Montag, 28. Februar 2011

Überlegen

Vor Ärger zwischendurch auf den Tisch gehauen beim Lesen der SPIEGEL-Geschichte über die Bild-Zeitung. Auf Seite 136 gedacht, jetzt bin ich gleich durch, aber dann geht es immer noch weiter:  noch eine Seite und noch ein bekannter Fall eines Bild-Opfers, das sich tapfer gewehrt hat und noch eine Seite und noch ein Fall eines Tapferen und noch eine Seite – und alles Sachverhalte, die jedem bekannt sind, der die letzten zehn Jahren nicht im Koma verbracht hat. – Sie nennen es Titelgeschichte. – Geschichte? – Das ist Lesestoff. Aber wer braucht den? Wer hat die Zeit dazu? – 1,1 Mio. SPIEGEL-Käufer und –Abonnenten. Da denk mal drüber nach! – Hinterher noch das Interview. SPIEGEL-Reporter Ullrich Fichtner (45) und Bild-Chef Diekmann (46). Klar, hat der was drauf, sonst wäre er nicht schon so lange da, wo er ist. Aber hätten sie nicht einen Interviewer auf ihn loslassen können, der was anderes drauf hat als dünnlippige Strenge und Pampigkeit?  - Auf den Seiten 135 und 136 des langen Artikels wird mit süffisanter Herablassung der Typus des Bild-Lesers als leicht tölpelhafte Erscheinung beschrieben: Das Phantombild eines durchschnittlichen „Bild“-Lesers zeigt weiterhin einen nicht mehr ganz jungen Mann mit eher schwacher Schulbildung und geringem Einkommen. Gemessen an den Inhalten der Zeitung, so steht zu vermuten, dürfte er des Weiteren ein eher konservativer Mensch sein, der Europa nicht leiden kann, mit Ausländern wenig am Hut hat, die Globalisierung fürchtet, lieber RTL als ARD schaut und politisch zum Nicht-Wählertum tendiert. / Die Politik muss  sich, ob sie will oder nicht zum Lieblingsblatt von zwölf Millionen potentiellen Wahlbürgern irgendwie verhalten  … . - Zwölf Millionen, das ist die Reichweite der Bild-Zeitung, wie viele Leute sie lesen, nicht die verkaufte Auflage. - Reichweite des SPIEGEL? Und wie müssen wir uns diesen anderen Lesertypus vorstellen, der je nach Lesegeschwindigkeit 30 bis 40 Minuten für die Lektüre eines Textes aufbringt - nur, um sich in dem bestätigt zu fühlen, was er schon weiß und ohnehin schon denkt?

Anderes Thema und wie angenehm, wenn in einem Artikel etwas passiert, in jedem Absatz was Neues. The Daily Beast: Why Are Men So Angry?  – Junge amerikanische Frauen, in allem bestehen sie auf Gleichbehandlung, but when it comes to sex and dating, they aren´t so sure, da beharren sie auf traditionell weiblichem Rollenverhalten: wollen, dass die Männer den ersten Schritt machen beim Kennenlernen und bei Verabredungen, wollen, dass der Mann die Restaurant-Rechnung bezahlt, ihnen die Tür aufhält, wollen das Spiel spielen so wie es immer gespielt wurde. Aber da machen die angry young men nicht mehr mit. Sie verbringen ihre Zeit lieber mit der Playstation und mit Internet-Pornographie statt mit diesen Frauen, die sie auch sonst nicht verstehen. Offenbar ein großes Thema zwischen jungen amerikanischen Männern und Frauen: Werden die jungen Frauen danach gefragt, behaupten sie, dem nice guy den Vorzug zu geben, aber wenn es gilt, ziehen viele von ihnen dann doch lieber mit dem bad guy los. – Ist das nicht immer schon so gewesen? - Der nice guy für die Versorgung, der bad guy für den Spaß im Leben. – Schlechte Zeiten für die nice guys, wenn die Frauen sich selbst versorgen können. Dann bleibt den nice guys nur noch die Playstation und die Internet-Pornographie. – Natürlich ist das so einfach auch wieder nicht. Und das sind auch nicht meine Gedanken, während ich den Artikel lese. Meine Gedanken gehen, es kann gar nicht anders sein, zu der jungen Frau von gegenüber. Ist die so? – Die ist so. Klar, ist die so. Oder vielleicht ist sie so und dann auch wieder anders. Wie interessant. Aber das weiß ich nicht. Werde es auch nie erfahren. Nenne sie jetzt übrigens auch nicht mehr Contessa oder Tess. Denke jetzt nur noch an sie als an die Frau von gegenüber, deren Namen ich nicht kenne. Vermutlich auch nie erfahren werden. Und weil ich so wenig über sie weiß, gehen meine Gedanken beim Lesen des Artikels bald zu den anderen Frauen – jungen Frauen, älteren Frauen, deutschen Frauen, nicht-deutschen Frauen, Berliner Frauen unterschiedlicher Herkunft. Frauen, die ich kenne, Frauen, denen ich zusehe. Und da muss ich gar nicht darüber nachdenken, das weiß ich: viele von denen haben auch diesen but when it comes to sex and dating they aren´t so sure-Knick in ihrem Persönlichkeitsentwurf. – Aber ist doch nicht schlimm. Darüber kann man reden, darüber kann man streiten, damit kann man zusammen spielen. – Nur lose verknüpft mit dem Vorhergehenden. Nur, weil es mir gerade einfällt. Bizarrstes Erlebnis mit einer Frau in den letzten Jahren. Phallische Frau habe ich immer gedacht, als ich mit ihr zu tun hatte. Frau, die mit mir konkurriert hat wie ein anstrengender Typ in der Kneipe. Kann nicht ausschließen, dass ich es herausgefordert habe. Gewollt habe ich es nicht. I´m a lover not a fighter, hätte ich sagen können. Doch zum Glück war die Liebe nicht so groß. Einvernehmliche Trennung. Tatsächlich war es jedoch so, dass ich mich davongestohlen habe, indem ich ihr den Vortritt gelassen bei der Trennung. Ich habe ihr Überlegenheitsbedürfnis verwendet gegen sie. Sie hat es nicht gemerkt.

Das hatte ich ganz vergessen bei meiner Oscar-Abstimmung letzte Woche. Kategorie Beste Filmmusik. – And the Oscar goes to: Trent Raznor and Atticus Ross, Soundtrack The Social Network. – Einzige Stelle, an der ich mich gefreut habe heute Früh, als ich über die Verleihung der Academy Awards gelesen habe. - Trent Raznor ist der Frontmann von Nine Inch Nails.

Sonntag, 27. Februar 2011

Lobby

Die Frau kauft Getränke. Mehr als Guten Tag muss sie dazu nicht sagen. Sie muss nur Sinan ihre zwei Stofftaschen reichen. Dann weiß Sinan schon. So wie er bei mir weiß: Zigaretten. American Spirit, rote Packung. Nachdem er der Frau ihre beiden Taschen gefüllt zurückgegeben hat, und sie das mit dem Geld machen – Preis muss er nicht sagen; sie weiß schon -, da hat die Frau noch eine Frage: Ob er einen Computer hat? – Ja. – Und ein Schreibprogramm? – Ja. – Ob er für sie einen Text schreiben kann? Sie hat nämlich ein Flugblatt verfasst gegen die Abzockung, Diskriminierung und – was war das? – Verfolgung? – nein, was anderes; so weit ist es noch nicht gekommen: verfolgt werden die Raucher noch nicht. Aber alles andere schon. Deshalb das Flugblatt. Das muss geschrieben werden und dann kopiert und dann braucht sie noch ein zweites Blatt für die Unterschriften, die sie sammeln will. – Sinan sagt, dass er nicht der Mann ist, um ihr das zu schreiben, aber erklärt freundlich: Da können wir schon was machen. Während ich zwei Schritte entfernt am Rande der Szene stehe, mit dem aufgeschlagenen neuen SPIEGEL in der Hand, um einen Blick zu werfen auf die Titelgeschichte und um das Editorial zu lesen – die Hausmitteilung. Von Peter weiß ich schon, was in der steht, aber ich will sie selbst noch mal lesen, bevor ich mich an das Schreiben des Posts von heute mache. Denn, wenn das so ist, wie Peter mir erzählt hat, wenn es auch nur ein plausibler Verdacht ist, was der SPIEGEL behauptet in seiner neuen Ausgabe - es muss gar nicht stimmen -,  dann muss ich Abbitte leisten wegen dem, was ich gestern geschrieben habe über den Blödsinn, den ein Popstar verkündet hat, Judith Holofernes, mit ihrer Aussage, die Bild-Zeitung sei ein gefährliches Instrument – nicht nur ein stark vergrößerndes Fernrohr in den Abgrund, sondern ein bösartiges Wesen, das Deutschland nicht beschreibt, sondern macht. Mit einer Agenda. – Das der Blödsinn, wie ich meinte: Dass die bei der Bild-Zeitung  eine Agenda haben. Wo doch nicht mal die dafür gewählten und bezahlten Politiker eine Agenda haben für das Land, soll die Bild-Zeitung eine haben? -  Aber wenn das stimmt. was Peter mir erzählt hat über die SPIEGEL-Titelgeschichte, dann haben die das herausgefunden, dass die Bild-Zeitung eine Agenda hat für das Land, und im neuen Heft kann jeder es lesen. Zum Preis von 4 Euro, die ich nicht ausgeben will, nachdem ich schon 4 Euro 90 für die Zigaretten bezahlt habe, und deshalb habe ich Sinan gefragt, ob ich mal unentgeltlich in das Heft hineinschauen darf. Auf dem Umschlag groß: Bild-Logo und darunter: Die Brandstifter. – Brandstifter? Wie meinen sie das, habe ich mich gestern Abend schon gefragt, als ich die Ankündigung gesehen habe. Jetzt will ich die Hausmitteilung lesen, gespannt darauf, was sie in der Hand haben. Am Anfang was über die Sympathie-Kampagne der Bild für Guttenberg, was über die Aufmerksamkeits-Kampagne für Sarrazin – und zwei Schritte entfernt von mir die Frau mit den Getränken und dem Flugblatt, mit dem sie für die Rechte der Raucher, also auch von mir, eintreten will. Wenn sie das hat, das Flugblatt, dann muss sie das natürlich auch verteilen, sagt sie ganz ruhig und sachlich mit ihrer nicht unangenehmen, aber durchdringenden Stimme. Doch nicht nur wegen der Stimme kann ich mich nicht auf den Text konzentrieren, auf den ich so gespannt bin. Ich kann es einfach nicht fassen, was die Frau alles sagt - was ich aufschnappe von dem, was sie alles sagt, denn eigentlich lese ich gerade die Hausmitteilung. Hat die Frau eben tatsächlich gesagt: Die Alkoholiker haben ja auch eine Lobby, nur die Raucher haben keine? – Auf jeden Fall ist es so, dass damals in den USA, als auf einmal alles verboten wurde, die Raucher sich organisiert und sich - gemeinsam stark - gegen die Diskriminierung zur Wehr gesetzt haben, sagt die Frau. – Was die Raucher dabei erreicht haben, lässt sie offen. Ihr geht es jetzt erst mal nur um den Widerstand mit dem Flugblatt, das zu schreiben, zu kopieren, zu verteilen. Wenn ich richtig verstanden habe, am Nollendorfplatz. Frau Anfang 60. Atem leicht, aber unüberhörbar emphysematisch. Spätfolge des Rauchens. Wird nichts dagegen getan – aufhören mit dem Rauchen – ist der Lungenkrebs nicht mehr weit. Gegen den helfen keine Flugblätter. Aber was solls: An irgendetwas muss man schließlich sterben. – Zurück zur Hausmitteilung des SPIEGEL. Wegen der Ablenkung durch die engagierte Raucherin dreimal zurück zur Kernaussage: dass nach Überprüfung der ethischen Standards und journalistischen Qualität der Bild-Zeitung der SPIEGEL-Reporter Fichtner zu dem Urteil gekommen ist, dass die Bild-Zeitung die Rolle einer rechtspopulistischen Partei spielt, die es in Deutschland noch nicht gibt. - Überprüfung, Urteil. Rolle. So wie Peter es mir erzählt hat, hörte es sich nach rechtspopulistischer Verschwörung an. Geheimpartei. Nichts davon. Auch nichts von Recherchen  und Fakten. Überprüfung, Urteil. - Danach noch, dass sie die Geschichte schon seit längerem parat haben, sie haben sie jedoch zurückgehalten, solange die beiden Bild-Journalisten im Iran inhaftiert waren. Schließlich: der Fall Guttenberg. Ach ja, der Fall Guttenberg. - Ich blättere zur Titelgeschichte. Ganz am Ende des Hefts, Rubrik Medien. Der Artikel aufgemacht mit einem Foto von Bild-Chefredakteur Kai Diekmann vor einem Pop-artigen Gemälde mit dem Bild-Logo; das haben sie für das Titelbild verwendet. Auf einer der Folgeseiten Diekmann mit Stephanie zu Guttenberg, wie die beiden sich begrüßen mit  Wangenküsschen. Aha!

Inzwischen habe ich eine Kopie des Stücks, wie die Journalisten das nennen. Es gibt keine Agenda für das Land bei der Bild-Zeitung. Sie haben nur die Agenda, die der SPIEGEL auch hat: Auflage, Auflage, Auflage.  Bild-Zeitung: 2,9 Mio.; SPIEGEL 1,1 Mio.

