Montag, 10. September 2012

Malam



Reinkommen und in einen Sog geraten. Etwas sehen und nur noch das sehen.


Nie hat es gepasst letzte Woche. Aber kein Tag, an dem ich nicht jemand erzählt habe von der Skulptur des französischen Künstlers. Habe ich erst gedacht wegen des Titels : La Chimiothérapie, dass der Künstler Franzose ist. Bis ich mir zu Hause die Website der Galerie angeschaut habe und gesehen: Malam, 1967 in Kamerun geboren, lebt und arbeitet in Paris. Afrikaner. Wäre ich nicht darauf gekommen, als ich die Arbeit sah, und dass die Galerie Peter Hermanns sich auf afrikanische Kunst konzentriert, wusste ich noch nicht, als ich am Samstag vorletzter Woche bei ihm reingeschneit bin auf der Suche nach einem Künstler, der von Peter Hermann galeristisch vertreten wird und ein weißhäutiger Europäer ist. (*)


Was ist es? - Die Gestalt mit den Umrissen eines verkohlten Leichnams? Die ganze Gestalt wie ein Aufschrei, habe ich immer gesagt, wenn ich über die Skulptur gesprochen habe. Das war auf jeden Fall einer der Gründe, warum ich so lange hingeschaut habe, bevor ich etwas anderes gesehen habe in der Galerie. Begeistert, sofort begeistert, als ich näher ran trat, hat mich etwas anderes. Das, was bei dieser Arbeit künstlerisch passiert: Alltagsabfall, gesammelt, akkumuliert, neu arrangiert. Neuer Realismus. Kenn ich. Kunst von Dekorateuren, Bonbonpapierchenkleber. Habe ich da noch eine Rechnung offen? Ach was. Nur, an so einen musst ich denken, als ich die Skulptur von Malam sah, der hier Klinikabfall arrangiert hat zu einer Gestalt, die wie ein Aufschrei ist. Die Skulptur ein existentielles Statement, Ausdruck einer Qual, und der Pariser Künstler gibt ihr eine Gestalt. Kein Gesicht. Die Gestalt hat einen Kopf, jedoch kein Gesicht. Die Qual hat kein Gesicht, der Schmerz zerstört die Individualität und macht alle gleich.

Die Ausstellung, in der die Skulptur von Malam zu sehen ist, heißt schlicht Sommerhängung. Nicht zu erkennen, wie lange sie noch hängt. Eine neue Ausstellung ist nicht angekündigt. Stattdessen wird ein Nachmieter gesucht.


Malam
La Chimiothérapie
2007
Aus der Serie: The Blood of Others
Gips, pharmazeutische Verpackungen,
Flaschen, Stuhl, 156 cm hoch
12 000 Euro

Galerie Peter Hermann
Potsdamer Straße 98 A
10785 Berlin

Kunst: © Malam
Fotos: © w.g.

(*) Ich habe jahrelang hingebungsvoll der Klaviermusik von Keith Jarrett zugehört, immer mit der Vorstellung, dass Keith Jarrett Weißer ist, weil seine Musik für mich weiße Musik war und immer noch ist und auch das Material, auf dem er improvisiert, ist für mich weißes Material, im Grunde genommen Uncle Tom-Musik, wie die Black Panther gesagt hätten. Was erklärt, warum er bei hochkulturgeschulten Weißen wie mir so gut ankommt. Auch dass er vor ein paar Jahren einmal an einem Erschöpfungssyndrom gelitten hat, so sehr, dass er zeitweise nicht einmal mehr die Energie hatte, um eine Buchseite umzublättern, das war für mich ganz klar ein Lebensereignis in einer weißen Biografie. Rassismus? Kein Rassismus. Die Musik. Es ist die weiße Musik, die er macht. Deswegen war ich so überrascht, als mir im Sommer auf einmal klar wurde: Keith Jarrett, Afroamerikaner.