei nicht ihr Ding. – Wie? – Na ja, ich kann schon kochen, aber ich werde es nie zu was bringen damit, meinte er. – Weil dir die Genialität fehlt. – Beim Kochen. – Sonst nicht? – Sie lacht. Nein, sonst nicht. Und als ich einmal die Seite wechsle beim Fotografieren und feststelle: Du hast zwei gute Seiten, da antwortet sie trocken: Nicht nur zwei.



Sie ist dem Rat des Lehrherrn gefolgt, hat nur noch für sich gekocht und gearbeitet hat sie als Verkäuferin im Sportartikelfachhandel. Zuletzt bei Karstadt Sport in der Joachimstaler Straße. Und gewohnt in Schöneberg in der Grunewaldstraße, in einer Wohngemeinschaft, die sie gegründet hatte. In der WG wohnt sie immer noch und Grunewaldstraße ist wichtig für das, was dann geschah: Job bei Karstadt verloren. Arbeitsuchend und das zieht sich. Dem Hauswart zur Hand gegangen, auch geputzt, und dann sagt der Hauswart zu ihr eines Tages: In dem Laden schräg gegenüber, da suchen sie jemanden. Sie fragt: Was machen die da? – Er: Bilderrahmen. – Und sie: Damit kann man Geld verdienen? – Eine Woche zur Probe gearbeitet in dem Laden und schnell gemerkt: Das ist es. Das kann ich und das mache ich gerne. Der Laden: Art Rahmen, wo sie jetzt seit dreieinhalb Jahren arbeitet.



Wenn du in der U-Bahn mit jemandem ins Gespräch kommst und gefragt wirst, was du machst …  … dann sage ich, Bilder einrahmen. – Und weiter? – Weiter fragen die Leute dann nicht mehr.  


Jennys Geschichte vom Bildereinrahmen ist, dass sie als Mädchen Dekorateurin werden wollte, aber ihre Mutter meinte, das soll sie sich aus dem Kopf schlagen, dazu seien ihre  Noten nicht gut genug. Darauf ist sie was geworden, was sie gar nicht werden wollte, und damit ging es ihr so, wie es vielen Leuten geht. Das, was sie nicht werden wollte, hat sie dann jedoch an einen Ort geführt, wo ihr eine Arbeit angeboten wurde, für die sie sich nur deshalb interessiert hat, weil sie in einer misslichen Lage war wegen der Arbeit, die ihr nicht so gelegen und auch nicht so gut gefallen hat. Anders wäre sie nie darauf gekommen, dass sie ein Talent hat für das Bildereinrahmen und wie viel Freude es ihr machen wird – weil sie nicht einmal wusste, dass es diese Arbeit gibt. Das ist ein großes Glück, das Jenny da hatte, und etwas, das nicht so vielen Leuten passiert. 




Ausgemacht war: Wir reden nur über deine Arbeit hier bei Art Rahmen. Dann wurde es aber ein Gespräch über alles Mögliche. Wir haben viel gelacht, ich habe Jenny erzählt, was Courtney Love macht, vielmehr nicht macht, damit sie auf der Bühne zum Rock´n´Roll-Tier wird, und Jenny hat erzählt, was sie macht, wenn sie nicht arbeitet, und was sie gerne machen würde. Viel hat sie erzählt und trotzdem möchte ich noch mehr wissen. Am liebsten sie noch einmal fotografieren und dann nur über Jenny privat reden. Obwohl die Fotos, die ich letzten Freitag von ihr gemacht habe, reichen würden, um eine 500-Seiten-Biografie zu illustrieren. Und fast alle sind sie was geworden. Wie bei einer Frau mit vielen guten Seiten auch nicht anders zu erwarten.