Samstag, 26. Februar 2011

Toleranz

Das Odol-Fläschchen ist beim Auspacken der Einkäufe auf den Boden gefallen und nicht in tausend Stücke zersprungen. Am Nachmittag bin ich dann doch nicht einen langen Weg gegangen, um nachzudenken; immer auf der sonnigen Seite der Straßen. - Nachdenken im Supermarkt. Hinter mir die Frau, einen Kopf kleiner als ich, schwarze lockige Haare, blasses Gesicht, Kurzmantel, schwarz-weiß gesprenkelt. In den Vierzigern. Lächelt, als ich mich umdrehe, um nachzusehen, wer hinter mir steht. An der Kasse. Im türkischen Supermarkt in der Hauptstraße. Orangenkauf. Süß, saftig, kernlos. Keine Lust mehr, mich rumzuquälen mit den Orangen von Aldi; das wird diese Saison nichts mehr; wie schaffen die das, dass da immer Handelsklasse I drauf steht? – Langeweile beim Warten. Was hat die Frau hinter mir gekauft? Einen Endiviensalat. Ein Glas – sieht aus wie Honig. Eine türkische Süßigkeit. Einen Beutel, von der Größe eines Gewürzbeutels; darin ist etwas Grünes, Zerhacktes. Gleich werde ich erfahren was. Als die Frau den Beutel vom Band nimmt und ihn hinter die kleinen Nutella-Gläser schiebt, die auf einem Regal stehen mit anderen Süßwaren gleich neben der Frau. – Jetzt weiß ich nicht mehr, was ich da gefragt habe; es ist mir entfallen: ich war schon mal heller im Kopf als heute. Was könnte ich gefragt haben? – Haben Sie es sich anders überlegt? – Die Frage ohnehin nur Vorwand. Vorbereitungsfrage für die eigentliche Frage. – Die Frau antwortet, dass sie sich vertan hat, dass sie etwas anderes haben wollte und nicht Petersilie. – An meine nächste Frage erinnere ich mich: Warum holen Sie sich dann nicht das, was sie haben wollten? – Diese Frage stelle ich aber nicht. Denn dann könnte ich auch gleich noch die eigentliche Frage hinterher stellen: Warum bringen sie den Beutel nicht zurück, anstatt ihn hinter die kleinen Nutella-Gläser zu stecken, wo er nicht hingehört? – Diese Frage arbeitet in mir. Das heißt: ich unterdrücke sie, während ich mir überlege, ob ich sie stellen soll. Dabei wird mir klar, dass es sich bei der Petersilie um getrocknete Petersilie handelt, nicht so schnell verderblich; die ist auch noch verkaufbar, wenn sie vom Personal des Supermarkts in zwei Wochen oder in zwei Monaten erst entdeckt wird. - Trotzdem. Die Frau hätte den Beutel auch dem Mann an der Kasse geben können, der ihn zur Seite gelegt hätte und mit den anderen zur Seite gelegten Waren hätte er später wieder einsortiert werden können ins Sortiment. – Was die Frau da gemacht hat, das ist nicht korrekt. Aber was geht es mich an? Und will ich der Typ sein, der sich in so einen unbedeutenden Vorfall einmischt? – Ich entscheide mich dafür, nicht dieser Typ zu sein. Was mir nicht leicht fällt. – Später komme ich in einem anderen Zusammenhang auf den unbedeutenden Vorfall zurück. In dem Zusammenhang geht es um Toleranz. Gegenüber dem Blödsinn, den ein Popstar geschrieben hat an einer Stelle in einem sonst sehr aufgeweckten, erfrischenden Text. Ich war schon kurz davor, auf diesen Blödsinn einzugehen hier, habe dann aber zum Glück gedacht, dass das okay ist für einen Popstar, so einen Blödsinn zu verkünden. Dass das geradezu den Popstar ausmacht, diesen Blödsinn zu verkünden. Vielleicht hat sie, der Popstar Judith Holofernes, sich auch etwas gedacht dabei, auf das ich nicht komme, und alleine schon deshalb ist es besser, der Typ zu sein, der nicht auf den Blödsinn eingeht. Genauso wie es besser ist, der Typ zu sein, der die dunkelhaarige Frau in dem gesprenkelten Kurzmantel nicht anspricht auf ihr Verhalten mit dem Beutel getrocknete Petersilie. – So zu denken versetzt mich in eine großzügige Stimmung mir gegenüber, so dass ich mir überlege: Wenn ich das mal geschafft habe, diese Toleranz auch wirklich zu haben und sie mir nicht mehr abverlangen zu müssen, dann kann ich die Frage, die ich stellen wollte: Warum bringen Sie den Beutel nicht zurück? – dann kann ich diese Frage stellen. Aber jetzt nicht mehr im Ton der Intoleranz, sondern als eine ganz sachliche, beiläufige Frage, einfach nur aus meinem Interesse an anderen Menschen - was sie so machen und wie sie so sind. Dann kann ich sogar den Intoleranten spielen und die Frage in vorwurfsvollem Ton stellen, um auf diese Art gleich noch mehr zu erfahren über die Frau – wie sie so ist und was sie macht, wenn ihr jemand so kommt wie ich dann. – Aber hätte ich dann nicht auch gleich meinem Impuls folgen können, sie zu fragen, warum sie den Beutel mit der getrockneten Petersilie nicht zurück gebracht hat, dorthin, wo sie ihn her hatte, oder warum sie ihn nicht wenigstens dem Mann an der Kasse gegeben hat? – Dann hätte ich was erlebt. Dann hätte sie was erlebt. Dann hätte ich jetzt von der Reaktion der Frau erzählen können. Ich hätte ihr einen Auftritt verschafft und der wäre vielleicht richtig gut gewesen. Oder auch nicht. Auf jeden Fall besser, als das, was ich mir alles  g e d a c h t  habe. – Mir fehlt im Moment die Orientierung. Ich bitte um Geduld.

Kein Zusammenhang mit dem Text. Fund der Woche: Laurel Nakadate .- ihre WebsiteTWK anklicken. Film: The Wolf Knife angucken. Nichts erwarten. Nur gucken.

Freitag, 25. Februar 2011

Schlachthaus

Gestern. Gegen 23 Uhr ruft Peter an. Er hält es für möglich, dass es schon zu spät ist für seinen Anruf. – Ich beruhige ihn deswegen. Was gibt es denn? – Er hat versucht, die neue Ausgabe der taz aufzurufen – die Ausgabe der taz vom nächsten Tag, die komplett immer schon am Vorabend über die Website der taz – frei - zugänglich ist, und es gehört zu den Lebensgewohnheiten Peters, die taz vom nächsten Tag am späten Abend zu lesen. Heute ist er nicht reingekommen wie sonst - über Archiv; er findet das Link nicht. – Das ist mir am Morgen auch passiert, sage ich. Da habe ich gesehen, dass die taz jetzt ein ePaper anbietet gegen Abo-Gebühr. – Das hat er auch gesehen und findet es im Prinzip auch richtig, dass sie Geld verlangen für ihre Zeitung. So ist Peter, dass er das versteht – dass er solidarisch ist mit der linken Zeitung, der taz. Ich verstehe es auch, finde es aber trotzdem schade. Gestern: Distinktionsgewinn. Heute: Distinktionsverlust. Heißt: dadurch zeichnet sich die taz ab jetzt nicht mehr aus gegenüber anderen Zeitungen, dass sie komplett frei zugänglich ist im Internet. (Wodurch zeichnet sie sich noch aus? Außer durch lustige Titelseiten? - Abschweifung über die taz gestrichen). Ich erzähle Peter, dass ich am Morgen über ein Link auf perlentaucher.de einen Artikel in der taz aufgerufen habe und dann über das Inhaltsverzeichnis am rechten Rand des Artikels frei und unentgeltlich wie gewohnt in der kompletten aktuellen Ausgabe navigieren konnte. Da ich aber schon bemerkt habe, dass Peter etwas hinfällig ist, verzichte ich darauf, ihm zu erklären, wie er am nächsten Morgen über perlentaucher.de – Heute in den Feuilletons – in die aktuelle Ausgabe der taz reinkommen kann. Es interessiert ihn jetzt auch nicht mehr. Weil er bewegt ist vom Geschehen in Libyen und darüber sprechen will. Vielleicht der eigentliche Grund seines Anrufs. - Er kann es nicht fassen, dass man das Gaddafi-Regime so lange hat gewähren lassen. – Ich weise darauf hin, dass Gaddafi Kreide gefressen hat, um sich international lieb Kind zu machen und frage: Wer hätte denn intervenieren sollen, um seine Herrschaft zu beenden? Das hätte doch nur eine militärische Allianz unter der Führung der USA sein können. Aber nur aus humanitären Gründen hätten die das nicht gemacht, und wenn sie es gemacht hätten nur aus humanitären Gründen, wäre es ihnen nicht abgenommen worden; es wäre weltweit ein Gezetere losgegangen von Leuten wie uns. Siehe Irak. Siehe Afghanistan. – Gerede eines müden Nachrichtenkonsumenten. Peter, noch müder als ich, weil etwas hinfällig, geht darauf nicht ein. Das wird nichts mit dem Gespräch. - Da fallen mir die Fotos ein, die ich am frühen Abend im Internet auf The Daily Beast gesehen habe; Berichterstattung über das Gemetzele in Libyen. Obwohl ich schon ahne, dass das nicht so einfach wird, Peter da hinzulotsen auf die Internet-Seite mit den Fotos, will ich, dass er sich die jetzt anschaut, weil ich sie gesehen habe und nicht ausgehalten habe, will ich, dass er sie auch sieht, und will – mit ihm darüber reden? Oder nehme ich einfach nur die Geste auf, mit der sie auf The Daily Beast gezeigt werden?  ... see shocking photos and videos. Beitrag mit knapp kommentiertem Video-Material und auf der dritten Seite Fotos. Die Videos habe ich nicht angesehen, nur die beiden Fotos auf Seite 3 (*) – Da versuche ich Peter jetzt hinzuführen, indem ich ihm erkläre, was er bei Google eingeben, um auf The Daily Beast zu kommen, und dort machen soll, um den Beitrag über Libyen zu finden mit den beiden Fotos auf Seite 3. Peter findet The Daily Beast, er findet den Beitrag, aber er schafft es wegen seiner Müdigkeit und seiner Hinfälligkeit trotz mehrerer Versuche nicht, auf die Seite 3 zu kommen. Er sieht nur die Rahmen der eingebetteten Video-Clips, er sieht keine Fotos. Ich will jetzt aber, dass er sie sieht. Und er ist gespannt darauf zu sehen, was mich so entsetzt hat. Obwohl er sich nicht vorstellen kann, dass es etwas gibt, was ihn noch erschüttern kann nach allem, was er schon gesehen hat im Leben und auf Bildern. Fotos von Leichen mit abgerissenen Armen habe ich schon genug gesehen, murmelt er. – Ich antworte: Es geht nicht um abgerissene Arme. Der eine von zwei Männern auf dem einen Foto hat noch seine beiden Arme, er hat auch noch seinen Kopf, aber sonst hat er nicht mehr viel. Während ich das sage, habe ich die Seite mit den beiden Fotos vor mir, scrolle immer wieder rauf und runter,  zwischen den beiden Fotos hin und her. Nicht, weil ich nervös bin oder ungeduldig, bis Peter sie endlich auch vor sich hat, sondern weil ich den Anblick nicht ertrage, weil ich immer gleich wieder weggucken muss. Das untere Foto von dem erschossenen Mann mit dem aufgerissenen Schädel und seinem auf dem Boden liegenden Gehirn ist schon nicht auszuhalten. Aber das Foto darüber – von den beiden verstümmelten Männerkörpern -, das setzt noch mal einen drauf. Das ist Schlachthaus. Nicht anders zu nennen. Schlachthaus. Aber nix Vonnegut, Dresden, lange her, Roman, Slaughterhouse-Five. Auch keine Journalistenpoesie: Tripolis ist ein Schlachthaus. Keine Metaphorik. Es ist jetzt und es ist wörtlich, graphic, anschaulich, drastisch: Schlachthaus. – Und das soll Peter jetzt auch sehen. Damit wir darüber reden können. Deshalb noch mal ein Anlauf. Zurück auf die Startseite von The Daily Beast, im Fenster mit den wechselnden Motiven den Artikel mit Tripolis anklicken, auf der Seite, die dann erscheint, runter scrollen, bis zu page 1 2 3,  die Drei anklicken. Siehst du jetzt die Fotos? – Nein, ich sehe nur die Videos. – Lassen wir es, sage ich. – Telefonieren wir morgen wieder, sagt er. – Bis dann. - Ich maile Peter die Adresse der Seite. Warum bin ich da nicht eher drauf gekommen? Dann hätte er die Fotos schon längst vor Augen gehabt und wir hätten darüber reden können. - Gut, dass wir es nicht getan haben. Denn was gibt es zu sagen? Außer: Der Anblick der Fotos ist nicht zu ertragen. - Keine Kritik an der Veröffentlichung der Fotos. In Libyen aufgenommen, veröffentlicht über Twitter. Es ist geschehen. Es gibt die Fotos. Sie müssen gezeigt werden. Aber sie müssen nicht angesehen werden. Ich setze ein Link auf die Seite mit den Fotos, weil es sie gibt, weil ich sie gesehen habe, weil es in diesem Text um die Fotos geht: View images below from the streets published on Twitter. Warning: Extremely graphic.

(*) Der Beitrag auf The Daily Beast wurde seit Donnerstagabend mehrfach aktualisiert und erweitert; die genannten Fotos stehen immer auf der letzten Seite (inzwischen Seite 5). 

