Freitag, 30. Dezember 2011

Inga


Radierung, Kaltnadel, Buntstift
22 x 10 cm 2010

Ende Februar stellt sie bei subjectobject aus. Das ist mir zu lange bis dahin. Ich will vorher über sie schreiben. Jetzt habe ich sie entdeckt, jetzt will ich was über sie machen.

Inga Altenkirch. Ein jüdischer Name ist das schon mal nicht. Aus Kiel kommt sie. Gestern sie kennengelernt auf der Couch Ulianes. Gut, dass die zwei jungen Frauen, die Uliane noch erwartet hat, nicht gekommen sind: frühere Schülerinnen von ihr, mittlerweile auf der Akademie, die eine in Leipzig, die andere in Halle. Da wäre es bestimmt hauptsächlich um die gegangen. So ging es z.B. darum, dass Uliane unbedingt wieder galeristisch was machen sollte, ideengebend, beratend, in der Galerie auf der anderen Straßenseite. Da muss mehr Initiative rein. Dass die Galerie in einem Hof gelegen ist, das kann doch keine Entschuldigung dafür sein, dass bei den Vernissagen sich alle fragen, warum ist denn anderswo so voll, aber keiner sagt was und jeder denkt sich was anderes. Zum Beispiel, dass Julie August schließlich auch keine Schaufenster zur Straße raus hat und trotzdem ihre Wohnung voll ist bei den Vernissagen. Die Galeristin macht sicher sehr vieles richtig, aber es kann nicht jeder alles können – und was sie nicht kann, das kannst du, Uliane, sage ich und Inga widersprich nicht. Die beiden haben sich kennengelernt, als Inga zu Uliane in die Galerie kam, die sie damals noch hatte, sich die Bilder angesehen hat und dann sagte: Ich male auch. – Uliane: Ach ja. – Aber beim nächsten Mal hat Inga Arbeiten von sich mitgebracht und was Uliane da sagte, ist nicht überliefert, ich weiß nur, wie sie mir zusetzt, seit wir im Gespräch sind: Die Altenkirch musst du dir mal anschauen. Über die musst du mal schreiben. Schau, das hier ist von der Altenkirch. – Also ein paar Arbeiten hatte ich schon gesehen von ihr bei Klaus und bei Liljana. Respekt, Respekt. Aber hin und weg bin ich erst, seit ich heute Morgen Ingas Website  angeschaut habe. Das ist ja ein richtiges Werk!  Was heißt das? Es gibt einen Zusammenhang und der ist mehr als eine Handschrift, auch mehr als ein Thema. Es ist ein Blick auf die Welt, den nur sie hat. Die skurrile, witzige Person, deren Bekanntschaft ich gestern gemacht habe und mich gefragt: Was ist das denn für eine? – Fast drei Stunden auf der Couch gesessen   und das will was heißen: länger als 60 Minuten halte ich so was sonst nicht aus , mit den zwei Frauen das sehr gute Gespräch gehabt und die ganze Zeit Inga beobachtet und dabei immer wieder gedacht: Das wird nicht leicht, die zu beschreiben, wenn sie sich überhaupt beschreiben lässt. Irgendwann muss jemand mal Nein sagen. Hoffentlich nicht sie. Obwohl es gut sein könnte. So eigen der Blick, so eigen die Person. Und dazu gehört nun mal auch die Verweigerung. In dem Katalog der Gruppenausstellung Berlin - Choreographie einer Stadt, den sie uns stolz gezeigt hat, figuriert sie mit einem Kinderbild, das ihre Mutter von ihr gezeichnet hat, als sie drei (?) war. Das ist süß, aber auch ein Hohngelächter auf den Jugendwahn der Galerien-Szene. Auf ihrer Website zeigt Inga in der Rubrik Vita einen Cartoon. Mit dem erzählt sie sehr viel über sich, verweigert jedoch komplett, was sonst an Informationen unter der Überschrift Lebenslauf gegeben wird. Doch das mit großem Humor. Richtigem Humor. Nicht das Lachen über andere. Der Humor, der damit anfängt, dass man über sich selbst lacht. Den hat sie. Deshalb bin ich gespannt, ob sie sich beschreiben lässt von mir hier, aber bang davor, dass sie es nicht tun könnte, ist es mir nicht. Wenn sie sich verweigert, dann wird sie es so tun, dass es nicht blöd ist und sie damit etwas erzählt über sich und vielleicht sogar über mich. 


Vita
Radierung und Cartoon Still: © Inga Altenkirch

Donnerstag, 29. Dezember 2011

638

Wenn es um einen so steht wie um mich, dann ist das auch ein Ergebnis von Unvermögen, denke ich schon den ganzen Tag. Und da hilft nur: den Kopf einziehen, die Klappe halten und ganz klein anfangen damit, es besser zu machen. Und das meine ich nicht nur finanziell, das meine ich auch menschlich.

Finanzamt Schöneberg. Info-Zentrale. Letztes Jahr war es lustiger. Aber vielleicht auch nur, weil ich da zum ersten Mal darüber geschrieben habe. Anzumelden habe ich noch weniger als im vorigen Jahr. Heute ist meine Aufrufnummer 638. Ich muss länger warten dieses Mal, aber auch nur so lange, wie ich brauche, um meine Steuernummer und die Angaben zur Person in die Formulare einzutragen, damit ich später mit dem Info-Zentrale-Mitarbeiter lediglich die Zahlen eintragen muss. An welchen Stellen im Formular zeigt er mir und da, wo es was zu rechnen gibt, da rechnet er es für mich aus. Was für eine Erleichterung des Daseins, dass es diesen Service gibt. Es wird gern gesehen, wenn man gut vorbereitet ist. Ich bin gut vorbereitet. Trotzdem ist mir der ganze Akt nicht selbstverständlich. Ich bin kleinlaut und hinterher hätte Danke gereicht, Herzlichen Dank war zu viel. Beim Verlassen des Gebäudes fühle ich mich nicht so gut, wie ich mich fühlen könnte, weil ich gerade noch fristgerecht etwas erledigt habe, was ich Monate vor mir hergeschoben hatte. Ich denke, die einzige Chance, mich jemals wieder gut zu fühlen, ist, mein Unvermögen einzugestehen, mir darüber aber nicht lange Gedanken zu machen, sondern den Kopf einzuziehen, die Klappe zu halten und ganz klein damit anzufangen, es besser zu machen. Nicht nur finanziell, sondern vor allem auch menschlich.

Mittwoch, 28. Dezember 2011

Knecht

Es riecht nach Ölofenheizung. Leute, denen das nichts ausmacht, die halten sich hier auf wie in ihrem eigenen Wohnzimmer. Und wenn der Raum sich ausreichend mit Zigarettenrauch angefüllt hat, riecht man es sowieso nicht mehr, nur an den Klamotten am nächsten Tag. Mehr Einzelheiten nicht, weil ich ihm nicht schaden will: ihm – nur dieses Detail noch – mit dem hochgestellten Hemdkragen. Einziger, bei dem ich das je gesehen habe im Leben, sonst nur auf Fotos von James Dean oder Montgomery Clift oder Marlon Brando, als er noch sehr jung und eine romantische Figur war. Stellaaaaaaaa! – Er ist auch eine romantische Figur. Wie sehr, ist mir jetzt erst klar geworden. Seit 26 Jahren arbeitet er da schwarz. Oder hat er 29 Jahre gesagt, er, der mir das erzählt hat. Empört über die Ausbeutung des Schwarzarbeitenden durch den anderen, der die Konzession hat. Während ich sofort dachte: Ach, dann sind die gar keine Partner. Und als nächstes mich erinnerte an die unangenehme Szene, die einzige, allerdings sehr unangenehme Szene mit ihm. Es ist ein Haus, hatte er zu mir gesagt, als er mich zur Seite nahm, um mir zu sagen,  dass das Lokalverbot, das der andere mir erteilt hatte, auch noch gilt nach zwei Jahren, und auch wenn er arbeitet. Lokalverbot, weil ich den anderen ein Arschloch genannt hatte und das nicht zurücknehmen wollte, mich im Gegenteil bestätigt sah in meiner Aussage, als er eine Entschuldigung in aller Form verlangte. Es ist ein Haus, hatte der Schwarzarbeiter gesagt; es ist sein Haus, hätte er sagen müssen, das Haus des anderen, und da es sein Wunsch ist Entschuldigung oder Lokalverbot –, muss ich dich bitten zu gehen, wenn du dein Bier getrunken hast. Weil er seine Rolle als Knecht zu überspielen gewohnt ist, erklärte er nicht, dass er damit dem Wunsch des anderen folgt, sondern sagte nur, dass er mich bitte zu gehen nach dem Bier, das ich bestellt und noch gar nicht bekommen hatte, aber nun nicht mehr wollte. Bis heute habe ich nicht verstanden, warum er meine Bestellung überhaupt angenommen hatte, da er mich doch kurz darauf zur Seite nehmen wollte, um mir zu sagen: Es ist ein Haus. 

