Freitag, 27. Juli 2012

Würdest du bitte endlich still sein, bitte



Vernissage in der Galerie Born. Gruppenausstellung: Armdrücken in trostloser Landschaft.


Sind Sie die Künstlerin, die dieses Bild gemalt hat?
Ja. Aber es ist kein Schachbrettmuster.
Ich weiß. Es geht um das Zusammenspiel der Farben?
Es geht um das Sehen. Sehen zu lernen. Sehen muss man nämlich lernen.
Ich weiß.


Von Angela Dwyer hängen fünf Bilder in der Ausstellung.


Das Bild, das kein Schachbrettmuster zeigt, war meine Wahl beim Spiel: Welches Bild in dieser Ausstellung würde ich kaufen, wenn ich kaufen könnte? Aber da hatte ich noch nicht das Bild mit dem Titel Sung gesehen.


Sung wie gesungen.
Und das Bild zeigt das Fließen der Töne?
Nein, es zeigt, was gewesen sein könnte.


Und das? - Noch bevor ich lettristisch sagen kann, sagt Angela: Worte sind wie Farben. Womit sie meint, dass sie mit Worten gemalt hat bei diesem Bild. Aber das ist nicht das, was ich sehe: eine Montage aus deutschen und englischen Texten. Hast du hier mit dem Verfahren gearbeitet, das Burroughs Cut-up (*) genannt hat? - Angela strahlt und erzählt dann, dass Burroughs viel von T. S. Eliot übernommen hat und beide hätten sie viel von Ezra Pound übernommen. Ich sage, von Ezra Pound kenne ich nichts, ich weiß nur, dass er ein Faschist war. Aber kein richtiger, sagt Angela. Er hat mit Mussolini sympathisiert, doch Ezra Pound war kein Antisemit. Louis-Ferdinand Céline war ein Antisemit und hat mit den Nazis kollaboriert, aber mit Reise ans Ende der Nacht  einen der wichtigsten Romane des 20. Jahrhunderts geschrieben, sage ich. Und Emil Nolde wollte ein Nazi sein und dann haben die Nazis seine Kunst als entartet verboten, erzählt Angela und da entdecke ich auf einmal in der Montage einen Satz: Würdest du bitte endlich still sein, bitte. - Hey, das ist Raymond Carver, sage ich und jetzt strahlen wir beide und sagen uns den Satz zusammen vor, diesen einfachen Satz mit der schönen Eindringlichkeit, die er bekommt durch die Wiederholung des bitte am Ende.



(*) zufallsgenerierte Montage, bei der beschriebene Seiten der Länge nach durchgeschnitten und die Teile darauf in veränderter Reihenfolge zusammengesetzt werden. Die simpelste Form ist, 2 beliebige Seiten eigenen oder fremden Textes senkrecht zu zerschneiden & die 4 Hälften in vertauschter Reihenfolge wieder zusammenzusetzen. Man beginnt nun über die semantischen Bruchstellen hinwegzulesen. - Mehr dazu siehe Wikipedia Cut-up.

Kunst: ©  Angela Dwyer
Fotos: © w.g.