Belletristik-Abteilung der
Mittelpunktbibliothek Schöneberg. Thomas Mann, Joseph und seine
Brüder. Vierbändige Ausgabe, S. Fischer Verlag, 3. Auflage 2002.
Erster Band: Die Geschichten Jaakobs.
Am Buchrücken und Buchschnitt des Exemplars in der Stadtbibliothek ist deutlich zu erkennen, dieses Buch wurde
mehr als ein Mal durchgelesen und unter den Lesern war keiner der
Bibliotheksidioten, die im Text Anstreichungen vornehmen. Vor ihnen ist normalerweise kein Text sicher, auch kein Roman und
kein Gedichtband. Allerdings eignet sich der Joseph-Roman ganz
besonders nicht für Anstreichungen. Denn wo den Stift ansetzen?
Zweiter Band: Der Junge Joseph.
Schmaler Band. Das Exemplar der Bibliothek weist
Gebrauchsspuren auf, hatte aber erkennbar nicht so viele Leser wie
Die Geschichten Jaakobs. Der junge Joseph endet mit dem Verkauf
Josephs an arabische Kaufleute, die mit ihrer Karawane auf dem Weg
nach Ägypten sind. Das Gute daran, wie Thomas Mann die Geschichte
erzählt, ist, dass man nur zu gut versteht, warum die Brüder Joseph
los haben wollen, und es als Leser auch akzeptiert, es sogar als befreiend empfunden hätte, wenn sie das hoffärtige, streberische Plappermaul kurzerhand erschlagen hätten.
Allein, Joseph überlebt, gelangt nach
Ägypten mit den Arabern, die ihn gekauft haben, und ist nun wie
ausgewechselt nach den drei Tagen und drei Nächten, die er in einem Brunnen gefangen war: voller Demut und Dienstbarkeit, so unterwürfig
und bescheiden, dass es auch schon wieder übertrieben ist, aber ein
Plappermaul ist er geblieben und als ein einziges Geplappere, Geschwätz, Gequassele, Schwadronieren erscheint nun auch die Erzählung selbst
und das Ende ist fern. Denn auf den dritten Band: Joseph in Ägypten
folgt ein vierter: Joseph der Ernährer. Die Bibliothek-Exemplare
dieser beiden Bände sind nicht unberührt, aber es ist zweifelhaft, ob sie
auch nur ein Mal durchgelesen wurden. Ich werde
das nicht ändern. Nach 64 Seiten Joseph in Ägypten suche ich
Ablenkung im Nachwort von Albert von Schirnding. Da steht, was Thomas Mann sich konzeptionell gedacht hat bei den täglich 20 bis 30 Zeilen, die er zum Thema Joseph verfasst hat, wenn es ein guter Tag war. Was Thomas Mann sich da denkt, ist
das, was der Deutsch-Abiturient oder Literaturwissenschaftstudent als
Sekundärliteratur kennt. Außerdem erfahren wir im Nachwort, was
Thomas Mann alles gelesen hat, um sich geschichts- und
religionswissenschaftlich abzusichern und um Stoff zu sammeln, mit
dem er die im Original (1. Buch Mose, Kapitel 36 - 50) dicht und
zügig erzählte Geschichte Josephs ausmalen, ich könnte auch sagen,
aufblähen konnte. Das ist ihm nicht leicht gefallen. Ein ständiges
Andante sei die sich über mehr als ein Jahrzehnt hinziehende Arbeit
an den vier Romanen gewesen. Das war einerseits nicht schlimm, weil
seinen Nobelpreis hatte er schon, Buddenbrooks, Tonio Kröger, Tod in Venedig, Der Zauberberg waren längst geschrieben. Aber es war
schon eine dumme Sache, auf die er sich da eingelassen hatte, obwohl
er das selbst nie zugegeben hätte. Was gerade der dritte Band:
Joseph in Ägypten ihm abverlangt haben muss, das zeigt sich an der unermesslichen Erleichterung, die er empfand, als er endlich, endlich fertig war. Tagebuch vom 23. August
1936: Heute Vormittag schloss ich Joseph in Ägypten ab. Der
Tag wird zum Festtag: ... Festliches Abendessen mit
Champagner-Getränk und Torte ... Nachher festliche Vorlesung des
Schlusses ... . Champagner-Getränk
und Torte! Warum schreibt er Champagner-Getränk und nicht einfach
Champagner? Weil es ein Champagner-Cocktail gewesen sein wird, der
gereicht wurde als Aperitif vor dem Abendessen. Was wird noch
festlich gewesen sein an diesem Abendessen? Die Auswahl der Speisen,
das Kerzenlicht und dass der Hausherr Smoking trug? Und im Smoking
hat er auch festlich vorgelesen anschließend? Wem? Seiner Frau
und seinen sechs Kindern auf jeden Fall. Die Frau Jüdin, die Kinder
nach jüdischem Gesetz auch alle jüdisch wegen der jüdischen
Mutter. Der Lübecker in seinem
Smoking der einzige Nichtjude in dieser großen jüdischen Familie.
All das im Grunde viel interessanter als das Geplappere der Erzählung
von Joseph, mit dem er sich identifiziert haben muss, anders geht es
doch gar nicht. Der so sehr norddeutsche Mann identifiziert mit dem
jungen jüdischen Mann in der Fremde Ägyptens. Und seine Kinder
feixen hinter vorgehaltener Hand, während sie seinem festlichen
Vorlesen folgen, was sie allerdings auch getan hätten, wenn sie keine Juden wären. Denn dass der Vater sich seinen Smoking
angezogen hat an diesem Abend, das ist mal wieder ein starkes Stück. Mutter Katia
lächelt milde. Und drei Jahre später erscheint Freuds Der Mann Moses und die monotheistische Religion. Das ist letztlich auch ein fiktionales Werk. Aber Sigmund Freud weiß, wovon er redet.