Passend zum Regentag das dreiseitige
Interview mit Rainald Goetz in der Zeit. Und auf Zeit Online gibt es eine ungekürzte, also noch längere Fassung des Gesprächs, das
Iljoma Mangold und Moritz von Uslar mit dem Autor führten. Das
kriege ich aber heute Früh auf perlentaucher nicht mit, sondern
erst, nachdem ich 4 Euro 20 zum Fenster rausgeworfen habe für den
dicken Packen Papier der neuen Ausgabe der Zeit. Am Ende habe ich das
Interview zweimal gelesen. Erst Wort für Wort auf Papier. Später
noch mal auf die Schnelle in der Online-Version, um die gekürzten
Passagen zu finden. Warum sie die nicht auch noch übernommen haben
in die Printfassung, bei der es auf die zusätzliche Überlänge nun
auch nicht mehr angekommen wäre?
Worum geht es? - Offenbar immer noch
darum, dass der im Herbst erschienene Roman Johann Holtrop von der
Literaturkritik der Feuilletons nicht so geschätzt wurde, wie
Rainald Goetz es sonst gewohnt ist, dass seine Schriften geschätzt
werden, und auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises hat er es
auch nicht geschafft. Andererseits am nächsten Tag die Lesung in
Wien, nächste Woche die Lesung in Hamburg. Er hat sein Publikum, das
will ihn sehen, das will ihn vorlesen hören, das kauft auch sicher
bei diesen Gelegenheiten das eine oder andere Exemplar des
Holtrop-Buchs. Und heute in der Zeit dieses dreiseitige Interview mit
den zwei ihm ergebenen Gesprächspartnern, einer (von Uslar) nebenbei selbst Romanautor! Also was hat er denn? Was will er denn noch? - Wenn ich
es richtig verstanden habe: Verständnis und Lob für sein Scheitern.
Anerkennung der Komplexität oder der Grandiosität seines
Scheiterns. Das ist ihm verwehrt geblieben. Weil die Normalos, nennt
er sie, in den Kulturredaktionen keinen Begriff vom Scheitern haben
als die Angestelltenexistenzen, die sie sind und als solche stumpf
und dumpf dem Gelingen verpflichtet.
Allein
das Allersimpelste, Normale beim Schreiben: dass man Texte nicht
hinkriegt, das ist im Journalismus nicht vorgesehen. Ratlosigkeit
gibt es nicht im Journalismus.
Keine Kultur des Misslingens und der
Ratlosigkeit und auch keine Würdigung des hohen Künstlereinsatzes
von Rainald Goetz, der sich auch schon mal bei Gerhard Richter
anlehnt, Video, das er gesehen hat auf dessen Homepage, wo Richter sagt: Die Gemälde sind klüger als ich. Das würde er auch gerne von
seinem Roman sagen können (ich weiß ja fast nichts über den
Kapitalismus). Aber wie soll etwas oder jemand klüger sein als
Rainald Goetz? Was für ein Schicksal! Was für ein Gespreize in dem
Interview! Aber nicht dort, wo er einfach nur erzählt. Zum Beispiel,
dass er erst vor sechs, sieben Jahren angefangen hat, richtig zu
lesen. Nachdem er aufgehört hatte fernzusehen, weil es nicht mehr
wichtig war zu wissen, was geguckt wird von den vielen Leuten und
eine Meinung dazu zu haben. Wie er von da an abends Romane gelesen
hat. Zum ersten Mal in seinem Leben einen großen russischen Roman
gelesen hat: Anna Karenina, in einer Neuübersetzung, die ihm
Johanna Adorjan von der FAS empfohlen hat; augenblicklich liest er
Madame Bovary in einer Neuübersetzung und zugleich noch im Original.
Und da, es kann gar nicht anders sein, da, nicht gerade bei Tolstoi,
aber lange vor Flaubert, da muss es ihn gepackt haben, selbst einen
klassisch erzählten Roman schreiben zu wollen. Und da kann er
erzählen, was er will, was er sich alles dabei gedacht hat, das war
ein Fehler.