Dienstag, 27. Dezember 2011

Stadtbad 1



Warum wurde das Stadtbad Schöneberg nicht wie angekündigt am 19. Dezember und damit rechtzeitig zu den Feiertagen eröffnet? – Weil bei den Vorbereitungen zur Inbetriebnahme ein Schaden an der Bodenplatte des Schwimmbeckens aufgetreten ist.  – Heißt? – 14 Tage nachdem das Becken befüllt worden war, die Umwälzung in Betrieb genommen, Wasserproben entnommen, auf Keimbelastung untersucht, und wie nicht anders zu erwarten vom Labor die Wasserqualität für einwandfrei erklärt worden war, da fing es plötzlich an zu tropfen. In dem Keller, der sich unter dem Schwimmbecken befindet. Nicht stark, aber unübersehbar und so beständig, dass wir gesagt haben: Wir machen nicht den gleichen Fehler wie er 1999 bei der Abnahme gemacht worden ist, wir verlangen vom beauftragten Unternehmen im Rahmen der Gewährleistung, dass die Ursache des Tropfens aufgeklärt wird und dass das Tropfen aufhört. Deshalb Verschiebung der feierlichen Wiedereröffnung auf den 20. Januar 2012.

Wir? – Die Berliner Bäder-Betriebe, größter Betreiber von Hallen-, Frei- und Sommerbädern in Europa, und ich spreche mit Matthias Oloew, dem Pressesprecher der Berliner Bäder-Betriebe. Gegründet 1996, als durch Senatsbeschluss die bisherigen Betreiber der Berliner Bäder, die Bezirke, gezwungen worden waren, ihre Bäder freizugeben zur unternehmerischen Konzentration der über 60 Badeanstalten in den Berliner Bäder-Betrieben. Gezwungen heißt, die Bezirke hätten die Bäder lieber weitergeführt auf eigene Kappe. Und jetzt müssen wir uns einmal vorstellen: Da wird das denkmalgeschützte Hallenbad in der Hauptstraße für 50 Millionen Mark restauriert und modernisiert, ein Riesenprojekt, vom Bezirk Schöneberg in Auftrag gegeben. Leute sind zuständig, die den Bau engagiert begleiten. Engagiert für Schöneberg und seine Bezirksverwaltung, damals noch ohne den Tempelhof-Anhang. Und dann heißt es mitten in den Bauarbeiten, das Bad gehört euch ab jetzt nicht mehr. Aber der Bau bleibt eure Sache. Den habt ihr in Auftrag gegeben, den habt ihr weiter auszuführen und das Gebäude den Bäder-Betrieben schlüsselfertig zu übergeben. Das ist 1999 geschehen und das können wir uns doch denken, dass die Zuständigen vom Bezirksamt vor allem daran interessiert waren, das Projekt schnell loszuwerden und - vielleicht - bei der Abnahme nicht so pingelig waren, wie sie es gewesen wären, wenn das Bad weiter dem Bezirk gehört hätte. Schwimmbäder tropfen nun einmal, werden sie sich gedacht haben. Und im modernisierten Stadtbad Schöneberg hat es von Anfang getropft von der Decke und an den Wänden ist das Wasser heruntergeflossen. Von der Abnahme durch den Bezirk an. Von der Übergabe an die Berliner Bäder-Betriebe an. Zehn Jahre lang hat es getropft. Unter dem Becken, unter der Sauna, von der Decke unter der Galerie vor der Schwimmhalle. Wenn sie oben den Boden feucht aufgewischt haben, ist aus einer Deckenlampe eine Etage tiefer das Wischwasser getropft. Und zehn Jahre später war der gesamte Bau so durchfeuchtet, dass nicht mehr viel fehlte und die Stahlkonstruktion des Gebäudes wäre durchgerostet, und das hätte Abbruch bedeutet.


Man darf aber auch nicht vergessen, dass das Bad zehn Jahre lang mit Höchstlast gefahren wurde, sagt der Pressesprecher. Und es ist eigentlich nicht zu verstehen, warum er das sagt. Denn die hohe Beanspruchung durch die große Zahl der Badegäste ist eine Beanspruchung der Umwälzanlage, aber doch keine Beanspruchung des Gebäudes und seines Zustandes, von dem wir reden, wenn wir vom Tropfen reden. Außerdem hat er es doch gar nicht nötig, irgendetwas zu beschönigen, was vor 1999, also vor der Übergabe des Gebäudes an die Berliner Bäderbetriebe geschehen ist. Das betont Herr Oloew auch immer wieder. Der ganze Pfusch beim Umbau und der Erweiterung des Stadtbad Schöneberg in den 90er Jahren geht ihn und die Berliner Bäderbetriebe nur insofern an, als sie sich mit den Folgen herumzuschlagen haben, für die Ursachen sind sie nicht verantwortlich. Und so scheint es sich auch beim aktuellen Schaden, der tropfenden Bodenplatte zu verhalten. Scheint.

Scheint deshalb, weil es noch nicht erwiesen ist, dass die angenommene und inzwischen – vielleicht – behobene Schadensursache auch tatsächlich die Ursache des Tropfens ist. Das wird sich erst zeigen, wenn das Becken demnächst wieder befüllt wird und wieder 14 Tage vergangen sein werden. Erst, wenn es dann nicht mehr tropft, wird das die Annahme bestätigen, dass die in die Bodenplatte einbetonierten Kunststoff(PE)-Rohre undicht waren. Was für eine Funktion diese Rohre haben – Zulauf? Ablauf? – konnte mir der Pressesprecher nicht sagen, nur soviel: diese Rohre sind unkaputtbar, erstens wegen der Robustheit des Materials, zweitens, weil nichts so materialschonend ist wie Einbetoniertsein. Deshalb kam  bei der Sanierung des Bades seit 2009 auch nie jemand auf die Idee, den Zustand dieser Rohre zu prüfen. Erst vor kurzem, als nach 14 Tagen Beckenbetrieb die  Bodenplatte so durchfeuchtet war, dass es tropfte, kam man darauf, dass das nur an den einbetonierten PE-Rohren liegen kann: dass sie vermutlich Haarrisse aufweisen, durch die Wasser austritt, das sich in der 30 cm dicken Betonschicht ausbreitet.  – Aber wenn die Rohre unkaputtbar sind, woher kommen dann die Haarrisse? – Das ist nur so zu erklären, dass die Rohre schon vor dem Einbetonieren schadhaft waren. Und das ist damals unbemerkt geblieben oder jemand hat es bemerkt und gesagt: Scheiß drauf! – Dazu will sich der Pressesprecher nicht äußern. Denn was vor 1999 war, das geht ihn und die Bäder-Betriebe nichts an und es bringt auch nichts, die Ursachenforschung weiter zu treiben, als es nötig ist, um den Schaden zu beheben. –  Und wie soll das gehen? Die Rohre rausreißen aus der Bodenplatte und erneuern? – Nein, das wäre zu aufwendig, die Mittel dafür würden wir nicht bewilligt kriegen, sagt Herr Oloew. – Also was tun? – Minimal-invasives Vorgehen, wie es in der Humanmedizin heißt. Mit Sonden in die Rohre eindringen, um sie mit einem Inlay auszukleiden und so von innen abzudichten. Das ist bereits geschehen. Zur Zeit trocknen die Inlays und dann wird es spannend. Denn erst, wenn es 14 Tage nach der erneuten Befüllung des Beckens nicht tropfen wird, erst dann ist erwiesen, dass Haarrisse in den einbetonierten Rohren die Ursache waren, und nur dann kann am 20. Januar 2012 feierlich eröffnet werden. 