Donnerstag, 24. Februar 2011

(In)diskret

Nachrichten aus der bürgerlichen Welt. Frankfurt/ München. Experiment. Heute Früh die FAZ weggelassen bei der Morgenlektüre. Eine Qualitätszeitung reicht: die Süddeutsche Zeitung, bei der ich mich zuletzt wohler gefühlt habe als beim Konkurrenzblatt. Frischer, noch schöner geschrieben und unternehmerischer beim Recherchieren, heißt: in der SZ  haben sie auch mal was, das nicht überall zu lesen ist (*). Allerdings wollen sie auch nicht zitiert werden im Internet und ihre Artikel verlinkt haben. – Verstehe den Ansatz nicht. Wenn sie nicht mitmachen wollen im Netz, warum halten sie sich dann nicht ganz raus? Keine Website. Wer uns lesen will, soll sich unsere Zeitung aus Papier kaufen. Eine andere gibt es nicht. Wäre konsequent. Sogar ein Mehrwert für den bürgerlichen Leser. Distinktionsgewinn gegenüber dem Massenbetrieb Internet. - Schöneberg. Die gestürzte Dame. Siehe Bürgerlich. Der Blog verlangt, dass ich herausfinde, wie es ihr geht (wie schwer verletzt?) und: ob es richtig war, ihrem Wunsch zu folgen und sich nicht um sie zu kümmern. War es nur ein Alkohol-Unfall oder etwas Ernsteres, weswegen sie am Samstag mit blutigem Gesicht auf dem Boden kauerte in ihrem schönen edlen Lammfellmantel? – Ich würde darüber hinweggehen, bei Gelegenheit mal einen unaufdringlichen Seitenblick in den Laden werfen, mehr nicht. – So aber gehe ich vorhin gezielt hin und habe noch keine Ahnung, was ich machen werde – reingehen in den Laden? – und was ich sagen werde, wenn die Dame da sein sollte: Geht es Ihnen wieder besser? – Autsch! - Da wird mir situativ bestimmt was Passenderes einfallen oder ich werde irgendetwas Unverständliches stammeln, um anschließend in klarer Rede darauf zu kommen, was der Blog wissen will, was die Leser wissen wollen: War es richtig, die Dame sich selbst zu überlassen? Oder ist hinterher zum Glück jemand vorbeigekommen, der - anders als die bürgerliche Frau und ich - nicht lange gefragt hat, ob er helfen soll, und demjenigen ist die Dame immer noch dankbar? – Als ich mich dem Laden nähere, sehe ich das Gitter vor der Tür. Im Fenster klebt eine Klarsichthülle mit einem weißen DIN A-4-Blatt, säuberlicher Ausdruck: Wegen Krankheit geschlossen. – Oh! Ist es also doch was Ernsteres gewesen, das den Sturz verursacht hat? Etwa ein Schlaganfall? Oder will sie sich mit ihrem verschrammten Gesicht nicht in der Öffentlichkeit zeigen? – Zum ersten Mal schaue ich mir den Laden, den ich nur vom Vorbeigehen kenne, genauer an. Der Laden ist eine kleine Galerie. Sie hat einen Namen, den ich mir merke, um ihn später zu googeln, aber wegen Diskretion nicht nenne. Ich gehe weg und mache nach wenigen Schritten wieder kehrt, um mich zu versichern, dass ich mir den Namen auch richtig eingeprägt habe - und um durch das Schaufenster einen Blick auf die ausgestellten Bilder zu werfen. Worauf ich jetzt erst komme, weil ich so fixiert war auf das ungewisse Schicksal der Dame. Als ich an das Schaufenster trete, kommen eine Mutter und ihr sehr kleiner Sohn vorbei. Der Sohn hat anscheinend gerade nach der Dame gefragt, wollte wahrscheinlich bei ihr reinschauen, mag sie vermutlich und das könnte heißen, dass die Dame kinderlieb ist. – Die Mutter erklärt dem Jungen, dass am Fenster steht, dass die Dame nicht da ist, weil krank. Der Junge nimmt das ohne erkennbare Gefühlsregung auf und geht mit seiner Mutter in den Hauseingang neben der Galerie. Ich überlege, ob ich mich bei der Frau nach der Dame erkundigen soll, lasse es dann aber. Denn aus dem Tonfall der Erklärung, die sie dem Jungen gegeben hat, war zu herauszuhören, dass sie auch nicht mehr weiß als auf dem Din-A4-Blatt steht. – Ich betrachte die ausgestellte Kunst - nicht-figurative Malerei - und denke, wie mich das freuen würde, wenn es davon bald wieder mehr zu sehen gäbe im Kunstbetrieb. Zuhause google ich den Namen der Galerie und gelange über deren Website zu einer Seite der Besitzerin. Ich weiß nun, wie sie heißt und was sie macht. Werde das wegen Diskretion für mich behalten. Werde aber, sobald die Galerie wieder geöffnet ist, mir die Bilder richtig anschauen (was durch das Schaufenster nicht möglich war), dann bestimmt auch mit der Besitzerin ins Gespräch kommen, ihr Missgeschick dabei mit keinem Wort erwähnen, und wenn hier etwas über sie schreiben, dann über ihre Galerie und die Bilder. Wer den Blog regelmäßig liest, kann den Zusammenhang selbst herstellen. Ich werde darüber hinweggehen. Also nichts mit Fortsetzung folgt, sondern nur, dass ich hoffe, dass die Dame sich bald wieder so gut fühlt, dass sie ihre Galerie wieder öffnen und ich sie besuchen kann.

(*) gilt allerdings nicht für das Feuilleton; weswegen das Experiment schon bald wieder abgebrochen werden könnte. Das ahnend, habe ich dem Impuls, die FAZ rauszunehmen aus der Lesezeichenleiste meines Browsers, nicht nachgegeben. Obwohl es mich schon sehr gejuckt hat.

Mittwoch, 23. Februar 2011

Diffus

Nicht noch mal über die FAZ. – Schade eigentlich, höre ich die Freundin sagen, die mir jahrelang gegenüber gesessen hat am Frühstückstisch; sie im Wirtschaftsteil blätternd, ich mit dem Politikteil oder schon mit dem Feuilleton, damit sie nicht so lange darauf warten muss. – 27 Jahre hatte ich die FAZ abonniert. Die Höhepunkte: Berichterstattung von Karl Heinz Bohrer aus Großbritannien; Vorabdruck von Patrick Süskind, Das Parfum; Berichterstattung von - wenn ich den Namen noch wüsste (er war zu Anfang vierter fester Teilnehmer beim Literarischen Quartett) - seine Reportagen vom Barschel-Untersuchungsausschuss in Kiel; der frühe Patrick Bahners; der Offene Brief von Angela Merkel (ganz unscheinbar auf Seite 2), mit dem sie Kohl abgeschossen hat, und anfing zu werden, was sie jetzt ist; und dann, schon zum Ende des Abonnements hin: als Florian Illies die Berliner Seiten gemacht hat. - Schön war die Zeit. Und trotzdem ist heute alles besser. 40 wollte ich nicht noch mal sein. Die späteren Jahre tun mir gut. – Schade eigentlich, höre ich gleich noch mal die Freundin von damals sagen. - Warum? – Weil das Alter, das mir so gut tut, mich auch umbringen wird. Langsam, aber sicher. – Zweiter Teil. Im Brief an Claudia heute, dass ich immer noch ein starkes Über-Ich habe; nicht wegzukriegen. Aber dass ich die alten Götter, die darin hausten, vertrieben und selbst die Macht übernommen habe. Jetzt muss ich nur noch mir selbst gefallen. Nicht immer einfach. Aber immerhin meine Party. – Und wo sind die Gäste? – Dem Peter gesagt, er soll sich bei Facebook registrieren; ist sein Ding, wird er sehen. – Er: Mache ich, wenn du dich endlich bei Skype anmeldest. – Wozu, Peter? Mit wem soll ich da kommunizieren? Habe doch auch so schon niemand, mit dem ich reden kann? Und das bei meiner Kommunikativität. Einkaufen gehen muss ich, damit ich mit Leuten reden kann. – Ihre Kollegin ist aber schneller als Sie. – Kollegin: Sie macht das gerade mal seit zwei Stunden. – Oh, dann ziehe ich die Bemerkung zurück. Aber dann habe ich es doch ganz richtig beobachtet. – Und jetzt auch noch ein Zwanzigeuroschein für die Backwaren im Wert von 54 Cent. Habe es nicht kleiner. Und die Anfängerin hat auch beim Geldherausgeben noch keine Routine. – Im Weggehen: Viel Spaß bei der neuen Arbeit! – Den wird sie haben, sagt die Kollegin. – Wie hat sie das gemeint? – Der Spaß daran, freundlich zu sein. Gelingt allerdings nur, wenn die anderen mitmachen. – Dann noch die Stiche in der Leistengegend (links). Und die Angst. Angekrochen gekommen so gegen 14 Uhr. Im schönsten Sonnenschein. Nicht wegen der Stiche; die hatte ich schon mal, die gehen wieder weg. – Existenzangst? – Begründet wäre sie. Aber da müsste ich vom Aufwachen bis zum Einschlafen Angst haben. Diffuses Angstgefühl? Wegen Libidostau? Bei Freud gelernt und nie vergessen: Angst ist gestaute Libido. – Es hilft, das zu wissen und es sich zu sagen. Wenn es diffuse Angst ist. – Es hat geholfen. Dafür Stich in der Leistengegend vorhin an der Schmerzgrenze. – Und wie heißt jetzt der FAZ-Mann, der über den Barschel-Untersuchungsausschuss berichtet hat? Der dabei von Tag zu Tag, von Artikel zu Artikel immer mehr von seinem CDU-Glauben abgefallen ist? – Ihn mal im Café Einstein gesehen; einen Kriminalroman hat er gelesen, während er auf eine Frau wartete, mit der er verabredet war. Gedrungene Gestalt. Bauerngesicht. Feines Bauerngesicht. – Busche! Jürgen Busche. – Sicher kein Vergnügen für einen Leser, so einen Text zu lesen. Nicht zu ändern. Ich habe das heute gebraucht.

Noch was mit Angela Merkel. Traum vergangene Nacht. Sie, ich und ein mir unbekannter Typ, mit dem ich aber vertraut umgegangen bin. Situation … . – Nein, das mache ich jetzt nicht. – Doch! – Aber nur, wenn jedem klar ist, dass ich nicht denke, dass das etwas zu bedeuten hat. - Situation: sie soll nur mal probehalber mit einem – improvisierten - Golfschläger einen Golfball in ein auf der Seite liegendes Glasgefäß putten. Aus kurzer Distanz. Doch das Glas liegt nicht ebenerdig, sondern erhöht auf einem Regalbrett etwa einen Meter über dem Boden. Sie macht mit dem Schläger rum. Setzt an. Peilt. Lässt es wieder. Macht wieder mit dem Schläger rum. – Sie wird es nicht schaffen. Nicht schlimm. Ist eigentlich auch nicht zu schaffen. Sie soll ihren Versuch machen und dann gut. – Der andere Typ und ich verlieren inzwischen das Interesse; wir unterhalten uns. Dabei sehe ich aus dem Augenwinkel, wie sie wieder ansetzt, jetzt aber durchzieht mit dem Schläger und, nicht zu fassen: der weiße Ball - plopp - landet in dem Gefäß! – Der Typ und ich, wir sagen nichts, schütteln nur den Kopf, verdrehen die Augen. Jetzt hat sie das auch noch hingekriegt! – Später fragt mich der Typ, wo sie ist. Er befürchtet, dass sie eingeschnappt ist, weil wir sie nicht gelobt haben. – Ich sage, und dazu muss man wissen, dass das am Wannsee stattfindet, ich sage: Sie ist unten am See und übt auf dem Wasser zu gehen. – Meine das aber als Witz. Denn ich weiß auch nicht, wo sie gerade ist. – Erstes Mal, dass ich von Angela Merkel geträumt habe. Claudia hat mal in dessen besten Zeiten von Helmut Kohl geträumt. Da habe ich mich Jahre später noch darüber lustig gemacht.

Rückweg vom Einkaufen. Am Bolzplatz vorbei. Ruf eines kleinen Jungen: Geh aggressiver rein! - Hat anscheinend schon einmal an einem Fußballtraining in einem Verein teilgenommen. Oder dabei zugeschaut.

Dienstag, 22. Februar 2011

FAZ

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung will nicht zitiert werden im Internet und es ist ihr auch nicht recht, wenn auf ihre online gestellten Artikel verlinkt wird. Nachdem ich das erfahren hatte, habe ich mir vorgenommen, die FAZ im Blog nicht mehr zu berücksichtigen, mir sogar schon überlegt, sie gar nicht mehr zu lesen. Aus dem gleichen Grund, aus dem ich auch den Umgang mit Leuten vermeide, die in meinem Blog nicht genannt oder zitiert werden wollen. Nun bilde ich mir aber immer noch ein, dass die FAZ unentbehrlich ist und bin deshalb schon wieder auf ihrer Website gewesen. Dort habe ich heute Früh einen Artikel gelesen von Jürgen Kaube mit dem Titel: Vgl. auch Guttenberg 2009 (Thema: Plagiat-Affäre; kein Link, weil die FAZ das nicht mag) und darin habe ich einen Satzfetzen gefunden, der mich so fasziniert hat, dass es nicht anders geht; ich muss ihn zitieren: das Heraustelefonieren von Lustmädchen aus Untersuchungsgefängnissen durch Ministerpräsidenten. - In meiner heute ganz besonders langsamen Art brauche ich eine Weile, bis ich den gemeinten Sachverhalt kapiert habe, und die Bezeichnung Lustmädchen ist dabei nicht hilfreich, weil ich an der hängen bleibe in meiner langsamen Art. Ich überlege: Damit kann doch nur gemeint sein Prostituierte. Und dass der Verfasser des Artikels nicht Prostituierte sagt, wenn er Prostituierte meint, hat mit seiner Auffassung von journalistischem Schreiben zu tun. Er schreibt Lustmädchen, wie er auch hätte schreiben können Gunstgewerblerin, wenn dieses Wort nicht schon so abgegriffen und ihm in seinem Bemühen um eine frische und lebendige Ausdruckweise daher ungeeignet erschienen wäre. - Lustmädchen. Schönes Wort. Nicht abwertend. Im Gegenteil: ein Wort, das einen einsamen Mann träumen lässt. Lust. Mädchen. Es stiftet allerdings auch Verwirrung im zitierten Kontext. Meint der Verfasser am Ende gar nicht Prostituierte?  Sondern ein unglückliches Mädchen, eine sehr junge Frau, die aus Gründen, die ich zu gerne kennen würde, in Untersuchungshaft sitzt, und mit der ein Ministerpräsident (vermutlich Ministerpräsident eines Bundeslandes) so viel Schönes erlebt hat, dass er es ohne sie nicht aushält, und sie, obwohl sie in Haft ist, treffen will? Deshalb ruft er sie an in der Haft, damit sie zu ihm kommt – aus dem Untersuchungsgefängnis heraus kommt, zu ihm, in seine Arme, damit er in ihren Armen mit ihr Lust erleben kann. – Das ist unklar. Dennoch spricht viel dafür, dass der Verfasser Prostituierte meint. Denn sonst hätte er doch trotz seines Bemühens um frischen, lebendigen Ausdruck Geliebte geschrieben. – Da ich es nicht leiden kann, wenn mir einfachste Sachverhalte unbekannt sind, google ich den mir unbekannten Sachverhalt, um herauszufinden, welcher Ministerpräsident eines Bundeslandes das gewesen ist. Ich gebe ein: Ministerpräsident Prostituierte Untersuchungshaft – und komme sofort zu einem enttäuschenden Ergebnis: Das Lustmädchen ist die 17jährige Prostituierte Ruby. Sie saß ein wegen Diebstahlverdachts. Der Ministerpräsident ist Silvio Berlusconi, also der Ministerpräsident Italiens. Er bestreitet, die junge Frau aus persönlichem Interesse aus dem Gefängnis heraustelefoniert zu haben; vielmehr wollte er jemandem anderen einen Gefallen tun; die junge Frau sei eine Verwandte von Hosni Mubarak, habe er dem hohen Beamten der Mailänder Polizei gesagt, den er angerufen hat mitten in der Nacht, damit er Rubys Entlassung aus der Haft bewirkt. Danach sollte die Minderjährige einer vom Ministerpräsidenten benannten Person übergeben werden. Wahrscheinlich alles Ausreden Berlusconis, denke ich und das denkt auch Jürgen Kaube von der FAZ. Deshalb: das Heraustelefonieren von Lustmädchen aus Untersuchungsgefängnissen durch Ministerpräsidenten. Plural wegen des Kontextes, in dem er in seinem Artikel dem Argument entgegentritt: es gäbe Wichtigeres als Fußnotenschwindel und akademische Unehrlichkeit eines Bundesverteidigungsministers, und das illustriert er, indem er aufzählt: Es gibt auch Wichtigeres als Steuerhinterziehung, Fahren im angetrunkenen Zustand, das Heraustelefonieren von Lustmädchen aus Untersuchungsgefängnissen durch Ministerpräsidenten, Vulgarität und was nicht noch alles. – Aber: Soll man darum nicht mehr sagen dürfen, worum es sich handelt? - Nein. Sagen. Unbedingt. Nur bitte so, dass man auch versteht, was gemeint ist. - Inzwischen habe ich mittels Google auch Fotos von Ruby gefunden und verstehe besser, warum Jürgen Kaube das Wort Lustmädchen gewählt hat. Weil Ruby nicht aussieht wie eine Prostituierte, sondern eher wie ein Lustmädchen. Nun ärgere ich mich allerdings auch über den Artikel Jürgen Kaubes: Dass mir der Sachverhalt Ministerpräsident Prostituierte Untersuchungshaft unbekannt war, liegt nämlich daran, dass ich mich nicht für die Berichterstattung über den Ministerpräsidenten von Italien und seine sexuellen Handlungen interessiere, heißt: dass ich die Berichterstattung darüber nicht lese. Über den aktuellen Ministerpräsidenten von Italien will ich erst wieder lesen, wenn er gestürzt oder abgewählt wird vom italienischen Volk – wofür es genug andere Gründe gibt als die sexuellen Handlungen des Ministerpräsidenten. Weswegen ich mich wundere, dass er nicht schon längst abgewählt oder gestürzt wurde. Über diese Frage würde ich jederzeit voller Wissbegier einen Zeitungsartikel lesen. Aber nicht über Silvio Berlusconis sexuelle Handlungen mit einer Minderjährigen, die mit 17 Jahren so minderjährig auch wieder nicht ist. – Was ich wegen der unklaren, reißerischen Ausdrucksweise Jürgen Kaubes nun aber doch getan habe. Ohne den geringsten Gewinn an Einsicht. Nur die Bestätigung für mein Desinteresse an der Person des italienischen Ministerpräsidenten und seinen sexuellen Handlungen habe ich bekommen. Diese Bestätigung habe ich aber nicht gesucht und nicht gebraucht. Außerdem ärgere ich mich über mich und meine Langsamkeit. Denn wie das Googeln des Begriffs Lustmädchen ergibt, ist das ein in interessierten Kreisen gängiger Ausdruck. Nur mir unbekannt, was ich mir nachsehen kann. Aber nicht nachsehen kann ich mir, dass ich nicht darauf gekommen bin, dass der Begriff analog zu Lustknabe gebildet ist.  Darauf hätte ich kommen müssen. Wenn ich heute Früh nicht mal wieder ganz besonders langsam gewesen wäre.

