In der Zeit, in der in der Factory Andy Warhol´s immer eine Kamera zur Hand war, entstanden die 472 Screen Tests, wie ich heute morgen lerne aus einem Text mit dem idyllischen Titel: Warhols "Stillies" damals und heute. Die Screen Tests im Durchschnitt drei bis vier Minuten lang und – nicht zu übersehen - purer Stress für die Porträtierten. Freunde, Mitarbeiter, Besucher der Factory. Keiner kam daran vorbei, man machte es, um es hinter sich zu bringen. Zum sadistischen Vergnügen des Meisters? Oder als Initiations-Ritual, um fortan dazu zu gehören? Exerzitien in Coolness. Lou Reed trinkt Coca Cola. Nico, die Frauenstimme auf dem ersten Velvet Underground-Album, liest zunächst in einem Magazin, dann macht sie Faxen damit. Drei Minuten alleine mit einer Kamera können sehr lange und sehr langweilig sein. Für die Person vor der Kamera wie für uns hinter der Kamera. Die Langweiligkeit bei Warhol war immer gewollt, auf jeden Fall hat er nichts unternommen, um sie zu verhindern oder darüber hinwegzutäuschen. Die Radikalität des Sanftmütigen.
Die Screen Tests wurden ohne Ton aufgenommen. Dem Screen Test von Nico hat jemand, der nicht wusste, was er tat, den Velvet Underground Song All Tomorrow`s Parties (Vocal: Nico) unterlegt und nicht gemerkt, dass das einfach nicht funktioniert, sonst hätte er den Clip nicht hochgeladen. Wer Nico angucken will, schaltet am besten den Ton ab. Und wer den Song hören will, guckt besser woanders hin und nicht Nico dabei zu, wie sie sich vor der Kamera langweilt.
Ein authentisch belassener Screen Test ist der hier mit Edie Sedgwick. Wer ist Edie Sedgwick? – Im englischen Wikipedia-Artikel über sie steht, sie sei a muse of Andy Warhol gewesen. Ich gehe in meiner Verehrung noch weiter: Sie war eine Muse der Pop-Kultur. Es stimmt nicht, dass sie die Miss Lonely aus Bob Dylan´s Like a Rolling Stone ist. Aber sagt das nicht schon alles, dass es dieses Gerücht gibt? Natürlich ist sie früh gestorben. Mit 28 Jahren. Und ihr Denkmal ist ein Buch, wie ich noch keines gelesen habe, davor nicht und nicht danach: Jean Stein, Edie. An American Biography. Oral History in Form und Inhalt. Der Text des Buches eine Montage von Zitaten aus den zahllosen Interviews, die Jean Stein geführt hat mit Leuten, die Edie kannten oder mit denen die Autorin redete, um mehr über die für Edie wichtigen Personen zu erfahren. Zum Beispiel redete mit Henry Geldzahler über Andy Warhol. Den noch nicht ganz so berühmten Andy Warhol, den Henry Geldzahler Anfang der 60er Jahre kennenlernte. Geldzahler damals für das Metropolitan Museum tätig und mit einem Freund zum Atelier-Besuch bei Warhol. Der zeigt den beiden Acryl-auf-Leinwand-Arbeiten mit Details von Comic Strip-Motiven. Worauf Geldzahler erzählt, dass sie am Tag zuvor bei einem anderen Künstler waren – wie hieß der noch mal, Liebling? – Lichtenstein. Roy Lichtenstein. – Warhol: Nie gehört. – Geldzahler: Ist ja auch egal. Auf jeden Fall haben wir bei dem genau die gleiche Malerei mit Comic Strip-Motiven gesehen. – Warhol: Ach! – Und dann, so Geldzahler, hat er die Bilder zur Seite geräumt und hat sie nie wieder jemandem gezeigt. Geldzahler und Warhol haben Freundschaft geschlossen und sich Mitte der 60er Jahre entzweit. Vorher hat Warhol noch einen eineinhalbstündigen Film mit Geldzahler gemacht. Eine Art extended version des Screen Tests. Geldzahler völlig allein gelassen auf der stadtbekannten roten Couch - auf der normalerweise nur Mädchen sicher waren vor der Sanftmut des Meisters - und am Schluss rollt er sich aus Frustration zusammen in Embryonal-Stellung. Steht auf Wikipedia. Wir müssen es blind glauben. Kein Fitzelchen Material davon auf YouTube oder Vimeo. Gibt´s das? – Trösten wir uns mit dem Screen Test von Helmut. Stumm comme il faut und Helmut ein Vorbild für uns alle, was Coolness angeht.