Fotos: © w.g.

Montag, 26. Dezember 2011

Verpasst

Das Beste verpasst heute, weil nicht dran geblieben. Die Mutter des Jungen bei Videoworld erzählt ihm von einem Film, den hat sie gesehen in den 70er Jahren und sie redet dabei wie auf einer Party mit einem Weinglas in der einen und einer Kippe in der anderen Hand. Als ich an den beiden vorbei gehe, könnte es auch sein, dass sie die Großmutter des Jungen ist. 

Die andere Mutter eines Jungen joggt von der Belziger um die Ecke in die Akazienstraße, der Junge fährt auf einem Roller neben ihr her und kriegt von seiner Mutter erklärt, wie die Katholiken das machen mit den Sünden (Reue, Buße, Vergebung), und dabei redet sie abfällig und wie ein Kerl. 

Der Kerl sitzt beim Inder und hat gerade gezahlt. Lange nicht gesehen, ich weiß gar nicht mehr, wie er heißt. Grau war er damals schon. Dick ist er immer noch. Seit fünf Jahren in Holland. Leicht verdientes Geld dort, sagt er. Und dass die Leute vom Kindergarten an lernen, anders umzugehen miteinander als die Leute hier. Ziel ist es, dass man lachend auseinander geht nach einem Streit. Das kriegen sie auch meistens hin. Während hier, vergiss es, sagt er.   

Fortsetzung von gestern: 


Hediye heißt Geschenk. Und hediyesi? Geschenke? – Umweg machen, im Kaiser Kiosk vorbeigehen, einen der Jungs dort fragen. Nicht nötig. Ein Fahrradfahrer kommt mir entgegen, den ich nicht kenne, aber dann guckt er her, und als ich zweimal zurück geguckt habe, sehe ich, das ist Özgür. Auf dem Weg zu seinen Eltern. Feiert ihr Weihnachten? – Nein. – Und deine Tochter? – Ist bei ihrer Mutter und die feiert auch nicht. – Komm doch mal wieder in die Rote Beete, sagt er unvermittelt an der Stelle, an der ich ihn hätte fragen können: Özgür, was heißt eigentlich hediyesi? In der Kneipe Rote Beete haben wir uns zum letzten Mal gesehen. Ende Juli war das, als ich über ihn und seine Bildhauerei geschrieben habe. Wir haben zusammen Fotos von seinen Arbeiten ausgewählt und ich habe ihm Fragen dazu gestellt. Er hat Bier getrunken, ich habe mich an zwei Mineralwasser festgehalten den ganzen Abend. Beim Abschied habe ich gesagt, das nächste Mal, wenn wir uns hier treffen, trinke ich auch Bier. Obwohl ich da schon gesehen hatte, wie viel das Bier dort kostet, und mir klar war, dass ich mir das gar nicht leisten kann bei meinem Budget. Jetzt sage ich zu Özgür, was eben auch noch ist: Das Trinken in Gesellschaft ist nicht mehr mein Ding. Ich erzähle ihm, dass ich am Vortag eingeladen war von einer mir sehr lieben Person zu einem Treffen mit sehr angenehmen Leuten. Und einer der Gründe, weswegen ich nicht hingegangen bin, war, dass es geheißen hatte: Und dann trinken wir Prosecco. – Natürlich trinke ich noch Alkohol, versichere ich, um nicht dazustehen wie ein trockener Alkoholiker. Nur das Trinken in Gesellschaft, das will ich mir nicht mehr mit ansehen, sage ich und wechsle dann das Thema. Er hat sich nicht mehr gemeldet, nachdem ich ihm die Links zu meinen Texten über ihn geschickt hatte (hier und hier). Haben sie ihm nicht gefallen? Oder hat er sie sich gar nicht angesehen? frage ich ihn. – Doch, aber nur kurz, antwortet er und murmelt dann etwas über das Internet, in dem er nicht mehr ist. Wenn sie sagen, sie hätten sich einen Text nur kurz angeguckt, dann hat ihnen der Text nicht zugesagt; sie wollen keine Zustimmung heucheln, aber auch nicht rausrücken damit, was ihnen nicht gepasst hat. Das macht den Umgang mit ihnen so uninteressant und leer. Aber Özgür ist ein Freund. Deshalb schenke ich ihm das nicht und sage, dass ich über ihn geschrieben habe, weil ich ihn mit seinen Arbeiten in meinem Blog haben wollte. Nachdem ich mich erst mal darauf eingelassen hatte, habe ich es aber auch für ihn gemacht und mir Mühe gegeben, ihn gut aussehen zu lassen. Deshalb ist es respektlos, wenn du jetzt sagst, dass du dir das nur flüchtig angeschaut hast. Das gibt er zu und ich lenke ein, indem ich ihm vorschlage: Er schaut sich meine Texte über ihn mal richtig an. Und ich werde mich dafür mit ihm in der Roten Beete treffen, um mit ihm Bier zu trinken. Und dann können wir ja über die Text reden, habe ich gesagt, um etwas Freundliches zu sagen zum Abschied. Obwohl ich weiß, dass er sich die Texte nicht noch einmal anschauen muss, weil er bestimmt auch beim zweiten Mal nichts mit ihnen anfangen kann. Aber das macht nichts, denn ich werde mit Sicherheit auch nicht in die Rote Beete kommen und Bier trinken. Obwohl ich das gerade mit ihm immer sehr gerne getan habe und die Rote Beete dafür ein sehr gut geeigneter Ort ist.   

Hediyesi heißt Patengeschenk. Das habe ich im Online-Wörterbuch Türkisch-Deutsch nachgeschaut. Jetzt müsste ich noch wissen, was genau ein Patengeschenk ist und warum auf dem Schild neben dem Schneemann und dem Mädchen steht: Patengeschenk 2012. 

Sonntag, 25. Dezember 2011

Hediye


15:14   Potsdamer Straße

Es gibt eine Liliane Katz in einer Geschichte von mir, aus der nichts geworden ist. Liliane Katz ist mit 17 Jahren und schwanger von New York nach Berlin abgehauen, dem Vater ihres Kindes hinterher. Wer der Vater ist, habe ich niemandem verraten, so wie Liliane in der Geschichte den Namen des Vaters nicht preisgibt, nicht mal ihrem Sohn Daniel verrät sie sie ihn, als er erwachsen ist. Weil er auch so schon größenwahnsinnig genug ist?  Nein, weil es ihr auch jetzt noch so unendlich peinlich ist, als hätte sie es gerade eben erst erfahren, dass sie schwanger ist nach der ... keine Details! Muss ich es jetzt enthüllen, wer der Vater von Daniel ist? - Warum denn? Ich habe mich nur an Liliane erinnert, als ich das Ladenschild in der Potsdamer Straße gesehen habe. Der Vater Daniels hat übrigens mal in der Potsdamer gewohnt, aber mehr in Richtung Kleistpark. Jetzt ist es ja leicht.

15:23   Bülowstraße

Dass Hediye auf Türkisch Geschenk bedeutet, weiß ich, weil ich mit einer Frau befreundet war, erst liiert, später befreundet, die Hediye heißt. Sie hat den Kontakt zu mir abgebrochen, nachdem ich über sie geschrieben hatte. Nicht, weil sie mit dem, was ich geschrieben habe, nicht einverstanden gewesen wäre, sondern a) weil sie nicht wollte, dass ich weiter über sie schreibe oder b) weil ihr gegenwärtiger deutscher Freund im diplomatischen Dienst tätig ist und nicht in mein Schreiben verwickelt werden wollte. Was nicht zu vermeiden gewesen wäre bei der Innigkeit, mit der die beiden zusammen sind, und der Eifersucht des Mannes. Wie viele andere kann er sich nämlich nicht vorstellen, dass man als Liebespaar sich trennt und befreundet bleibt. Und weil er sich das nicht vorstellen kann, wäre der Diplomat bei weiteren Treffen Hediyes mit mir lieber dabei gewesen, aber dann – siehe oben  – wäre er in mein Schreiben verwickelt worden. Sie hat dann bei zwei Anrufen von mir sich verhalten wie immer, aber nie wieder zurückgerufen. Und einen dritten Anruf von mir hat es nicht gegeben. Nichts, worüber ich mich beklage. Natürlich ist die Rücksichtnahme auf ihren aktuellen Partner wichtiger als die Rücksichtnahme auf mich. Wie pragmatisch sie denkt, hat mir immer gefallen. Wenn sie nicht mehr mit dem Diplomaten zusammen ist, wird sie wieder auf mich zukommen. Sie wird eines Tages nicht mehr mit dem Diplomaten zusammen sein. Und wenn ich mich da täusche? Dann soll es mir nicht leid tun, dass ich wegen des Blogs eine gute Freundin verloren habe. Ihre Wichtigkeit des Diplomaten. Meine Wichtigkeit des Blogs. 

