Montag, 25. Juni 2012

Bettlerin


Die große junge Frau mit dem karierten Plastikrucksack, die ihre Karte in den Geldautomaten neben mir steckt, ist die Bettlerin aus der Akazienstraße. Jetzt bin ich aber mal gespannt, denke ich, während sie ihre Geheimzahl eingibt. Alleine schon, dass sie als Bettlerin ein Konto hat. – Quatsch! Warum soll eine Bettlerin kein Konto haben? – Mir hat der Automat gegeben, was ich wollte. Ich stecke das Geld und meine Karte weg und beobachte, wie sie wartet und dann enttäuscht ihr Gesicht verzieht, weil der Automat ihr nichts gibt. Ihr Gesicht wie zu oft gewaschen, die  Spitze ihrer kleinen Nase gerötet. Ihre Enttäuschung nicht allzu groß, sie scheint nur wenig Hoffnung gehabt zu haben, dass Geld auf ihrem Konto ist. Raus aus der Sparkasse und schon fängt sie an zu betteln. Der Mann, den sie anspricht, schüttelt den Kopf. Der nächste geht einfach weiter. Sie überquert die Hauptstraße am Fußgängerübergang vor der Post. Rot, als ich zur Ampel komme. In meiner Hand habe ich ein Eurostück, das ich ihr geben möchte, wenn ich an ihr vorbeigehe, wortlos. Ich sehe, wie sie auf der anderen Straßenseite jemanden anspricht und nichts kriegt. Sie geht weiter Richtung Akazienstraße. Obwohl sie immer wieder Leute anbettelt, kommt sie schneller voran als ich. In der Akazienstraße verliere ich sie aus dem Blick. An der Ecke Belziger sehe ich sie wieder. Eine kleine Frau, nicht viel älter als sie, gibt ihr was. Die Bettlerin macht einen Knicks. Als die kleine Frau mir entgegen kommt, strahlt sie vor Freude darüber, dass sie der Bettlerin was gegeben hat. Die Bettlerin spricht jetzt einen jungen Mann an und hat gleich noch mal Erfolg. Er sucht nach Kleingeld. Erst sieht es so aus, als würden die beiden miteinander sprechen. Aber als ich an ihnen vorbeigehe, kramt er schweigend in seinen Taschen und sie wartet schweigend. Ich gebe ihr nicht das Eurostück, wie ich es vorhatte. Warum, ist unklar. Ich stelle mich zu Oleg auf die Treppe vor seinem Laden. Seitenblick der Bettlerin, als sie vorübergeht, doch sie sprich uns nicht an. Oleg hat ihr noch nie etwas gegeben, weil er hat mal gesehen, wie sie Kasse gemacht hat, sagt er. – Wie? Kasse gemacht? – Na, wie sie im U-Bahnhof Eisenacher Straße ihre Einnahmen auf einer Bank ausgebreitet hat. Das waren bestimmt 200 Euro. – Ja und? Man kann ihr doch nicht zum Vorwurf machen, dass sie erfolgreich ist als Bettlerin. Sie tut schließlich auch was dafür. Ich schildere Oleg, wie viele Leute sie eben ansprechen musste, bis zwei Leute ihr was gegeben haben. Dann erzähle ich ihm, wie ich sie vorher auf der Sparkasse beobachtet habe. Für mich ist sie authentisch arm, sage ich. Oleg bezweifelt das nicht, aber er hat andere Leute, die er unterstützt, sagt er. Sie mag er nicht. Das verstehe ich. Ich habe ihr zuletzt auch nichts mehr gegeben. Wir sehen sie auf der anderen Straßenseite zurückkommen und Leute ansprechen. Ich verabschiede mich von Oleg. Während ich den Apostel-Paulus-Kirchplatz überquere, sehe ich schwarze Wolken aufziehen und beeile mich, muss noch zum Bäcker und als ich den Laden betrete, merke ich, dass ich immer noch das Eurostück in der Hand habe, das die Bettlerin nicht gekriegt hat. 

Die Knöpfe gibt es im Laden von Oleg.