Wo die Stadt ausfranst, obwohl Pankow da gerade erst anfängt. In einem Gebäude, als ich darauf zugegangen bin, habe ich erst gedacht, das steht leer und sie hat mich verarscht mit der Adresse und der Verabredung um 13 Uhr. Aber warum sollte sie das tun? Das Gebäude steht auch nicht leer. Mehrere Abteilungen eines Instituts für Archäologie gibt es darin und mehrere Ateliers von Künstlern. Eines davon das von Tijana. Aber wie finde ich sie ohne Namensschild am Eingang? Hilfsbereite Männer auf dem Weg in die Mittagspause kennen Tijana nicht; das Gebäude ist zu groß. Es ist aber auch noch nicht 13 Uhr. Ich hoffe, dass sie noch nicht im Haus ist und erst zur Verabredung mit mir kommt. Ich stelle mich in die Sonne vor dem Gebäude. Als ich in die Richtung schaue, aus der sie kommen muss, sehe ich die Gestalt einer jungen Frau sich nähern und das ist sie.
Sie wohnt in Kreuzberg. Nähe Lausitzer Platz, Görlitzer Bahnhof, sagt sie. Ich habe in den 70er Jahren mal in der Eisenbahnstraße gewohnt. Tijana lacht: Sie wohnt in der Eisenbahnstraße. Eine Stunde braucht sie von zu Hause bis zu ihrem Atelier in der Prenzlauer Promenade. Eine Stunde hin, eine Stunde zurück. Wenn sie an einem Tag nur zwei Stunden Zeit zum Malen hat, dann kann sie es vergessen. Sie hat einen Job. Den macht sie an drei bis vier Tagen in der Woche. In manchen Wochen bleibt ihr für ihre Malerei gerade mal ein verlängertes Wochenende und für ein Privatleben gar keine Zeit. Ihr Job ist sehr anspruchsvoll. Mehr nicht darüber. Ich will Malerei und Zeichnungen von ihr zeigen. Demnächst: Tijana Titin.
Bevor sie den Job hatte, den sie jetzt macht, hat Tijana für die Archäologen im Haus gearbeitet. So ist sie auch zu dem Atelier gekommen. Für die Archäologen hat sie als Zeichnerin gearbeitet, zwei Jahre lang, und in dieser Zeit hat sie so viele Schädel gezeichnet, dass sie schon nachts von Totenköpfen geträumt hat. Sie war bei Ausgrabungen dabei und hat selbst mitgegraben – bis sie fündig wurden und es etwas zu zeichnen gab. So hat sie Brandenburg kennengelernt. Dörfer mit Fachwerkhäusern, wo die Leute einen auf der Straße grüßen, obwohl sie einen nicht kennen. Aber das ist überall so in kleinen Dörfern, meint sie. In Serbien auch. – Kommst du aus einem Dorf? – Nein, aus einer kleinen Stadt. Mit 180 000 Einwohnern. – Nach etwas mehr als einer Stunde schlage ich vor, dass wir Du sagen. – Ich könne gerne Du zu ihr sagen, aber sie hätte Schwierigkeiten damit, Du zu sagen zu Älteren. Sie hat einen väterlichen Freund, einen älteren Mann, der ihr heute zum Beispiel dabei geholfen hat, zwei Bilder nach Kreuzberg zu transportieren, wo sie ab Samstag an einer Ausstellung teilnimmt – zu diesem väterlichen Freund sagt sie auch Sie. Den väterlichen Freund hat sie kennengelernt während der Busfahrt, als sie mit zwei großen Koffern von Novi Sad, wo sie studierte, nach Berlin umgezogen ist. Der Freund heißt Milošević und Ratko mit Vornamen, wie Ratko Mladić, erzählt sie und sagt: Er ist ein so guter Mann. Nicht nur zu mir ist er gut, zu jedem. Und dann hat er die Namen von gleich zwei Kriegsverbrechern. - Das ist das einzige Mal, dass wir laut lachen. Sonst ist ihr Humor nicht zum laut Lachen, aber er ist immer da.
Kunst: Ó Tijana Titin
Fotos: Ó w.g.