Samstag, 24. Dezember 2011

Relevant


© Galerie Gilla Lörcher

Still wie Stillleben. Keine Ausstellungseröffnung. Kein Atelierbesuch. Und Natasa (sprich Natascha) ist über die Feiertage zu Hause in Serbien. Danach wird sie in Israel sein, um zu recherchieren für ihre Magisterarbeit. Was mit Holocaust. Kunst im Kontext studiert sie an der UDK. Zweitstudium. Ziel: Promotion. In Belgrad hat die 29jährige schon ein Kunststudium abgeschlossen. War es Malerei? Auf jeden Fall vermisste sie da die Relevanz, die gesellschaftliche, die politische. Und deshalb hatte ich die richtige Intuition, sie als meine Blindenführerin zu gewinnen für die Ausstellung Yeni Aya Cevaben / Responding to the New Moon / Antworten auf den Neumond: Prologue, mit der ich beim ersten Ansehen null anfangen konnte, wegen des unübersehbaren Anspruchs der ausstellenden Künstler, gesellschaftlich und politisch relevant zu sein. Natasa hat zugestimmt, sich die Ausstellung mit mir anzusehen. Doch dann war es letzten Donnerstag und sie hatte sich immer noch nicht gemeldet. Also wollte ich mich alleine auf den Weg in die Pohlstraße machen und gleich auch noch bei Contemporary Art reinschauen. Dann habe ich auf der Website von Gilla Lörchers Galerie gesehen, dass just an diesem Tag ihre Galerieferien beginnen und den schönen Aufmacher habe ich entdeckt. Den will ich in meinem Blog haben, dachte ich mir, und zu Tanja Wagner gehe ich noch mal, wenn die Ferien von Gilla Lörcher am 6.1.2012 vorbei sind. Aber nun hatte ich diese Woche gar keine Kunst zum Zeigen im Blog. Was habe ich gemacht? Geplündert und improvisiert. 

  ©  Natasa Tepavcevic

Mit gesellschaftlichem, politischem und obendrein noch Bezug zum Datum von heute dieser Cartoon auf einer älteren Website NatasasAuf einer aktuellen Seite stellt sie sich vor mit dem Satz: I am Natasa Tepavcevic, Berlin based, visual, multimedia, text-based artist from Serbia. – Text-based art? – Beispiel:  

© Natasa Tepavcevic

Cut to: Karina Schönthaler Pośpiech. Als Künstlerin tritt sie auf mit ihrem polnischen Mädchennamen, als Architektin mit dem angeheirateten deutschen Namen ihres Mannes. Jetzt in ihrer deutsch-polnischen Mail mit Doppelnamen und zu den guten Wünschen für die Feiertage gibt es dieses Foto aus ihrer Heimat: 

Ein Restaurant in Gliwice/ Oberschlesien 2011
Restauracja w Gliwicach/ Górny śląsk 2011
© Karin Schönthaler Pośpiech

Auch Karina ist eine Relevanz-Künstlerin: nach ihrer Video-Installation über polnische Putzfrauen in Berlin hat sie einen Handyfilm über polnische Obdachlose in Berlin gedreht und deren Schicksal lässt sie nicht mehr los. Letzte Woche hat sie eine Mail weitergeleitet mit der Aufforderung. sofort den Kältebus anzurufen, wenn wir nachts einen Obdachlosen auf der Straße sehen. Ich mache mich lustig über die Relevanz-Kunst? – Ja. Aber nicht über die Kältebus-Initiative

Wenn ihr des nachts in Berlin Obdachlose auf der Straße seht, wählt bitte die Nummer 0178/523 58 38 und es kommt der Kältebus vorbei, um sie vor dem Kältetod zu bewahren. Gleich die Nummer einspeichern. Die Aktion läuft bis zum 31. März. **Bitte postet das weiter.
If you see a homeless person at night somewhere on the streets this winter, please dial 0178/523 58 38, so that the 'Kältebus' (a small van to transport people to some warm shelter) can come by and help, and no-one freezes to death out there. Save the number now. This action will go through till March 31st. Please spread the word.

Mehr über Karina Pośpiech hier und hier.

Freitag, 23. Dezember 2011

Teetasse



Eine Frau ist in den Teeladen in der Kaiser-Wilhelm-Passage gekommen und hat gesagt, sie brauche ein Weihnachtsgeschenk für ihre Schwiegertochter. An eine Teetasse habe sie gedacht, aber die Tasse muss nicht schön sein, die kann ruhig hässlich sein, sie kann ihre Schwiegertochter nämlich nicht leiden, weil sie ihren Sohn ständig betrügt. Nachdem die Tasse ausgesucht war, wollte sie noch einen Tee für die Schwiegertochter. Aber der Tee muss nicht schmecken, hat die Frau gesagt. Das kann auch ein ganz scheußlicher Tee sein. – Das hat der Verkäuferin gefallen, und als sie es mir erzählt, denke ich sofort: Das ist meine Geschichte zu dem Tag, an dem alle unterwegs sind, um Geschenke zu kaufen, nur ich und ein paar wenige andere kaufen einfach nur ein wie jeden Freitag. Während die Verkäuferin und ich unser übliches Geschäft mit den 250 g Chinese Black Tea machen, versuche ich sie auszuhorchen über die Frau. Was das für eine war, würde ich gerne wissen. Eine, die eifersüchtig ist auf ihre Schwiegertochter und deshalb ihr die Affären nur andichtet, die ihre Schwiegertochter nur zu  gerne hätte, weil der Sohn der Frau ist ein von seiner Mutter verzärtelter Versager. Oder ob die Frau eine war, bei der man annehmen kann, wenn sie das sagt, dass die Schwiegertochter ihren Sohn betrügt, dann ist das auch so, und zwar nicht zu knapp. Wobei wir auch hier in der Rolle des Sohnes einen schwachen Mann sehen, einen Mann, der von seiner Frau  betrogen wird und anstatt sie zu verlassen oder ihren Liebhaber abzuknallen, bei seiner Mutter am Küchentisch sitzt und in die Teetasse heult. Doch wie schon so oft bei dieser Verkäuferin war es auch heute so, dass das Gespräch mit ihr nach einem guten Anfang zerfaserte. Ich fragte sie, wie sie sich verhalten habe bei der Verkaufsberatung der Frau. Hat sie der Frau eine hässliche Tasse verkauft? – Nein, eine sehr schöne Tasse habe ich ihr verkauft. – Weil sie hier sowieso nur schöne Sachen haben.  – Genau. – So ging es dann auch mit dem Tee, den die Frau zur Tasse dazu kaufen wollte. Verkäuferin: Was hätte ich ihr denn verkaufen sollen? Baldriantee?  – Um zu einer Einschätzung der Frau zu kommen, will ich wissen, wie alt sie war. – So alt wie ich, antwortet die Verkäuferin. – Wie? Und da hat sie schon eine Schwiegertochter, die mit ihrem  Sohn so durch ist, dass sie ihn betrügt? – Ich schätze die Verkäuferin für Anfang, höchstens Mitte 40. Aber da täusche ich mich wahrscheinlich. Denn sie will sich nicht äußern zu meiner Schätzung und das Alter der Frau weiß sie nicht. Deshalb hat sie gesagt, dass die Frau so alt sei wie sie, aber  wie alt sie ist – siehe oben –, das gibt sie nicht preis. Das Gespräch ist jetzt nur noch ärgerlich und doof und das sage ich der Verkäuferin auch. Sie erwidert, sie werde mir jetzt mal zeigen, was für eine Tasse sie mir verkaufen würde. Nämlich eine Tasse mit Teufelsohren dran. Obwohl zwei Kundinnen darauf warten, von ihr bedient zu werden, geht sie nun zu dem Regal mit den Tassen und sucht nach der Tasse mit den Teufelsohren, und als sie sie nicht findet, zeigt sie mir statt dessen das Tassenmodell, das sie der Frau verkauft hat. Da hat die Frau also doch die hässliche Tasse bekommen, die sie wollte, denke ich und frage, ob ich die Tasse fotografieren darf. – Warum? – Um sie zeigen zu können, wenn ich ihre Geschichte erzähle. Die beiden wartenden Frauen stehen da mit verhärteten Mienen und eine sieht so aus, als ob sie eine Schwiegermutter hätte, die andere nicht. Die Verkäuferin hat keine Ahnung, wie ich das meinte, dass ich die Geschichte der Tasse erzählen will. Trotzdem nimmt sie nun die Tasse aus der Geschenkdose und stellt sie mir so hin, dass ich sie bequem fotografieren kann. So ist sie dann auch wieder, die Verkäuferin.

