Montag, 5. Dezember 2011

Sauna

Einer hat zwei Sorten Räucherlachs gekauft bei Netto. Die wird er später essen mit Zwiebeln und Ciabatta. Seine Frau ist in Westdeutschland übers Wochenende und ist von einer solchen körperlichen Hässlichkeit, dass es mir unmöglich ist von ihm zu erzählen, ohne die Hässlichkeit seiner Frau zu erwähnen. Die Hässlichkeit seiner Frau ist mir bekannt, weil ich sie schon einmal in der Sauna gesehen habe. Da habe ich mich gewundert, dass sie mit dieser Hässlichkeit sich nackt zeigt in der Öffentlichkeit einer Sauna. Rational betrachtet ist das natürlich ein Quatsch. Denn a) wird sie sich selbst nicht als hässlich wahrnehmen. Und b) sind in öffentlichen Saunen noch hässlichere Frauen- und Männerkörper zu sehen als der ihre. Nur ist mir deren Hässlichkeit gleichgültig, während ich bei ihrer Hässlichkeit daran denken musste, dass der mir bekannte Mann und sie mit dieser Hässlichkeit leben. Wodurch ich mehr über die beiden erfahren habe, als ich a) über sie erfahren wollte und b) den beiden klar ist, dass sie es preisgeben, wenn sie an einem Wochenende, an dem die Frau nicht in Westdeutschland ist, in die Sauna gehen.

Ein Internet-Meisterdenker wundert sich in Interviews immer wieder darüber, was Deutsche für ein Getue um ihre Privatsphäre machen, die sie zum Beispiel schon angegriffen sehen, wenn ihr Haus von Google Street View fotografiert wird und im Internet dann nur das zu sehen ist, was jeder sehen kann, der auf der frei zugänglichen Straße an dem Haus vorbei geht. Während die gleichen Deutschen nichts dabei finden, sich nackt auf eine Saunabank neben ihnen fremde andere nackte Menschen zu setzen. Was, wie der Meisterdenker dann jedes Mal hinzufügt, für die Menschen dort, wo er herkommt, nämlich in den USA, unvorstellbar ist. Dort wickeln sie sich vom Hals bis zu den Kniekehlen in Handtücher, wenn sie eine öffentliche Sauna betreten, haben dafür aber keine Hemmungen, sich mit ihrem Haus in Google Street View oder mit ihrer Person im Internet zu zeigen.

Wenn ich andere Erlebnisse hätte, könnte ich anders schreiben. So, dass sich Leser bei mir wohlfühlen und abhängig werden davon, sich jeden Tag das Wohlgefühl abzuholen, das ihnen das Lesen meiner Texte bereitet. So aber lebe ich in einer Welt, die sich charakterisieren lässt mit einem Satz, den Oguzhan letzte Woche gesagt hat: Und dann musste ich auch noch so tun, als würde es mir nichts ausmachen. – Das tue ich natürlich nicht. Der Spaziergänger mit dem Lachs, der gestern zweimal zu viel gesagt hat, ich drücke dir die Daumen, der das gesagt hat in einem Ton von Anteilnahme, der an Häme grenzte, und der das tat, ohne auszusprechen, was er meinte, weil ihm das zu persönlich war, der hämische Ton aber nicht, der Mann mit den zwei Sorten Räucherlachs von Netto, der bleibt ebenso wenig unerwähnt wie die Kleinlichkeit zweier Frauen aus Cuxhaven es bleiben wird, die mir heute begegnet ist: eine Geldkleinlichkeit die eine, eine Kleinlichkeit in der Art von Google darf nicht mein Haus fotografieren die andere. Dass die beiden aus Cuxhaven sind, ist kein Witz, nicht einmal eine Kuriosität, nur ein Zufall, gern aufgegriffen, weil es schreiberisch so gut passt. Das ist dann aber auch schon alles daran, was gut ist. Sonst ist es nur das gleiche, ständige, so oft schon gehabte Zeug, bei dem kein Leser sich wohlfühlen kann und ich auch nicht, wenn ich darüber schreibe. 

Mein Leben. Ein anderes habe ich nicht. Und heute Morgen bin ich aufgewacht mit dem Gedanken, dass ich wieder zu den Anfängen des Blogs zurück und wieder mehr über mein Leben schreiben will - aber so, dass ich mich wohlfühle dabei und in der Folge davon die Leser auch. Das soll meine Kunst sein, habe ich gedacht, die Lebenskunst, die Schreibkunst, so über dieses Leben zu schreiben, in dem es nichts Gutes gibt außer diesem Plan. Morgen versuche ich es wieder.