Freitag, 7. Dezember 2012

Rosenkohl


Nach dem Termin in der Invalidenstraße, bei dem mir nichts geschenkt wird, will ich mir was Gutes tun. 12.15 Uhr, als ich den Hauptbahnhof betrete. Was essen gehen nachher. Im Café Berio ein Stück Apfelkuchen mit Sahne? Seit Tagen geht das schon so: Sahne, Sahne, Sahne. Doch nirgendwo gibt es welche. Im Berio bestimmt und teuer. Lieber was Richtiges essen. Bahnhof Zoo. Appetit auf Wiener Wurst mit viel Senf. Die kann ich mir auch gleich bei Edeka kaufen und zu Hause heiß machen, Dijon Senf ist da, oder soll ich doch irgendwo im Bahnhof, sofort? Nein, das werde ich bereuen, wenn nach dem dritten Biss die Gier weg ist. Am besten keine Wurst. Und ein Hamburger? Der Hamburger im Café Lenzig. Mit allem Möglichen und Pommes. Ich muss mich mästen (Sie sind schmal geworden). Wirklich ins Lenzig? Da war ich seit zehn Jahren nicht mehr. Außerdem ist der Hamburger (im Lenzig heißt er Schöneburger) mit Eisbergsalat und mit Cheddar-Käse, was im Fall des Salats blöd und im Fall des Käses vielleicht zu viel Mast ist. Unentschlossen. Blick auf die Tageskarte draußen: Berliner Bulette mit Kartoffelpüree und Rosenkohl in irgendwas mit Butter zum Preis von 7 Euro 90. Das ist es an diesem kalten Tag. Die Vorfreude ist groß, vor allem auf den Rosenkohl. Die Erinnerung an ein zu Hause, wo richtig gekocht wird. Jetzt erst mal der Service des Café Lenzig. Nach knapp einer halben Stunde steht das Essen vor mir. Der Rosenkohl ist die erste Enttäuschung. Nicht bissfest, hart. Ungewürzt, das Buttergeschwenkte müsste doch den Geschmack verstärken, aber da ist keiner, vom ersten bis zum letzten Röschen kein Geschmack. Kann das Püree alles wieder gutmachen? Es schmeckt nach Kartoffeln, es ist trocken und auch hier fehlen die Gewürze. An Nachwürzen glaube ich nicht und mit Pfeffer und Salz alleine wäre es sowieso nicht getan. Die Berliner Buletten, es sind zwei und sie sind sehr heiß - heiß, nicht nur aufgewärmt wie die Beilagen. Die erste Bulette stopfe ich so heiß sie ist in mich hinein. Hunger! Bei der zweiten erst erlebe ich dann die komplette Enttäuschung, die diese Mahlzeit ist: auch die Buletten sind ohne Geschmack und sie fallen auseinander beim Zerteilen mit der Gabel,  bröckelig, trocken. Schlechter geht es nicht. Ich lege einen Zehneuroschein mit einem Fünfzigcentstück für die Bedienung bereit. Sie hat schon in den 90er Jahren hier gearbeitet. Ich habe sie immer die Frau mit dem Gesicht genannt, weil sie so ein ausgeprägtes Gesicht hat. Sie war damals nicht aufmerksam und sie ist es immer noch nicht. Erst als ich mit dem Geld winke, kriegt sie mit, dass ich fertig bin mit Essen und zahlen will. Am Tisch gegenüber sitzt eine junge Frau, die nach mir gekommen ist und auch Berliner Bulette bestellt hat. Ich weiß genau, was sie sich dabei vorgestellt hat. Sie blättert in einer Illustrierten. Sie hat sich auch nichts zu trinken bestellt. Nur das Essen, das sie enttäuschen wird. Sie tut mir leid. Auf die Frage der Bedienung, ob mir das Essen geschmeckt hat, habe ich die Antwort vorbereitet: Nicht so richtig. Aber sie fragt gar nicht und das ist mir lieber so. Nicht so richtig wäre verlogen gewesen. Es war eines der schlechtesten Essen, das ich je in einem Restaurant gegessen habe, und ich fasse es immer noch nicht, wie schlecht es war und dass mir das alles passiert.