Geschenk oder Feindseligkeit?

Um keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen: Die Verkäuferin ist eine sehr gute Verkäuferin und der Laden sehr empfehlenswert.

Donnerstag, 22. Dezember 2011

Schaden

Der Kassierer ist nicht mehr da, als ich das Hallenbad verlasse. Keine Abschiedszene vor den Feiertagen und der Woche zwischen den Jahren, in der das Sachsendamm-Bad geschlossen sein wird. Und keine Gelegenheit mehr, ihn zu fragen, ob er mir einen Kontakt zu dem Kollegen aus der Hauptstraße machen kann, von dem er das gehört hat mit der Absenkung des Beckenbodens im Stadtbad Schöneberg. In zwei Jahren Bauarbeiten nicht bemerkt, erst bei den Vorbereitungen zur Inbetriebnahme festgestellt. Und dann wollen die am 20. Januar öffnen? Bis dahin es hinkriegen, den Beckenboden anzuheben und zu stabilisieren? Wenn sie es überhaupt hinkriegen. Wie macht man denn das, Bernd? – An den richtigen Stellen Löcher bohren und Beton reingießen, sagt der ehemalige Architekt. – Doch so einfach ist das bestimmt nicht, wie es sich anhört. Alleine schon das Finden der richtigen Stellen; von detektivischer Spürarbeit ist die Rede in einer Meldung auf BerlinOnline. Sonst nichts zu dem Thema im Internet. Die Lokalpresse interessiert das nicht. Dabei ist es doch eine Riesengeschichte. Nach allem, was bisher geschah (50 Millionen Euro verknallt bei der Pfusch-Modernisierung des Hallenbades in den 90er Jahren), nun erst kurz vor Inbetriebnahme einen so gravierenden Schaden festgestellt: eine Absenkung des Schwimmbeckens! – Der Kollege des Kassierers ist krank, sonst hätte er ihn noch mal fragen können. Jetzt muss erst mal die Feiertagsagonie überstanden werden und am 2. Januar weiß er dann mehr, sagt der Kassierer. Auf die Idee, den Kollegen zu Hause anzurufen kommt er nicht. So gut kennen sie sich nicht? So wichtig ist es ihm nicht wie mir. Deshalb wollte ich einen direkten Kontakt zum Kollegen oder wenigstens einen Tipp vom Kassierer, wen ich ansprechen könnte in der Verwaltung der Berliner Bäder-Betriebe. Auf die Idee, dass die eine Pressestelle haben mit einem Pressesprecher, komme ich nicht. So habe ich die Berliner Bäder-Betriebe bislang nicht wahrgenommen aus meiner Badegast-Perspektive, da habe ich immer nur eine betuliche Truppe in kurzen Hosen und Badelatschen gesehen und so idyllisch habe ich mir auch das Management der BBB vorgestellt. Aber was heißt schon Management? Und dann auch noch Pressesprecher?

Dabei, wo gibt es nicht überall Pressesprecher! Ist mir diesen Sommer klar geworden, als ich einen vor mir sitzen hatte. Name der Institution, bei der er arbeitet, kleinere Einrichtung als die Berliner Bäder-Betriebe, spielt keine Rolle. Darf keine Rolle spielen. Denn, was hat er für einen Aufstand gemacht, als ich ihn mit einem Satz zitiert habe, in dem er sich selbst als Pressefuzzy bezeichnete. Auf keinen Falle dürfe ich das schreiben. Er habe nicht nur Freunde in der Institution und seine Feinde warteten nur auf so was, um ihn abzusägen. – Weil er seine Stelle mit Pressefuzzy beschrieben hat? - Der entspannte große Macker am  Zittern und Bibbern um seinen Job. Nichts als ein kleiner Hosenscheißer hinter der Fassade von Souveränität? Oder geht es so rau zu in solchen Institutionen? Was weiß denn ich, was für ein Krieg da tobt um die gesicherten Einkommen. Ich habe keins. Keine Ahnung habe ich. Und deshalb habe ich mir überlegt, dass ich den Pressesprecher der Berliner Bäder-Betriebe  mal fragen könnte: a) ob er sich selbst schon einmal salopp als Pressefuzzy bezeichnet hat und b) ob er fürchten würde, dass ihm das in seinem Laden Nachteile verschafft, wenn es ruchbar würde, dass er sich in einem Gespräch mit einem Blogger als Pressefuzzy der Berliner Bäder-Betriebe bezeichnet hat. Wenn sich die Gelegenheit dazu noch einmal ergeben sollte, frage ich ihn das. Heute ist es mir zu spät eingefallen, dass ich damit ein  seltsames Vorkommnis aus dem Sommer klären könnte. Ende Abschweifung. 

Pressesprecher der Berliner Bäder-Betriebe ist Matthias Oloew. Dass es ihn gibt, seinen Namen und seine Telefonnummer habe ich herausgefunden, als ich vergeblich ein Organigramm auf der Website der BBB gesucht habe, um einen Ansprechpartner für meine Fragen zum neuesten Gebäudeschaden im Stadtbad Schöneberg zu finden. In einem knapp 15minütigen Gespräch hat er mir alle meine Fragen beantwortet, bis auf eine, die ich mir mit seiner Hilfe selbst beantworten konnte. Ich weiß jetzt, was für ein Schaden das ist, der erst kurz vor der Inbetriebnahme entdeckt wurde und gar nicht früher entdeckt werden konnte. Und ich habe eine Vorstellung davon, wie es zu dem Baudebakel gekommen ist, das in den 90er Jahren im denkmalgeschützten Gebäude des Stadtbad Schönebergs angerichtet wurde. 

Mehr demnächst. Vorweg: Dass der Boden des Beckens sich abgesenkt hat, stimmt nicht.

Mittwoch, 21. Dezember 2011

Korea

Über den Tod von Kim Jong Il, genannt der verstorbene Diktator, nur Überschriften gelesen. Angelockt von dem Satz: Die Trauerrituale für den verstorbenen Diktator Kim Jong Il werden immer inbrünstiger, schaue ich heute in einen Spiegel Online-Artikel. Werde enttäuscht, weil Inbrunst ist ironisch zu verstehen, bezieht sich auf die Inszenierung der Trauer im koreanischen Fernsehen. Werde aber gleich darauf entschädigt von der Neuen Zürcher Zeitung, die kolportiert, wie die Todesnachricht Südkorea erreichte: Ein einsamer Beamter habe sich über die Mittagszeit im Wiedervereinigungsministerium die Nachrichten des nordkoreanischen Fernsehens angeschaut und sei blass davongelaufen, um den Minister zu informieren, als er die schwarze Tracht der Sprecherin gesehen habe. 

