Hier noch ein Artikel zum Thema aus der taz: Entkrampft euch! Der Sozialforscher Axel Honneth weist nach, wie stark unsere modernen Freundschaften noch vom Ideal der Romantik geprägt sind.
Montag, 7. Februar 2011
Groll
Mail von Peter heute Früh. Ich lese: Meine Eltern, kurz vor meiner Geburt. Das Bild meiner Mutter habe ich für die besagte Collage mitverwendet. – Aha, jetzt ist es also schon eine Collage. Unwillig klicke ich die Mail weg. Das Foto der Eltern im Anhang gucke ich ein andermal an oder nie. Und wenn er heute oder morgen anruft und mich fragt, ob ich das Foto gesehen habe, sage ich ihm, dass ich keine Lust dazu hatte. – Warum? – Weil ich immer noch grolle wegen der blöden Geschichte mit dem getürkten Foto, das er mir geschickt hat mit dem Begleittext: R´s Mutter, in meinen Armen 1993 elend an AIDS gestorben. – Alleine schon die Pietätlosigkeit gegenüber der toten Susanne. Mutter seines Sohnes; wahrscheinlich Liebe seines Lebens; wenn es ihm schlecht geht, besucht er ihr Grab und bringt Blumen mit. Und ich sitze am Samstagabend da und muss diesen Blödsinn erzählen, weil er nun mal passiert ist; mich erst noch amüsiert hat, spätestens dann aber nicht mehr, als ich das echte Foto von Susanne in Das alte Biest gestellt habe und nicht wusste, was ich oben drüber schreiben sollte. Susanne stand schließlich schon über dem Posting vom Vortag mit dem getürkten Foto, dem mittlerweile gelöschten. Hätte ich vielleicht Susanne 2 in die Titelzeile schreiben sollen? Geht doch nicht. Da habe ich mich entschieden, noch mal Susanne drüber zu schreiben. Keine gute Lösung. Aber immer noch die beste. - Warum macht er so was? Nicht ganz dicht? Oder so von Grund auf verlogen, dass es Routine bei ihm ist, also gar nicht mehr anders geht. – Immer wieder der Satz von ihm: Ich lüge nicht! – Aufpassen, wenn jemand das sagt. Ich muss das nicht sagen, bei mir merken es die Leute auch so, dass ich nicht lüge. Immer dann, wenn es wieder mal weh tut, dass ich ihnen sage, wie es nun mal ist. – Was soll ich ihm noch glauben? – Mit der verschleppten Diagnose seiner Knubbel am Hals, da stimmt doch auch was nicht. Die Diagnose nämlich immer noch verschleppt; letzte Woche ist er wieder bei dem Professor B. in der Charité gewesen, ohne dass der ihm etwas sagen konnte. Angeblich. – Und dass die Frau aus Hamburg, A., deren Foto er verwendet hat für die Fotomontage, so eine Medientante ist, die das möglicherweise entdeckt, dass ihr Foto in meinem Nebenblog steht, weil Medientanten nichts anderes zu tun haben jeden Abend bis tief in die Nacht, als im Internet rumzusuchen nach fotomontierten Fotos von sich, das hat er sich doch auch ausgedacht. Taktische Lüge, um den Eindruck von Dringlichkeit zu erwecken, um mir plausibel zu machen, warum es auf keinen Fall geht, das Foto zu veröffentlichen, nicht einmal als Dokument seiner Fotomonteur-Qualitäten und der Lüge, die er mir aufgetischt hat. Dass es nicht geht, das Foto zu dokumentieren, alleine schon deshalb schade, weil das Foto richtig gut ist. Auf jeden Fall so gut, dass ich darauf reingefallen bin. Siehe Mutter. – A. aus Hamburg ist wahrscheinlich eine der zahlreichen Praktikantinnen, die er ausgebildet hat, und in jede zweite hat er sich verguckt und von jeder dritten hat er Fotos gemacht. Oder es ist gar kein Foto von jemandem, den er kennt. Foto aus einer Illustrierten. Foto einer Unbekannten oder einer Allzu-Bekannten. – Die Geschichte deshalb noch nicht zu Ende. Irgendwann wird er mir bestimmt erzählen, was es mit dem Foto und mit A. aus Hamburg auf sich hat. So ist Peter dann nämlich auch wieder. Die Wahrheit ist bei ihm prozesshaft. Sie entsteht mit der Zeit. Durch Korrektur einer vorhergehenden Unwahrheit. Insofern stimmt es also schon, wenn er sagt:Ich lüge nicht! - Im Endeffekt lügt er nicht. Er ist eine ehrliche Haut unter verschärften Bedingungen. Er muss sich die Wahrheit abringen. Heldenhafte ehrliche Haut. Denn dazu gehört schließlich auch Mut, eine Lüge einzugestehen.