Dienstag, 22. Februar 2011

FAZ

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung will nicht zitiert werden im Internet und es ist ihr auch nicht recht, wenn auf ihre online gestellten Artikel verlinkt wird. Nachdem ich das erfahren hatte, habe ich mir vorgenommen, die FAZ im Blog nicht mehr zu berücksichtigen, mir sogar schon überlegt, sie gar nicht mehr zu lesen. Aus dem gleichen Grund, aus dem ich auch den Umgang mit Leuten vermeide, die in meinem Blog nicht genannt oder zitiert werden wollen. Nun bilde ich mir aber immer noch ein, dass die FAZ unentbehrlich ist und bin deshalb schon wieder auf ihrer Website gewesen. Dort habe ich heute Früh einen Artikel gelesen von Jürgen Kaube mit dem Titel: Vgl. auch Guttenberg 2009 (Thema: Plagiat-Affäre; kein Link, weil die FAZ das nicht mag) und darin habe ich einen Satzfetzen gefunden, der mich so fasziniert hat, dass es nicht anders geht; ich muss ihn zitieren: das Heraustelefonieren von Lustmädchen aus Untersuchungsgefängnissen durch Ministerpräsidenten. - In meiner heute ganz besonders langsamen Art brauche ich eine Weile, bis ich den gemeinten Sachverhalt kapiert habe, und die Bezeichnung Lustmädchen ist dabei nicht hilfreich, weil ich an der hängen bleibe in meiner langsamen Art. Ich überlege: Damit kann doch nur gemeint sein Prostituierte. Und dass der Verfasser des Artikels nicht Prostituierte sagt, wenn er Prostituierte meint, hat mit seiner Auffassung von journalistischem Schreiben zu tun. Er schreibt Lustmädchen, wie er auch hätte schreiben können Gunstgewerblerin, wenn dieses Wort nicht schon so abgegriffen und ihm in seinem Bemühen um eine frische und lebendige Ausdruckweise daher ungeeignet erschienen wäre. - Lustmädchen. Schönes Wort. Nicht abwertend. Im Gegenteil: ein Wort, das einen einsamen Mann träumen lässt. Lust. Mädchen. Es stiftet allerdings auch Verwirrung im zitierten Kontext. Meint der Verfasser am Ende gar nicht Prostituierte?  Sondern ein unglückliches Mädchen, eine sehr junge Frau, die aus Gründen, die ich zu gerne kennen würde, in Untersuchungshaft sitzt, und mit der ein Ministerpräsident (vermutlich Ministerpräsident eines Bundeslandes) so viel Schönes erlebt hat, dass er es ohne sie nicht aushält, und sie, obwohl sie in Haft ist, treffen will? Deshalb ruft er sie an in der Haft, damit sie zu ihm kommt – aus dem Untersuchungsgefängnis heraus kommt, zu ihm, in seine Arme, damit er in ihren Armen mit ihr Lust erleben kann. – Das ist unklar. Dennoch spricht viel dafür, dass der Verfasser Prostituierte meint. Denn sonst hätte er doch trotz seines Bemühens um frischen, lebendigen Ausdruck Geliebte geschrieben. – Da ich es nicht leiden kann, wenn mir einfachste Sachverhalte unbekannt sind, google ich den mir unbekannten Sachverhalt, um herauszufinden, welcher Ministerpräsident eines Bundeslandes das gewesen ist. Ich gebe ein: Ministerpräsident Prostituierte Untersuchungshaft – und komme sofort zu einem enttäuschenden Ergebnis: Das Lustmädchen ist die 17jährige Prostituierte Ruby. Sie saß ein wegen Diebstahlverdachts. Der Ministerpräsident ist Silvio Berlusconi, also der Ministerpräsident Italiens. Er bestreitet, die junge Frau aus persönlichem Interesse aus dem Gefängnis heraustelefoniert zu haben; vielmehr wollte er jemandem anderen einen Gefallen tun; die junge Frau sei eine Verwandte von Hosni Mubarak, habe er dem hohen Beamten der Mailänder Polizei gesagt, den er angerufen hat mitten in der Nacht, damit er Rubys Entlassung aus der Haft bewirkt. Danach sollte die Minderjährige einer vom Ministerpräsidenten benannten Person übergeben werden. Wahrscheinlich alles Ausreden Berlusconis, denke ich und das denkt auch Jürgen Kaube von der FAZ. Deshalb: das Heraustelefonieren von Lustmädchen aus Untersuchungsgefängnissen durch Ministerpräsidenten. Plural wegen des Kontextes, in dem er in seinem Artikel dem Argument entgegentritt: es gäbe Wichtigeres als Fußnotenschwindel und akademische Unehrlichkeit eines Bundesverteidigungsministers, und das illustriert er, indem er aufzählt: Es gibt auch Wichtigeres als Steuerhinterziehung, Fahren im angetrunkenen Zustand, das Heraustelefonieren von Lustmädchen aus Untersuchungsgefängnissen durch Ministerpräsidenten, Vulgarität und was nicht noch alles. – Aber: Soll man darum nicht mehr sagen dürfen, worum es sich handelt? - Nein. Sagen. Unbedingt. Nur bitte so, dass man auch versteht, was gemeint ist. - Inzwischen habe ich mittels Google auch Fotos von Ruby gefunden und verstehe besser, warum Jürgen Kaube das Wort Lustmädchen gewählt hat. Weil Ruby nicht aussieht wie eine Prostituierte, sondern eher wie ein Lustmädchen. Nun ärgere ich mich allerdings auch über den Artikel Jürgen Kaubes: Dass mir der Sachverhalt Ministerpräsident Prostituierte Untersuchungshaft unbekannt war, liegt nämlich daran, dass ich mich nicht für die Berichterstattung über den Ministerpräsidenten von Italien und seine sexuellen Handlungen interessiere, heißt: dass ich die Berichterstattung darüber nicht lese. Über den aktuellen Ministerpräsidenten von Italien will ich erst wieder lesen, wenn er gestürzt oder abgewählt wird vom italienischen Volk – wofür es genug andere Gründe gibt als die sexuellen Handlungen des Ministerpräsidenten. Weswegen ich mich wundere, dass er nicht schon längst abgewählt oder gestürzt wurde. Über diese Frage würde ich jederzeit voller Wissbegier einen Zeitungsartikel lesen. Aber nicht über Silvio Berlusconis sexuelle Handlungen mit einer Minderjährigen, die mit 17 Jahren so minderjährig auch wieder nicht ist. – Was ich wegen der unklaren, reißerischen Ausdrucksweise Jürgen Kaubes nun aber doch getan habe. Ohne den geringsten Gewinn an Einsicht. Nur die Bestätigung für mein Desinteresse an der Person des italienischen Ministerpräsidenten und seinen sexuellen Handlungen habe ich bekommen. Diese Bestätigung habe ich aber nicht gesucht und nicht gebraucht. Außerdem ärgere ich mich über mich und meine Langsamkeit. Denn wie das Googeln des Begriffs Lustmädchen ergibt, ist das ein in interessierten Kreisen gängiger Ausdruck. Nur mir unbekannt, was ich mir nachsehen kann. Aber nicht nachsehen kann ich mir, dass ich nicht darauf gekommen bin, dass der Begriff analog zu Lustknabe gebildet ist.  Darauf hätte ich kommen müssen. Wenn ich heute Früh nicht mal wieder ganz besonders langsam gewesen wäre.