Über Taewoo Kang habe ich schon so oft geschrieben, dass ich gerade gestern erst gedacht habe, dass ich ein kleines Lehrstück (*), das ich mir bei ihm abgeschaut habe, lieber anonymisiere, sonst fühlt er sich noch von mir verfolgt. Der Solaris-Effekt in meinem Leben: Prompt sitzt Taewoo heute an einem Internet-Arbeitsplatz, als ich zum Ausdrucken in die Bibliothek komme. Wegen unserer Vorgeschichte begrüße ich ihn verhalten und er erwidert den Gruß mit einer Miene, die mir zeigt: Der hat nicht nur die Schnauze voll von mir, der ist immer noch beleidigt und will es bleiben. Darüber darf ich mich nicht beklagen und auch nicht lustig machen. Wenn ich so denke über jemanden wie über ihn (nicht schlecht, aber schon sehr differenziert) und das auch noch ausspreche, weil ich alles ausspreche, dann ist der nicht nur beleidigt, dann will der einfach nichts mehr mit mir tun haben. Das muss ich respektieren, wenn ich zu dem stehe, was ich über ihn gedacht und geschrieben habe. Täte ich es nicht, könnte ich zu ihm hingehen und sagen: War alles nicht so gemeint. Wie es so geht beim Schreiben, ich habe übertrieben. Hier meine Hand. Vertragen wir uns wieder. – Aber es war alles so gemeint. Und nichts war übertrieben. 

Doch jetzt erwische ich mich dabei, wie ich zu ihm hingucke – Bibliothek – und überlege, was es wohl im Besonderen war, weswegen er nichts mehr mit mir zu tun haben will. Was soll das? Wenn er nichts mehr mit mir zu tun haben will und ich daran nichts ändern kann, wäre es wünschenswert, wenn ich auch nichts mehr mit ihm zu tun hätte. Schwer. Als ich vom Drucker zurück zum PC-Arbeitsplatz gehe, kommt er mir entgegen und wir schauen uns an. Keine Regung, kein Wort, als wir aneinander vorbeigehen. Bedrückend? Nein. Aber wie hat der jetzt geguckt? Ernst. Und trotzig? Oder traurig? Weil enttäuscht? Oder neutral? Ausdruckslos? – Er geht. Von draußen aus dem Vorraum höre ich seine Stimme. Dann ist er weg. Ich beschäftige mich immer noch damit, wie er geguckt hat, und das passt mir nicht. Meinetwegen passt es mir nicht. Denn es ist doch so: Wenn ich austeile wie gegen ihn, dann muss es mir das wert sein, dass danach nichts mehr ist. Schwer.

Ich leihe mir Thomas Bernhard, Alte Meister aus, bin abgelenkt vom Gespräch mit der Frau an der Ausleihe, und als ich die Bibliothek verlasse, erinnere ich mich an die Anekdote, wie die Nachricht vom Tod Kim Jong Ils Südkorea erreicht hat, das offizielle Südkorea. Denn es werden bestimmt noch ein paar andere Südkoreaner die Mittagsnachrichten im nordkoreanischen Fernsehen geschaut haben an jenem Tag. Wie es bestimmt auch einige Südkoreaner geben wird, die Kim Jong Ils Tod betrauern, aus menschlicher, politischer oder einfach nur koreanischer Verbundenheit. Und vielleicht gehört Taewoo zu ihnen. Zuzutrauen wäre es ihm, denke ich grinsend. Dann hätte er deshalb so geguckt, als er vorhin an mir vorbei gegangen ist. Weil er in Trauer ist. In Staatstrauer wegen dem verstorbenen Diktator, dem der in Seoul geborene, seit seinem zehnten Lebensjahr in Berlin lebende südkoreanische Kunstmaler vielleicht stets näher gestanden hat, als er zuzugeben bereit war. Aber nun, da im nordkoreanischen Fernsehen Millionen Trauernde immer inbrünstiger Abschied nehmen vor Porträts und Statuen des verstorbenen Diktators, in diesen schweren Stunden kann Taewoo es nicht mehr verbergen. Das glaube ich natürlich nicht im Ernst. Kann es allerdings auch nicht ganz ausschließen. Egal. Es hilft. Ich habe nichts mehr mit Taewoo zu tun. Ich bin mit meinen Gedanken in Korea und nur insofern bei ihm. 

(*) Die Gönnerin eines Malers freut sich darüber, in einer Weihnachtsausstellung ein Aquarell des Malers zu entdecken. Sie beugt sich vor, schaut auf den Preis und sieht: 800 Euro  (oder sind es 900?). Der hat sie ja nicht mehr alle, sagt sie kopfschüttelnd. Ich weiß seit langem, wie der Maler bei den Preisen für seine Bilder hinlangt, und sage: Wenn er schon nichts verkauft, dann möchte er das eben zu einem möglichst hohen Preis tun. – Das war sarkastisch gemeint, also spöttisch. Inzwischen denke ich jedoch, dass ich es genauso machen sollte wie der Maler. 

Dienstag, 20. Dezember 2011

Sticheleien


Uliane Borchert    Siebdruck     1983


Bei Art Rahmen steht Liljana aka die Galeristin und wartet darauf, dass sie dran kommt. Wir begrüßen uns sparsam. Es begegnen sich zwei Leute, die die Schnauze voll haben von einander. Ich gehe weiter, mache ein paar Schritte in den Laden hinein, an Birgit vorbei, die mit einer Kundin redet. Merke, so geht es nicht. So entsteht ein falscher Eindruck. Ich will Liljana nicht aus dem Weg gehen; wir haben uns nur nichts zu sagen. Deshalb gehe ich zurück zu ihr, mache eine Kopfbewegung zu dem Druck und dem Passepartout in ihrer Hand und frage: Was hast du? – Passepartout. Muss zugeschnitten werden, antwortet sie. Zugeschnitten werden so, dass man lesen kann, was unter dem Bild steht, präzisiert sie, als sie Birgit später erklärt, was zu tun ist. Es ist ein Siebdruck von Uliane.  Ein Frauenporträt. In Ulianes Markenzeichenstil: Leuchtreklame-fähig. Durch Liljana bin ich zu Uliane gekommen, die bald noch mehr Vertraute wurde, als Liljana es war. Nach dem Bruch mit ihr brauchte ich nicht über ihre Weihnachtsausstellung zu schreiben und sie spart die 50 Euro Sponsorengeld für Dezember und die folgenden Monate. Nachdem sie Birgit erklärt hat, wie sie das Passepartout zugeschnitten haben möchte, sagt Liljana: Und wann kann ich das abholen? Morgen?  - Das meint sie nicht im Ernst. Sie weiß, dass der Laden noch ein paar mehr Aufträge zu bearbeiten hat, gerade jetzt vor den Feiertagen. Es ist ihre Art von Humor. Witze dieser Art - witzige Sticheleien - macht sie häufiger. Zu dem Bruch zwischen uns kam es letztlich, weil sie mit meiner Art von Humor nichts anfangen konnte. Letztlich. Es ging noch um etwas anderes als um Humor. Und wie ich damit umgegangen bin, eben mit meiner Art von Humor, das hat dazu geführt, dass wir uns nichts mehr zu sagen hatten und die Schnauze voll haben von einander. Ich verabschiede mich mit einem Winken von Liljana. Als sie draußen ist, schaut Birgit mich über den Rand ihrer Brille verwundert an und sagt:
Ihr seid aber nicht liebevoll umgegangen miteinander. 
Nein. Wir sind distanziert. 
Ach!
Ja.  

Montag, 19. Dezember 2011

Bodenplatte



Wir hätten es uns denken können, dass nichts daraus wird, wenn wir uns nicht so sehr darauf gefreut hätten, dass es heute wieder öffnen sollte: das Hallenbad in der Hauptstraße. Gestern,  nur um ganz sicher zu gehen, letzten Endes aber nur zur Steigerung der Vorfreude, auf der Berliner Bäder-Website nachgeguckt und es nicht fassen können: 


© Berliner Bäder-Betriebe

Heute Nachmittag keine Bautätigkeit zu erkennen von außen. Wie durch die verschlossene Eingangstür zu sehen, kein Wasser im Becken. Die Bodenplatte! Wüsste gerne Genaueres, was es mit der auf sich hat. Auch wegen der Einschätzung des 20. Januar-Termins. Aber es war niemand zu sehen, den ich hätte fragen können. Ohne zusätzliche Informationen denke ich: Das wird auch am 20. Januar nichts.

