Donnerstag, 6. Dezember 2012

Handke 70


Am besten hat mir von Peter Handke gefallen Der kurze Brief zum langen Abschied von 1972 sowie die im gleichen Jahr erschienene biografische Erzählung Wunschloses Unglück und: dass er alleine die Tochter großgezogen hat, für die sich deren Mutter, die an der Berliner Schaubühne berühmt gewordene Schauspielerin Libgart Schwarz, nicht interessierte, oder er wollte die Tochter nicht in ihrer Obhut lassen oder er hat die Aufgabe gebraucht als Ausgleich zu seiner Großschriftstellerei.

Worauf ich nie gekommen wäre: Dass Handke sein Schreiben von Beginn an in einer Nachfolge zu Franz Kafka verstanden hat ( I am the new Kafka, soll er 1966 in einem TV-Interview gesagt haben). Gut ist daran allerdings, wie er Jahre später sich gegen seinen Vorläufer gewandt hat: Ich hasse Franz Kafka, den Ewigen Sohn. Woran ja schon was ist, nur dass es nicht gerecht ist, Kafka diesen Vorwurf zu machen, weil es ihm wegen seines frühen Todes nicht vergönnt war, über diese Rolle hinaus zu wachsen. So wie Handke, als er sich zugleich vom Vorläufer und dessen Rollenvorbild löste (ich folge der Erzählung des Germanisten Karl Wagner in der NZZ von heute). Das nun aber keine Befreiung, letzten Endes von einer Schimäre. Keine Schimäre. Ein Fixpunkt, ein Halt geht ihm dabei verloren. Schreibkrise. Schwere Depression. Und beides kann er erst überwinden, als er einen neuen Ansatz für ein Schreiben findet, das kein Sohn-Schreiben mehr ist.

Langsame Heimkehr (1979). Die Wiederholung (1986). Mein Jahr in der Niemandsbucht (1994). Alles nicht gelesen, nicht lesen wollen nach Lektüre der Rezensionen. Nur von den Versuchen habe ich noch gelesen Versuch über die Jukebox (1990) und Versuch über den geglückten Tag (1991). Sonst nur Interviews, in denen Handke mir so entrückt vorgekommen ist in seinem Stolz auf seine schriftstellerische Lebensleistung, dass ich jedes Mal dachte, jetzt lese ich kein Interview mehr mit ihm. Aber dann habe ich es doch wieder getan. Nur bei seiner Serbien-Aktion bin ich ganz ausgestiegen. Das war mir instinktiv zuwider, zugleich wusste ich zu wenig, um seriös darüber urteilen zu können. Jetzt wird es so hingestellt, als sei das damals kein politisches Statement, sondern eine ganz besonders radikale literarische Aktion gewesen, was er zu Serbien abgelassen hat. Aber wenn es stimmt, dass er Rosen auf das Grab des Massenmörders Slobodan Milosevic gelegt hat, dann ist das für mich eine solche Verirrung, dass es mir den Handke unheimlich macht und zugleich lächerlich erscheinen lässt für immer. Nicht wegen der unentschuldbaren politischen Dämlichkeit. Sondern wegen der charakterlichen Verstiegenheit, die sich darin offenbart. Und die einmal bemerkt, wie darüber hinwegsehen bei der Lektüre seiner Schriften: über diesen alles niedermachenden Stolz, den der Mann hat, dieses ins Lachhafte gesteigerte Selbstbewusstsein?

Ich müsste es ausprobieren. Langsame Heimkehr (1979). Die Wiederholung (1986). Mein Jahr in der Niemandsbucht (1994).