In der Hauptsache geht es im Artikel Jürgen Kaubes um den Promotionsfall Guttenberg. Auf gedanklich hohem Niveau liefert er eine Argumentation für das, was viele empfinden, aber viele andere auch nicht: Empörung über das Ausmaß der Täuschung. Abscheu vor der Unehrlichkeit des Bundesverteidigungsministers. – Da ich bei anderen Gelegenheiten schon sehr beeindruckt war von der Klugheit Jürgen Kaubes, nehme ich ihm seine Empörung und seine Abscheu nicht ab, weil sie die Möglichkeit voraussetzt, dass es Politiker gibt, die nicht täuschen und die nicht unehrlich sind. Der Artikel ist also die Aufführung einer Pose. Moralität als Beruf. Dass es so etwas gibt, das wusste ich schon zuvor. Dazu hätte ich ihn nicht lesen müssen. - Vielleicht doch mal die FAZ weglassen bei der Morgenlektüre. Und über das Thema der Dissertation Guttenbergs erst wieder lesen, wenn neue Fakten bekannt werden. Wenn zum Beispiel die Frage beantwortet wird, ob er tatsächlich sieben Jahre in seiner Freizeit an seiner Dissertation saß und zwischendurch immer mal wieder die Geduld verloren und abgeschrieben hat. Oder ob er irgendwann die Geduld verloren und einen Ghostwriter angeheuert hat, wie so viele andere auch, die das einfach nicht schaffen neben der Berufstätigkeit noch eine wissenschaftliche Arbeit zu verfassen, auf den Doktortitel aber nicht verzichten wollen. Ghostwriter für Dissertationen. Großes Thema. Warum lesen wir nichts darüber? Was sind das für Leute? Wie ist die Auftragslage? War sie schon mal besser? Wie wirkt sich der Fall Guttenberg auf die Auftragslage aus? – Und: Wie lange sitzt ein Ghostwriter an einer Dissertation? Wie ist sein Arbeitsethos? Gehört Abschreiben zum Geschäft? Oder machen das nur ein paar schwarze Schafe, die sich dann allerdings auch nicht lange halten können – denn irgendwann kommt es raus, wie jetzt im Fall Guttenberg? Ist der Freiherr an ein solches schwarzes Schaf geraten, als er die Geduld verlor, kann das jetzt aber nicht zugeben, sondern muss den Pfusch des Ghostwriters nun auf seine eigene Kappe nehmen? Oder hat der rührende Mann seine Dissertation tatsächlich selbst verfasst, statt sich wie viele andere auch professionell helfen zu lassen? Und hat er sich dadurch erst in die Verlegenheit gebracht, in der er sich nicht anders zu helfen wusste, als abzuschreiben in all den Fällen, die ihm inzwischen nachgewiesen worden sind? – Wenn das mal geklärt werden könnte! Ohne Abscheu und Empörung. Nur die Fakten.

In einem Artikel der Welt über Patrick Bahners,  Bürgermeister von Entenhausen und Feuilleton-Chef der FAZ, beschreibt der Verfasser die Atmosphäre in den Frankfurter  Redaktionsräumen der Zeitung: Auf der Feuilletonetage herrscht Stille. "Die Herren haben vormittags recherchiert, also Telefonate geführt, und jetzt schreiben sie", heißt es im Sekretariat.