In der Hauptsache geht es im Artikel Jürgen Kaubes um den Promotionsfall Guttenberg. Auf gedanklich hohem Niveau liefert er eine Argumentation für das, was viele empfinden, aber viele andere auch nicht: Empörung über das Ausmaß der Täuschung. Abscheu vor der Unehrlichkeit des Bundesverteidigungsministers. – Da ich bei anderen Gelegenheiten schon sehr beeindruckt war von der Klugheit Jürgen Kaubes, nehme ich ihm seine Empörung und seine Abscheu nicht ab, weil sie die Möglichkeit voraussetzt, dass es Politiker gibt, die nicht täuschen und die nicht unehrlich sind. Der Artikel ist also die Aufführung einer Pose. Moralität als Beruf. Dass es so etwas gibt, das wusste ich schon zuvor. Dazu hätte ich ihn nicht lesen müssen. - Vielleicht doch mal die FAZ weglassen bei der Morgenlektüre. Und über das Thema der Dissertation Guttenbergs erst wieder lesen, wenn neue Fakten bekannt werden. Wenn zum Beispiel die Frage beantwortet wird, ob er tatsächlich sieben Jahre in seiner Freizeit an seiner Dissertation saß und zwischendurch immer mal wieder die Geduld verloren und abgeschrieben hat. Oder ob er irgendwann die Geduld verloren und einen Ghostwriter angeheuert hat, wie so viele andere auch, die das einfach nicht schaffen neben der Berufstätigkeit noch eine wissenschaftliche Arbeit zu verfassen, auf den Doktortitel aber nicht verzichten wollen. Ghostwriter für Dissertationen. Großes Thema. Warum lesen wir nichts darüber? Was sind das für Leute? Wie ist die Auftragslage? War sie schon mal besser? Wie wirkt sich der Fall Guttenberg auf die Auftragslage aus? – Und: Wie lange sitzt ein Ghostwriter an einer Dissertation? Wie ist sein Arbeitsethos? Gehört Abschreiben zum Geschäft? Oder machen das nur ein paar schwarze Schafe, die sich dann allerdings auch nicht lange halten können – denn irgendwann kommt es raus, wie jetzt im Fall Guttenberg? Ist der Freiherr an ein solches schwarzes Schaf geraten, als er die Geduld verlor, kann das jetzt aber nicht zugeben, sondern muss den Pfusch des Ghostwriters nun auf seine eigene Kappe nehmen? Oder hat der rührende Mann seine Dissertation tatsächlich selbst verfasst, statt sich wie viele andere auch professionell helfen zu lassen? Und hat er sich dadurch erst in die Verlegenheit gebracht, in der er sich nicht anders zu helfen wusste, als abzuschreiben in all den Fällen, die ihm inzwischen nachgewiesen worden sind? – Wenn das mal geklärt werden könnte! Ohne Abscheu und Empörung. Nur die Fakten.

In einem Artikel der Welt über Patrick Bahners,  Bürgermeister von Entenhausen und Feuilleton-Chef der FAZ, beschreibt der Verfasser die Atmosphäre in den Frankfurter  Redaktionsräumen der Zeitung: Auf der Feuilletonetage herrscht Stille. "Die Herren haben vormittags recherchiert, also Telefonate geführt, und jetzt schreiben sie", heißt es im Sekretariat.  

Montag, 21. Februar 2011

Stimmung

Habe mal einen Mann gekannt, der hat drei Jahre lang seine Post vom Finanzamt nicht aufgemacht. Eines Tages hat seine Frau den Stapel ungeöffneter Briefe gefunden und sie mit wachsendem Schrecken gelesen. Die Sache ging gut aus. Ein befreundeter Rechtsanwalt hat sich der Post angenommen und mit dem Finanzamt verhandelt. Der Mann, der die Briefe nicht geöffnet hatte, musste seine Steuerschuld selbstverständlich zahlen, aber bei den ins Horrende gehenden Säumnisgebühren konnte der Anwalt einen Vergleich aushandeln. Die Briefe hat der Mann jedoch nie gelesen. Er wollte sich von ihnen nicht die Stimmung verderben lassen. Das hat er geschafft. Dafür musste er den Ärger mit seiner Frau durchstehen. Doch an den war er gewöhnt. Mit dem konnte er besser umgehen als mit den Mahnbescheiden des Finanzamtes.
Keine Frau. Kein befreundeter Rechtsanwalt. Und schon wieder ein Brief von der GEZ. Der liegt hier seit Dienstag letzter Woche. Ungeöffnet. Nachdem die GEZ 14 Tage nicht auf meinen letzten Brief reagiert hatte, habe ich dank meiner positiven Grundeinstellung schon geglaubt, sie lassen mich jetzt in Ruhe mit ihren Zumutungen: obwohl ich zum dritten Quartal des letzten Jahres gekündigt hatte, wollten sie Gebührengeld für das dritte und vierte Quartal und verlangten von mir einen Nachweis, dass ich kein betriebsbereites Fernsehgerät besitze. In meinem letzten Schreiben an die GEZ habe ich bezweifelt, dass es eine Rechtsgrundlage gibt für die Forderung eines solchen Nachweises. Doch ich ahnte schon, dass es dazu bestimmt eine Verordnung aus dem vergangenen Jahrhundert gibt - aus einer versunkenen Epoche, in der es nur zwei Fernsehprogramme gab und auch ich mir noch nicht ein Leben ohne Tagesschau um 20.00 Uhr vorstellen konnte. – Ich werde mich also weiter mit ihnen herumplagen und noch warten müssen mit dem, was ich am liebsten schon längst gemacht hätte: zur Polizei zu gehen und die GEZ anzuzeigen. Wegen Nötigung? - Das werden die bei der Polizei dann schon wissen. Wenn sie mich auf dem Revier nicht gleich zum Kontaktbeamten für verwirrte ältere Bürger schicken. – Das wird sich dann zeigen. Doch noch ist es nicht so weit. Erst mal den Brief lesen. – Jetzt ... . – Gelesen. Den Brief hätte ich mir auch letzte Woche schon geben können. Dann hätte ich mich wahrscheinlich mehr gefreut als heute, da meine Stimmung so ist, dass sie auch durch eine gute Nachricht nicht besser wird: Sie teilen mir mit, dass sie die Abmeldung des Fernsehgeräts zum 1.07.2010 vorgenommen haben. – Endlich sprechen wir die gleiche Sprache. Eine Rechtsauskunft bekomme ich auch; es ist so, wie ich es mir gedacht habe; voriges Jahrhundert. (*). Und nun habe ich rückwirkend zum 1.Juli 2010 nur noch Gebühren für Radio und neuartiges Rundfunkgerät zu zahlen. Neuartiges Rundfunkgerät = PC oder Laptop oder Handy mit Internetzugang. Auch wieder so was, dass sie dafür Gebühren erheben wollen – nur, weil es die prinzipielle Möglichkeit gibt, mit diesen Geräten auf das Programm-Angebot von ARD und ZDF zuzugreifen (inklusive deren Websites und Apps; bitte mal unter diesem Aspekt beachten, wie die Sender mit diesen kostenfreien Angeboten einen Vorwand schaffen, um ihren Gebührenanspruch bei internetfähigen Geräten zu begründen). Aber das nehme ich vorläufig hin. Darum sollen sich Frauen und Männer kümmern, die mit Anwälten befreundet sind. Ich bin jetzt erst mal irritiert, dass auch mal was geklappt hat, und erleichtert. 

(*) Solange Rundfunkgeräte zum Empfang bereit gehalten werden, sind diese gebührenpflichtig. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Geräte tatsächlich genutzt werden. Ein Rundfunkgerät wird dann zum Empfang bereitgehalten, wenn damit ohne zusätzlichen technischen Aufwand Rundfunk, unabhängig von Art, Umfang und Anzahl der empfangbaren Programme, unverschlüsselt oder verschlüsselt empfangen werden kann. (§ 1 Abs. 2 Rundfunkgebührenstaatsvertrag).

Sonntag, 20. Februar 2011

Oscars

Absicht war: Heute Nachmittag schreibfrei. 15 Uhr Odeon. The King´s Speech. Um beide Favoriten gesehen zu haben für die Academy Awards am 27. Februar. – Den anderen habe ich am Dienstag gesehen (DVD): The Social Network. Regie: David Fincher, Drehbuch: Aaron Sorkin. - Wäre ich Mitglied der Academy und hätte Stimmrecht würde ich auf jeden Fall meine Stimme geben für Sorkin in der Kategorie Drehbuch (Adapted Screenplay). Dafür wie der Mark-Zuckerberg-Charakter geführt wird durch den Plot: immer problematischer werdend, Freunde, Partner verratend, und dabei zugleich immer verständlicher wird in seinen Motiven. Sorkin mag Zuckerberg nicht, das merkt man, aber er ist fair genug und Autor genug, ihn zu verstehen. Zu erkennen, dass es ihm nicht um Geld geht oder Macht oder Groupies oder Beliebtheit; nichts ist ihm so egal wie die Meinung anderer über ihn; das Einzige, was ihn interessiert, ist seine Idee: Facebook – nicht als eine Vision, sonders als ein Ding, das er zum Laufen bringt und das immer größer wird, eine Eigendynamik bekommt, und er mag ein retardierter Nerd sein ohne Einfühlungsvermögen für andere, aber das feine Gespür dafür, was zu tun oder lassen ist, um diesen sozialen Prozess sich frei entfalten zu lassen, das hat er. Drehbuch-Oscar für The Social Network. - Regie-Oscar. Ich gebe keine Prognose ab, ich kann nicht hellsehen, ich spiele, dass ich eine Stimme habe, und die würde ich abgeben für David Fincher. Für Druck, Sog, Tempo, Brisanz - Aktion in jeder Sekunde, in die er umsetzt einen Plot, der fast nur aus Dialogszenen besteht. Gegen Ende gibt es eine Sequenz, in der eine College-Ruderregatta gezeigt wird, imposant, spektakulär inszeniert. Die wirkt auf den ersten Blick aufgesetzt, ein oberflächlicher Versuch, Schauwert zu schaffen. Ist aber tatsächlich eine Art Rückblende. Blick zurück in die alte Welt, die Welt der großbürgerlichen Zwillinge Winkelvoss, die Zuckerberg Winklevi nennt und die er abzockt, Blick zurück mit  klassischem Kino.  - Keine Konkurrenz von The Social Network und The King´s Speech in der Kategorie Drehbuch. TSN ist ein adaptiertes Drehbuch (Vorlage: Ben Mezrich, The Accidental Billionaires). The King´s Speech basiert auf einem Original Screenplay und kriegt meine Stimme in dieser Kategorie. - Geschichte vom Versagen. Was für ein Versagen! Vor der Welt-Öffentlichkeit eine Radio-Ansprache halten und kein Wort über die Lippen zu bringen. Blamiert für alle Zeiten. Aber weil sein älterer Bruder abdankt, wird der Duke of York unerwartet König. Ein König, der stottert, der auf die Weihnachtsansprache im Rundfunk verzichtet deswegen. Doch dann die Kriegserklärung an Hitler-Deutschland. Der König muss sprechen zu seinem Volk. Dort Hitler - Hitler, gestottert hat er jedenfalls nicht. Hier, der König, der noch bei jeder öffentlichen Rede, die er bisher gehalten hat, versagte. Und als Helfer, als einzige Rettung ein verlotterter australischer Sprachtherapeut. Blender oder genialer Pädagoge? Altmodische Geschichte von der Freundschaft zweier ungleicher Männer. Rührend. Bewegend. Lachen. Weinen. Zweimal Tränen wegwischen während der Vorstellung. – Jetzt die Entscheidung. Die Stimme für den besten Film: The Social Network oder King´s Speech? – Keine schwere Entscheidung. Ich gebe, würde geben meine Stimme in der Kategorie Best Picture: The Social Network. Dafür, wie da Gegenwart sichtbar. spürbar, wie da Welt 2010/11 in 120 Minuten erlebbar wird: This is our time, sagt Napster-Gründer Sean Parker einmal euphorisch im Film und das gilt genauso für den Film selbst. – Bei meinem Votum für The Social Network würde ich annehmen, dass viele andere Academy-Mitglieder anders votieren – und wenn am Ende The King´s Speech den Oscar bekommt für den besten Film, dann würde es mich auch freuen. - Black Swan habe ich nicht gesehen. Aber wegen größter Sympathie seit ihrem ersten Auftreten in Mathilda (Leon - Der Profi) Stimme für Natalie Portmann in der Kategorie Actress in a Leading Role. - Beste Nebendarstellerin: Hier ganz klar die Entscheidung für Helena Bonham Carter, als die Frau von King George VI, die wir als Zeitgenossen erlebt haben als Queen Mum - Mum von Queen Elizabeth und Princess Margaret, die beiden im Film als kleine Mädchen zu sehen. Bei den Männern, Actor in a Leading Role, ist hoch favoritisiert King George-Darsteller Colin Firth. Er würde auch meine Stimme kriegen, wenn ich eine hätte. Ebenso wie Geoffrey Rush als kauziger Logopäde Lionel Logan. in der Nebendarsteller-Kategorie. Aber da kenne ich keinen einzigen der Filme mit den anderen Nominierten. - Die technischen Kategorien  (Kamera, Schnitt etc.) lasse ich weg. Also Bester Film, Regie und Drehbuch nach einer Vorlage: The Social Network. Bestes Original-Drehbuch, Bester Hauptdarsteller, beste Nebendarsteller: The King´s Speech. - Meine Wahl.  Keine Prognose. - Meine Empfehlung: Unbedingt beide Filme angucken!

