Gehen Sie da mal weg, damit hier Platz ist für die Behinderten! – In der Eingangshalle des Stadtbad Schöneberg versammeln sich die Gäste des Festakts, der gleich eine Etage höher in der Schwimmhalle stattfinden wird. Es ist Platz genug für alle, auch für die beiden Rollstuhlfahrer im Vorraum der Eingangshalle, die es anscheinend nicht eilig haben hereinzukommen. – Ich frage den energischen Mann im grauen Anzug: Haben Sie vorher was eingenommen? - Keine Antwort. Ich nenne meinen Namen und gebe ihm die Hand. - Lipinsky, stellt der Mann sich vor und ich sage lachend: Ach so! Ja, dann. - Dr. Klaus Lipinsky ist Vorstandsvorsitzender der Berliner Bäderbetriebe. Er ist der Hausherr. Wenn hier einer so sein darf, dann er.
Auf der einen Seite das Publikum, im wesentlichen Honoratioren und Presse. Die emsig Notizen machende Frau zum Beispiel von der Morgenpost. Auf der anderen Seite ein Kinderchor, eine Moderatorin (Natascha Cieslak), ein Staatssekretär (Andreas Statzkowski), eine Bezirksbürgermeisterin (Angelika Schöttler), Dr. Klaus Lipinsky und die Ehrengäste: die zahlreich erschienene Familie Rosenthal, wie ein Redner es formuliert und der Sohn von Hans Rosenthal greift das später auf, als er sagt: Wir sind deshalb so zahlreich erschienen, weil es uns eine so große Ehre ist, dass dieses Schwimmbad dem Andenken meine Vaters gewidmet wird. Er erzählt, wie Hans Rosenthal es am Ende seines Lebens bedauerte, dass er keine Filme gemacht hat, die bleiben, sondern nur Quiz-Sendungen wie Dalli-Dalli, die sich mit seinem Namen verbinden. Jetzt wird ein Schwimmbad durch Widmung mit seinem Namen verbunden. Was hat er davon? Seine Familie hat etwas davon. Die Ehre. Und wir haben etwas davon. Die Freude, diese Familie leben zu sehen. Und wenn wir uns klarmachen, was geschehen ist, und trotzdem hat es dazu geführt, dass wir diese Familie hier sehen - vier Generationen: Mutter, Kinder, Enkelin, Urenkel -, dann können wir uns gar nicht genug freuen.
Hans Rosenthal hat erst als 25jähriger schwimmen gelernt, weil ihm als jüdisches Kind ab 1933 der Zutritt zu Schwimmbädern verwehrt war und weil er, als er alt genug gewesen wäre, um in einem der Berliner Seen schwimmen zu lernen, Zwangsarbeit leisten musste und die letzten beiden Jahre der Nazi-Herrschaft in einem Versteck verbrachte. In seiner Autobiografie Zwei Leben in Deutschland beschreibt er, wie er dann 1950 im Stadtbad Schöneberg als Erwachsener schwimmen lernte. Ein Mann, der Volker Meyer-Dabisch heißt, liest die Textpassage vor. Dabei steht er auf dem Drei-Meter-Sprungbrett. Was einerseits naheliegend und praktisch, andererseits ein guter Inszenierungseinfall ist. Nachdem Hans Rosenthal so gut schwimmen gelernt hatte, dass er es sich zutraute, Binnengewässer zu durchqueren, denkt er sich: Zu Rekorden werde ich es gewiss nicht mehr bringen. Aber ich kann mich über Wasser halten – und niemand weiß besser als ich, wie wichtig das ist. Mit diesem Satz endet die Lesung und der Chor des Carl-Phillipp-Emanuel-Bach-Gymnasiums aus Mitte singt nun Heal the World von Michael Jackson: Heal the world, make it a better place for you and for me and the entire human race. Das ist einerseits sehr rührend, andererseits irrsinnig komisch, weil der Junge, der den Chor auf einem elektronischen Klavier begleitet, einmal gefährlich aus dem Takt gerät, aber dann vom Chor wieder eingefangen wird, so dass alles gut endet und es nun zum Höhepunkt des Festakts kommen kann: der offiziellen Eröffnung des Hallenbades durch Traudl Rosenthal, der Witwe des legendären Showmasters. Und wie die ohnehin schon so sympathische alte Dame das macht, dafür muss man sie verehren: Na denn, Dalli-Dalli! sagt sie in Anspielung auf den Titel der berühmten Quizsendung ihres Mannes – und das ist das Startsignal für den Kinderchor, nun stellvertretend für uns alle ins Wasser zu springen.
Später enthüllen Traudl Rosenthal und ihr Sohn noch eine Gedenktafel. Ich mache mich mit Rosenthal-Enkelin Beate und mit Urenkel Oskar bekannt. Und als ich schon denke, das war es jetzt, kriege ich einen Programmzettel in die Finger und sehe: 12.00 Uhr freies Baden für alle geladenen Gäste. Ich schnell nach Hause, um meine Schwimmsachen zu holen. So viel Platz im Becken habe ich nie wieder. Denn die meisten Gäste werden diesen Programmpunkt auslassen. Und so ist es. Zwei Gäste außer mir. Zwischendurch springen Schwimmmeister-Azubis vom Drei-Meter-Brett und denen begegne ich später im Duschraum wieder, wo sie unentschlossen herumstehen, denn kalt wollen sie nicht duschen und die warmen Duschen sind so heiß, dass man fürchten muss sich zu verbrühen. Von 60 Grad sprechen die Techniker und sind ratlos. Es ist nicht zu fassen: Jetzt haben sie es tatsächlich geschafft, die Inbetriebnahme mit einer Betriebsstörung zu beginnen, sage ich zu Matthias Oloew, dem Pressesprecher, als ich ihm beim Verlassen des Bades begegne. Bei ihm ist Dr. Lipinsky, der das hört, und sogleich wird er wieder energisch: Gut, dass Sie uns das gesagt haben. Wir werden uns darum kümmern. – Man hilft, wo man kann. Ich bin albern. Ich habe gute Laune. Es ist ein guter Tag. Und danke noch mal für die Einladung.