Also weiter Sachsendamm. Da heute keine verschlossene Tür. Da der freundliche Kassierer, der uns erklärt: Umwälzpumpe ausgefallen, die Kohlefilter geplatzt, die Filterkohle im Wasser, das Wasser schwarz wie Tinte. Kein Badebetrieb möglich, weil die Schwimmmeister nicht auf den Grund des Beckens sehen können im Fall, dass einer von uns von dort nicht mehr hochkommt. Der Kohlestaub im Wasser ein Sicherheits-, aber kein hygienisches Problem. Die Wasserqualität wäre gut genug, es hätte uns bestimmt auch gefallen, in der kohlrabenschwarzen Brühe zu schwimmen, aber die Schwimmmeister müssten dann in der Lage sein, jeden einzelnen Schwimmer im Auge zu behalten und zu beobachten, ob er den Kopf nicht zu lange unter Wasser hat. Wenn die reparierte Pumpe durchhält, ist morgen das Wasser wieder klar. Wir sollen ihn sicherheitshalber vorher anrufen, bevor wir uns morgen Früh auf den Weg zur Schwimmhalle machen, sagte der Kassierer. Vom neuesten Bauschaden in der Hauptstraße hat er erst durch mich erfahren. Bestimmt wird er im Laufe der Woche von seinen Kollegen zusätzliche Informationen bekommen. Bin gespannt. Bleibe dran. 

Apfelsaft



Wegen Vierter Advent und Regen sitzt Sabine Baer ganz alleine da in der Galerie und liest ein Buch über Frieda Kahlo. Am Vortag hatte Shakti Galeriedienst, wie sie es nennen im Team des KunstRaum Ko, am Sonntag war Sabine dran, am Mittwoch wird Rolf Sellmann da sein und am Wochenende ist Weihnachten, das Wochenende darauf Jahreswechsel und das ist der Grund, weshalb alle sagen: Ja, gerne. Aber bitte erst im neuen Jahr. – Treffen mit der Kunstsammlerin, mit Peter Lindenberg, mit Rena Lux, alle erst nach den Feiertagen.

Ich notiere mir die Angaben für die noch fehlenden Bildunterschriften in Vier. Sabine liest sie mir vor, ich notiere und danach fotografiere ich die Bilder von Shakti. Die habe ich nicht berücksichtigt in meinem Posting über die Ausstellungseröffnung. Das geht nicht. Hier das Bild, das bereits verkauft ist, für 1750 Euro: Zaubertricks, Acryl auf Leinwand, 160 x 170 cm, 2011: 


Shakti war nicht Therapeutin, wie ich behauptet habe. Shakti  i s t  Ärztin; heißt: sie praktiziert immer noch. Und wenn sie nicht praktiziert, dann malt sie, und wann immer sie kann, so wie jetzt, reist sie nach Indien.


18. des Monats, da ist die 18m Galerie geöffnet. Zu sehen immer noch die apart bunte Warenwelt von Stephanie Senge. Und für die Gäste gibt es Rotwein oder heißen Apfelsaft mit Zimt, hatte Julie August geschrieben in ihrer Einladung. Das ist einer der beiden Gründe, warum ich da bin: Ich habe noch nie heißen Apfelsaft mit Zimt getrunken. Den möchte ich mal kosten. – Gerne, sagt Julie und ich folge ihr in die Küche.  


Und dann möchte ich dich noch fragen, ob du dich mal ausführlicher mit mir unterhalten willst. Ich möchte dich porträtieren mit deinem Galerie-Engagement.  Julie scheint nichts dagegen zu haben, aber – ?  Der Aber-Teil verzögert sich. Denn in der Küche wird Julie in eine Unterhaltung mit anderen Galeriebesuchern verwickelt. Ich will mich nicht dazwischen drängen. Ich gehe wieder nach vorne in den Ausstellungsraum und fotografiere die Arbeiten von Stephanie, so dass das Plastisch-Haptische zur Geltung kommt und dass deutlich wird: das ist nur ein Spiel mit der Malerei, es sind keine Gemälde, es sind Reliefs, die Arbeiten einer Bildhauerin.  




Jetzt möchte ich mich verabschieden. Julie! Nur ganz kurz. – Mit kurz meine ich die Unterbrechung. – Willst du dich mal länger mit mir unterhalten? frage ich und die Leute in der Küche lachen  - wegen meines Sprachunfalls mit kurz und länger. - Ja. Julie möchte sich mal länger mit mir unterhalten. ABER: erst im neuen Jahr.

Wie schmeckt heißer Apfelsaft mit Zimt? - Wie frisch gebackener gedeckter Apfelkuchen mit Rosinen drin, habe ich es zu beschreiben versucht und niemand in der Küche hat mir widersprochen. 
Kunst: © Shakti, Stephanie Senge
Fotos: © w.g. 