Samstag, 19. Februar 2011

Bürgerlich

Blick auf die Turmuhr der Apostel-Paulus-Kirche: 15.15 Uhr. - Entschuldigen Sie bitte! – Ja? – Eine schwarz gekleidete bürgerliche Frau Anfang 40 fragt mich: Wissen Sie, wer der Besitzer dieses Hauses ist und wie man den erreicht? - Dabei blickt sie durch die geöffnete Tür des galerieartigen Ladens, vor dem wir stehen, und zeigt mir damit, warum sie mich das fragt. In dem kleinen Ladenraum, neben einem an die Wand gerückten Tisch. kniet in sich zusammengesunken die mir vom Vorbeigehen am Laden bekannte Besitzerin: eine bürgerliche Frau Mitte oder Ende 60. Strenges Damengesicht. Dezent gefärbte Haare. Meist mit Brille auf der Nase. Auch jetzt wieder. – Dass ihr die Brille beim Hinfallen nicht von der Nase gerutscht ist, obwohl sie aufs Gesicht gefallen zu sein scheint. Wahrscheinlich auf der Kante des Tisches, eines Couchtisches, aufgeschlagen. Ihre Mund- und Nasenpartie ist gerötet, aufgeschürft. Aber auf die Nase ist sie nicht gefallen. Kein fließendes Blut. – Soll ich Hilfe rufen? frage ich die in ihrem Lammfellmantel am Boden kauernde Dame und denke im gleichen Moment, dass der Akku meines Handys fast leer ist (wie ich festgestellt habe, als ich zuvor eine SMS bekommen habe von Julia, die sich mit mir verabreden möchte und mir vorher ein sexy Foto von sich schicken will, wenn ich es abrufe, indem ich okay sende, und dann werden mir dafür vermutlich 5 Euro in Rechnung gestellt). Die sichtlich benommene Dame will nicht, dass ich den Rettungsdienst anrufe. Sie schüttelt den Kopf. Und als die schwarz gekleidete Frau sie fragt, ob sie wirklich keine Hilfe haben will, da schüttelt die Dame noch mal den Kopf und winkt mit einer fahrigen Bewegung ab. – Ratloser Blick der hilfsbereiten Frau neben mir. - Lassen wir sie in Ruhe, sage ich. Wir gehen von der offenen Türe weg und bleiben nach ein paar Schritten stehen. - Wissen Sie denn nicht, wem das Haus gehört? fragt die Frau. – Ich könnte sagen: Verdammt, ich bin ein Passant. Woher soll ich wissen, wer der Besitzer dieses Hauses ist? Möglicherweise eine Erbengemeinschaft in Schwaben oder irgendeine Immobilien GmbH - bH für beschränkte Haftung. Aber selbst wenn es eine Gesellschaft mit voller Haftung wäre, erwarten Sie denn allen Ernstes, dass der Geschäftsführer sich in Zehlendorf in sein Auto setzt und hierher gebraust kommt, um sich um die gestürzte Dame zu kümmern?  - Aber das sage ich nicht, das denke ich nicht mal in diesem Moment. Ich versuche die Frau zu beruhigen: Die Dame ist, wie es aussieht, betrunken und will für sich sein, erkläre ich. – Darauf sagt die Frau: Als ich vorbeigegangen bin, habe ich es plötzlich knallen gehört und da bin ich natürlich stehen geblieben und wollte ihr helfen. – Klar, sage ich, aber wie wir gesehen haben, hat sie immer noch genug Energie gehabt, um sich dagegen zu wehren, dass wir ihr helfen. – Die Frau nickt. Wir verabschieden uns. Angenehme Person. Nette Frau. – Während ich weitergehe, denke ich an die Dame im Laden. Dass die trinkt! - Warum nicht? – Vielleicht war sie auf dem Winterfeldmarkt und hinterher hat sie mit Freunden zusammengesessen in einem Café oder sie hat in einem Weinladen zu viele Probierschlucke genommen oder sie ist bei einer Vernissage gewesen und hat da zwei Gläser zu viel abgekriegt. Danach ist sie noch mal kurz in ihren Laden gegangen, um etwas zu holen – deshalb stand auch die Tür offen – und dann ist sie ausgerutscht und hingefallen, beim Rausgehen – deshalb kauerte sie mit dem Gesicht zur Tür auf dem Boden. Dann ist auch schon die schwarz gekleidete Frau vor der offenen Tür gestanden und im nächsten Moment ich. Und da waren die zwei richtigen Helfer zusammen. Statt zu ihr zu gehen und zu gucken, wie schwer sie sich verletzt hat, und ihr aufzuhelfen, haben wir sie mit unserer Fragerei belästigt. So dass sie erleichtert war, als wir wieder weg waren, sie sich erst einmal wieder fassen konnte und ihr dann niemand dabei zugesehen hat, wie sie sich mühsam aufrappelte, schwankend, Halt suchend an der Wand. - Wenn es so war. Wenn es keinen anderen Grund für ihren Sturz gab. Und wenn sie alleine wieder hochgekommen ist. Wenn sie einfach nur nicht belästigt werden wollte in ihrer Notlage. Dann waren wir zwei tatsächlich die richtigen Helfer. Ich, der sich mal wieder wie auf Schienen bewegt hat. Und die nette bürgerliche Frau mit ihrer fixen Idee, den Hausbesitzer zu alarmieren. - Was hat sie sich nur davon versprochen? - Dass der Hausbesitzer die Angehörigen der Dame benachrichtigt? Damit die kommen und ihr aufhelfen? Damit wir ihr nicht zu nahe treten müssen mit unserer Hilfsbereitschaft?

Freitag, 18. Februar 2011

Dinner

Auf Bild.de was über ein Frischfleisch-Dinner im Grill Royal. Frischfleisch = Nachwuchsstars im Film- und Fernsehgeschäft, die es als Ehre betrachten dürfen, von Ufa Cinema und Teamworx eingeladen und als Frischfleisch bezeichnet zu werden. Teamworx ist Nico Hofmann, der stets strahlende Erfolgsproduzent von Fernsehereignissen wie Dresden, Die Sturmflut, Mogadischu und jetzt gerade Schicksalsjahre mit der extrem beliebten Maria Furtwängler. – Zur Trauerfeier für Bernd Eichinger in München erschien Nico Hofmann mit Veronica Ferres, mit der er nach übereinstimmenden Medienberichten befreundet ist. Auf einem Foto (der Badischen Zeitung), das die beiden auf dem Weg zu der Trauerfeier zeigt, bemerke ich, wie groß Veronica Ferres ist oder wie klein Nico Hofmann. Veronica Ferres wirkt sehr betroffen, während bei Nico Hofmann auffällt, wie er seinen Schal trägt. Zeitgemäße Schlaufenbindung. Aber der Schal nicht über dem Hemd um den Hals gelegt, wie viele andere das machen würden, sondern im weit geöffneten großen Hemdkragen. Das ist so was von geckenhaft, dass ich mich frage, steht ihm Frau Ferres vielleicht doch nicht so nahe, wie es in Medienberichten immer behauptet wird. Sonst würde sie ihm das doch sagen, wie daneben das aussieht. Oder steht sie ihm nahe, aber jeder, der mit ihm umgeht, weiß vielleicht, dass man da besser nichts sagt, sonst ist er während der ganzen Trauerfeier wieder verstimmt und lange hinterher auch noch? - Für diese Vermutung (Beratungsresistenz) spricht, dass es sich mit dem Frischfleisch-Dinner ähnlich verhalten könnte. Da hat er diese Idee gehabt, das so zu nennen, weil das ist zwar vulgär und ein Ausdruck, bei dem sich mittlerweile selbst ukrainische Mädchenhändler fragen, ob der noch in die Zeit passt, aber gerade deshalb ist er doch schon wieder gut und witzig in seiner abgestandenen Vulgarität, wird der Erfolgsproduzent da gedacht haben. Möglicherweise. Wenn er selbst gedacht hat. Denn es kann natürlich genau so gut sein, dass jemand aus seiner Umgebung oder jemand von der mit-einladenden Firma (Ufa Cinema) die Idee hatte zu dieser Bezeichnung, die natürlich auch nicht isoliert betrachtet werden kann. Der Dreh bei diesem Wortspiel ist nämlich, den Ausdruck Frischfleisch in den Kontext des edlen und teuren Restaurants zu stellen und dort, wenn ich das richtig verstanden habe, als weitere Umdrehung ganz banales Fleisch zum Dinner für die Nachwuchsstars servieren zu lassen. Oder ziehe ich da falsche Schlüsse? – Der Berichterstatter der Bild hat nämlich in der Nähe von Thomas Kretschmann gesessen, von dem ich gar nicht wusste, wer das ist (was an mir liegt, nicht an ihm) und wo ich auch nicht ganz verstehe, warum der dabei war. Denn er ist schon 48 Jahre alt und in Hollywood tätig, also niemand, der es sich gefallen lassen müsste, als Frischfleisch bezeichnet zu werden und das auch noch für eine Ehre zu halten in seinem brennenden Ehrgeiz. Auf jeden Fall hat der ein Steak gegessen und, wie der Berichterstatter der Bild beobachtete, hat die Regisseurin Mira Thiel (32) von Kretschmanns Teller genascht. Obwohl Mira Thiel, wie der Berichterstatter der Bild beobachten konnte, dem Kretschmann das Steak danach keck zum Weiteressen angeboten hat, wollte der es nicht mehr und hat sich ein frisches Stück Fleisch bestellt. Worauf der Berichterstatter, der Thomas Kretschmann gut zu kennen scheint, gedacht hat: Er ist doch sonst auch nicht so. Bei seiner Ex, Shermine Shahrivar (28) hat er sich nie daran gestört, dass andere schon daran geknabbert hatten. – Nicht an ihr, sondern daran: also an ihrem Fleisch. - Da geht es zu! – Ich habe jedenfalls erst gedacht, dass da alle Fleisch, also Steaks serviert bekommen haben. Aber jetzt merke ich, dass das ein Trugschluss gewesen ist. Denn warum hätte Mira Thiel vom Steak ihres Tischnachbarn abbeißen sollen, wenn ihr selbst ein Steak serviert worden wäre? Einfach nur, um ihn zu necken? Weil sie weiß, wie eigen Herr Kretschmann bei seinen Steaks ist. Ganz anders als bei seinen Frauen, wie der Berichterstatter der Bild jetzt wahrscheinlich anmerken würde. Ende Abschweifung. Frischfleisch-Dinner. Nico Hofmann. Wie der ist. – Warum interessiert mich das? – Weil der so erfolgreich ist und ich nicht. Und: Weil es so ist, dass mir Leute, die erfolgreich sind, meist gefallen und dann versuche ich, mir von denen was abzugucken. Bei Nico Hofmann ist es jedoch so, dass ich persönlich zwar überhaupt nichts gegen ihn habe. Im Gegenteil. Ich habe ihn vor vielen Jahren, in Mannheim war das, bei einem Abendessen bei einer gemeinsamen Freundin kennengelernt und habe ihn von daher in angenehmer Erinnerung. Und seine Arbeiten als Regisseur fand ich entweder beeindruckend (Der Sandmann) oder gar nicht so schlecht (Solo für Klarinette). Aber seit er als Erfolgsproduzent fürs Fernsehen auftritt, da frage ich mich jedes Mal, wenn ich ihn sehe, was das für einer ist. Ich werde es mich weiter fragen. – Fortsetzung folgt.

