Samstag, 15. Dezember 2012

Schreck


Tijana lädt zu einer Ausstellung in Charlottenburg ein, wo sie zusammen mit drei anderen Ex-Stipendiaten neuere Arbeiten zeigt. Viele sind es nicht, denn sie muss weiterhin für eine andere Künstlerin malen: Arbeit für die Existenz, wie sie es nennt in ihrer Mail an mich. Sie erkundigt sich, was aus meinem Online Gallery-Plan geworden ist: ausgesuchte Arbeiten zum Verkauf anzubieten über meinen Blog. Anscheinend seien die Künstler nicht wirklich kooperativ gewesen, vermutet sie, nachdem sie bemerkt hat, dass ich das Vorhaben nicht mehr weiterverfolge. Ich antworte ihr, dass das nicht der Grund ist. Sondern dass ich erkannt habe, dass es sehr schwer sein wird, genug Künstler zu finden, deren Arbeiten ich mit ehrlicher Begeisterung vorstellen kann. Ich schreibe ihr nicht, wie ich darauf gekommen bin. Als wir uns zum letzten Mal gesehen haben im August, habe ich sie um Mithilfe bei meinem Vorhaben gebeten. Darauf hat Tijana mir umgehend eine Liste mit mehr als zehn Namen von Künstlerinnen und Künstlern geschickt, die sie von der UDK kennt, einige waren in ihrer Klasse und haben zusammen mit ihr abgeschlossen und von allen meint sie, dass ich mir ihre Arbeit einmal anschauen sollte. Ich beginne damit, indem ich mir ihre Websites anschaue. Erst will ich mir nur ein paar vornehmen und an den folgenden Abenden die anderen. Doch dann höre ich nicht eher auf, bis ich mit der Liste durch bin. Weil ich es nicht fasse, weil das doch nicht sein kann, dass es hier nicht ein einziges Bild oder Objekt oder Konzept gibt, bei dem ich aufmerke, das in mir den Wunsch weckt, mehr sehen zu wollen von dem Künstler, der Künstlerin, sie anzusprechen, ob sie sich mit einer von mir ausgewählten Arbeit in meinem Blog präsentieren will. Ich wüsste nicht, wie ich diese Arbeit finden sollte bei den mehr als zehn jungen Künstlern auf der Liste. Bei drei oder vieren würde es mir gelingen, wenn ich es erzwingen wollte. Aber sonst. Ich lasse alles Kunstkritische beiseite und formuliere es mal so: wenn ich eine Lehrperson wäre oder ein Galerist, bei dem sich die jungen Künstler bewerben, würde ich ihnen allen, auch den drei, vieren, raten, eine zweite Ausbildung für einen Brotberuf zu machen, weil es ihnen an etwas fehlt, das einem keine Akademie geben kann, das dort auch nicht unbedingt als Mangel festgestellt wird, weil es denjenigen, die es feststellen könnten, selbst fehlt, und wenn sie den Mangel erkennen sollten, dann sprechen sie es nicht aus, weil man das nicht macht, weil man das nicht zu jemand sagt: Du bist innerlich leer. Dir fehlt es an innerem Reichtum. Du hast keine Persönlichkeit. Und wenn du jetzt mit Anfang dreissig keine Persönlichkeit hast, dann wird das nichts mehr. Was vielleicht nicht stimmt. Auf jeden Fall hat mir die Liste von Tijana einen solchen Schreck eingejagt, dass ich ohne noch länger darüber nachzudenken, das Vorhaben einer Online Gallery in meinem Blog aufgegeben habe. Ich habe schon genug eigene Zitronen im Angebot, da muss ich nicht auch noch mit denen von anderen handeln. Ein weiterer Grund, ich habe immer wieder darüber geschrieben: die Selbstverliebtheit der Künstlerpersonen, junger wie alter, talentierter und untalentierter, netter und nicht so netter. Ich fand nie ein passendes Verhältnis dazu. Schief lachen darüber, hätte ich mich sollen. Ist mir nicht gelungen, weil ich selbst zu ernst war: Kunst geht nicht ohne Selbstverliebtheit, aber je schwächer die Kunst, desto lästiger das narzisstische Getue darum. So habe ich es mir zurechtgelegt. Nicht gelacht. Zu ernst gewesen. Schließlich die Schnauze voll gehabt von den Künstlern, habe ich Tijana geschrieben in meiner Antwort-Mail an sie und dass sie sich bitte ausgenommen fühlen soll davon. Ihr dann jedoch nicht geschrieben, was ich trotz aller Bewunderung für ihre Malerei ihr wünsche: dass sie eines Tages in ihr Atelier kommt und beginnt, eine Leinwand zu grundieren in den Farben ihrer Gefühle an diesem Tag, um so das Medium, den Äther zu schaffen, in dem sie ein weiteres Paar (oder ist es immer das gleiche?) schweben lassen wird. Doch dann auf einmal innezuhalten, vielleicht erst gar nicht zu wissen, was los ist. Aber schließlich ist es klar: dass sie genug schwebende Paare mit Totenköpfen gemalt hat.  

Red Touch of Poetry, Öl auf Leinwand, 162 x 197 cm, 2012


Gallery der Dorothea Konwiarz Stiftung in Berlin Charlottenburg.

The exhibition lasts from December 15, 2012 to January 16, 2013.

The exhibiting artists are: 
Carola Ernst
Kerstin Serz
Tijana Titin
Myrtia Wefelmeier

Dorothea Konwiarz Stiftung
Schlüterstr.71
10625 Berlin
T/F: (030) 310 17 190