Sonntag, 18. Dezember 2011

Langzeitstudie




… gemeinsam mit über 5000 Personen aus dem Raum Heidelberg haben Sie vor ungefähr 20 Jahren an einer Befragung zu den gesundheitlichen Auswirkungen psychologischer Faktoren teilgenommen. Auszufüllen war ein Fragebogen so dick wie ein Schulheft, es gab 25 oder 30 Mark als Anreiz; das wäre nicht nötig gewesen, ich hätte auch so teilgenommen im Gefühl, etwas für die Menschheit zu tun, und die Frage, die mir am besten gefallen hat, war, ob es in meiner Nachbarschaft jemand gibt, zu dem ich gehen kann, um mir Werkzeug zu leihen. 2001 gab es wieder Post vom Psychologischen Institut der Universität Heidelberg. Sie hatten mich unter meiner Berliner Adresse ausfindig gemacht. Dazu hatte ich sie mit meiner Unterschrift ermächtigt, meine neue Adresse zu recherchieren beim Einwohnermeldeamt. Dem Kuvert mit dem zweiten Fragebogen lagen Utensilien bei für eine Mundspülung, mit der aus meiner Mundschleimhaut Zellen gelöst werden sollten, um anschließend in einem Röhrchen mit von mir ausgespuckter Mundspülflüssigkeit portofrei nach Heidelberg geschickt zu werden. Sie wollten eine Genomanalyse machen bei den über 5000 Befragten. Das Ergebnis würde natürlich anonymisiert ausgewertet, versicherten sie im Begleitschreiben und ich musste keine Sekunde nachdenken. Den Fragebogen füllte ich allerdings aus. Zehn Jahre später kommt ein Schreiben, das mich informiert über erste Ergebnisse der Heidelberger Langzeitstudie zu Risikofaktoren und Diagnose chronischer Erkrankungen (HeiDE). Obwohl das erst vor wenigen Monaten war, kann ich mich an keine Einzelheiten mehr erinnern, nur noch daran, dass ich hinterher dachte: was sie da herausgefunden haben, das hätte ich ihnen auch vorher sagen können, falls sie es wirklich nicht selbst gewusst haben. Nullforschung. Kurz darauf in der Post ein wattiertes weißes Kuvert, in dem ich die Utensilien für die Mundspülung tasten kann. Ich öffne es nicht, werfe es aber auch nicht weg, weil ich mit einem Anruf einer Institutsperson rechne – und für den unwahrscheinlichen Fall, dass die Institutsperson darauf eingehen sollte, wenn ich sage:  Für einen Betrag von 500 bis 1000 Euro können Sie genetisches Material aus meiner Mundhöhle haben. Sonst gilt mein Grundsatz: ich will nicht, dass es irgendwo Erkenntnisse über mich gibt, die ich selbst nicht habe und die ich auch nicht haben will. Ich möchte mich von meinem biologischen Schicksal überraschen lassen. Selbst, wenn mir gar nichts anderes mehr einfiele, würde ich keine Genomanalyse von mir machen lassen. Außer wir reden über Geld, mindestens 500 Euro. – So viel Geld haben wir nicht, meinte darauf die Institutsmitarbeiterin, die mich letzte Woche anrief. Sie sagte das lachend und machte keinen Versuch, mich umzustimmen. Aber den Fragebogen könnte ich doch ausfüllen. – Fragebogen? Da ich das weiße Kuvert nicht geöffnet hatte, wusste ich nichts von einem Fragebogen. ICH WUSSTE NICHTS VON DEINEN UFERN! ICH WUSSTE NICHTS VON DEINEM  FRAGEBOGEN! Und dass du tief im Wald wohnst. – Gestern fülle ich den 20seitigen Fragebogen aus. Körpergröße? 180 cm. Körpergewicht? Weiß ich nicht. – Dann schätzen Sie. – Keine Lust. Ich lasse die Frage unbeantwortet. Und hat die Schlamperei erst einmal angefangen … .  Wann ich wo wie lange gelebt habe?  Jeweils mit Altersangabe von … bis ... . – Wer hat das schon so haarklein parat? Das ist mir zu mühsam, das zu rekonstruieren. Zum ersten Mal habe ich das Gefühl der Zumutung. Die Fragen sind langweilig und immer wieder scheint die Stereotypie der Grundannahmen durch. Die Biederkeit dieser Art von Wissenschaft und ihr Sich-Ranschmeißen an den Zeitgeist. Gut erkennbar an einer Frage, die sie bereits im ersten Fragebogen, vor 20 Jahren schon hätten stellen müssen, aber nicht gestellt haben, weil sie damals noch nicht Konjunktur hatte: Hat jemals irgendjemand Sie gegen Ihren Willen dazu gebracht, Geschlechtsverkehr, Oralverkehr, Analverkehr zu haben? – Falls JA: - wie oft; - ungefähr in welchem Alter; - geben Sie bitte die Art der Beziehung zu der Person an (z.B. Fremder, Freund, Verwandter, Elternteil, Geschwister). Bei der Beantwortung der Fragen dieses Themenkomplexes merke ich wieder einmal, was für ein durchschnittliches Leben ich gelebt habe, und möchte mich nicht darüber beklagen. Auf der letzten Seite wollen sie Adressen des Hausarztes und gegebenenfalls Facharztes sowie der Klinik, in der man zuletzt stationär behandelt wurde. Ärzte habe ich nicht. Ich gebe die Adresse der lauschigen kleinen Hautklinik in Dahlem an, in der ich 2004 dreieinhalb Tage verbracht habe. Dann stecke ich den Fragebogen in das Kuvert und frage mich, wie sie das hinkriegen wollen: die Angaben im Fragebogen sofort nach Eintreffen (...) von den personenbezogenen Daten zu trennen und ausschließlich in anonymisierter Form auszuwerten und: weitere Angaben von behandelnden Ärzten einzuholen, wenn bei Ihnen eine Erkrankung aufgetreten sein sollte. Aber diese Unklarheit ist keiner der Gründe dafür, weshalb ich auf einmal keine Lust mehr habe, das Kuvert abzuschicken, das ich gerade zugeklebt habe. Die Gründe sind: Ich habe – siehe oben – keine vollständigen Angaben gemacht. Ich habe keine Sympathie mehr für die Studie und ich halte es für möglich, dass sie wertlos ist. Story of my life: Wenn ich mit Lampions handle, scheint nachts die Sonne. Wenn ich an einer Langzeitstudie teilnehme, bekommt sie den Paul Feyerabend-Gedächtnis-Preis für Science-Bullshit. Und ewig grüßt das akademische Nagetier. Andererseits: Ich habe mehr als 20 Minuten aufgewandt, um den Fragebogen auszufüllen. Da kann ich ihn doch jetzt auch wegschicken. Ich suche nach einer Rechtfertigung dafür, es nicht zu tun. Ich denke an Sabine Baer; die hat mir mal geschrieben, sie würde gerne meinen Blog finanziell unterstützen, aber dazu reicht ihr Geld nicht. Darauf habe ich geantwortet: Mit den 4 Töchtern, die sie mit ihrem Mann zusammen großzieht, tut sie schon genug für die Welt. Und dann denke ich: Indem ich diesen Blog schreibe, gebe ich der Welt schon genug von mir preis. Statt des Fragebogens werde ich meine Visitenkarte mit der Blogadresse nach Heidelberg schicken. 

Samstag, 17. Dezember 2011

KaffeeundKuchen


Der Galerist

Das Bild, das ich mir kaufen würde

Zwei kleine Bilder und ein mittleres hat Klaus schon verkauft. Heute Nachmittag ist die Malerin anwesend und der Galerist verteilt Kaffee und Kuchen, Apfelkuchen, wenn ich richtig gesehen habe. Ich komme zwanzig vor vier und man sieht es mir offenbar an, dass ich nichts trinken will und Kuchen essen auch nicht. Ulrike Hansen überreicht mir bei der Begrüßung einen der kleinen Kalender, die sie mit ihrem Mann jedes Jahr auflegt. Begehrter Fanartikel. Es freut mich, dass ich jetzt auch so einen Kalender habe. Und dass ich einen gekriegt habe wie jeder andere, der hereinkommt, das zeigt mir, dass nichts zurückgeblieben ist nach meinen Texten über sie (hier, hier und hier). Hätte sein können; sie hat nicht reagiert, nachdem ich ihr die Links geschickt hatte, und Klaus auch nicht. Doch das hat nichts zu heißen. Sie redet mit mir, sie antwortet, wenn ich sie etwas frage, und sie erträgt es, dass ich sie fotografiere. Das ist der zweite Grund, weshalb ich hier bin: So viel Text über Ulrike Hansen mit Atelierfotos, aber kein Foto von ihr. 

Die Künstlerin

Die Schwierigkeit: Ulrike ist sehr lebhaft. Und ich finde keine Anbindung an das soziale Ereignis. Ich kann nicht beiläufig agieren mit meiner Kamera, ich stehe am Rande als jemand, der sich vorstellt, dass er als aufdringlich und lästig empfunden wird mit seinem Kamerageblitze. In jeder anderen Szene würde ich mich zufriedengeben mit den Aufnahmen, die ich von Ulrike schon habe. Doch da ich zugleich nicht fertig werde damit, dass Klaus mir weder Kaffee noch Kuchen anbietet, und ich auch hier stehe, um herauszufinden, wie lange er das nicht tut, deshalb harre ich aus, bis ich diese Aufnahmen habe: 





Auf dem Nachhauseweg rede ich mir ein, dass Klaus mir wie jedem anderen, der in die Galerie gekommen ist, Kaffee und Kuchen angeboten hätte. Aber dass er es aus einfach zu erklärenden, mir nur unvorstellbaren Gründen unterlassen hat, und diese Gründe haben bestimmt zu tun mit etwas, das ich unwillentlich signalisiert habe. Das Kaffeeangebot hätte ich in jedem Fall abgelehnt, das Kuchenangebot nur vielleicht angenommen. Und am besten wäre gewesen, es hätte gar keinen Kaffee und Kuchen gegeben, dann müsste ich mich jetzt nicht mit dem Elend rumschlagen, dass mir nichts angeboten wurde. Dem Elend, das ein erzählerisches Elend ist: Schon wieder so eine Geschichte, wie ich sie nicht mehr erzählen möchte, aber jetzt erzählen muss, weil das mein Erlebnis war bei Gondwana heute Nachmittag: dass Ulrike schwer zu fotografieren war und dass mir weder Kaffee noch Kuchen angeboten worden ist. Was völlig überlagert hat die Hauptsache: dass zwischen mir und Ulrike alles gut ist; und mit Klaus vertrage ich mich ohnehin, ob er mir nun Kaffee und Kuchen anbietet oder aus welchen mir unvorstellbaren Gründen nicht. 

So sieht ein Bild von Jürgen Reichert aus, Ulrikes Mann,
der heute nicht da sein konnte


Herbstfeuer
Malerei
Ulrike Hansen
Jürgen Reichert

Noch bis 23.12.2011,  jeweils Mi - Fr von 14 bis 18 Uhr und nach Vereinbarung

Galerie Gondwana
Merseburger Str. 14
10823 Berlin
Telefon:
0151/56 50 49 67
030/754 555 02
info@galerie-gondwana.de
Kunst: © Ulrike Hansen, Jürgen Reichert
Fotos: © w.g.