Donnerstag, 17. Februar 2011

Kinderwagen

Schon wieder Akazienstraße. Wieder hin zur Ecke mit dem Feinkostladen Südwind und dem Café Sud. Hin zu, denn es ist eine bewegte Szene. Hinteransicht einer telefonierenden Frau, die einen Kinderwagen schiebt. Sie telefoniert anscheinend mit ihrem Mann in einer Handwerker-Angelegenheit; ich höre nicht richtig hin, weil ich noch nicht weiß, dass ich es gleich mit ihr zu tun haben werde. Die Frau fällt mir auf, weil sie zu ihren schwarzen Jeans einen taillierten braunen Kurzmantel trägt und die Decke, die Zudecke des Kinderwagens, auch braun ist. Bei näherem Hinsehen erkenne ich, dass es sich um eine Art Spanndecke handelt, die in den Kinderwagen integriert oder eingeknöpft ist, eine Decke mit einer Öffnung an der Kopfseite, in die man das Kind hineinsteckt. Das nehme ich an. Ich sehe es nicht, die Öffnung nicht und auch das Kind nicht, wie es im Wagen unter der Spanndecke liegt, denn ich komme nicht an der Frau und dem Kinderwagen vorbei. Ich habe es links versucht, da war es zu eng. Ich hätte mich vorbei drängen müssen und dabei vielleicht den Kinderwagen bedrängt. Das wollte ich nicht. Also wechsle ich zur anderen Seite, um rechts an der Frau mit dem Kinderwagen vorbei zu gehen. Wieder zu eng. Ich müsste mich vorbeidrängen, würde dabei vielleicht den Kinderwagen bedrängen. Das will ich nicht.  Ich wechsle zurück auf die linke Seite, um links an der Frau vorbei zu gehen. Zu eng! Das gibt´s doch nicht! Bei der Breite eines Berliner Bürgersteigs. - Die Frau fährt Schlangenlinien! - Geschwind wechsle ich zurück auf die rechte Seite. Wieder! Zu eng! Kein Zweifel mehr. Sie fährt Schlangenlinien. Rasch zurück auf die linke Seite. Jetzt endlich: die Lücke! Ich kann überholen. Ohne die Frau anzusehen, sage ich im Vorübergehen mürrisch: Können Sie nicht geradeaus fahren?
Zu meiner Überraschung reagiert sie darauf: Schieben Sie mal einen Zwillingskinderwagen und telefonieren dabei, sagt sie.
Ich blicke zur Seite auf den Kinderwagen. Zwillinge. Hintereinander in dem Wagen liegend. Kein extra breiter, ein extra langer Kinderwagen. Ich sage: Ist schon gut. War nicht so grimmig gemeint.
Sie vorwurfsvoll: Das hat sich aber sehr grimmig angehört.
Ich drehe mich zu ihr um. Sie ist Mitte Dreißig, hat lange glatte braune Haare und ein scharf geschnittenes Gesicht. Nicht hübsch, nicht hässlich. Handy am Ohr. Ich sage: Es war nicht grimmig gemeint. Es war nur vorübergehend unmöglich, an Ihnen vorbei zu kommen.
Sie: Kann ich jetzt bitte weiter telefonieren?
Ich: Ich habe das Gespräch nicht angefangen. – Doch, habe ich, aber … . - Egal.
Sie, wieder ins Telefon: Ich werde hier gerade von der Seite ange - .
Den Rest höre ich nicht mehr, da ich schnell weitergehe. Verärgert. Ich bin schon den ganzen Tag angefressen und jetzt auch noch sie mit ihrer Überheblichkeit: Schieben Sie mal einen Zwillingskinderwagen und telefonieren dabei! - Wer zwingt sie dazu? - Meine Lippen formen einen Konsonanten und einen Vokal. Aber obwohl es niemand hören könnte und ich es nur leise vor mich hin gezischt hätte, unterdrücke ich das Wort. Weil ich es mir prinzipiell verbiete, dieses Wort zu gebrauchen gegenüber einer Frau, da es vulgär und sexistisch ist und außerdem tautologisch. Wenn, dann würde ich das Wort zu einem Mann sagen, aber auch erst, nachdem ich mich davon überzeugt habe, dass ich ihm im Ernstfall körperlich gewachsen bin. – Ich beruhige mich und denke: Was hätte sich aus dem Dialog eben alles machen lassen, wenn die Beteiligten mehr Humor gehabt hätten. - Ein Stück weiter denke ich: Was hätte mein Vorbild Buster Keaton aus dem Slapstick am Anfang der Szene alles gemacht. – Als ich die  Haustür aufschließe, denke ich: So schlecht ist die Szene doch gar nicht gewesen. Und am besten darin war der Satz: Schieben Sie mal einen Zwillingskinderwagen und telefonieren dabei!

Mittwoch, 16. Februar 2011

Unsterblich

Unterschied: Wenn ich rauskriege, dass jemand mich angelogen hat, bin ich böse auf ihn. Wenn mir aber jemand sagt, ich flunkere eben ab und zu, dann kann ich damit umgehen, auch wenn ich annehme, dass das häufiger vorkommt als ab und zu. Peter hatte morgen einen Termin in einer medizintechnischen Praxis zur MRT in der Eisenacher Straße. Der Termin wurde abgesagt von der Praxis, erzählt Peter; verschoben der Termin, weil vorher erst eine Blutuntersuchung gemacht werden muss zur Ermittlung des Kreatininwerts. Mit dem lässt sich beurteilen, ob die Nieren funktionieren, so wie sie zum Beispiel funktionieren müssen, damit ein Patient das Kontrastmittel verträgt, das ihm gespritzt wird vor der MRT. – Warum geht der Peter jetzt in die Praxis in der Eisenacher Straße zur MRT? Sollte die nicht in der Charité gemacht werden, in der Luisenstraße bei einem Dr. S.? Und überhaupt, ist Peter da nicht schon mal gewesen? Nur, dass die Aufnahmen nichts geworden sind, zumindest nicht so waren, dass sie Prof. B., bei dem Peter nun auch schon mehrfach gewesen ist, gefallen haben und er entscheiden konnte, ob die Knubbel am Hals von Peter harmlos sind, aber trotzdem irgendwann mal entfernt werden sollten, oder ob sie bösartig sind und deshalb so schnell wie möglich weg müssen. Denn sind sie bösartig, dann streuen die auch in den ganzen Körper und dann hilft alles Reden nichts und dann hilft auch kein Flunkern mehr - wenn man wie Peter nicht an die Unsterblichkeit der Seele glaubt. – So wie es sich jetzt darstellt, ist Peter aber nie bei Professor B. gewesen, weil keine MRT bei ihm gemacht wurde. Nicht gemacht werden konnte, da kein Kreatininwert vorlag, nicht vorliegen konnte, da er nicht zur Blutuntersuchung war. Bei irgendeinem Arzt, denn im Prinzip  könnte er das auch an einem medizinischen Kiosk machen lassen: Blut abnehmen, dann schicken sie die Blutprobe in ein Labor und drei, vier Tage später liegen die Werte vor. Doch so einfach ist das nicht gewesen bei Peter. Den Termin für die MRT am Montag musste er daher erneut absagen. Darauf hat es denen in der Charité gereicht: Wenn Sie an die Unsterblichkeit Ihrer Seele glauben, dann viel Erfolg! Aber die MRT können Sie woanders machen lassen. - Zum Beispiel in der Eisenacher Straße. Angenommen, Peter hat da angerufen und tatsächlich von Montag, nachdem die in der Charité abgewinkt hatten, von Montag auf Donnerstag einen Termin gekriegt, was selbst bei einem Privatversicherten erstaunlich fix ist. Nur mal angenommen. Da haben die ihm gesagt: Kreatininwert, also Blutuntersuchung. Nun weiß er allerdings jetzt schon, dass er diese Blutuntersuchung nicht gemacht hat und bis morgen auch nicht mehr hinkriegt (inklusive Laborergebnisse), also hat nicht die Praxis den Termin abgesagt, wie er mir vorhin erzählt hat, sondern er hat es getan, oder er behauptet mir gegenüber, es getan zu haben, und er wird den Termin nachher noch absagen oder morgen erst oder gar nicht. Mit der Folge, dass die in der Praxis in der Eisenacher Straße auch bald die Schnauze voll haben von ihm. – Nun waren wir uns neulich einig, dass er Angst hat vor der Diagnose der Knubbel an seinem Hals, und zwar nicht nur, weil er ein Feigling ist, sondern weil er das schon mal erlebt hat, die schlimmstmögliche Nachricht zu bekommen (die Ärztin, die ins Zimmer kam, den Daumen hob, Bingo sagte und damit meinte: Zungenbodenkarzinom). So gesehen relativiert sich auch das, was er Flunkern nennt und ich Lügen. Wenn er auf meine strengen Nachfragen wahrheitswidrig antwortet, dass er bei der MRT und bei Professor B. war, dann ist das nichts anderes als ein verständliches Abwehrverhalten, mit dem er seine Angst schützt vor mir. Vor mir, der will, dass er die Angst, es könnte etwas Schlimmes sein, ersetzt durch die Erleichterung, dass es nichts Schlimmes ist, oder durch die Gewissheit, es ist was Schlimmes, aber so schlimm vielleicht auch wieder nicht, denn wahrscheinlich kann man noch was dagegen machen. – Morgen hat Peter einen Termin beim Amtsarzt. Keine Frage, dass er da hingeht. Nachher kommt sein Sohn und bringt ihm den neuen Rasierapparat, den er bei seinem Auszug mitgenommen hat. – Fehlt nicht viel, dass du dir eine Krawatte anziehst zu dem Termin, sage ich. – Ich habe gar keine, antwortet er. – Peter, das war ein Witz. – Witz darüber, wie er alles tut, um morgen einen guten Eindruck zu machen. Er hat heute sogar schon den Dialog geübt mit dem Amtsarzt. Bloß nichts dem Zufall überlassen! Er will so rüberkommen, dass der Amtsarzt gar nicht anders kann, als ihm die Arbeitsfähigkeit zu bescheinigen, so dass er spätestens ab 1. April wieder arbeiten gehen kann. Dass er arbeiten kann noch dreieinhalb Jahre bis zu seiner Pensionierung, das ist das Wichtigste. Dass er bis dahin noch lebt, das ist nicht so wichtig. – Auch eine sehr deutsche Einstellung, die du da hast, sage ich zu ihm. Da lacht er. - Es  kann natürlich sein, dass Peter flunkert, wenn er sagt, dass er nicht an die Unsterblichkeit seiner Seele glaubt. Je länger ich es mir überlege: er flunkert. – Also überhaupt kein Problem, wenn man es weiß, dass jemand lügt, auch wenn er Wert darauf legt, dass das Lügen Flunkern genannt wird, dass es nur ab und zu vorkommt, und wenn er nicht nur andere anlügt, was für böswillig gehalten werden könnte, sondern auch sich selbst, so dass das Anlügen der Anderen nur eine unvermeidliche und deshalb verzeihliche Folgeerscheinung ist.  – Jetzt muss ich nur mal so konsequent sein, endlich mit dem Rauchen aufzuhören. Denn ich glaube nicht an die Unsterblichkeit meiner Seele. Und ich lüge nicht.

Dienstag, 15. Februar 2011

Isabella

Epilog Filmfestspiele. Kein Film im Programm, den ich unbedingt sehen will. Auch nicht den von Miranda July, nachdem ich die Inhaltsangabe gelesen habe. Die klingt zwar erst vielversprechend, weil von Details abgesehen wie nach meinem Leben und dem einer mir entfernt nahestehenden Person: The Future erzählt die Geschichte eines Paares in den Dreißigern, dessen Leben auf der Stelle tritt. Alle Versuche, private oder berufliche Erfüllung zu finden, scheitern an den eigenen Ängsten, an Ablenkungen durch Träumereien und vertrödelter Zeit im Internet. - Doch dann Stirnrunzeln: Als Sophie (Miranda July) und Jason (Hamish Linklater) eine schwer kranke Katze bei sich aufnehmen, bleiben ihnen vier Wochen, bis sie den neuen Hausgenossen zu sich holen. Die Katze wird rund um die Uhr Betreuung benötigen. Trotz aller guten Absichten fürchten sich Sophie und Jason davor in ihrer Freiheit eingeschränkt zu werden. Die Unsicherheit führt beide auf verschiedene Wege. Sophie lernt einen Fremden kennen, der sie aus ihrer gewohnten Bahn lenkt. Die Kluft zu Jason wird immer größer. - Nein, da bin ich aus meinem Leben ganz andere Absonderlichkeiten gewohnt (siehe oben: eine mir entfernt nahestehende Person). Und eine schwer kranke Katze als McGuffin (Vorwand, um eine Geschichte zu erzählen) ist auch nicht gut. Da fühle ich zu sehr mit. Paare im Trennungsschmerz, sich mit großen scharfen Messern massakrierende Paare, sich mit großkalibrigen Feuerwaffen beschießende Paare oder sich gegenseitig in die Luft sprengende Paare, das kann sogar lustig sein (Mr. and Mrs. Smith) - aber eine Katze, die leidet, das halte ich nicht aus. Im Leben nicht und auch nicht auf der Kinoleinwand. Am schlimmsten die Vorstellung, dass Sophie und Jason vielleicht wieder zusammenfinden und beschließen, die Katze ihrem Schicksal zu überlassen, weil sie erkennen, dass sie nun endlich erwachsen werden müssen und sie sich mit der Katze nur einen Kindheitswunsch erfüllen wollten, den sie bald nicht mehr haben, weil sie jetzt erwachsen werden. – Der Film läuft im Wettbewerb. Er wird also auf der sehr großen Leinwand im Berlinale Palast gezeigt. Da hat ihn – heute in der Vorstellung um 12.15 Uhr - auch Isabella Rossellini, die diesjährige Jury-Präsidentin  gesehen. Das dürfte nicht einfach für sie gewesen sein. Denn sie ist sehr, sehr tierlieb. – Sie war einmal mit David Lynch zusammen. Als sie sich kennenlernten, in einem Restaurant, da ist er an ihren Tisch gekommen und hat sich entschuldigt für seine Aufdringlichkeit, aber er könne nun mal nicht anders, er müsse es ihr sagen: Sie sehen aus, wie eine Tochter von Ingrid Bergmann. – Worauf sie gesagt hat: Ich bin eine Tochter von Ingrid Bergmann. – Das war ein starker Anfang. Es ging auch ein paar Jahre gut. Es wäre vielleicht sogar lebenslang gut gegangen. Doch dann ist sie eines Nachts - es war in der Wohnung von David Lynch – hungrig zum Kühlschrank gegangen, hat ihn geöffnet und sah – im unbarmherzigen Licht der Kühlschrankbeleuchtung – ein seziertes Kaninchen auf einem Teller liegen. Nicht etwa gebraten und dann nicht ganz aufgegessen. Seziert! Von dem Mann, mit dem sie eben noch das Bett geteilt hatte. Worauf sie sich angezogen, ihr Täschchen gepackt hat und gegangen ist. Für immer. – Isabella kommt aus einer Künstlerfamilie. Mama: siehe oben. Papa: Roberto Rossellini, der Meisterregisseur des Neorealismo (Roma, città aperta; Paisà; Stromboli; Viaggio in Italia).  Neorealismus! - Da ist Frau Rossellini bestimmt aus ihrer Kindheit einiges gewöhnt. Aber auch künstlerische Freiheit hat ihre Grenzen, und die sind da, wo das Sezieren von Kaninchen beginnt. Für Isabella Rossellini. In der Anekdote über die Trennung von David Lynch. Kann natürlich sein, dass die erfunden ist, und die beiden haben sich aus ganz anderen Gründen getrennt. Vielleicht, weil er eines Tages zu ihr sagte: Es reicht nicht, die Tochter von Ingrid Bergmann und Roberto Rossellini zu sein! – Und diesen Satz hatte sie schon so oft gehört, aber dieses Mal, das war das eine Mal zu viel. Da hat sie ihr Täschchen gepackt und ist gegangen. Aber dann hat sie es ihm gezeigt, dem David Lynch, der sie in Blue Velvet nackt und wahnsinnig in den Vorgarten des Hauses der Eltern von Laura Dern gestellt hat, die darauf losheulte und dabei ein solches Weingesicht gemacht hat, dass man als Zuschauer unwillkürlich lachen musste. – Worauf ich hinaus will: Ganz gleich, was alles über sie kolportiert wird, die Tierliebe von Isabella Rossellini ist verbürgt. Sogar dokumentiert. In zwei Filmprojekten. Green Porno und Seduce me. Grün ist der Porno, weil er für Artenschutz eintritt. Und ein Porno ist es, weil es darin um das Sexualverhalten von Tieren geht. Meine Lieblingsstelle ist in dem Film über die Seeelefanten (anklicken: Green Porno All - Harem at the Beach), die Szene, in der ein Seeelefant am Strand mit einer Geschwindigkeit, die dem unbeholfen sich bewegenden, massigen Tier nicht zuzutrauen gewesen wäre, auf Frau Rossellini zuhält, und sie wie ein kleines Mädchen Schutz sucht hinter dem Rücken des Biologen, der ihr gerade das Paarungsverhalten der Seeelefanten erklärt. – Schön ist auch der Film über die Delfine (anklicken Seduce me All - Dolphins), denen außer Sex mit anderen Tierarten keine Spielart menschlichen Sexualverhaltens fremd ist. Am allerschönsten ist jedoch der Film über die Enten (anklicken Seduce me All - Duck), in dem Isabella Rossellini einfühlsam ein Entenweibchen verkörpert. – Isabella Rossellini. Green Porno. Seduce me. Wenn man böswillig sein will, kann man sagen, die Filme sind die sympathische Arbeit einer höheren Tochter. Man kann es aber auch so sehen: Wenn man die Filme albern findet, muss man sich einfach nur vorstellen, dass das die Tochter von Ingrid Bergmann und Roberto Rossellini ist, die jetzt gerade einen Shrimp oder eine Ente verkörpert. Ich fand die Filme nicht albern. Ich fand nur, dass Isabella Rossellini ganz schön füllig geworden ist um die Backen, und habe mir gedacht, dass müssen die Gene vom Papa sein.

