Verwirrend, im Gewimmel der Selbstsverliebten nach langer Zeit wieder einmal zwei Ineinander-Verliebte zu sehen, so ineinander verliebt, dass sie gar nicht von einander lassen können mit ihren Liebkosungen und sich jeden Augenblick ganz nah sein möchten. Ein Mann und eine Frau im Kinderbecken. Rückenschwimmen. Er voraus. Sie folgt ihm in kurzem Abstand, schwimmt zwischen seinen gespreizten Beinen. Erreicht er den Beckenrand, umfängt er sie mit seinen Armen und küsst mit gespitzten Lippen ihre Schläfe. Darauf dreht sie sich zu ihm um und schmiegt ihre Wange an seine. So verharren sie schweigend, bis sie nach langer Pause zurück schwimmen zum Beckenrand gegenüber, jetzt er ihr folgend in kurzem Abstand. Kalkweiße Haut und mehr weiße als graue Haare. Sie der mädchenhafte Typ, auch jetzt noch Mitte 70. Er um die 80, groß, kräftig. Dass sie seit mehr als 50 Jahren verheiratet sind, den ganzen Tag zusammen und in der Nacht liegen sie nebeneinander: unwahrscheinlich. Bernd stellt sich vor, dass sie aus verschiedenen Stadtteilen kommen, wo sie mit Ehepartner oder bei ihren Kindern leben, und das Stadtbad Schöneberg ist ihr heimlicher Treffpunkt. Wahrscheinlicher: Sie sind noch nicht lange ein Paar, immer noch frischverliebt.(*) Oder sie sind Erotomane und widmen ihren Lebensabend ganz der Hingabe aneinander, habe ich gedacht, als ich am Kinderbecken vorbei ging eben und beobachtet habe, wie der Mann die Frau von hinten umarmte und ihre Schläfe küsste. Die beiden fallen nicht nur Bernd und mir auf. Während wir beim Duschen über sie reden, bleibt ein jüngerer Mann stehen und hört uns zu. Er hat sich auch Gedanken über das Paar im Kinderbecken gemacht, sagt aber nichts. Wir sagen in seine Richtung, dass wir uns auf keinen Fall lustig machen wollen über die beiden, was auch gar nicht geht wegen der Würde, die das hat, was sie da treiben.
(*) Am Frühling kann es jedenfalls nicht liegen. So verliebt wie jetzt waren sie auch schon im Januar.