Nachrichten aus der bürgerlichen Welt. Frankfurt/ München. Experiment. Heute Früh die FAZ weggelassen bei der Morgenlektüre. Eine Qualitätszeitung reicht: die Süddeutsche Zeitung, bei der ich mich zuletzt wohler gefühlt habe als beim Konkurrenzblatt. Frischer, noch schöner geschrieben und unternehmerischer beim Recherchieren, heißt: in der SZ haben sie auch mal was, das nicht überall zu lesen ist (*). Allerdings wollen sie auch nicht zitiert werden im Internet und ihre Artikel verlinkt haben. – Verstehe den Ansatz nicht. Wenn sie nicht mitmachen wollen im Netz, warum halten sie sich dann nicht ganz raus? Keine Website. Wer uns lesen will, soll sich unsere Zeitung aus Papier kaufen. Eine andere gibt es nicht. Wäre konsequent. Sogar ein Mehrwert für den bürgerlichen Leser. Distinktionsgewinn gegenüber dem Massenbetrieb Internet. - Schöneberg. Die gestürzte Dame. Siehe Bürgerlich. Der Blog verlangt, dass ich herausfinde, wie es ihr geht (wie schwer verletzt?) und: ob es richtig war, ihrem Wunsch zu folgen und sich nicht um sie zu kümmern. War es nur ein Alkohol-Unfall oder etwas Ernsteres, weswegen sie am Samstag mit blutigem Gesicht auf dem Boden kauerte in ihrem schönen edlen Lammfellmantel? – Ich würde darüber hinweggehen, bei Gelegenheit mal einen unaufdringlichen Seitenblick in den Laden werfen, mehr nicht. – So aber gehe ich vorhin gezielt hin und habe noch keine Ahnung, was ich machen werde – reingehen in den Laden? – und was ich sagen werde, wenn die Dame da sein sollte: Geht es Ihnen wieder besser? – Autsch! - Da wird mir situativ bestimmt was Passenderes einfallen oder ich werde irgendetwas Unverständliches stammeln, um anschließend in klarer Rede darauf zu kommen, was der Blog wissen will, was die Leser wissen wollen: War es richtig, die Dame sich selbst zu überlassen? Oder ist hinterher zum Glück jemand vorbeigekommen, der - anders als die bürgerliche Frau und ich - nicht lange gefragt hat, ob er helfen soll, und demjenigen ist die Dame immer noch dankbar? – Als ich mich dem Laden nähere, sehe ich das Gitter vor der Tür. Im Fenster klebt eine Klarsichthülle mit einem weißen DIN A-4-Blatt, säuberlicher Ausdruck: Wegen Krankheit geschlossen. – Oh! Ist es also doch was Ernsteres gewesen, das den Sturz verursacht hat? Etwa ein Schlaganfall? Oder will sie sich mit ihrem verschrammten Gesicht nicht in der Öffentlichkeit zeigen? – Zum ersten Mal schaue ich mir den Laden, den ich nur vom Vorbeigehen kenne, genauer an. Der Laden ist eine kleine Galerie. Sie hat einen Namen, den ich mir merke, um ihn später zu googeln, aber wegen Diskretion nicht nenne. Ich gehe weg und mache nach wenigen Schritten wieder kehrt, um mich zu versichern, dass ich mir den Namen auch richtig eingeprägt habe - und um durch das Schaufenster einen Blick auf die ausgestellten Bilder zu werfen. Worauf ich jetzt erst komme, weil ich so fixiert war auf das ungewisse Schicksal der Dame. Als ich an das Schaufenster trete, kommen eine Mutter und ihr sehr kleiner Sohn vorbei. Der Sohn hat anscheinend gerade nach der Dame gefragt, wollte wahrscheinlich bei ihr reinschauen, mag sie vermutlich und das könnte heißen, dass die Dame kinderlieb ist. – Die Mutter erklärt dem Jungen, dass am Fenster steht, dass die Dame nicht da ist, weil krank. Der Junge nimmt das ohne erkennbare Gefühlsregung auf und geht mit seiner Mutter in den Hauseingang neben der Galerie. Ich überlege, ob ich mich bei der Frau nach der Dame erkundigen soll, lasse es dann aber. Denn aus dem Tonfall der Erklärung, die sie dem Jungen gegeben hat, war zu herauszuhören, dass sie auch nicht mehr weiß als auf dem Din-A4-Blatt steht. – Ich betrachte die ausgestellte Kunst - nicht-figurative Malerei - und denke, wie mich das freuen würde, wenn es davon bald wieder mehr zu sehen gäbe im Kunstbetrieb. Zuhause google ich den Namen der Galerie und gelange über deren Website zu einer Seite der Besitzerin. Ich weiß nun, wie sie heißt und was sie macht. Werde das wegen Diskretion für mich behalten. Werde aber, sobald die Galerie wieder geöffnet ist, mir die Bilder richtig anschauen (was durch das Schaufenster nicht möglich war), dann bestimmt auch mit der Besitzerin ins Gespräch kommen, ihr Missgeschick dabei mit keinem Wort erwähnen, und wenn hier etwas über sie schreiben, dann über ihre Galerie und die Bilder. Wer den Blog regelmäßig liest, kann den Zusammenhang selbst herstellen. Ich werde darüber hinweggehen. Also nichts mit Fortsetzung folgt, sondern nur, dass ich hoffe, dass die Dame sich bald wieder so gut fühlt, dass sie ihre Galerie wieder öffnen und ich sie besuchen kann.
(*) gilt allerdings nicht für das Feuilleton; weswegen das Experiment schon bald wieder abgebrochen werden könnte. Das ahnend, habe ich dem Impuls, die FAZ rauszunehmen aus der Lesezeichenleiste meines Browsers, nicht nachgegeben. Obwohl es mich schon sehr gejuckt hat.