Montag, 14. Februar 2011

Filmfestspiele 3

Nachdem ich gestern gerade mal 20 Minuten draußen war - um Zigaretten zu kaufen und einen Film auszuleihen (The Social Network) - , heute zu Fuß zum Potsdamer Platz. Berlinale-Betrieb gucken. Vor dem Berlinale Palast eine großflächige Video-Projektion. Zu sehen: eine attraktive alte Frau präsentiert sich den Fotografen. – Wer ist das? Kenne ich doch. Pina Bausch - gestern im Film von Wim Wenders zu sehen (Pina) – kann es nicht sein. Wer ist das denn? Tolle alte Frau. Ich komme einfach nicht drauf. - 50 Meter weiter. Gedränge hinter einer Absperrung. – Auf wen warten die Leute? frage ich zwei Polizisten. Der Witzige sagt: Würden wir auch gerne wissen. – Der Korrekte sagt: Da kommen nachher die Teilnehmer der Pressekonferenz raus. – Weiter zum Ticket-Verkauf in den Arkaden. Nur mal gucken. Überschaubare Schlangenbildung an den beiden Kassen. Eintrittspreise 8 bis 12 Euro. In einem Kino 59 Euro!– Was? – Ach so: Kulinarisches Kino. Was immer das ist, da gibt es was zu essen. Ein Stück weiter, vorbei an der Ausstellung von alten Filmkameras, eine Sitzlandschaft mit Regalen, auf denen das Berlinale Journal mit dem Festival-Programm ausliegt. Ich schlage eines auf, irgendwo in der Mitte. Auf der rechten Seite: Gedenk-Anzeige für Bernd Eichinger. Erinnerung an die Filme, die er beim Berliner Festival präsentiert hat: Fräulein Smillas Gespür für Schnee (1997) und Elementarteilchen (2006). Und 2007 hat er auf dem Berlinale Talent-Campus voller Energie mit dem internationalen Filmnachwuchs diskutiert. Weiter im Text: Oh ja, Bernd Eichinger brachte immer den Rock´n´Roll ins Filmgeschäft, schön laut, schön sinnlich und mit ganzer Kraft. Dass seine Musik jetzt verstummen soll, kann ich nicht so recht glauben. Rock´n´Roll will never die. Bernd Eichinger auch nicht. – Wer ist ich? – Dein Dieter Kosslick (Festivaldirektor). So sieht er aus. Rock´n´Roll. – Mein Rock´n´Roll führt mich jetzt auf die andere Straßenseite zum Sony Center. Unterwegs, vor dem Überqueren der Potsdamer Straße, ein neuer beiger BMW mit bulliger, protziger Karosserie, aber irgendwie gut futuristisch aussehend, biegt vom Festival-Areal kommend um die Ecke. Am Steuer eine Frau. Münchner Nummernschild. Im Berliner Alltag sehe ich solche Autos nicht. Wer hier so ein Auto hat, der lässt es lieber zu Hause. – Auch im Sony-Center eine Video-Projektion. Die tolle alte Frau sitzt jetzt auf dem Podium einer Pressekonferenz neben ihrem Regisseur. Und sie ist Vanessa Redgrave. Jetzt, da ich sie sprechen höre, dieses klare, distinguierte Englisch, erkenne ich sie. Der Film, um den es geht, ist um 12 Uhr im Wettbewerb im Festival Palast gelaufen, die englische Produktion Coriolanus. Regie: Ralph Fiennes. Darsteller: Ralph Fiennes, Gerald Butler, Vanessa Redgrave, Brian Cox. – Coriolanus von William Shakespeare. – Eine junge Journalistin fragt Frau Redgrave, wie es für sie war, das Shakespeare-Englisch zu sprechen. Frau Redgrave antwortet, dass sie als kleines Mädchen in die Kirche gegangen ist. Da wurde sie vertraut mit der Sprache der King James Bible. Und die Sprache Shakespeares sei keine andere als die Sprache der King James Bible. – Das ist nun nicht so spannend, dass man deshalb wie angewurzelt in der Kälte inmitten des zugigen Sony Centers stehen müsste. Trotzdem stehe ich – ich weiß nicht mehr wie lange - da wie angewurzelt und starre fasziniert hoch auf die Video-Projektion. Fasziniert vom schönen Gesicht der alten Frau und ihrer gelassenen Lebhaftigkeit. Leinwandgöttin gab es mal als Begriff. - Nachdem es mir doch zu kalt geworden ist, komme ich auf dem Weg nach draußen an einer jungen Frau vorbei, die rauchend vor dem Sony Style Shop steht. Da steht im Pullover, Arme vor der Brust verschränkt, um sich vor der Kälte zu schützen. Eine Verkäuferin aus dem Sony Shop? Sie schaut hoch zur Video-Projektion; immer noch Vanessa Redgrave groß im Bild. Ist die junge Frau so fasziniert wie ich es gerade war? - Erst später erinnere ich mich an meine neue Rolle des leutseligen älteren Mannes und dass ich sie danach hätte fragen können.

Sonntag, 13. Februar 2011

Filmfestspiele 2

Also noch mal rein zum Empfang. Anja im Gespräch mit Steffen. Ich will nicht stören, stelle mich hinter sie und warte, bis alles besprochen ist. Dann erst mache ich mich bemerkbar, indem ich von hinten an Anjas Oberarm tippe. – Anja: Hey! - Begrüßung. - Toller Empfang, sagt sie. Gute Leute. Gute Gespräche, die sie hatte. Ob ich auch gute Gespräche hatte? – Ich murmele etwas im Sinne von: wider Erwarten ja. Ich fühle mich gerade schwerfällig und es ist mir lieber, wenn sie redet. Sie sagt, dass sie sich sehr gefreut hat über das, was ich ihr geschrieben habe. In meiner Mail. Oder hat sie gesagt: was ich  ü b e r  sie geschrieben habe? In dem Post Treffen? – Ich verstehe sie so schlecht. Es ist laut da vorne am Eingang und stickig und zu warm außerdem. – Ich setze zu einer Erklärung an, warum ich auf ihre Antwort-Mail nicht reagiert habe. Wir sehen uns beim Pegasus-Empfang zu den Filmfestspielen, hatte sie geschrieben. Na gut, habe ich mir da gedacht, dann also erst im Februar. – Sie sagt: Du bist auch so einer, der sich zu viel denkt. – Das stimmt. sage ich und hätte hinzufügen können: Aber so viel auch wieder nicht. Ich will nur unser Gespräch vom September fortsetzen, das mir so gut gefallen hat. Ich könnte auch sagen: Alles, was ich will, ist etwas mit ihr zu tun zu haben. – Für eine solche Grundsatzerklärung kennen wir uns jedoch nicht gut genug. Ich sage, dass ich ihr gerne noch ein paar Fragen stellen würde zum Hotel Michelberger und was sie dort genau macht. Plus: Sie hat doch erzählt, dass sie schreiben möchte. Und wenn es so sein sollte, dass sie fürs Fernsehen schreiben will, dann ist das ein großes Thema: das Hotel Michelberger. Da könnte sie was draus machen - fiktional ausgesponnen - und dabei könnte ich ihr helfen. – Aber Anja hat sich schon etwas anderes überlegt. Ob ich den Fragebogen von Max Frisch kenne? – Von wem? – Max Frisch. Kennst du doch, – Klar. – Kennst du seine Tagebücher? – Nur die ersten beiden. - Da gibt es den Fragebogen, den er entworfen hat. – Muss im dritten Tagebuch sein, das ich nicht kenne. - Diesen Fragebogen will sie verteilen an die Mitglieder des Michelberger-Teams. – Verstehe. – Ihre Art, was darüber zu machen. Nicht so etwas Stereotypes wie der Plan, die Michelberger-Geschichte in einem Serienkonzept zu verwerten. Reicht, wenn sie in Fernsehproduktionen als Schauspielerin mitwirkt , da will sie nicht auch noch fürs Fernsehen schreiben. Ich will das eigentlich auch nicht mehr. Ich dachte nur, weil das ein schöner Berlin-Stoff ist: die Leute aus kreativen Berufen, die sich mit dem Hotel einen Nebenjob mit sicherem Verdienst verschafft haben, und dann das Hotel selbst, Warschauer Straße, spannende Gegend, die Gäste aus aller Welt, Musiker, Künstler, der Chelsea-Hotel-Touch. – Vorstellung vom letzten September, nachdem Anja so begeistert von dem Hotel erzählt hatte. Jetzt merke ich, das einzig Gute an dem Plan war, dass ich so das Gespräch mit Anja hätte fortsetzen können und was mit ihr zu tun gehabt hätte. – Anja ist mal eben weg für kleine Mädchen, wie sie sagte. Ich warte auf sie und weiß jetzt auch nicht. – Als sie zurückkommt, ich: Das ging ja schnell. – Sie: Ich bin schnell. – So wird das nichts mit der Fortsetzung des Gesprächs, das mir so gut gefallen hat im September.  - Auftritt einer sehr süß aussehenden blonden jungen Frau. Kollegin von Anja, die sie gerade kennengelernt hat. iPhones; Austausch von Telefonnummern. Nehme ich mal an. Denn ich höre nicht zu. Ich sehe mich um, fühle mich schwerfällig, weiß nicht. Anja fragt mich, ob ich eine Zigarette für die Kollegin habe. Ich halte der sehr süß aussehenden jungen Frau die Packung hin und sie bedankt sich so sehr für die Zigarette, dass es zu viel ist. Ich schlage Anja vor, auch rauchen zu gehen. – Anja sagt: Rauchen? Na gut. – Doch vorher muss sie sich noch von Ute verabschieden, ihrer Ansprechpartnerin bei Pegasus. Jetzt erst wird mir klar, dass Anja am Gehen ist. Sie hat nämlich noch drei Einladungen an diesem Abend. Alle ihre Berlinale-Einladungen sind an diesem Abend. - Draußen die sehr süße blonde Frau mit ihrem Freund. Die sehr süße blonde Frau heißt Carla und es zeigt sich, dass sie auch sonst so ist wie sie sich zuvor für die Zigarette bedankt hat. Nein, nicht zu sehr, nicht zu viel. Sie ist einfach so. Eindringlich? - Schweizerin aus Locarno. Muttersprache daher Italienisch. Ihr Englisch ist besser als ihr Deutsch. Sie muss ihr Deutsch verbessern. Einer der Gründe, warum sie in Berlin lebt seit Oktober. Hoffentlich verbessert sie ihr Deutsch nicht zu sehr, denn ihr Akzent ist hinreißend. – Ich bin ein Bergkind, sagt sie. – Das sieht man dir nicht an, sage ich. – Aber ich bin es, sagt sie. Innen drin bin ich es. – Wir sprechen über Rätoromanisch. Der für mich typische Gesprächsbeitrag: Das ist das eigentliche Schweizerisch, hat Jean-Luc Godard neulich einmal in einem Interview gesagt. – Das stimmt, sagt Carla. Unbedingt. - Sie spricht Rätoromanisch und sie liebt es. – Zweimal ein strenger Blick von Anja zu mir und Carla. Anja unterhält sich mit dem Freund Carlas. Vielleicht immer noch darüber, wie schwer es ist, Karten für die Berlinale zu bekommen, wie er am Anfang des Gesprächs beklagt hat. Am Morgen haben sie sich angestellt; 250. Warteposition; sie haben Leute mit Schlafsäcken gesehen, die da übernachtet hatten; schließlich haben sie aufgegeben. – Es an einer der kleinen Theaterkassen in den Bezirken versuchen, habe ich vorgeschlagen. Anja hat darauf hingewiesen, dass man meist vor der Vorstellung an der Abendkasse noch Karten bekommt. -  Die Zigaretten sind zu Ende geraucht. Anja beginnt sich zu verabschieden. Wenn Carla und ihr Freund wollen, im Michelberger findet um 23 Uhr die Party zu dem Film über die Band 1000 Robota statt, der am Abend auf der Berlinale gezeigt wird – da kann sie die beiden mitnehmen. Dich auch, sagt sie mit Blick zu mir. Die Band wird bei der Party spielen. Mittags war sie beim Soundcheck dabei. Hat sich gut angehört. Sie wiederholt die Einladung. Carla soll sie anrufen, wenn sie und ihr Freund kommen wollen. Und noch mal: Ich soll auch kommen. – Aber ihr skeptischer Blick weiß schon: das ist mir als Frühaufsteher zu spät oder ich bin zu faul. – Das auch. Aber vor allem muss ich nachher noch Blog schreiben. Den Textentwurf vom Nachmittag überarbeiten. – Am nächsten Morgen werde ich auf SPON den Artikel über 1000 Robota lesen und es doppelt bedauern, dass ich mich mal wieder wie auf Schienen bewegt und die Einladung nicht angenommen habe. – Jetzt muss Anja aber dringend los. – Ich gehe auch, ich begleite dich noch ein Stück. – Ich bin mit dem Auto da. Das steht direkt gegenüber. – Dann begleite ich dich auf die andere Straßenseite (Andere Straßenseiten sind zentraler Bestandteil meines Lebens. Insiderwitz. Entschuldigung!). – Das Auto Anjas ist ein Smart. Ich frage: Hat es dich wirklich gefreut, was ich über dich geschrieben habe? – Ja, sehr. – Im Nachhinein kam es mir so plump und aufdringlich vor. – Ach was! – Bei der Begrüßung, als ich ihr die Hand gegeben habe, da hatte ich das Gefühl, dass sie das als förmlich empfunden hat. Jetzt verabschiede ich mich mit Wangenküssen und habe danach das Gefühl, dass sie das überrascht hat und es ihr unangemessen  vorkam. - Tschüss, Anja! Ich schreibe dir. – Aber was? überlege ich, als ich durch die Knesebeck Richtung Kudamm gehe. – Antwort: Steht alles im Posting von heute. Deshalb ist es so lang geworden.

