Freitag, 23. Dezember 2011

Teetasse



Eine Frau ist in den Teeladen in der Kaiser-Wilhelm-Passage gekommen und hat gesagt, sie brauche ein Weihnachtsgeschenk für ihre Schwiegertochter. An eine Teetasse habe sie gedacht, aber die Tasse muss nicht schön sein, die kann ruhig hässlich sein, sie kann ihre Schwiegertochter nämlich nicht leiden, weil sie ihren Sohn ständig betrügt. Nachdem die Tasse ausgesucht war, wollte sie noch einen Tee für die Schwiegertochter. Aber der Tee muss nicht schmecken, hat die Frau gesagt. Das kann auch ein ganz scheußlicher Tee sein. – Das hat der Verkäuferin gefallen, und als sie es mir erzählt, denke ich sofort: Das ist meine Geschichte zu dem Tag, an dem alle unterwegs sind, um Geschenke zu kaufen, nur ich und ein paar wenige andere kaufen einfach nur ein wie jeden Freitag. Während die Verkäuferin und ich unser übliches Geschäft mit den 250 g Chinese Black Tea machen, versuche ich sie auszuhorchen über die Frau. Was das für eine war, würde ich gerne wissen. Eine, die eifersüchtig ist auf ihre Schwiegertochter und deshalb ihr die Affären nur andichtet, die ihre Schwiegertochter nur zu  gerne hätte, weil der Sohn der Frau ist ein von seiner Mutter verzärtelter Versager. Oder ob die Frau eine war, bei der man annehmen kann, wenn sie das sagt, dass die Schwiegertochter ihren Sohn betrügt, dann ist das auch so, und zwar nicht zu knapp. Wobei wir auch hier in der Rolle des Sohnes einen schwachen Mann sehen, einen Mann, der von seiner Frau  betrogen wird und anstatt sie zu verlassen oder ihren Liebhaber abzuknallen, bei seiner Mutter am Küchentisch sitzt und in die Teetasse heult. Doch wie schon so oft bei dieser Verkäuferin war es auch heute so, dass das Gespräch mit ihr nach einem guten Anfang zerfaserte. Ich fragte sie, wie sie sich verhalten habe bei der Verkaufsberatung der Frau. Hat sie der Frau eine hässliche Tasse verkauft? – Nein, eine sehr schöne Tasse habe ich ihr verkauft. – Weil sie hier sowieso nur schöne Sachen haben.  – Genau. – So ging es dann auch mit dem Tee, den die Frau zur Tasse dazu kaufen wollte. Verkäuferin: Was hätte ich ihr denn verkaufen sollen? Baldriantee?  – Um zu einer Einschätzung der Frau zu kommen, will ich wissen, wie alt sie war. – So alt wie ich, antwortet die Verkäuferin. – Wie? Und da hat sie schon eine Schwiegertochter, die mit ihrem  Sohn so durch ist, dass sie ihn betrügt? – Ich schätze die Verkäuferin für Anfang, höchstens Mitte 40. Aber da täusche ich mich wahrscheinlich. Denn sie will sich nicht äußern zu meiner Schätzung und das Alter der Frau weiß sie nicht. Deshalb hat sie gesagt, dass die Frau so alt sei wie sie, aber  wie alt sie ist – siehe oben –, das gibt sie nicht preis. Das Gespräch ist jetzt nur noch ärgerlich und doof und das sage ich der Verkäuferin auch. Sie erwidert, sie werde mir jetzt mal zeigen, was für eine Tasse sie mir verkaufen würde. Nämlich eine Tasse mit Teufelsohren dran. Obwohl zwei Kundinnen darauf warten, von ihr bedient zu werden, geht sie nun zu dem Regal mit den Tassen und sucht nach der Tasse mit den Teufelsohren, und als sie sie nicht findet, zeigt sie mir statt dessen das Tassenmodell, das sie der Frau verkauft hat. Da hat die Frau also doch die hässliche Tasse bekommen, die sie wollte, denke ich und frage, ob ich die Tasse fotografieren darf. – Warum? – Um sie zeigen zu können, wenn ich ihre Geschichte erzähle. Die beiden wartenden Frauen stehen da mit verhärteten Mienen und eine sieht so aus, als ob sie eine Schwiegermutter hätte, die andere nicht. Die Verkäuferin hat keine Ahnung, wie ich das meinte, dass ich die Geschichte der Tasse erzählen will. Trotzdem nimmt sie nun die Tasse aus der Geschenkdose und stellt sie mir so hin, dass ich sie bequem fotografieren kann. So ist sie dann auch wieder, die Verkäuferin.

Geschenk oder Feindseligkeit?

Um keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen: Die Verkäuferin ist eine sehr gute Verkäuferin und der Laden sehr empfehlenswert.