Samstag, 12. Februar 2011

Filmfestspiele 1

Pegasus
Empfang anlässlich der Berlinale 2011
Wir laden Sie
(handschriftlich) Wolfgang Gensheimer
Herzlich ein
am Freitag, den 11. Februar 2011. 17-19 Uhr
in das Sachs,
Knesebeckstraße 29, 10623 Berlin
Jedes Jahr wieder frage ich mich, wie die Zeitangabe 17 – 19 Uhr zu verstehen ist. Denn der Empfang dauert doch immer viel länger – und ist es nicht so: die Leute bleiben so lange, wie es ihnen gefällt, und die meisten alleine schon deshalb nicht so lange, weil sie noch zu einer anderen Party gehen müssen, wie gestern zum Empfang des Verbandes der Drehbuchautoren, der im Anschluss an den Pegasus-Empfang stattfand? – Weil ich später kam (gegen 18.20 Uhr) und anders als sonst länger als bis 19 Uhr blieb, erhielt ich endlich eine Antwort auf meine Frage, obwohl ich sie gar nicht gestellt hatte, sondern nur eine Cola light bestellen wollte. – Darauf sagte der Barkeeper: Aber das kostet. – Ich: Wie? – Barkeeper: Ab 19 Uhr muss für die Getränke bezahlt werden. – Ich: Verstehe. – Vorher war ich gleich beim Hereinkommen von Steffen freundlich willkommen geheißen worden. Ich hatte mich nach Anja umgeschaut und gedacht, dass es auch sein könnte, dass sie schon wieder weg ist, oder dass ich sie in dem Gedränge übersehen werde; was sehr schade wäre, denn hauptsächlich ihretwegen, um sie zu treffen, war ich gekommen. Darauf hatte ich am Buffet gestanden und etwas gegessen. Ein gutaussehender Mann Mitte 30, wahrscheinlich ein Münchner - die gutaussehenden Leute aus der Film- und Fernsehbranche sind fast immer Münchner -, ein gutaussehender Mann hatte mich gefragt, wie die Mini-Buletten sind, und ich hatte geantwortet, dass ich das nicht sagen kann, da ich sie noch nicht probiert habe. – Aber Sie werden sie gleich probieren? – Ja. – Dann warte ich so lange, weil Sie sehen so aus, als würden Sie auf Qualität achten. – Geschmeichelt habe ich darauf eine noch warme Mini-Bulette in die dafür gedachte Curry-Soße gedippt, sie gekostet und dem gutaussehenden Münchner empfehlen können. – Ob er zufrieden war mit meiner Empfehlung habe ich nicht mehr mitgekriegt, da ich neben mir den Kollegen bemerkte, den ich vom Pegasus-Sommerfest im Michelberger kannte, bei dem ich Anja kennengelernt hatte. Wir waren damals ins Gespräch gekommen, nachdem er gezögert hatte, ein Mineralwasser zu bestellen, weil er sich nicht sicher war, ob die Getränke frei sind. Mit Namen vorgestellt hatten wir uns damals nicht. Trotzdem redeten wir jetzt gleich wie alte Bekannte. Er redete, ich stellte ihm Fragen. Immer wieder eine neue Frage, um ihn davon abzuhalten, mir Fragen zu stellen, da die Erfolglosigkeit, in der meine Karriere als Drehbuchautor geendet hatte, mir auch im Nachhinein noch peinlich ist. Nach etwa zehn Minuten wusste ich so viel über ihn, dass ich sofort als sein Agent hätte tätig werden können: Er hat nach einem Studium der Literaturwissenschaft erst als Kameramann gearbeitet und darüber kam er zum Drehbuchschreiben. Er ist 50 Jahre alt. Zum ersten Mal, seit er als Autor arbeitet, schreibt er jetzt ein Drehbuch, bei dem er freie Hand hat und bei dem ihm nicht ein wichtigtuerischer hasenfüßiger Produzent oder eine ehrgeizige hasenfüßige TV-Redakteurin in seine Arbeit hineinreden (meine Adjektive). Die Idee zu dem Buch ist von seiner Frau, die TV-Regisseurin ist und mit dem Buch ihren ersten Kinofilm machen möchte. Die Chancen für das Projekt stehen gut, weil ein namhafter, sehr namhafter Darsteller darin eingebunden ist. Später sagt er mir, wer der Darsteller ist – denn ich werde es ja wohl kaum weiter erzählen, meint er. – Das mache ich auch nicht. Schade. Sehr schade. Sehr, sehr namhafter Darsteller. Kein deutscher Schauspieler. Genug. – Mit der Regisseurin ist der Kollege verheiratet; sie haben eine Tochter, die ist 16 Jahre alt. – Ich gratuliere und frage, ob das nicht schwierig ist, als Paar zusammenzuarbeiten. – Er gibt darauf die interessante Antwort, dass sie bei der Arbeit noch nie Schwierigkeiten miteinander hatten. Sonst gab es selbstverständlich schon Krisen. Da habe sich jedoch die gemeinsame Arbeit immer als ausgleichend und stabilisierend ausgewirkt. – Schließlich erkundige ich mich nach seinem Namen - er heißt Frank - und nenne ihm meinen Namen. Daran, wie er meinen Namen aufnimmt, erkenne ich, dass er schon neugierig ist, wer ich bin, und mir gerne Fragen zu meiner Person stellen würde. Inzwischen fühle ich mich so vertraut mit Frank, dass ich ihm die auch gerne beantworten und ihm die ganze seltsame Geschichte meines Misserfolgs als Drehbuchautor erzählen würde. Doch nach all den  Minibuletten mit Curry-Soße, die ich unterdessen gegessen habe, muss ich mir dringend etwas zu trinken besorgen und danach will ich nach draußen gehen, um eine Zigarette zu rauchen. Bis zum nächsten Mal, Frank. Hat mich sehr gefreut. – Nachdem ich – siehe oben – auf die Cola light verzichtet habe, weil ich kein Geld ausgeben will, schaue ich mich nach Anja um, kann sie aber nirgendwo entdecken. Draußen steht Fabian und raucht. Fabian raucht? Bei unserem kurzen Begrüßungs-Smalltalk erklärt er, dass er nur gelegentlich raucht und ich sage zu ihm sinngemäß, wenn er nicht süchtig ist, dann soll er es besser lassen. Ich zünde mir eine Zigarette an, habe Durst und überlege, ob es das vielleicht schon gewesen ist für dieses Jahr und ob ich mich nach der Zigarette auf den Nachhauseweg machen soll. Da sehe ich drei junge Frauen, die gerade vom Rauchen kommen, nach drinnen gehen. Offenbar Schauspielerinnen. Und eine von den Dreien - ich erkenne sie sofort wieder - ist Anja, die mich nicht bemerkt hat, obwohl sie ganz dicht an mir vorbei gegangen ist. – Fortsetzung folgt.

Freitag, 11. Februar 2011

Zausel

To me Western is gunplay and horses. – Wer hat das gesagt? – Howard Hawks: They're about adventurous life and sudden death. It's the most dramatic thing you can do. – Die Coen Brothers, von denen das nicht zu erwarten war, haben jetzt auch einen Western gemacht: True Grit, der nichts von alledem hat, was man von einem Coen-Brothers-Film erwartet. Außer dass Jeff Bridges, der Dude aus The Big Lebowski, mitspielt. Der Film ist frei vom abgründigen Humor der Coens. Deshalb ist er für die ganze Familie geeignet und mit großem Kassenerfolg in den USA an den Weihnachtsfeiertagen gestartet worden. Am 24. Februar kommt der Film in Deutschland in die Kinos und gestern wurden mit ihm die 61. Berliner Filmfestspiele eröffnet. Eine bessere Werbeveranstaltung konnte es für den Deutschlandstart von True Grit nicht geben. Aber offenbar ist es so, dass das Berliner Festival sich in diesem Jahr schwer tat, einen attraktiven Eröffnungsfilm zur Welturaufführung zu bekommen - mit einem Star vom Format von Jeff Bridges, der auf dem roten Teppich etwas hermacht am Eröffnungsabend. David Cronenbergs A Dangerous Method wäre geeignet gewesen als Eröffnungsfilm. Er ist auch entgegen anders lautenden Gerüchten rechtzeitig fertig geworden. Aber Hauptdarstellerin Keira Knightley hätte nicht nach Berlin kommen können, weil sie gerade in London Theater spielt, und Hauptnebendarsteller Viggo Mortensen hatte auch keine Zeit, um über den roten Teppich zu gehen. Deshalb wird David Cronenberg seinen Psychoanalyse-Film (aber mehr C.G.Jung als Freud) beim Festival in Toronto uraufführen. Wäre noch der neue Film von Lars von Trier gewesen. Aber der ist nicht rechtzeitig fertig geworden. Angeblich. Kann nämlich gut sein, dass Lars von Trier es vorzieht, ihn in Cannes zu präsentieren, weil es dort im Mai schöner ist als am Potsdamer Platz im Februar und weil es dort keine Überrepräsentanz verbiesterter deutscher Filmkritiker gibt wie in Berlin.
Und sonst habe ich keine Sorgen? – Doch. Vorhin hatte ich es beim Geldholen mit einem dicken Mann mit grauen Haaren und grauem Bart zu tun; Typus Harry Rowohlt, aber jünger. Als ich an den einen der beiden Geldautomaten trat, kam er mir zuvor, so dass ich an den anderen Automaten gehen musste, an dem er sich zuvor zu schaffen gemacht hatte. – Kaputt? frage ich. – Nein, nein. Der Automat hat meine Karte nicht angenommen. – Und warum sollte der andere sie jetzt annehmen? frage ich ihn. Worauf es zu einem am Rande des Schwachsinns balancierenden Dialog kommt, der unaufhaltsam auf die Zeile: Die Hoffnung stirbt zuletzt zusteuertSeine Karte hat dann funktioniert, er hat Geld abgehoben und sich mit freundlichen Grüßen verabschiedet. – Nachdem ich die Sparkassenfiliale (Hauptstraße) verlassen hatte, sah ich den Mann vom Bankautomaten ein paar Häuser weiter aus einer Bäckerei kommen. Er hat mich auch gesehen, aber mein Lächeln nicht erwidert. Doch das war nicht der Grund, warum ich im Weitergehen überlegte, dass das bestimmt ein Vorurteil ist, dass hinter der Bankautomaten-Kriminalität immer das Internationale Verbrechen in Gestalt drahtiger junger Männer mit dichtem, geölten schwarzen Haar steckt. Dass doch genau so gut ein zauseliger Graubart in meinem Alter und in ähnlich prekären Verhältnissen wie ich die schlichten Tricks drauf haben könnte, mit denen ein Geldautomat zu überlisten ist. Schon sah ich mich beim nächsten Geldabheben dumm dastehen - und machte sofort kehrt, um nachzuschauen, ob er auch zurückgegangen ist, um sein kleines schlaues Diebeswerkzeug aus dem Kartenschlitz des Automaten zu nehmen, an dem ich Geld abgehoben und er meine Daten ausgelesen hatte. Doch da sah ich ihn schon in entgegengesetzter Richtung gehen, auf mich zu kommen. War er so schnell gewesen? Zurück zur Sparkasse, Diebeswerkzeug geholt und jetzt schon wieder auf der Straße. Ausgeschlossen. Fall von Paranoia. Schwere Paranoia. Als hätte ich nichts anderes zu denken als so einen Kram. Und das alles nur, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass eine EC-Karte von einem Bankautomaten nicht angenommen wird, während sie am anderen ohne weiteres funktioniert. Und, ich gebe es zu: Weil ich Ressentiments gegen Männer meines Alters habe, die so aussehen wie Harry Rowohlt, den ich auch nicht leiden kann. Das weiß ich allerdings erst seit heute. - Kurz darauf, nachdem ich bei Rossmann mit einer angenehm kompetenten Verkäuferin ein längeres Fachgespräch über Duschgels für cremefaule Männer geführt hatte, habe ich den Mann vom Bankautomaten noch mal gesehen. Er stand an einer Ampel, ein Süßstück kauend, Krümel im grauen Zauselbart, die Jeans eingerissen über dem rechten Knie, billige klobige Turnschuhe an den Füßen. Und als er bemerkt hat, dass ich ihn anschaue, hat er mit einem kaltem Blick zurückgeguckt und mich auch gemustert.